Zehn

Als General Zia am Morgen nach seiner Ansprache an die Nation die Zeitungen durchblätterte, besserte sich seine Laune ganz entschieden. Er breitete die Zeitungen eine neben der anderen auf dem Esstisch aus, bis die glänzende Mahagonifläche ganz mit seinen Worten und Bildern bedeckt war. Er legte den Rotstift beiseite, trank genießerisch seinen Tee und nickte dem Bediensteten, der in einer Ecke stand, beifällig zu. Es gab eine Sache, die General Zia an seinem Informationsminister gefiel, obwohl er ein hinterhältiger Bastard mit einem gefälschten Abschluss in Betriebswirtschaft war, der viel Geld damit verdient hatte, nutzlose Bücher für die Militärbibliotheken zu bestellen, die niemals eintrafen: Er konnte mit diesen Zeitungsleuten umgehen. General Zia hatte versucht, selbst Beziehungen zu den Herausgebern zu pflegen, hatte aber herausgefunden, dass sie zu dem Typ von Intellektuellen gehörten, die inbrünstig mit ihm beteten, und dann davonrannten, um sich in den Hotelzimmern, die seine Regierung ihnen bezahlte, mit dem Schnaps volllaufen zu lassen, den der Informationsminister ihnen kaufte. Ihre am Morgen darauf folgenden Artikel waren schlampige Niederschriften dessen, was der General zwischen seinem Gebet und ihren Saufgelagen gesagt hatte.

An diesem Morgen jedoch war alles anders. Die nationale Presse zeigte endlich etwas Begeisterung. Die Redakteure hatten sich bei der Berichterstattung über seine Ansprache etwas einfallen lassen. Seine Rede stand in den Schlagzeilen jeder Zeitung. Seine Botschaft war klar und deutlich angekommen. Die Schlacht um unsere ideologischen Grenzen hat begonnen. Besonders beglückte ihn der Einfall der Pakistan Times, die in drei bebilderten Spalten die Hauptpunkte des improvisierten Teils seiner Rede veranschaulichte. Erstens bin ich Muslim, lautete die Unterschrift eines Bildes, auf dem er, in ein weißes Baumwolltuch gehüllt, mit dem Kopf die schwarze Marmorwand der Khana Kaaba in Mekka berührte. Zweitens bin ich ein Soldat des Islam, stand unter seinem offiziellen Porträt, auf dem er die Uniform eines Vier-Sterne-Generals trug. Und drittens bin ich als gewähltes Oberhaupt eines islamischen Staates der Diener meines Volkes, lautete die Unterschrift des letzten Bildes, das ihn in seiner Amtskleidung als Präsident zeigte. Er wirkte würdevoll in seinem schwarzen Shervani und mit Lesebrille, nicht gebieterisch, aber Respekt einflößend. Kein Militärherrscher, sondern ein Präsident.

Staatsoberhäupter, besonders die von Entwicklungsländern, haben selten die Zeit, sich zurückzulehnen, um sich an ihren eigenen Leistungen zu ergötzen. Es war einer jener raren Momente, in denen General Zia sich – auf einem Stuhl sitzend, eine Zeitung vor sich – eine zweite Tasse Tee bringen und Leib und Seele vom kollektiven Wohlwollen seiner einhundertdreißig Millionen Untertanen umspülen lassen konnte. Er schrieb mit Rotstift eine Notiz an den Rand der Pakistan Times, um nicht zu vergessen, den Informationsminister anzuweisen, ihren Herausgeber für einen nationalen Literaturpreis zu nominieren. Außerdem würde er dem Informationsminister sagen, dass die Menschen sehr wohl zuhörten, wenn man aus dem eigenen Herzen sprach. Von nun an würden alle seine Reden einen Abschnitt haben, der mit den Worten Liebe Landsleute, nun möchte ich aus meinem Herzen zu Ihnen sprechen … begann. Er sah sich, wie er bei den nächsten öffentlichen Kundgebungen das Manuskript seiner Rede in die Menge warf und die Blätter über den Köpfen seiner Zuhörer durch die Luft segelten. Landsleute, ich weigere mich, von diesem Manuskript abzulesen, ich bin keine Marionette, die wie ein Papagei Seite um Seite die Worte nachplappert, die ein im Westen ausgebildeter Bürokrat geschrieben hat. Ich spreche aus meinem Herzen … Er schlug mit solcher Gewalt auf den Tisch, dass die Teetasse klapperte, die Pakistan Times von seinem Schoß glitt und der rote Stift zu Boden rollte. Der Bedienstete in der Ecke zuckte zusammen, entspannte sich aber gleich, als er das ekstatische Lächeln auf dem Gesicht des Generals sah. Er beschloss, Zeitung und Stift nicht aufzuheben.

