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DIE SCHLACHT UM NEW SVALBARD

Das erste Paar Shrikes kommt rein wie die wilde Luzie. Sie nähern sich der Stadt mit Vollschub und in einer Höhe von fünftausend Fuß. Das Führungsschiff hat die Aktivsender abgeschaltet, doch der Hintermann erzeugt mit Störsendern so viel elektromagnetische Energie, dass man damit noch in einer Entfernung von einem Kilometer ein Sojaschnitzel braten könnte.

»Rogue-Rotte und alle Bodeneinheiten, mit dem Einsatz der Flugabwehrraketen noch warten«, sage ich auf dem Überwachungskanal. »Das sind ›Wilde Wiesel‹, die die Luftabwehr niederhalten sollen. Sie wollen uns provozieren, die MANPADs einzusetzen.«

Die Shrikes fliegen mit Vollschub über uns hinweg. Der Überschallknall hallt in den Straßen wie Kanonendonner wider. Beide Jäger stoßen EloGM-Täuschkörper aus, aber es werden keine Luftabwehrraketen gestartet. Eine unserer Dragonflies antwortet mit einem Feuerstoß aus ihrer Kanone. Da die Granaten der Autokanone aber keine so große Reichweite haben, verpuffen die Leuchtspurgeschosse wirkungslos.

»Ich werde mich bei der Flotte beschweren«, sendet jemand aus der zivilen Operationszentrale. Ich erkenne Chief Barnetts Stimme. »Das ist ein eklatanter Verstoß gegen die Flugverkehrsvorschriften, mit Überschallgeschwindigkeit über eine Stadt hinwegzufliegen.«

Jemand auf dem Kanal lacht. »Echt wahr. Durch so einen Scheiß kann man einen Gehörschaden kriegen.«

»Wir haben Aktivitäten in Frostbite«, meldet Rogue Eins. »Sechs – nein, acht – Wasps sind hierher unterwegs.«

Ich sehe auf der taktischen Darstellung, wie der Knubbel aus Landungsschiffen von Camp Frostbite sich in vier Paare aufteilt. Die »Wilden Wiesel« sind im Süden verschwunden, doch nun stoßen die anderen Shrikes von der MIDWAY durch die stahlgrauen Wolken und beziehen neben den Landungsschiffen Begleitpositionen.

»Es geht los. Vier Angriffsgruppen, jeweils bestehend aus zwei Wasps und einem Shrike. Bezeichnung Angreifer Eins bis Vier.«

»Wenigstens erlegen sie sich diesmal keine falsche Zurückhaltung auf«, knurrt Sergeant Fallon. »Flugplatz-Team, ihr werdet wieder angegriffen. Ihr dürft nicht zulassen, dass sie bei euch Fuß fassen.«

»Verstanden.« Der Chef der TA-Kompanie auf dem Flugplatz klingt viel entspannter, als ich mich bei dem Gedanken fühle, dass in wenigen Minuten zwei Rauminfanterie-Bataillone über uns runtergehen.

»Rogue-Rotte, die Landungsschiffe noch nicht angreifen. Hebt die restlichen Raketen für die Shrikes auf. Sobald ihr eines dieser Landungsschiffe angreift, werden sie Hackfleisch aus euch machen.«

Die restlichen Dragonflies bestätigen. Es liegen nun alle Karten auf dem Tisch: Jetzt kommt es auf die Eröffnungszüge an und darauf, wer die bessere taktische Planung hat.

»Beweg deinen Arsch in die Operationszentrale«, sendet Fallon um die Ecke, wo sie die Verteilung des Zugs überwacht, der das Gebäude verteidigen soll. »Du bist jetzt unser ganzer Quadrant C3. Du bist der Einzige, der diesen schlauen Computer bedienen kann.«

»Ich bin von deiner Sorge um mich zutiefst gerührt, Master Sergeant«, erwidere ich.

