Kapitel 10
„Das war eine gute Idee“, meinte Bradley, als es eine kleine Pause während der Probe des Theaterstücks gab und sie ihn auf den Zuschauerplätzen besuchte.
Auch heute musste sie noch einmal als Souffleuse fungieren und konnte sich nicht, wie geplant, das Stück als Besucherin ansehen.
„Das freut mich. Es gefällt dir also?“
„Die Kulissen sind klasse und die Schauspieler auch gar nicht mal so schlecht. Ich meine dafür, dass es Laien sind.“
„Ich weiß. Susan macht ihre Sache wirklich großartig.“
Sie unterhielten sich einige Zeit über das Stück, bis Rick auf einmal auftauchte.
„Was macht der denn hier?“, fragte er forsch und deutete auf Bradley.
„Ich dachte, es wäre nicht schlecht, wenn ein Außenstehender zugucken könnte. Du weißt schon, jemand, der neutral ist. Schön und gut, dass unsere Verwandten und Freunde sich die Zeit nehmen, uns ganz genau unter die Lupe zu nehmen, bis wir unseren ersten, offiziellen Auftritt haben. Aber würde dir deine Oma wirklich sagen, wie mechanisch du deinen Text aufsagst? Oder glaubst du, dass mein Onkel es übers Herz bringen würde, mir zu sagen, wie schief die Kulisse ist? Ich glaube nicht.“
Rick dachte einen Moment nach und murmelte „na gut“. Dann verschwand er wieder.
Dass Kim seine Gefühle nicht erwiderte, war eine Sache, und damit würde er auch irgendwie klar kommen. Aber dass sie Bradley ihm vorzog, war etwas anderes. Er wirkte so… falsch. Irgendetwas hatte er zu verbergen. Und er wollte nicht, dass Kim etwas passierte oder dass sie verletzt wurde. Wenn sie schon einen anderen Typ hatte, dann wenigstens einen, dem er vertrauen konnte. Aber Bradley? Rick wusste intuitiv, dass da etwas nicht stimmte, wenn er auch nicht sagen konnte, was es war…
„Also?“, erwiderte er und blieb stehen. „Bleibt es heute dabei?“
Kim guckte ihn verwirrt an.
„Was meinst du damit?“
„Unseren Kinoabend. Hast du es etwa schon vergessen?“
„Nein. Natürlich nicht. Es bleibt dabei.“ Sie guckte Bradley an, der ihr unauffällig zunickte. Er wollte auf keinen Fall, dass sie seinetwegen Termine verschob, die schon lange feststanden.
„Bevor ich in deinen Wagen steige, musst du mir versprechen, dass du nicht versuchst, mich herumzukriegen. Nicht so wie letztes Mal, ja?“, drohte Kim, als sie den Griff von Ricks Beifahrertür in der Hand hielt.
„Versprochen!“, erwiderte er und hob unschuldig die Hände.
„Also gut.“ Kim stieg ein, und tatsächlich war es so wie immer. Sie bezahlte, wie es abgemacht war, und sie verbrachten einen netten Abend miteinander.
Anschließend saßen sie noch eine Weile im Diner, um über den Film zu sprechen, als Kim plötzlich merkte, dass es schon reichlich spät war.
„Ich habe Nelly versprochen, dass ich morgen früh wieder ihre Schicht übernehme“, erklärte sie, als Rick sie verwundert ansah, während sie einen Geldschein auf den Tisch legte.
„Okay, verstehe. Ich bringe dich nach Hause“, sagte er und stand auf.
„Nein. Es ist doch nicht weit. Ich kann zu Fuß gehen.“ Eigentlich fuhr Rick sie nach dem Kinobesuch immer nach Hause, doch heute wollte sie noch etwas Zeit für sich haben, um über Bradley nachzudenken.
Beide guckten aus dem Fenster und bemerkten, dass es zu regnen anfing.
„Willst du wirklich laufen?“
„Kim überlegte. „Vielleicht könntest du mich ja doch fahren?“
„Sehr gerne.“
Sie stiegen ein und fuhren los, während der Regen immer stärker wurde. Es regnete so heftig, dass bald die ersten Straßen unter Wasser standen und man kaum noch einen Meter weit sehen konnte.
„Ich halte lieber mal an, bis der Regen nachgelassen hat“, sagte Rick verantwortungsbewusst. Kim widersprach nicht. Schließlich wusste sie, wie schlimm der Regen hier manchmal sein konnte.
Sie knüpften sofort an ihr Gespräch an, das sie eben noch im Diner geführt hatten und redeten weiter über den Film.