An jedem anderen Tag hätte General Zia die Leitartikel gelesen, nach negativen Äußerungen geforscht und sämtliche Anzeigen nach nicht ausreichend verhüllten weiblichen Modellen durchforstet. Heute jedoch war er so zufrieden mit der Berichterstattung über seine Rede, sein Herz so voller Zärtlichkeit für die Zeitungen und Journalisten, dass er der Rückseite der Pakistan Times keine Beachtung schenkte. So übersah er ein Bild, das ihn in vollem militärischen Ornat zeigte, die mit Goldlitzen gesäumte Schirmmütze auf dem Kopf, Dutzende von Orden auf der Brust. Eine seidene Schärpe mit den Wappen aller Streitkräfte lag diagonal über seinem Oberkörper und seine Hände lagen verkrampft über seinem Schritt, als versuchten sie einander zu bändigen. Schaum stand in seinen Mundwinkeln und die aufgerissenen Augen hatten den glasigen Blick eines Kindes, das in einem Süßwarenladen den Inhaber in tiefem Schlaf vorfindet.

Die First Lady las keine Zeitungen. Es gab darin zu viele Worte, die sie nicht verstand, und zu viele Bilder von ihrem Gatten. Sie selbst wurde selten erwähnt, und wenn, dann nur wegen ihrer Teilnahme an einem Kinderfest oder dem Koranrezitationswettbewerb für Frauen, zu denen General Zia sie entsandte, um die Regierung zu vertreten und Preise zu verteilen. Der Informationsminister schickte ihr die Ausschnitte, die sie meist vor ihrem Mann versteckte, weil er stets etwas an ihrer Erscheinung auszusetzen hatte. Wenn sie Make-up trug, beschuldigte er sie, westliche Frauen nachzuäffen. Trat sie ungeschminkt auf, mäkelte er, sie sehe eher wie der Tod als wie eine First Lady aus. Unentwegt predigte er ihr, dass sie als First Lady eines islamischen Staates ein Vorbild für andere Frauen sein müsse. „Schau dir an, was Mrs. Ceaușescu für ihr Land getan hat.“

Die First Lady hatte Mrs. Ceaușescu nie kennengelernt, und ihr Mann machte sich auch nie die Mühe, ihr zu erklären, wer sie war oder was sie getan hatte. Sie kannte die First Ladys, die zu Besuch kamen. Mit ihnen ging sie einkaufen, was keinen großen Spaß machte, weil die Geschäftsinhaber sich entweder weigerten, Geld von ihr anzunehmen, oder so niedrige Preise nannten, dass sie nicht einmal handeln konnte. Die Basare wurden vor ihrer Ankunft für andere Käufer gesperrt, und sie hatte das Gefühl, am Set einer Fernseh-Soap zu sein. Mitunter ermunterte General Zia sie, Zeitung zu lesen, um über die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die er im Land herbeiführte, auf dem Laufenden zu sein, aber sie gab sich nie damit ab. „Diese Zeitungen sind voll mit dem, was du gesagt und gemacht und mit wem du dich getroffen hast. Dabei faulenzt du die ganze Zeit zu Hause herum. Sehe ich dich denn nicht oft genug? Muss ich mir jetzt auch noch Bilder von dir in allen möglichen Klatschblättern anschauen?“

Angesichts dieses Desinteresses für die nationale Presse konnte es kein Zufall sein, dass die First Lady die betreffende Ausgabe der Pakistan Times auf ihrem Nachttisch fand, sorgfältig so gefaltet, dass sie das Bild auf der Rückseite sehen musste – das Bild, das ihren Glauben an die Männer für immer zerstören sollte. Der Vorfall führte zu einem prompten Rausschmiss des Herausgebers der Pakistan Times.