»Hey, ich will nur unseren begrenzten Bestand an Dumpfbeuteln schonen.«

Ich betrachte die roten Symbole auf der Grafik; sie wandern stetig auf die Stadt zu. Jedes dieser Symbole steht für dreißig oder mehr Soldaten – Leute, mit denen ich zusammen in der Kantine gegessen habe, Männer und Frauen, die die gleichen Farben tragen wie wir. Das Universum gerät aus den Fugen, und wir haben nichts Besseres zu tun, als uns gegenseitig zu massakrieren. Ich verspüre überhaupt keine Sympathie für die Lankies, diese seltsamen Kreaturen und Planetendiebe mit ihrem Hang zum Genozid. Doch in den vier Jahren, in denen ich sie nun schon bekämpfe, habe ich noch nie gesehen, dass sie untereinander aggressiv geworden wären.

Über uns teilt sich die Formation aus Landungsschiffen und Jägern in zwei Gruppen. Eine dreht nach Osten ab und behält die Höhe bei. Die andere Gruppe dreht ebenfalls nach Osten ab, geht dann aber in einen schnellen Sinkflug und nimmt Kurs auf das weitläufige Flughafengelände.

»Flugplatz, Feindannäherung«, sage ich. »Vier Wasps und zwei Shrikes kommen direkt auf euch zu.«

Die Shrikes rasen über uns hinweg und beziehen an beiden Enden des Flugplatzes Position, während die Landungsschiffe eine Gefechtslandung wie aus dem Bilderbuch hinlegen. Sie steigen mit hoher Geschwindigkeit auf einer spiralförmigen Bahn ab, um den Schützen der feindlichen Luftabwehr eine präzise Zielerfassung zu erschweren. Die Luft knistert förmlich vor elektromagnetischer Energie, als die Shrikes ihre Schützlinge mit elektronischen Gegenmaßnahmen unterstützen, um das Zielerfassungsradar zu stören – nur dass wir ohnehin keins haben.

»Torhüter, Ausführung«, sendet Rogue Eins.

Die beiden Dragonflies, die soeben auf dem Bildschirm erschienen sind, beschreiben eine synchrone Kurve nach Süden und feuern dann nacheinander drei Luft-Luft-Raketen auf den Shrike ab, der am südlichen Ende des Flugplatzes Position bezogen hat. Auf diese kurze Distanz hat der Pilot nicht einmal Zeit für ein Ausweichmanöver. Es gelingt ihm noch, den Vogel hochzuziehen und Schub auf die Triebwerke zu geben, doch dann treffen alle drei Raketen ihn mittschiffs, und sein rotes Symbol verschwindet mit einem Blinken von meinem Display. Ich spüre die Druckwelle der Explosion noch über einen halben Kilometer entfernt durch die Stiefelsohlen.

»Rogue-Rotte, Abschuss«, melde ich automatisch. »Der zweite Shrike dreht ab in Richtung null-zwo-null.«

Der andere Shrike geht in den Überschallflug und steigt schnell in den Himmel, um sich aus der MANPAD-Reichweite zu entfernen. Dann wendet er und fliegt exakt auf Gegenkurs mit hoher Geschwindigkeit zum Flugplatz zurück. Auf diese Entfernung klingt die schwere Revolverkanone des Shrike wie ein Lanky mit Flatulenzen – wenn man davon ausgeht, dass die Lankies ein Verdauungssystem wie wir haben. Drüben auf dem Flugplatz stanzen die panzerbrechenden Granaten der großkalibrigen Kanone des Shrike eine dreißig Meter lange Furche in den Beton der Startbahn.

