Von Apulien aus verfolgte Friedrich den weiteren Verlauf des Kampfes, der sich von einer Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser längst in einen Krieg gewandelt hatte, der das gesamte Reich entzweite und insbesondere den Norden Italiens in ein Schlachtfeld verwandelte, auf dem sich kaisertreue ghibellini und papsttreue guelfi unversöhnlich gegenüberstanden.
Einen weiteren Rückschlag, der ihn sowohl als Kaiser als auch als Vater traf, hatte Friedrich hinnehmen müssen, als sein Sohn Enzio, König von Sardinien, in die Gefangenschaft der papsttreuen Bologneser geraten war. Alle Verhandlungen um seine Freilassung waren gescheitert, sämtliche Drohungen des Kaisers wirkungslos verhallt, zumal es den Bolognesern auch noch gelang, das kaisertreue Modena zu erobern, und ihr Triumph über den Kaiser somit vollkommen war.
Da konnte es Friedrich kaum noch trösten, dass seine anderen Verbündeten Erfolge zu verzeichnen hatten: Der getreue Ezzelino, den er zu seinem Schwiegersohn gemacht hatte, hielt das Banner des Reiches im Norden der Lombardei aufrecht, von Verona bis hinauf zum Brennerpass. Gleiches ließ sich von Amadeus von Savoyen sagen, dem Schwiegervater Manfreds, der die westliche Passage über die Alpen sicherte. Ein päpstliches Heer, das sich angeschickt hatte, ins Südreich einzufallen, war außerdem in der Mark Ancona vernichtend geschlagen worden, und vor der ligurischen Küste war es den kaiserlichen Galeeren gelungen, einen Seesieg über die mächtigen Genueser davonzutragen. Selbst die vermessenen Mailänder und Parmeser waren im Lauf des Jahres in Schlachten zu Felde besiegt und zumindest in ihre Schranken verwiesen worden, und in deutschen Landen war es Friedrichs Sohn Konrad gelungen, sich erfolgreich gegenüber dem neuen Gegenkönig Wilhelm von Holland zu behaupten.
Somit hätte mein Herr allen Grund gehabt, um aufzuatmen. Und da es ihm weder an Mut noch an Gesinnung gebrach, erwog er abermals, ein gewaltiges Heer aufzustellen und mit diesem nach Lyon zu marschieren, um dem Papst in direkter Konfrontation die Stirn zu bieten … doch erneut wurden seine Pläne durch Verrat durchkreuzt. Diesmal allerdings waren es keine bisherigen Getreuen, die sich heimlich gegen ihn wandten und ihm die Gefolgschaft verweigerten.
Es war sein eigener Körper.
Während eines Jagdausritts, den der Kaiser unternahm, um seiner geliebten Beizjagd nachzugehen, kehrte jäh sein Magenleiden zurück, und diesmal so heftig, dass es ihn niederstreckte. Unfähig, ein Pferd zu besteigen oder auch nur über eine längere Strecke transportiert zu werden, ließ Manfred, der seinen Vater wie so oft begleitete, diesen in eine nahe gelegene Burg bringen und schickte von dort aus nach Heilern.
Die medici kamen, doch gegen das Fieber, das Friedrich erfasste, und gegen die Krämpfe, die seinen dürren Körper schüttelten, vermochten sie nichts auszurichten.
Manfred, der mit wachsender Verzweiflung zusah, wie sich der Zustand seines Vaters mehr und mehr verschlechterte, sandte Boten nach Foggia, worauf sich Erzbischof Berard und einige hochrangige Justiziare sofort zu der Burg begaben, wo der Kaiser schwer erkrankt darniederlag …
Als Friedrich seinen alten Freund und Mentor erblickt, huscht trotz seines geschwächten Zustands ein freudloses Lächeln über seine blassen Züge. »Mein guter Berard«, flüstert er, seine Stimme kraftlos und heiser, »wenn Ihr den Ritt eigens auf Euch nehmt, so muss es schlimm um mich beschieden sein.«
Berard von Castacca, zu jenem Zeitpunkt beinahe achtzig Winter alt, erwidert das Lächeln. »Ich komme nicht als Priester zu Euch, Majestät«, erwidert er, »sondern als Freund.«
»Seid willkommen als Freund«, versichert Friedrich, dankbar über die Gesellschaft des Mannes, der ihm vom ersten Tag seiner Herrschaft an treu gedient, ihn stets weise beraten und ihn niemals im Stich gelassen hat.