Das Erste, was die First Lady an dem Bild schockierte, war die Masse von nacktem Fleisch, das aus der Bluse der weißen Frau quoll. Sie wusste sofort, dass dieses Weib einen dieser neuen BHs mit Drahtbügelverstärkung trug, die die Brüste anhoben und größer erscheinen ließen. Mehrere der anderen Generalsgattinnen hatten solche BHs, besaßen jedoch zumindest den Anstand, hochgeschlossene Blusen darüber zu tragen, so dass die verbesserte Form sich nur andeutete. Die Frau auf dem Bild hingegen trug eine Bluse, die so weit ausgeschnitten war, dass die Hälfte ihrer Brüste freilag, und zwar derart hochgedrückt und zusammengepresst, dass der diamantene Anhänger um ihren Hals beinahe in ihrem Dekolleté verschwand.

Und daneben ihr Gemahl – der Mann der Wahrheit; der Mann des Glaubens; der Mann, der den Frauen zur besten Sendezeit Anstand predigte; der Mann, der Richterinnen und Nachrichtensprecherinnen feuerte, weil sie sich weigerten, einen Dupatta um den Kopf zu tragen; der Mann, der nicht gestattete, dass in einer Fernsehserie zwei Kissen nebeneinander auf einem leeren Bett lagen; der Mann, der die Kinobetreiber dazu zwang, jedes unbedeckte Stückchen Arm oder Bein auf den Filmplakaten zu übermalen –, dieser Mann saß da und starrte so entrückt und selbstvergessen auf die beiden Kugeln aus weißem Fleisch, dass man meinen konnte, seine eigene Frau sei ohne ein solches Paar auf die Welt gekommen. Die Bildunterschrift klang harmlos: Der Präsident wird von der berühmten ausländischen Korrespondentin Joanne Herring interviewt.

Interview! Dass ich nicht lache, dachte die First Lady. Es sah eher aus, als würde General Zia den Busen von Miss Herring befragen. Die First Lady legte die Zeitung beiseite, trank ein Glas Wasser, dachte an ihre achtunddreißig Ehejahre und ihre fünf erwachsenen Kinder. Sie erinnerte sich daran, dass ihre jüngste Tochter noch verheiratet werden musste. Plötzlich traute sie ihren Augen nicht mehr und griff noch einmal nach der Zeitung. Nein, es war kein Missverständnis möglich, kein Fehler, für den man in einem Brief an den Herausgeber eine Richtigstellung verlangen konnte. General Zias Augen, von denen das rechte für gewöhnlich in eine Richtung schweifte und das linke in eine andere, blickten dieses eine Mal auf einen Punkt, auf dieselben Objekte. Seine Blickrichtung war so unverkennbar, dass sie seine Augen mit zwei Bleistiftlinien direkt mit den beiden weißen hohen und zusammengepressten Kugeln hätte verbinden können.

Die First Lady versuchte sich zu erinnern, was die Frau getragen hatte, als sie sie das letzte Mal gesehen hatte. An das Aussehen ihres Mannes damals konnte sie sich noch sehr genau erinnern.

Den ersten Verdacht hatte die First Lady geschöpft, als ihr Mann sie anwies, für ihren gemeinsamen Besuch in den Vereinigten Staaten seinen alten Safarianzug einzupacken. Ihr Argwohn verstärkte sich, als sie erfuhr, dass ihre erste Station nicht Washington D.C. oder New York war, sondern Lufkin in Texas, wo sie an einem Wohltätigkeitsball teilnehmen sollten. Bei Dschidda, Beijing, Dubai oder London hätte sie sich nichts gedacht. Diese Städte waren übliche Stopps. Aber Lufkin? Und der Safarianzug? Da war doch etwas faul. Der Alte führt etwas im Schilde, dachte die First Lady, während sie den beigefarbenen Polyestersafarianzug auf fehlende Knöpfe überprüfte.

General Zia hatte jegliche westliche Kleidung außer den Uniformen aus seiner Garderobe verbannt. Bei Staatsanlässen trug er stets einen schwarzen Shervani, und alle Beamten folgten inzwischen mit geringen Abweichungen seinem Vorbild. Die Mutigeren probierten andere Schnitte und Farben und Kopfbedeckungen aus, hielten sich jedoch im Grunde an das, was General Zia als Nationaltracht bezeichnete. Wie alle prinzipientreuen Männer war der General indes stets bereit, den Zweck die Mittel heiligen zu lassen. Und wenn der Zweck eine Spendensammlung für den afghanischen Dschihad war, heiligte er jedes Mittel.