Als der Shrike den Angriff schließlich abbricht, schickt ihm ein halbes Dutzend mobiler MANPAD-Werfer seine Raketen hinterher. Der Pilot stößt Täuschkörper aus wie bei einer Konfettiparade und durchbricht erneut mit seinem Vogel die Schallmauer. Dann höre ich weiteres Geschützfeuer, bevor die zwei blauen Flugzeugsymbole des Dragonfly-Duos wieder auf meinem Display erscheinen. Die Landungsschiffe haben ihre Feuerleitcomputer vernetzt, um mit Radar und Buggeschützen eine Flugabwehrbatterie zu improvisieren. Ihre Salven sind perfekt mit der Kurvengeschwindigkeit und dem Vektor des flüchtenden Shrikes synchronisiert. Ich rufe gerade noch rechtzeitig die Videoübertragung ihrer Zielerfassungskameras auf, um zu sehen, wie eine Granate die linke Triebwerkspylone des Shrike erwischt und Stücke von der Panzerung abreißt. Für einen Moment sieht es so aus, als ob die Dragonflies wieder einen Abschuss zu verzeichnen hätten, doch dann bringt der Pilot des Shrike seine angeschlagene Maschine wieder unter Kontrolle. Er rast mit Vollschub und einer Rauchschleppe davon.

»Fuck, diese Dinger sind wirklich robust«, sagt Rogue Zwei. »Nicht zu fassen, dass dieser Hurensohn noch immer in der Luft ist.«

»Ich habe schon mal gesehen, dass einer es zum Träger zurückgeschafft hat, dem der halbe linke Flügel fehlte und dem man ein Triebwerk weggeschossen hatte«, sage ich. »Diese Dinger sind dafür ausgelegt, einiges einzustecken. Ihr habt trotzdem gute Arbeit geleistet.«

Nun sind noch vier rote feindliche Karos auf meinem taktischen Display übrig. Die Bilddarstellungsperspektive der Zielerfassungskameras der Dragonflies ändert sich. Man sieht nun das Quartett der Wasp-Landungsschiffe, das neben der Startbahn Soldaten absetzt – nur etwa hundert Meter vom Kontrollturm entfernt.

»Tut mir wirklich leid für euch«, sagt Rogue Eins mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme. Dann eröffnen die Buggeschütze und die mittschiffs installierten schweren Autokanonen der Dragonflies gleichzeitig das Feuer. Die Wasps und ihre Infanterie-Passagiere sind unbewegliche Ziele und werden in der kritischsten Phase einer Angriffslandung erwischt. Mir dreht sich der Magen um, als ich sehe, was nun geschieht.

Die Panzerung der Wasps vermag dem Beschuss aus Kleinwaffen und leichten Geschützen standzuhalten. Aber die Schichtpanzerung ihrer Hülle ist nicht dafür ausgelegt, dem Trommelfeuer schwerer panzerbrechender Geschosse aus großkalibrigen Kanonen und noch dazu auf kurze Distanz zu widerstehen. Die ersten Feuerstöße der Dragonflies treffen auf die Flanken der Flotten-Landungsschiffe wie ein Dampfhammer auf Schiefergestein. Die Wasps befinden sich mitten in einer Truppenabsetzung, und die Soldaten geraten beim Versuch, sich von den Maschinen zu entfernen, in einen Sturm aus explodierenden Granaten und umherfliegenden Splittern der Panzerung. Obwohl die Rogue-Rotte bewusst nur auf Steuerflächen und Triebwerke zielt, spielt sich auf dem Display ein entsetzliches Blutbad ab. Das Geschützfeuer hat nicht einmal zehn Sekunden angedauert, doch schon sind alle vier Flotten-Wasps qualmende Wracks, deren Trümmer über die ganze Startbahn verteilt sind. Im Umkreis der zusammengeschossenen Landungsschiffe liegt mindestens ein Dutzend toter Rauminfanteristen, die sich nicht schnell genug aus der Schusslinie haben retten können. Die anderen rennen zu den Hangars, um dort in Deckung zu gehen. Sie sind offensichtlich total geschockt.

Als unsere HV-Soldaten dann von ihren Positionen zwischen den Hangars das Feuer eröffnen, entspinnt sich ein ebenso kurzes wie heftiges Feuergefecht. Die Rauminfanteristen sitzen auf freier Fläche in der Falle, zwischen den brennenden Landungsschiffen und unseren Verteidigungsstellungen. Und es dauert auch nicht lange, bis sie sich der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage bewusst werden. Dann positionieren unsere Dragonflies sich hinter ihnen. So schnell die Schießerei begann, so schnell endet sie auch wieder, und die überlebenden Rauminfanteristen legen ihre Waffen auf den Boden und heben die Hände.

