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NEW SVALBARD

Ich bin nun schon seit fünf Jahren bei der Flotte und habe nach der Ausbildung zum Gefechtscontroller jedes halbe Jahr das Schiff gewechselt. Aber ich bin bis zu dieser Woche noch nie auf einem Supercarrier der Navigator-Klasse gewesen. Die Navigatoren sind der Stolz der Flotte: Sie haben die halbe Tonnage der nächstgrößeren Trägerklasse und sind mit Abstand die leistungsfähigsten Kriegsschiffe, die bisher in Dienst gestellt wurden. Aber sie sind zu selten und zu wertvoll, um sie bei solchen Aktionen zu verheizen, an denen ich in den letzten paar Jahren hauptsächlich teilgenommen habe. So kommt es also, dass ich erst jetzt über die Decks eines dieser Schiffe spaziere.

Die schiere Größe der REGULUS steht in einem starken Kontrast zur kleinen Besatzung. Ich kenne die Mannschaftsstärke eines Trägers und das Ausmaß der Aktivitäten an Bord. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass die REGULUS bestenfalls mit der Hälfte der regulären Besatzung betrieben wird. Sie war zur Überholung und Vorratsaufnahme in der Flottenwerft Europa, als die Lankies im Sonnensystem auftauchten und den Mars eroberten. Deshalb musste sie mit der Wartungscrew und dem Personal, das man auf Europa sonst noch zusammenkratzen konnte, ins Gefecht ziehen. Das NAC Defense Corps hatte bei der gescheiterten Verteidigung des Mars die schlimmste Niederlage ihrer Geschichte erlitten, und nun pfeift es praktisch auf dem letzten Loch. Die REGULUS war noch nicht einsatzbereit, als die Schlacht um den Mars fast schon vorbei war; und sie konnte nicht mehr tun, als ihre Begleitschiffe einzusammeln und zu fliehen. Nach allem, was ich weiß, ist die REGULUS jetzt die letzte der Navigatoren. Und nach allem, was ich sonst noch weiß, sind wir Menschen im Formalhaut-System vielleicht die Letzten unserer Art.

Die Einsatznachbesprechung im Besprechungsraum der Abteilung für Spezialeinsätze der REGULUS findet in einer angenehm entspannten Atmosphäre statt. Ich war der einzige NAC-Gefechtscontroller am Boden; die anderen Vertreter der Spezialeinsatzkräfte sind zwei Angehörige der Raumnotrettung, ein SEAL-Team von der REGULUS und drei Teams der Rauminfanterie-Aufklärung der Garnison von Camp Frostbite. Die MIDWAY hatte ihr halbes Rauminfanterie-Kontingent auf Frostbite zurückgelassen, als sie den Schwanz einzog und mit dem Rest der Kampfgruppe die Flucht ergriff.

Ich gehe in den Besprechungsraum und setze mich auf einen Stuhl im hinteren Bereich, hinter dem SEAL-Team und auf der entgegengesetzten Seite der Kameraden von der Rauminfanterie-Aufklärung. Das ebenso kurze wie heftige Blutvergießen während unsrer Meuterei auf New Svalbard ist allen Anwesenden noch frisch in Erinnerung. Ein paar Rauminfanteristen haben mir auf dem mehrwöchigen Flug hierher auch feindselige Blicke zugeworfen oder unfreundliche Bemerkungen gemacht. Bis wir wieder in der Umlaufbahn über New Svalbard sind, werde ich es tunlichst vermeiden, mich in einen wenig frequentierten Winkel dieses Schiffs zu verirren, solange ein halbes Dutzend angepisster Weltraumaffen zwischen mir und der Ausstiegsluke steht.

Der Kommandeur für Spezialeinsätze auf der REGULUS ist ein Major namens Kelly, ein Mann mit harten Gesichtszügen. Er hat vorzeitig ergrautes Haar und das verwitterte, von den Fährnissen des Lebens kündende Äußere eines Veteranen der Spezialeinsatzkräfte der Flotte. Unser Lebensstil hat einen starken körperlichen und mentalen Verschleiß zur Folge, und die meisten Angehörigen unserer »Branche« sehen mindestens zehn Jahre älter aus, als sie tatsächlich sind.

»Das war ein Arschtritt wie aus dem Lehrbuch«, sagt er zum Auftakt der Nachbesprechung und aktiviert das holografische Display an der Wand. »Keine Verluste auf unserer Seite. Einhundertneunundsiebzig bestätigte Lanky-Abschüsse und über fünfzig wahrscheinliche.«

Wir alle jubeln in der angemessen zurückhaltenden und professionellen Weise. Das sind die bei Weitem höchsten Verluste, die eine Einheit den Lankies bei einer einzigen Landung und ohne Atomwaffeneinsatz zugefügt hat. Wir haben das hauptsächlich auf die altmodische Art und Weise erledigt: auf dem Boden und mit konventionellen Waffen.