Gastgeberin des Wohltätigkeitsballs in Lufkin war Joanne Herring, die Moderatorin der Hauptnachrichten von Lufkin Community Television und Pakistans Ehrenbotschafterin in den Vereinigten Staaten, eine Ernennung, die ihr zuteil geworden war, nachdem sie in einem vierstündigen Interview General Zias Seele erforscht hatte. Joannes Mission war es, die Welt vom Bösen zu befreien, was sie jedoch nicht davon abhalten sollte, sich zu amüsieren.

Und Lufkin konnte weiß Gott ein bisschen exotische Abwechslung vertragen. Entgegen gängiger Auffassung führen die Ölmillionäre in Lufkin ein recht langweiliges Leben. Ihr politischer Einfluss ist marginal, und nur sehr wenige von ihnen genießen den grandiosen Lebensstil der Magnaten, den die Medien der Welt so gerne vorgaukeln. Für Zehntausend-Dollar-Spenden an den lokalen Kongressabgeordneten erhalten sie von einem Referenten im Weißen Haus unterschriebene Dankesschreiben. Die Reicheren, die hunderttausend Dollar lockermachen können, werden zum alljährlichen Andachtsfrühstück mit Ronald Reagan in Washington D. C. eingeladen, bei dem der Präsident fünfzehn Minuten auf dem Podium mit ihnen betet und sie anschließend mit ihrem lauwarmen Haferbrei und Kaffee sitzen lässt. Mithin bedeutete die Ankunft eines Präsidenten, dass es Zeit war, Smokings und Ballkleider in die Reinigung zu bringen, selbst wenn es nur der Präsident von Pakistan war, ein den meisten völlig unbekanntes Land. Zumal dieser Mann nicht nur Präsident war, sondern auch, wie ihre Lieblingsmoderatorin immer wieder betonte, Vier-Sterne-General, Gebieter des größten muslimischen Heeres der Welt und einer der sieben Männer, die zwischen der sowjetischen Roten Armee und der Freien Welt standen. Den Hintergrund von Joannes Sendungen im Vorfeld der Veranstaltung zierte die pakistanische Flagge. Die Crème de la Crème der osttexanischen Gesellschaft und die Anhänger des Dschihad gegen die Sowjets erhielten Einladungen mit dem Bild eines toten afghanischen Kindes (Unterschrift: Lieber tot als rot). Andere zeigten einen in einen alten Shawl gewickelten, namenlosen afghanischen Mudschahed, der einen Raketenwerfer auf der Schulter trug (Unterschrift: Ihre zehn Dollar können ihm beim Abschuss russischer Hind-Hubschrauber helfen). „Macht Sie das nicht heiß? Ist das nicht die Gelegenheit des Jahrhunderts?!“ Joanne ließ ihren Einladungen überschwängliche Anrufe folgen und verwandelte die kleine texanische Stadt in ein Basislager der afghanischen Mudschaheddin, die zehntausend Kilometer entfernt gegen die Russen kämpften.

Das Holiday Inn der Stadt Lufkin taufte seinen vierten Stock „Präsidentenetage“. Joanne hatte sich mit einer pakistanischen Flagge und einer Audiokassette mit Koranrezitationen versorgt, die sogleich an den Fleischlieferanten weitergeleitet wurde, damit sie beim Schlachten abgespielt werden konnte. Der Präsident würde sein Halal-Fleisch bekommen. Den Kellnern brachte man bei, ihn auf Urdu mit Salaam zu begrüßen.

Ungeachtet all dieser Bemühungen war General Zia, als sein Konvoi die Auffahrt des Holiday Inn hinauffuhr, enttäuscht von dem kleinen bürohausähnlichen Gebäude, auf dem die pakistanische Flagge wehte. Er brachte die First Lady in die Präsidentensuite. Sie beschwerte sich sogleich über die Größe des Schlafzimmers, die Gratistoilettenartikel im Bad und verlor endgültig die Fassung, als die Rezeption sie auf ihre Bitte, sie mit dem Army House zu verbinden, zur Heilsarmee durchstellte.