»Feuer einstellen«, befiehlt jemand. »Sie geben auf.«

»Ihre erste vernünftige Maßnahme heute«, erwidert Rogue Eins. Er hat sein Schiff aus der Deckung herausmanövriert, in der er sich vor den Shrikes verborgen hatte. Nun fliegt er zu den brennenden Wasps hinüber und richtet das Buggeschütz auf die sich ergebenden Soldaten. »Wisst ihr, diese neuen Flotten-Vögel sind ganz nett. Ich glaube, ich werde diesen hier behalten.«

»Verluste am Flugplatz«, sage ich Sergeant Fallon. »Bei ihnen, nicht bei uns.«

»Schickt sofort ein paar Sanitäter rüber«, sagt sie den Zugführern. Und entwaffnet zuerst diese Kameraden, verdammt noch mal. Nur für den Fall, dass sie es sich noch einmal anders überlegen.«

»Wir werden schon eine ruhige Ecke für sie finden«, erwidert der Chef der Flughafenkompanie.

»Andrew, wo ist die andere Rotte?«

Ich werfe einen Blick auf das taktische Display.

»Sie hat gewendet und kommt aus östlicher Richtung zurück. Sie sind noch immer auf fünftausend. Schwer zu sagen, was sie vorhaben, aber ihre Chancen für einen Überraschungsangriff haben sie gründlich vermasselt.«

»Ich verfolge sie optisch«, sagt Rogue Vier.

»Die Aktivsensoren aber nicht einschalten«, sage ich ihm und zapfe seine Kameraübertragung an.

»Ja, verstanden. Ich bin auch nicht dran interessiert, heute noch einen HARM in den Arsch geschoben zu kriegen.«

»Sie sollten endlich mal zu Potte kommen – entweder greifen sie an oder lassen es bleiben«, beschwert sich Rogue Eins.

Als sie schließlich direkt über dem Stadtzentrum stehen, noch immer in großer Höhe und außerhalb der Reichweite der schultergestützten MANPADs unserer Infanterie, löst Angreifer Zwei die Marschformation auf. Die Shrikes beziehen über uns Luftunterstützungsposition, und die Wasps leiten die Gefechtslandung ein. Sie steigen spiralförmig zum Boden ab wie eine Handvoll Herbstblätter, die es kaum erwarten können, sich endlich von ihrem Baum zu lösen. Mein taktischer Rechner bildet ihre wahrscheinliche Flugbahn ab, und die gepunktete rote Linie ihres prognostizierten Pfads endet direkt über der Stelle, wo Sergeant Fallon und ich im Moment stehen.

»Angreifer Zwei geht über dem Verwaltungszentrum runter«, melde ich viel ruhiger, als ich mich tatsächlich fühle.

Die Wasps kommen aus allen Himmelsrichtungen rein. Sie beziehen Position an allen vier Kreuzungen um das Verwaltungszentrum im Umkreis von zwei Blocks um einen Standort. Die Maschinen schweben über den Kreuzungen und wickeln über die offenen Heckrampen Absprungleinen ab. Im nächsten Moment seilen Rauminfanteristen sich aus einer Höhe von fünfzehn Metern an den Leinen ab. Diesmal tauchen nicht überraschend Dragonflies auf und stören die Landung durch Beschuss aus nächster Nähe, und die HV-Soldaten verzichten ebenfalls darauf, ihre Raketen abzufeuern. Zu groß ist die Gefahr, dass eine Wasp in einem dicht bebauten Wohngebiet abstürzt. Dann sind alle vier gegnerischen Züge am Boden. Die Wasps steigen wieder mit kreischenden Triebwerken in den Himmel auf und stoßen dabei Wolken von Täuschkörpern hinaus.