»Wie viele Verluste bei der Rauminfanterie? Und, äh, bei der SRA?«, fragt einer der SEALs.

»Neunzehn Gefallene, etwas über zwanzig Verwundete«, erwidert der Major. »Ich habe zwar keine Zahlen für die Russen, aber sie hatten auch viel weniger Leute im Einsatz.«

»Das ist kein Drama bei einer Landung dieser Größenordnung«, sagt der Lieutenant, der das SEAL-Team leitet. Was natürlich noch stark untertrieben ist. Selbst dreimal so hohe Verluste der Rauminfanterie bei einem Angriff auf eine SRA-Garnison mit einem oder zwei Bataillonen wäre noch im Rahmen des Normalen gewesen. Allerdings war bisher auch noch niemand mit einem verstärkten Regiment aus der Umlaufbahn gegen die Lankies angetreten. Als wir bei ihrem letzten Auftritt mit einer solchen Truppenstärke am Boden waren, hatten sie den Verband fast komplett aufgerieben.

»›Kein Drama‹ trifft es«, sagt Major Kelly. »Wir haben diesen dürren Bastarden gerade auf ihrem Territorium zu gleichen Bedingungen kräftig in den Arsch getreten. Wenn es in den letzten paar Jahren nur halb so gut gelaufen wäre, hätten wir sie jetzt schon in die Flucht geschlagen.«

»Sie haben sich auch irgendwie seltsam verhalten«, sage ich. Die meisten Köpfe im Raum drehen sich in meine Richtung. »Ist das sonst noch jemandem aufgefallen? Sie waren nicht annähernd so aggressiv wie sonst. Sie haben beinahe träge gewirkt.«

»Genau«, sagt der SEAL-Lieutenant. »Als ob sie irgendwie schläfrig gewesen wären oder so.«

»Vielleicht haben wir sie demoralisiert«, mutmaßt einer der Kameraden von der Rauminfanterie-Aufklärung, worauf der SEAL-Lieutenant ein kurzes schnaubendes Lachen ausstößt.

»Sie waren ohne ihr Mutterschiff da«, sagt Major Kelly. »Das erklärt natürlich ihre Niederlage, aber vielleicht steckt doch noch mehr dahinter. Vielleicht fehlte es ihnen an etwas, das mit diesem Saatschiff zur Nova wurde. Weiß der Geier.«

»Sie haben auch nichts auf der Oberfläche errichtet«, sage ich. »Ich bin alle Aufklärungsdaten vor und nach der Landung durchgegangen. Kein einziger Lanky-Terraformer oder wie zum Teufel sie ihre Dinger auch nennen. Es ist ihnen nicht einmal gelungen, alle SRA-Stationen einzureißen, und das ist normalerweise ihre erste Amtshandlung. Zwei Drittel des SRA-Terraforming-Netzwerks dort unten sind noch immer intakt und funktionsfähig.«

»Wenn ich raten müsste«, sagt Major Kelly, »haben wir ihre Nahrungs- und Baustoffvorräte vernichtet, als wir ihr Schiff zerstörten. Zumal auch nicht genug Lankies am Boden waren. Nicht genug für die Übernahme einer Kolonie. Es gibt doch Tausende von diesen Dingern in einem Saatschiff.«

»Sie waren nur ein erster Aufklärungstrupp oder so was«, mutmaßt jemand anders im Raum. »Ein Schiff fliegt am Mond vorbei, setzt den Voraustrupp ab, schießt diesen SRA-Kreuzer ab und wird dann von den Leuten auf New Svalbard zum Teufel geschickt.«

»Der Voraustrupp ist ohne Unterstützung auf dem SRA-Mond gestrandet«, ergänzt Major Kelly. »Also haben wir ihnen praktisch nur deshalb in den Arsch treten können, weil sie unterernährt und orientierungslos waren.«

Die Feststellung des Majors hängt für einen Moment wie üble Winde nach dem Essen in der Luft. Niemandem gefällt die Vorstellung, dass unser erster großer militärischer Erfolg gegen die Lankies – die heldenhafte Rettung von Kolonisten! – hauptsächlich dem Umstand geschuldet war, dass die Lankies wahrscheinlich zu schwach zu einer richtigen Gegenwehr waren. Dann zuckt Major Kelly die Achseln und schüttelt den Kopf.

...


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