Unterdessen zwängte der General sich unter erheblichen Schwierigkeiten in den Safarianzug. Die Jacke vermochte seinen Bauch, der sich prall nach vorne wölbte wie ein Fußball, kaum zu umschließen. Er murmelte etwas von einem wichtigen texanischen Senator, mit dem er verabredet sei, nahm seine Aktenmappe und machte sich auf den Weg in das als „Präsidentenbüro“ ausgewiesene Zimmer auf derselben Etage. Auch General Zia fand das Hotel unter seiner Würde. Gewiss, er selbst war ein bescheidener Mann, der nichts weiter brauchte als eine Pritsche und einen Gebetsteppich, dennoch musste man Staatsoberhäupter in einem ihrem Amt angemessenen präsidialen Hotel unterbringen, damit sie ihre Aufgabe nicht aus den Augen verloren.

Er musste die Ehre Pakistans verteidigen, konnte Joanne jedoch schwerlich auf das Hotel ansprechen, nach allem, was sie für sein Land und die afghanische Sache getan hatte.

Er legte seine Mappe auf den Schreibtisch, zog den Block mit Hotelbriefpapier zu sich und versuchte, sein klopfendes Herz zu beruhigen, indem er darauf herumkritzelte. Gleich würde seine Gastgeberin, seine Kampfgenossin Joanne, eintreffen, und allein der Gedanke an ihren Duft und das, was sie vielleicht anhatte, brachte ihn aus der Fassung. Schweiß rann ihm in Strömen die Wirbelsäule hinunter. Um sich abzulenken, begann er Stichpunkte für seine Rede auf dem Wohltätigkeitsball aufzuschreiben:

1.  Witz: Vergleich Islamabad und Lufkin (halb so groß und doppelt so tot?).

2.  Islam, Christentum … Kräfte des Guten, Kommunismus (das Wort gottlos verwenden!).

3.  Amerika Supermacht, aber Texas wahre Supermacht? Und Lufkin Herz der wahren Supermacht?
(Joanne nach einem Cowboy-Spruch fragen).

Es klopfte an der Tür. Der General sprang auf und blieb unschlüssig stehen. Sollte er seinen Schreibtisch verlassen und sie an der Tür empfangen? Händedruck? Umarmung? Kuss auf die Wange?

General Zia wusste, wie man Männer begrüßt. Keiner, der ihm je begegnet war, vergaß seinen beidseitigen Händedruck. Selbst zynische Diplomaten konnten die aufrichtige Wärme seiner Umarmungen nicht leugnen, und es gelang ihm, Politiker auf seine Seite zu ziehen, allein indem er ihnen eine Hand verständnisvoll auf das Knie legte und mit der anderen freundschaftlich auf den Rücken klopfte. Er hatte eine Weile gebraucht, um den richtigen Umgang mit Frauen zu finden, besonders, wenn es Ausländerinnen waren. Er hatte einen eigenen Stil erfunden und ihn verfeinert. Sobald er sich in einer Empfangsreihe einer Frau gegenübersah, legte er die rechte Hand auf sein Herz und neigte als Geste des Respekts den Kopf. Frauen, die ihre Hausaufgaben gemacht hatten, behielten ihre Hände bei sich und nickten zum Dank. Streckte ihm eine, die Grenzen der Schicklichkeit überschreitend, die Hand entgegen, ergriff er sie lahm und nur mit vier Fingern, während er es vermied, ihr in die Augen zu sehen.

Aber Joanne war ganz anders. Als sie zum ersten Mal ins Army House gekommen war, um ihn zu interviewen, hatte sie die Hand auf seinem Herzen, sein Nicken, ja sogar seinen verdrucksten Versuch, ihr die Hand zu geben, ignoriert und ihn auf beide Wangen geküsst und damit Brigadier TM gezwungen, in eine andere Richtung zu schauen. Bei ihrer ersten Begegnung war ihm klar geworden, dass er es mit einer besonderen Person zu tun hatte, einer Frau, auf die er seine gesellschaftlichen Regeln nicht anwenden konnte. Hatte es im ersten Heiligen Krieg des Islam nicht auch Kriegerinnen gegeben, die Schulter an Schulter mit ihren Männern kämpften? War Joanne denn nicht seine Verbündete im Dschihad gegen die gottlosen Kommunisten? Hatte sie ihm nicht versprochen, mehr zu tun als das gesamte Außenministerium? Konnte man sie nicht als ehrenhaften Mann betrachten? Sogar als Mudschahed? An diesem Punkt scheiterte seine Argumentation, da er an ihr goldenes geföntes Haar denken musste, den herzförmigen Diamantanhänger, der sich zwischen ihre Brüste schmiegte, ihre sinnlichen roten Lippen und das rauchige Flüstern in seinen Ohren, das selbst den banalsten Wortwechsel wie einen geheimen Plan erscheinen ließ.