»Wir haben eine Kompanie vor dem Verwaltungszentrum«, melde ich. Allerdings hat mein taktischer Computer die Daten bereits an jeden Panzeranzug und jedes Fahrzeug in unserem TacLink-Netzwerk übermittelt.

»Verwaltungszentrums-Zug, es geht los«, sagt Sergeant Fallon. »Jetzt wollen wir sie für den Arschtritt mal an den Ohren ziehen.«

Die Rauminfanterie-Züge teilen sich in Gruppen auf und stürmen auf das Verwaltungszentrum zu. Ich renne um die Ecke und schließe mich Sergeant Fallon und der Gruppe an, die sich an der Ecke des Gebäudes eingegraben hat. Da der Permafrost-Boden jedoch kein »Eingraben« im eigentlichen Sinne zulässt, haben wir eine Schützenstellung in Form einer Stahlbetonbarriere aus mehreren Einzelteilen errichtet.

»Wurde auch Zeit«, sagt Sergeant Fallon, als ich über die niedrige Barriere flanke und neben ihr lande. »Ich hatte mich schon gefragt, ob du ganz allein gegen diese Kameraden antreten willst.«

»Natürlich«, sage ich. »Damit ich mir wieder zwei Bauchschüsse einfange.«

Unser HV-Zug wurde in Erwartung einer bilderbuchmäßigen Luftlandung aus vier Richtungen exakt von diesen Kreuzungen aus aufgestellt. Als die Rauminfanteristen nun um die Ecken des letzten Blocks an der Kreuzung biegen, stehen sie vor Schützenstellungen mit sich überlappenden Schussfeldern. Dazu kommen noch Autokanonen in betonierten Geschützständen. An allen vier Ecken hört man das Knattern von Nadelgewehren, als die Rauminfanterie ihren Sturmangriff beginnt. Und an allen vier Ecken wird das Gewehrfeuer sofort vom Grollen der Autokanonen erwidert. Die Rauminfanteristen brechen den Sturmangriff auf das Verwaltungsgebäude ab und gehen in Türeingängen und hinter Müllcontainern in Deckung. Qualm wabert über die Straße, als die Rauminfanteristen Nebelgranaten zünden. Obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass wir mit unseren Helmsensoren den Rauch durchdringen können.

»Seitenstraße, elf Uhr, fünfzig«, übertönt Sergeant Fallon den Lärm. Ich justiere mein Zielgerät und sehe, dass vier Rauminfanteristen eine Schützenstellung in der Mündung einer schmalen Gasse zwischen zwei Häusern beziehen. Der Soldat, der am weitesten vorne ist, lädt den Granatwerfer seines Gewehrs fertig. Ich kann nicht sagen, ob es sich um eine Rauchgranate oder um eine Splittergranate mit Annäherungszünder handelt. Sergeant Fallon gibt einen Feuerstoß aus ihrem Gewehr ab. Die Nadeln reißen dem Rauminfanteristen die Waffe aus der Hand und werfen ihn um. Seine Kameraden ziehen ihn außer Sicht und beschießen uns dabei.

»Achtet auf die Landungsschiffe«, ruft Sergeant Fallon.

Mein taktisches Display zeigt ein Wirrwarr aus blauen und roten Symbolen: fünf Züge Kampftruppen, die es in einem aus vier Straßenzügen bestehenden Bereich um das Verwaltungszentrum austragen. Die Flotten-Wasps kreisen hoch und außerhalb der Reichweite unserer Raketen über dem Schlachtfeld und warten darauf, dass ihre Leute am Boden Luftunterstützung anfordern. Um mich herum höre ich den Lärm von Gewehrschüssen und das wummernde niederfrequente Stakkato der Autokanonen, die sporadische Feuerstöße abgeben.