„Aber die Szene mit dem Krokodil war doch total unlogisch. Als ob es einfach durch den Keller geschwommen kommt, wenn es da ein bisschen regnet“, meinte Kim aufgebracht. Sie fand den Film ziemlich schlecht. Doch Rick war anderer Meinung.
„Nein! Das ist wirklich möglich!“
Hitzig diskutierten sie miteinander, während es stärker und stärker zu regnen begann.
Irgendwann kamen sie vom Film auf das Thema Theater, bis Rick noch einmal die Anwesenheit von Bradley erwähnte.
„Ich frage mich, was der Typ hier noch in der Stadt macht. So wie der aussieht, könnte er auch auf das Auto verzichten oder jemanden dafür bezahlen, dass er das Auto zu ihm bringt. Ich kenne Leute, die das tun würden“, schlug er vor.
Kim druckste herum.
„Also eigentlich…, eigentlich ist das Auto nicht der einzige Grund, warum er immer noch hier ist.“
„Ach ja?“
„Nun…, vielleicht bin auch ich der Grund.“
„Du? Wieso du? Ihr kennt euch doch noch gar nicht lange! Eine Woche höchstens“, rief er aufgebracht.
Kim zuckte nur mit den Schultern.
„Eine Woche genügt, damit sich zwei Leute näherkommen.“
„Seid ihr euch etwa… nähergekommen?“
Kim nickte vorsichtig.
„Oh…“
Rick verstummte. Er schien nachzudenken.
„Hör mal, Kim. Ich sage dir das jetzt nicht, weil ich mir irgendwelche Chancen erhoffe. Ich sage dir das, weil ich mir ernsthaft Sorgen um dich mache. Ich glaube wirklich, dass der Typ irgendwelche Geheimnisse hat und nicht gut für dich ist.“
„Ach was! Das sagst du doch nur, weil du immer noch hoffst, mich doch irgendwie ins Bett zu bekommen.“
„Nein, Kim. Wirklich nicht. Irgendetwas stimmt mit diesem Typ nicht. Ich habe mich ein wenig umgehört. Keiner weiß Genaues über ihn. Alle haben schon mal mit ihm gesprochen, aber niemand kann sagen, was er in L.A. gemacht hat, und wie er an so viel Geld gekommen ist.“
„Seine Eltern sind reich“, sagte Kim kühl.
„Als ob so einer sich damit begnügen würden, vom Geld seiner Eltern zu leben. Wach auf, Kim. Irgendwas stimmt nicht!“
Während Rick ihr weiter einreden wollte, dass mit Bradley etwas nicht in Ordnung sei, realisierte auch sie allmählich, dass er Recht hatte, doch gleichzeitig war es ihr auch egal, und sie konnte es kaum erwarten, ihn wieder in ihre Arme zu schließen.
Sie merkte, dass der Regen schwächer geworden war und beschloss, die restlichen Meter zu laufen.
Rick rief ihr noch hinterher, doch bevor er sie einholen konnte, war sie schon am Strand und watete barfuß durch das kalte Wasser.
Ihre Füße fühlten sich an wie Eisklumpen, als sie endlich das Haus ihres Onkels erreicht hatte.
Wieder sah sie Bradley auf der Veranda sitzen.
„Hey. Was machst du hier?“, fragte sie ihn verwundert.
„Ich konnte wieder mal nicht schlafen.“
„Willst du mit reinkommen? Ich muss mich dringend aufwärmen“, schlug sie vor und deutete auf ihre mit Sand bedeckten Füße.
Bradley stimmte zu, und während Kim sich die Füße mit warmem Wasser abspülte, öffnete er eine Flasche Rotwein.
Sie setzten sich in die Küche, wo Bradley ihr von seinen Zukunftsplänen berichtete. Er hatte vor, sich demnächst ein Haus zu kaufen und dachte auch darüber nach, Surfen zu lernen.
„Vielleicht kann Rick mir das ja beibringen“, scherzte er und schüttelte dann aber schnell den Kopf. Er wusste, dass Rick ihn nicht mochte und dass dies sicherlich nicht passieren würde.
Während sie redeten, hielt Bradley die ganze Zeit ihre Hand. Sie wechselten auf das Sofa im Wohnzimmer, und Kim kuschelte sich an seine Schulter. Es war schön, etwas über seine Zukunft zu erfahren und dass er sie offenbar darin mit einschloss. Aber sie hätte trotzdem gerne mehr von seiner Vergangenheit gewusst. Ricks Worte schwirrten ihr noch lange im Hinterkopf herum. Irgendwas Schlimmes musste passiert sein, dass er alles liegen und stehen hatte lassen. Doch was nur?