Beide wissen, dass es kein reiner Besuch aus Freundschaft ist, denn es gibt Dinge zu regeln, die Nachfolge der Herrschaft für den Fall, dass sich mein Herr nicht vom Fieber erholt, das unverdrossen in ihm brennt und ihn von Tag zu Tag mehr wie einen wandelnden Toten wirken lässt.
Da sein Körper jedwede Nahrung zurückweist, wirkt er schmal und ausgezehrt; die Wangen sind hohl, die Knochen stehen hervor, und um seine Augen liegen dunkle Ränder, den leeren Höhlen eines Schädels gleich. Bisweilen könnte man vergessen, dass noch eine lebende Seele daraus blickt, doch dann wieder blitzt, dem Fieber zum Trotz, die alte Kraft durch, mit der mein Herr zeit seines Lebens so vieles bewegt und verändert hat.
Gemeinsam mit dem ehrwürdigen Berard, im Beisein Manfreds und seines Schwiegersohns Richard von Caserta sowie einiger hoher Beamter, den letzten, denen er noch vertraut, regelt der Kaiser seine Nachfolge.
Zu seinem Nachfolger bestimmt er Konrad, den Ersten in der Thronfolge, der jenseits der Alpen als König herrscht, und, sollte dieser ohne männlichen Erben bleiben, als nächsten seinen Sohn Carl Otto, der aus der Verbindung mit Isabella von England hervorging und nunmehr den Namen Heinrich trägt; und schließlich, sollte auch dieser aus der Welt scheiden, ohne einen Sohn zu hinterlassen, keinen anderen als seinen geliebten Manfred, den er zugleich zum Statthalter in Italien ernennt.
Ferner ordnet Friedrich an, wohl bereits von Gedanken ergriffen, die über seine irdische Existenz hinausreichen, der Kirche alle Güter zurückzuerstatten, die er ihr im Zuge des Konflikts genommen hat, und bei den Ordensgemeinschaften Wiedergutmachung zu üben. Er selbst lässt sich das schlichte Hemd der Zisterzienser anlegen, denen er einst kurz nach seiner Krönung zum römischen König beitrat; ferner befiehlt er, den Gefangenen in den Kerkern die Freiheit zu schenken bis auf die Hochverräter, denen auch jetzt noch, im Schatten des Todes, sein ganzer Hass und seine Abneigung gilt.
Nachdem all dies gesagt ist, wird mein Herr ruhig, sein Zustand bessert sich gar.
Zum Nachtmahl lassen die Ärzte ihm eingelegte Birnen bringen, die er mit Appetit verzehrt. Unter seinen Söhnen und Vertrauten keimt Hoffnung auf, dass sich der Kaiser wieder von seiner Krankheit erholen, dass er die Burg bald verlassen und wieder nach Foggia zurückkehren könnte, um seinen Kampf weiterzuführen.
Friedrich selbst jedoch wird still in dieser Nacht, obschon er keinen Schlaf findet. Seine Gedanken sind auf die Vergangenheit gerichtet, auf das, was war, ebenso wie auf das, was hätte sein können, mit Manfred als Gesellschaft, der nicht von der Seite seines Vaters weicht.
»Sohn?«, fragt Friedrich in das Halbdunkel der Kammer.
»Ja, Vater?«
»Was habe ich in meinem irdischen Dasein erreicht? Was, das Bestand haben wird, auch jenseits meiner Tage?«, will der Kaiser wissen. Er spricht leise, aber deutlich, ist trotz des Fiebers ganz bei sich.