Dann erscheinen noch mehr blaue Symbole auf dem Display, als eine unserer HV-Kompanien auf den Plan tritt und die Rauminfanteristen von hinten angreift. Nun sind die Angreifer zwischen zwei Gruppen der Verteidiger eingeklemmt, stecken sozusagen zwischen Hammer und Amboss. Ich muss nur einen Blick auf meinen Rechner werfen, um zu sehen, dass es den Rauminfanteristen allein nicht gelingen wird, das Verwaltungszentrum einzunehmen. Nicht, wenn sie schon ein paar Minuten nach dem Angriff in Rundumverteidigung gehen müssen. Ohne unsere Autokanonen würde es jedoch anders aussehen. Da wir aber an jeder Gebäudeecke zwei Geschütze aufgestellt haben, befinden die Rauminfanteristen sich in einer sehr schlechten Situation.

»Schnelle Annäherung aus zwei-acht-null«, warnt Rogue Vier. »Er startet einen Luftangriff, dieser Idiot.«

In der Ferne höre ich das vertraute gespenstische Kreischen eines mit Vollschub fliegenden Shrikes. Dann schlägt auch schon das erste Hochrasanzgeschoss in der Nähe der Stellung ein, in der die Gruppe zu unserer Linken sich verschanzt hat. Das Kleinwaffenfeuer um uns herum geht im Donnerschlag der explodierenden Duplex-Geschosse unter. Nach wenigen Sekunden ist die Stellung der Gruppe an der südwestlichen Ecke des Verwaltungsgebäudes in eine Wolke aus gefrorenem Erdreich und pulverisiertem Beton gehüllt. Dann fliegt der Shrike über uns hinweg – so tief, dass ich sogar die Markierungen am gepanzerten Rumpf erkennen kann. Für einen Moment bricht die Schießerei am Boden ab. Als der Rauch sich dann verzieht, ist die Hälfte der Betonbarrieren an dieser Gebäudeecke verschwunden, und in der dicken Betonwand des Verwaltungsgebäudes sind ein Dutzend Einschusslöcher in der Größe von Radpanzerrädern.

»Diese verdammten Dinger sind wirklich mörderisch«, sagt Sergeant Fallon. »Noch so ein Angriff, und wir können einpacken.«

Die Rauminfanteristen an diesem Ende des Gebäudes werfen Rauchgranaten vor die zerstörte Stellung und stürmen über die Straße. Von der Stellung schlägt ihnen Feuer entgegen, aber es sind ein, maximal zwei Gewehre. Ich schließe das Helmvisier, schalte in den Multispektral-Sensormodus und leere im Vollautomatik-Modus ein ganzes Magazin auf die Konturen der Rauminfanteristen, die im Rauch vorpreschen. Die HV-Soldaten neben mir nehmen diese Ziele jetzt auch aufs Korn, und der Angriff der Rauminfanterie bleibt mitten auf der Kreuzung stecken. Etliche Soldaten fallen, und der Rest zieht sich in die Deckung der Gebäude hinter ihnen zurück.

»Die haben jetzt ausgespielt«, sagt einer der HV-Soldaten.

»Nicht, falls dieser Shrike noch ein paar Überflüge macht«, erwidere ich. »Sie müssen nur abwarten und können dann unsere Überreste zusammenkehren.«

»Haltet uns diesen Jäger vom Leib«, befiehlt Sergeant Fallon den Rogue-Dragonflies. »Wir haben schon fast eine ganze Gruppe verloren. Er darf nicht noch mal so einen Angriff fliegen.«

»Wir tun, was wir können«, sagt Rogue Eins. »Der Arsch ist zu schnell für unsere Kanonen, es sei denn, er ist in unserer Nähe, für einen Luftkampf haben wir ja keine Munition.«