Allah prüft nur die, die er wirklich liebt, sagte er sich zum soundsovielten Mal und setzte sich energisch und entschlossen wieder hin. „Ja, kommen Sie herein“, sagte er.

Die Tür ging auf und eine Wolke aus Sandelholz, pfirsichfarbener Seide und malvenfarbenem Lippenstift schwebte ihm entgegen. „Exzellenz, willkommen in unserer schönen Stadt Lufkin“, gurrte sie. General Zia erhob sich, nicht sicher, ob er hervorkommen, ob er sie küssen, umarmen oder ihr aus sicherer Schreibtischwarte die Hand entgegenstrecken sollte. Doch als Joanne auf ihn zustürzte, löste sich die Selbstbeherrschung, mit deren Hilfe er drei Kriegsjahre, einen Putsch und zwei Wahlen überlebt hatte, in Rauch auf. Er verließ seinen Schutzwall und ging ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen, außerstande, den Blick auf ihr Gesicht zu konzentrieren. In dieser Umarmung bemerkte er voller Genugtuung, dass sie nicht die Stöckelschuhe trug, in denen sie ihn um einen Kopf überragte. Ohne die Absätze waren sie gleich groß. Ihre linke Brust drückte sich leicht gegen seinen prall sitzenden Safarianzug, und General Zia schloss die Augen, während sein Kinn auf dem Satinträger des BHs auf ihrer Schulter ruhte. Einen Augenblick lang erschien das Gesicht der First Lady vor seinem inneren Auge. Er versuchte an etwas anderes zu denken: die Höhepunkte seiner ruhmreichen Laufbahn; sein erster Händedruck mit Ronald Reagan; seine Rede vor den Vereinten Nationen; Khomeinis Aufforderung zur Mäßigung. Seine Träumereien fanden ein abruptes Ende, als Joanne sich seinen Armen entwand, sein Gesicht in ihre Hände nahm und ihn auf beide Wangen küsste. „Exzellenz, Sie brauchen eine Rasur.“

General Zia zog den Bauch ein. Sanft zwirbelte sie an seinem Schnurrbart. „Texaner sind großherzige Menschen“, sagte sie. „Aber äußerst engstirnig, wenn es um Gesichtshaare geht. Würden Sie den herrlichen Hünen vor Ihrer Tür bitten, meinen Helfer hereinzulassen? Dann können wir uns darum kümmern.“

Zum ersten Mal in seinem Leben schrie General Zia Brigadier TM einen Befehl zu. „Lassen Sie den Mann rein, TM.“

Ein älterer Schwarzer, der wohl einzige nicht zum Wohltätigkeitsball eingeladene Geschäftsmann von Lufkin, betrat mit einem ledernen Barbierkoffer den Raum. „Salaam alaikum“, sagte er. „Ich weiß, bei euch da drüben nennt man es Mūch. Ich verpasse Ihnen einen scharfen Mūch, Hoheit.“ Ehe General Zia den Mund aufmachen konnte, hatte der Schwarze ihm ein weißes Handtuch um den Hals gelegt und schnippelte an seinem Schnurrbart herum, während er weiter auf ihn einredete. „Sie treffen sich bestimmt auch mit dem alten Ronnie? Könnten Sie ihm etwas Wichtiges ausrichten? Sagen Sie ihm, er ist kein John Wayne. Er braucht es gar nicht zu versuchen. Lufkin ist eine prima alte Stadt, aber es gibt noch immer verdammt viele Rassisten hier. Wenn ihre Kinder nicht essen wollen, drohen sie ihnen mit einem Nigger im Wald. Aber ich sage ihnen, der Nigger hat in Korea im Wald gesessen, und in Vietnam. Und jetzt ist der Nigger nicht mehr im Wald, sage ich, er ist hier und hat ein Messer an deinem Hals, also pass auf, was du sagst.“ Der Barbier hielt ihm einen silbergerahmten Spiegel vor die Nase. General Zias buschiger, dichter Schnurrbart war zu einer dünnen Linie heruntergestutzt. Äußerst scharf, das konnte man sagen. „Der wird Ihrer alten Dame Feuer unterm Hintern machen.“