»Alles«, erwidert Manfred, bestürzt ob der Frage. Niemals hat er seinen Vater derart zweifeln hören, niemals sah er seine Entschlossenheit dergestalt wanken. »Du hast alles erreicht, Vater. Du hast die Königskrone Siziliens errungen und zugleich die des Imperators der Welt! Du hast die Krone von Jerusalem gewonnen und die Heiden von dort vertrieben! Du hast die Wissenschaften und die Herrschaft des Rechts gefördert, deine Verbündeten preisen dich, und deine Feinde zittern vor dir!«
»Tun sie das?« Ein wehmütiges Lächeln spielt um Friedrichs dünne Lippen. »Und dennoch hat mir ein einzelner Mann einst vorausgesagt, dass genau das geschehen würde, was tatsächlich geschehen ist … dass ich vom Jäger zum Gejagten werde.«
»Wer, Vater?«, will Manfred wissen. »Wer hat das vorausgesagt? Ein Sterndeuter?«
»Nein, Sohn. Ein Mönch … ein Bettler.«
»Also niemand von Belang.«
»Nein«, gibt Friedrich zu, »und doch erinnere ich mich in aller Klarheit an seine Worte, mehr als an alle Fürsten und Könige, mit denen ich in meinem Leben gesprochen habe, und das sind viele gewesen, Sohn. Sehr viele …«
»Ich weiß, Vater.« Manfred nickt. »Doch du bist größer als sie alle, nicht von ungefähr nennen sie deinen Namen in einem Atemzug mit den Großen … mit Otto und Karl und Konstantin. War es nicht das, was du immer wolltest?«
»Das wollte ich«, stimmt Friedrich zu, mit Bitterkeit in der dünner werdenden Stimme, »doch ist es einsam dort, wo all jene waren. Keine Treue gibt es dort und nur wenig Liebe … zudem fürchte ich, dass nichts von dem, was ich begonnen habe, bleiben wird, wenn ich nicht mehr bin …«
»Sag das nicht, Vater! So vieles hast du getan, das bleiben wird … denk nur an die Bauwerke, die du errichtet hast! Sie werden deine Herrschaft noch in tausend Jahren bezeugen!«
»Ich spreche nicht von Bauwerken, Sohn … sondern von dem neuen Kaisertum, nach dem ich gesucht habe … dem Ruhm der Vergangenheit in einer neuen Zukunft …« Er verstummt, als ihm die Stimme versagt und eine weitere Welle von Schmerz durch seine Eingeweide flutet. »Vielleicht«, fügt er schließlich hinzu, »wird anderen gelingen, was mir versagt blieb …«
»Das darfst du nicht sagen, Vater.« Manfred ergreift Friedrichs klamme Hand und sieht ihm fest in die Augen. »Du wirst wieder gesund werden, und du wirst den Kampf gegen deine Feinde weiterführen und am Ende siegreich sein!«
»Mein Leben lang habe ich gekämpft«, bestätigt Friedrich leise, »doch jetzt bin ich des Kampfes müde …« Er blinzelt, hat Mühe, die Augen noch offen zu halten. »Sohn?«
»Ja, Vater?«
»Wie heißt … dieser Ort? Wie ist der Name dieser Burg?«
»Ich weiß nicht … irgendetwas mit Blumen. Castel Fiorentino, glaube ich …«
Da erinnert sich mein Herr an das, was ihm der alte al-Hakim vor so vielen Jahren geweissagt hat, in jener Nacht in Palermo, als er noch ein halber Knabe gewesen war.
Du wirst, so hatte der weise Sterndeuter ihm gesagt, dereinst unter dem Namen einer Blume sterben.
Sein Leben lang hat Friedrich darüber gerätselt, was jene Worte zu bedeuten haben, nun endlich ergeben sie einen Sinn. Und obwohl diese Erkenntnis meinem Herrn die Einsicht bringt, dass sein irdischer Weg zu Ende geht, findet er dennoch Trost darin. Denn es beweist ihm, dass jener Ordnung, die er sein Leben lang auf Erden zu stiften suchte, eine göttliche Ordnung im Himmel entspricht, die allem und jedem seinen Platz und seine Zeit zuweist – und damit auch eine Bestimmung.
Meinem Herrn war es bestimmt, Herrscher des gesamten Abendlands zu sein. Viel wurde bereits zu seinen Lebzeiten über ihn geschrieben, und vieles wird noch über ihn geschrieben werden, wenn er diese Welt erst verlassen hat. Doch nichts davon wird so wahr sein wie das, was ich, sein treuer Falke Saxo, in diesem Bericht festgehalten habe.
Der Kaiser dankt es mir, indem er von seinem letzten Lager aus befiehlt, mir die Ketten abzunehmen, die mich fast mein ganzes Leben lang hielten, und mich in Freiheit zu entlassen.
Noch einmal sehe ich meinen Herrn an, und er erwidert meinen Blick aus einem Gesicht, das alt ist und bleich, von Trauer und Verlust gezeichnet, und auf das das nahe Ende bereits seinen Schatten geworfen hat – aber noch einmal blitzt in seinen Augen jener unbezähmbare Geist auf, den er stets besessen hat, die unstillbare Neugier. Und ich breite meine Flügel aus und fliege zum Fenster des Gemachs hinaus, schwinge mich hoch in die Lüfte über seinem geliebten sizilischen Königreich.
Dort werde ich am Himmel meine Bahnen ziehen und auf ihn warten, um seine unsterbliche Seele zu begleiten.
Immutatorem et stuporem mundi.
Den Wandler und das Staunen der Welt.