Ich höre wieder Geschützfeuer in der Ferne – nicht das durch Mark und Bein gehende Geräusch der schweren panzerbrechenden Kanone des Shrike, sondern das langsamere Stakkato der Landungsschiff-Autokanonen. Irgendwo in den Seitenstraßen hinter der umkämpften Kreuzung schicken MANPAD-Werfer ihre Ladung gen Himmel. Ich weiß nicht, wer sie abgefeuert hat oder ob sie auf unsere Landungsschiffe oder ihre gezielt sind. Die roten und blauen Symbole auf meinem taktischen Display verschwimmen im Nahbereich zu Schlieren. Das Gefecht eskaliert schnell zu einem sinnlosen Schlagabtausch von epischen Ausmaßen. Einer der Flotten-Shrikes fliegt mit Vollschub und feuernden Bordwaffen im Tiefflug über den einen halben Kilometer entfernten Flugplatz hinweg. Ich schicke ihm vor lauter Frustration eine Salve aus hundert Nadelgeschossen hinterher. Auch wenn ich weiß, dass die kleinen Drei-Millimeter-Wolframnadeln meines Gewehrs kaum mehr ausrichten werden, als Kratzer in den Lack zu machen. Der Shrike geht in eine enge Linkskurve und verschwindet mit brüllenden Triebwerken, wobei er noch ein paar Wolken mit Täuschkörpern ausstößt.

Dann lässt die Druckwelle einer Explosion die Erde unter meinen Füßen so heftig erbeben, dass ich einen Schritt von der Betonbarriere zurückweichen muss, um das Gleichgewicht zu halten. Als dann das Geräusch der Explosion über die Stadt hinwegrollt, weiß ich sofort, dass das, was auch immer eben explodiert ist, zu mächtig für einen konventionellen Sprengkopf war. Um mich herum ebbt die Schießerei ab. Ich drehe mich dem Ursprung des Geräuschs zu und sehe, wie im Norden eine riesige Wolke aus gefrorener Erde und Eis dreihundert Meter oder höher in den Himmel aufsteigt. Ein paar Soldaten neben mir stoßen Rufe des Erstaunens und der Verwirrung aus. Dann erbebt der Boden erneut, ein weiterer titanischer Donnerschlag wirbelt Staub auf der Straße vor uns auf, und eine zweite Wolke aus gefrorenem Erdreich und Staub steigt in der Nähe der ersten auf.

Es gibt nur zwei Arten von Waffen im Arsenal der Kampfgruppe, die eine solche Sprengkraft entfalten, um gefrorenes Erdreich einen halben Kilometer in die Höhe zu schleudern. Aber ich habe auch schon den Abwurf von genügend Atombomben in meiner Nähe angeordnet, um zu wissen, dass das keine nuklearen Sprengköpfe waren.

»Was zum Teufel war das?«, fragt Sergeant Fallon in einem fast schon rührend hilflosen Ton.

»Ein Angriff mit kinetischen Waffen«, antworte ich. »Irgendjemand hat sich vom Orbit aus bemerkbar gemacht.«

»Achtung«, ertönt Colonel Campbells Stimme über den Notfallkanal der Flotte. »Alle Flotteneinheiten, Achtung. Hier spricht INDIANAPOLIS Actual.«

»Ich habe soeben zwei kinetische Sprengköpfe in den Bereich zwischen Camp Frostbite und New Longyearbyen abgefeuert. Ich habe noch achtundneunzig davon in meinem Magazin. Alle Kampfhandlungen gegen Einheiten der Kolonialtruppen und die Beschlagnahme ziviler Ressourcen auf New Longyearbyen werden sofort eingestellt, oder ich werde das nächste Paar mitten in Camp Frostbite reinsetzen. Wenn Sie weiterhin auf Ihre eigenen Leute schießen, werde ich den Rest meiner kinetischen Sprengköpfe auf jeden Ausrüstungsgegenstand der Flotte abschießen, der größer ist als ein Koppelschloss.«

In der kurzen Pause, die daraufhin eintritt, sehen die HV-Soldaten sich mit einem ungläubigen Lachen an.

»Außerdem habe ich veranlasst, dass alle vier nuklearen Abschussrohre aktiviert und auf die MIDWAY und ihre Begleiter programmiert wurden. Seien Sie versichert, dass ich meine Atomraketen trotzdem ins Ziel bringe, auch wenn Sie Ihre Raketen auf mich abfeuern. Zudem habe ich meine beiden Stealth-Abfangjäger mit Kernwaffen bestückt. Und diese Maschinen können sich so gut tarnen, dass nicht einmal ich sie finden würde.