Er machte der First Lady kein Feuer unter dem Hintern. Der General erntete lediglich einen sarkastischen Seitenblick. „Ich versuche nur, meinen Gastgebern zu gefallen. Es ist für eine gute Sache“, verteidigte sich der General, während die First Lady zwischen den Fernsehprogrammen hin und her schaltete.

„Gastgeberin, willst du wohl sagen“, zischte sie, während sie sich für eine Wiederholung von Dallas entschied.

Die First Lady neigte nicht zu übereilten Aktionen, und ihr erster Impuls war, die Zeitung zu zerreißen, fortzuwerfen und zu versuchen, die Angelegenheit zu vergessen. Ihr Mann würde das Bild sehen und erkennen, wie sehr er sich zum Narren machte. Im Alter von dreiundsechzig Jahren mit fünf Titeln vor seinem Namen und für eine Nation von einhundertdreißig Millionen Menschen verantwortlich, ließ er sich ein Flittchen aus Texas herüberfliegen, saß da und schielte auf ihre Titten.

Doch plötzlich fiel ihr ein, dass es da draußen Tausende von Menschen gab, die dieses Bild betrachteten. Was sie wohl dachten? An die berühmte ausländische Reporterin würde niemand auch nur einen Gedanken verschwenden. Es war ihr Beruf, sie war Amerikanerin, sie konnte anziehen, was sie wollte. Wenn Sie Push-up-BHs und ausgeschnittene Kleidung tragen musste, um an ihre Interviews mit Präsidenten zu kommen, war das in Ordnung, sie wurde dafür bezahlt.

Und er? Sie wusste nicht genau, was das Volk von ihm hielt. Aber die Berater in seiner Umgebung würden behaupten, das Bild sei manipuliert, die Zeitung verschwörerischer Umtriebe bezichtigen und verlangen, dass der Herausgeber wegen Veröffentlichung obszönen Materials vor ein Militärgericht gestellt wurde.

Doch selbst wenn man das Bild für bare Münze nahm. Na und? Er ist nur ein gewöhnlicher Sterblicher wie wir, würden die Leute sagen. Hinter all dem frommen und züchtigen Gerede von Purdah und Keuschheit steckt ein heißblütiger Mann, der so einem kleinen Blick nicht widerstehen kann. Als Nächstes kam der First Lady der Gedanke, dass eine weitere Person beteiligt war, die nicht auf dem Bild war, nicht in der Unterschrift erwähnt wurde und dennoch zum Gespött der Nation werden würde. Sie hörte schon das Gegacker und die anzüglichen Bemerkungen in den Kabinettssitzungen: Wir wussten ja gar nicht, dass unser Präsident auf dicke, weiße Möpse steht. Sie hörte die Lacher in der staatlichen Kommandozentrale: Der alte Kämpfer hat das Ziel noch im Visier. Nettes Paar Bomben, Sir. Und dann die Begams der besseren Gesellschaft: Der arme Mann. Man kann es ihm wirklich nicht verdenken. Haben Sie seine Frau mal gesehen? Wie geradewegs aus ihrem Dorf gekommen, wo sie den ganzen Tag am Herd verbracht hat.

Auf einmal hatte die First Lady das Gefühl, alle einhundertdreißig Millionen der Nation würden in diesem Moment das Bild betrachten, sie bemitleiden und verspotten. Sie hörte, wie sich von den Stränden des Arabischen Meeres bis zu den Gipfeln des Himalaya brüllendes Gelächter erhob.

„Ich steche ihm die Augen aus“, zischte sie, den Blick auf das Bild gerichtet. „Und aus deinem verschrumpelten Schwanz mache ich Hackfleisch, du Bastard.“

Ein Bediensteter rannte aus der Küche herbei. „Ich mache einen Spaziergang. Sag TMs Männern, sie sollen mir nicht folgen“, sagte die First Lady und rollte die Zeitung zu einem festen Knüppel zusammen.