Kapitel 12
Die nächsten Tage zogen irgendwie an Kim vorbei. Bradley war bei ihr und spendete ihr Trost, worüber sie sehr froh war. Sie versuchte, sich zusammenzureißen, um es ihrem Onkel nicht noch schwerer zu machen. Er sollte seine letzten Monate so normal wie möglich verbringen können und nicht ständig daran erinnert werden, dass er bald sterben würde. Kim hatte nur ihrem Vater und Bradley davon erzählt, der sie noch am gleichen Abend völlig aufgelöst auf der Veranda angetroffen hatte.
Ihre Freunde und Kollegen wussten nichts davon, und sie hatte beschlossen, es auch dabei zu belassen. Ihnen gegenüber mimte sie die fröhliche und unbeschwerte junge Frau, die sie kannten. Nur bei Bradley konnte sie so sein, wie sie sich wirklich fühlte.
Und tatsächlich ging es ihr nach einer Woche wieder viel besser, und sie hatte sich langsam mit dem Gedanken angefreundet, dass ihr Onkel gehen würde. Auch wenn es ihr nach wie vor schwer fiel.
Sie war gerade im Hotel, als Tom plötzlich vorbei kam und ihr freudestrahlend erzählte, dass eines ihrer Bilder verkauft wurde.
„Tatsächlich? Von wem?“
Normalerweise waren es Freunde oder Verwandte, die ihre Bilder kauften, um sie ein wenig zu unterstützen, dann jedoch immer mit Vorankündigung. Dass irgendein Fremder ein Bild von ihr kaufte, war bisher nicht vorgekommen.
„Wer war es denn? Vielleicht ein Gast aus dem Hotel?“, fragte sie aufgeregt.
„Es war dieser Mann, der bei dir und deinem Onkel im Haus gewohnt hat.“ Tom wusste noch nicht, dass dieser Fremde inzwischen gar nicht mehr so fremd für Kim war.
„Bradley? Wieso das denn?“
„Er meinte, er wolle es als Erinnerung haben. Mehr weiß ich auch nicht.“
Kim beschloss, Bradley sofort darauf anzusprechen und stattete ihm in seiner Suite einen Besuch ab. Dort fielen ihr sofort die gepackten Koffer auf, die auf dem Bett lagen.
„Willst du etwa gehen? Hast du ein Haus gefunden?“, fragte sie verwirrt.
Als sie Bradleys ernstes Gesicht sah, merkte sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war und er kein Haus gefunden hatte.
„Ich werde wieder zurückgehen“, antwortete er knapp.
Kim spürte, wie es ihr das Herz geradezu zerriss. Hatte er nicht erst davon gesprochen, dass er hier bleiben würde? Dass er hier ein Haus kaufen möchte, um mit ihr zusammen sein zu können?
„Aber…, du hast doch gesagt, dass du bleiben willst“, brachte sie mühsam hervor.
„Ich weiß. Und es tut mir auch wirklich leid, dass ich dir Hoffnungen gemacht habe.“ Er kam jetzt auf sie zu und nahm ihre Hand.
„Ich habe es mir sehr lange durch den Kopf gehen lassen. Ich kann nicht länger vor meiner Vergangenheit davonlaufen. Ich muss mich meinen Ängsten stellen und die Konsequenzen dafür tragen. Sea Isle City ist wahrscheinlich doch nicht der richtige Ort, um einen Neustart zu wagen. Schließlich bin ich schon auf Leute aus meiner Vergangenheit gestoßen, und das wird sicher auch nicht das letzte Mal bleiben.“
„Was hast du denn so Schlimmes verbrochen? Sag es mir doch endlich!“, stammelte Kim verzweifelt. Sie wischte sich die Tränen weg, die nun unkontrolliert über ihr Gesicht liefen.
„Ich kann es dir nicht sagen. Aber wenn du es wissen würdest, würdest du mich sowieso nicht mehr mögen.“
Bradley nahm das verpackte Bild von ihr in die Hand.
„Das habe ich zur Erinnerung an dich gekauft. Ich habe die letzten Wochen sehr genossen. Es war wie ein wahr gewordener Traum von einem Leben, das ich nur allzu gerne führen würde. Aber es geht nicht.“ Er schloss seinen Koffer, drehte sich um und wollte gehen.
„Warte! Können wir noch einen Abend miteinander verbringen? Nur noch einen?“, flehte sie ihn an.
Bradley sah Kims traurige Augen und brachte es nicht übers Herz, sie zu enttäuschen.
„Okay. Ein Abend. Ein Spaziergang.“
Er stellte den Koffer wieder ab und lehnte das Bild gegen die Wand.
Dann streckte er seine Hand aus, um Kim vom Sofa aufzuhelfen, auf das sie kurz zuvor in ihrer Verzweiflung gesunken war.
Sie unternahmen einen ausgiebigen Spaziergang am Strand. Kim ertrug die seltsame Stimmung zwischen ihnen kaum und beschloss, ein letztes Mal nachzufragen, was Bradley verbrochen hatte.
„Kim, bitte. Ich möchte, dass du mich in guter Erinnerung behältst. Ich würde es nicht ertragen, dein Gesicht zu sehen, wenn du erfährst, was ich gemacht habe“, sagte er. Daraufhin ließ sie es gut sein. Sie wollte sich die letzten Stunden, die ihr noch mit ihm blieben, nicht kaputt machen. Stattdessen nahm sie seine Hand und ließ sich am Strand vor dem Haus ihres Onkels nieder.
Sie lehnte sich an seine Schulter, und er nahm sie in den Arm. Für ein paar Minuten blieben sie schweigend nebeneinander sitzen und blickten auf das wilde Meer. Es war ziemlich windig, wodurch das Wasser besonders rau wirkte.
Dann wandte Kim ihren Kopf in Bradleys Richtung und sah ihn an. Aus dem Blick wurde ein Kuss. Ein wilder, leidenschaftlicher Kuss, und beide konnten ihre Lust aufeinander nicht mehr zurückhalten. Sie stolperten über die Treppe ins Haus hinein und schafften es gerade noch in eines der Gästezimmer, wo sie völlig gedankenverloren übereinander herfielen …