Die Flotte wird sämtliche Kampfhandlungen auf dem Mond einstellen und ihre Vögel zur MIDWAY zurückrufen. Bei einem Angriff auf die INDIANAPOLIS oder eine der zivilen Einrichtungen an der Oberfläche werde ich alle Atomraketen in meinen Abschussrohren auf die MIDWAY abschießen. Dann können Sie testen, ob Ihre vor zwei Modernisierungszyklen erneuerten Punktverteidigungssysteme in der Lage sind, zwei Dutzend Sprengköpfe mit jeweils einer halben Megatonne auf kurze Distanz abzuwehren.«

Sergeant Fallon schüttelt mit einem ungläubigen Grinsen den Kopf und sieht mich an. »Hat er eben damit gedroht, Atomraketen auf eines unserer eigenen Schiffe abzuschießen?«

»Ja, das hat er«, bestätige ich. »Und das ist auch nicht das erste Mal, dass er so etwas tut.«

»Ich glaube, ich liebe diesen Mann. Ich muss ihn unbedingt kennenlernen.«

»Was Sie auf dem Mond da unten tun, ist eine rücksichtslose Idiotie, die Leben kostet«, fährt Colonel Campbell auf dem Notfallkanal fort. »Sie sollten in Erwägung ziehen, jemand anders als einen inkompetenten Teilzeitkrieger als Kommandeur der Kampfgruppe zu betrauen. Und nun rufen Sie diese Vögel zurück und stellen das Feuer ein, oder die nächste Ladung kinetischer Sprengköpfe geht in sechzig Sekunden auf Camp Frostbite runter. INDIANAPOLIS Actual Ende

In der Nähe klatschen und jubeln ein paar HV-Soldaten.

»Glaubst du, dass er das tun würde?«, fragt Sergeant Fallon.

»Ich würde keine Sekunde lang daran zweifeln.«

»Zu dumm, dass sie ihr ganzes Weltraumaffen-Regiment schon vor einer Weile nach Camp Frostbite verlegt haben«, sagt sie verschmitzt. »Ich würde mich dort jetzt ausgesprochen unwohl fühlen. Diese kinetischen Bomben haben ziemlich reingefetzt. Ich wette, sie haben große Löcher geschlagen.«

Nun rieseln auch Staub und Schmutz von den riesigen Explosionswolken im Norden der Stadt wie schmutziger Regen auf uns herab.

»Ja, das stimmt«, sage ich. »Sie haben die Sprengkraft einer kleinen Atombombe, allerdings ohne die üble Strahlung.«

Die Antwort der Flotte erfolgt über den Notfallkanal, bevor die Minute verstrichen ist.

»Nicht schießen, INDIANAPOLIS. Alle Flotteneinheiten, zurückkehren. Ich wiederhole, alle Flotteneinheiten zurückkehren. Fliegende Einheiten, den Kampf einstellen – den Kampf einstellen.«

Binnen Kurzem flauen die Schüsse in der Stadt ab. Auf der anderen Seite der Kreuzung ziehen die Rauminfanteristen sich hinter einem schnell sich auflösenden Rauchschleier in das Labyrinth aus Wohnkuppeln und schmalen Gassen zurück. Wir verfolgen sie mit den Zielgeräten unserer Gewehre, bis sie außer Sicht sind. Jemand schaltet das Feuerleitsystem der Autokanonen ab, und das Summen der elektrischen Servomotoren erstirbt. Die plötzliche Stille mutet nach dem Schlachtenlärm ganz schön unwirklich an.

Sergeant Fallon schlägt mir auf die Schulterplatte und springt über die Betonbarriere auf die Straße.

»Scheint doch noch ein schöner Tag zu werden, Andrew. Wir müssen ein paar Sanitäter zu Gruppe Eins schicken. Halte aber trotzdem die Augen offen, für den Fall, dass sie es sich noch mal anders überlegen.«