Kapitel 11
Bradley war noch am gleichen Abend zurück in seine Hotelsuite gefahren, weil Kim dringend ein paar Stunden Schlaf benötigte. Sie wusste ganz genau, dass sie mit ihm in ihrem Bett niemals genügend Schlaf bekommen hätte und hatte sich schweren Herzens von ihm verabschiedet.
Als sie am nächsten Morgen im Hotel war, kam Rick vorbei, um ihr mitzuteilen, dass Bradleys Auto fertig war. Sie dachte sich, dass er wahrscheinlich noch gestern Abend weiter daran gearbeitet hatte, in der Hoffnung, dass Bradley dann möglichst bald verschwinden würde.
Dass er sich bereits nach einem Haus umsah, verschwieg sie Rick.
„Dein Auto ist fertig“, eröffnete sie Bradley, der gegen Mittag zu ihr kam, um sie an der Rezeption zu besuchen.
„Prima!“ Er schien durchwegs zufrieden zu sein. Kim versetzte es einen kleinen Stich. Hieß das etwa, dass er sich freute, wieder abreisen zu können? Was war das dann mit seinen Zukunftsplänen? Hatte er sie alle wieder über Bord geworfen?
„Dann muss ich mich auch nicht mehr mit diesem Leihwagen herumquälen. Mein Mercedes ist da doch etwas ganz anderes“, gestand er.
Kim hatte zufällig seine Buchung offen und sah, dass er nur bis heute das Zimmer gemietet hatte.
„Soll ich deinen Aufenthalt verlängern?“, fragte sie.
„Deswegen bin ich auch eigentlich gekommen. Ich will für mindestens eine weitere Woche hier im Hotel bleiben. Ginge das?“
Kim checkte die restlichen Reservierungen und nickte schließlich.
„Kein Problem.“
Sie freute sich unglaublich, dass Bradley weiterhin im Hotel blieb, fragte sich aber gleichzeitig, wie er es sich erlauben konnte, so lange von Zuhause wegzubleiben.
Was hatte er den Leuten in seiner Heimat erzählt? Wie konnte er sich einfach so davonstehlen?
Kim dachte an ihr eigenes Leben und darüber, wie ihre Freunde und Familie wohl damit umgehen würden, wenn sie von einem Tag auf den anderen ans andere Ende des Landes umziehen würde.
Sie wusste, dass ihre beste Freundin irgendwann auftauchen würde, um zu sehen, ob es ihr gut ging. Auch ihr Vater oder ihr Onkel würden ihr mit Sicherheit eines Tages einen Besuch abstatten.
Andererseits war sie in ihrer Jugend auch nie ans andere Ende der Welt geflogen, um sich dort selbst zu finden. Vielleicht aber waren seine Eltern und Freunde ja auch daran gewöhnt, dass er plötzlich das Weite suchte, um dann irgendwann wieder aufzutauchen …
Mit diesen Gedanken kam Kim am Abend nach Hause. Ihr Onkel saß mit einem Stapel Papieren in der Küche und bat Kim, Platz zu nehmen.
„Ich war heute beim Arzt, um mich noch einmal durchchecken zu lassen. Leider gibt es keine guten Nachrichten.“
Onkel Peter wirkte traurig und niedergeschlagen. Sofort bekam Kim ein schlechtes Gewissen. In den letzten Tagen hatte sich alles nur um Bradley gedreht. Sie hatte ihren Onkel total vernachlässigt. Dabei wusste sie doch, dass heute die große Untersuchung anstand.
„Was ist los?“, fragte sie mit ungutem Gefühl.
„Es ist Krebs - Im Endstadium.“
„Oh nein! Krebs? Wie konnte das passieren?“, flüsterte Kim fassungslos. Er hatte sich doch gerade erst von seinem Schlaganfall erholt. Wieso wurde er dafür jetzt mit dieser furchtbaren Krankheit bestraft?
„Ich hatte in den letzten Monaten oft Schmerzen. Der Arzt meinte, dass sie durch den Schlaganfall bedingt waren und hat sich darauf konzentriert. Aber es war etwas anderes. Es war der Krebs“, erklärte er ihr in ruhigem Ton. Kim jedoch war völlig aufgelöst und konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten.
„Aber da muss es doch etwas dagegen geben. Kann der Krebs denn nicht geheilt werden?“
Onkel Peter schüttelte daraufhin nur den Kopf.
„Es ist zu spät. Mir bleiben nur noch wenige Monate.“
„Nur noch wenige Monate?“, wiederholte sie wie in Trance.
Kim fühlte sich wie in einem schlechten Traum. Vielleicht konnte sie irgendetwas tun, um wieder aufzuwachen? Sich vielleicht kneifen? Aber es war zwecklos. Ihr Onkel hatte Krebs, und er würde bald sterben.
Onkel Peter deutete auf die Papiere vor sich.
„Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen. Da dein Vater versorgt ist und auch nicht so viel mit diesem Haus anfangen kann, will ich es dir überschreiben.“ Wie ein trotziges Kind schüttelte Kim ihren Kopf. „Nein. Das glaube ich nicht. Das akzeptiere ich nicht. Du stirbst nicht! Fertig“, wiederholte sie immer wieder. Doch ihr Onkel blieb ernst.
„Ich werde sterben, Kim. Und ich will, dass dir dieses Haus gehört und du etwas Schönes daraus machst. Ein Zuhause für dich und deine zukünftige Familie. Ein Atelier. Eine Pension. Was auch immer dich erfüllt. Aber ich will, dass du es bekommst!“