„Mögen Sie Mangos?“, flüstert der Generalsekretär kaum hörbar. Er atmet schwer. Anscheinend hat er Schmerzen. Außerdem haben die Schweine ihm nichts zu essen gegeben. Wie viel Zeit ist vergangen? Mehr als drei Tage können es nicht sein. Ich krieche zu dem Loch in der Wand und vernichte dabei die kleinen Sandhaufen, die ich gebaut habe, um die Tage zu zählen. Nicht dass ich wüsste, wann ein Tag beginnt oder endet. Es hat kein einziges Mal an der Tür geklopft. Es gab nicht den geringsten Laut.
„Nein, ich mag keine Mangos“, sage ich. „Die Mühe lohnt sich nicht. Wir haben Apfelbäume auf dem Shigri Hill. Äpfel mag ich. Man pflückt sie, reibt sie an der Hose ab und isst sie. Ohne Umstände.“
Der Generalsekretär schweigt lange, so als würde er meine Worte einzeln vom Boden auflesen, um einen Satz daraus zu formen.
„Sie sind ein Verwandter?“
„Ja.“
„Bruder?“
„Schlimmer.“
Wieder verstummt er, doch dann drischt er mit der Faust an die Wand. Dreimal.
„Sie dachten, Sie könnten das alleine machen? Sie haben keinen Sinn für Geschichte. Sie hätten sich mit Ihren Kameraden zusammentun sollen. Waffengenossen.“
Wenn der Generalsekretär wüsste.
„Ich war sein einziger Sohn.“
Als ich vom Exerzierplatz auf meine Kaserne zuging, spürte ich, wie der Asphalt unter meinen Sohlen schmolz. In der Ferne verdampfte die Straße zu einer flimmernden Fata Morgana nach der anderen. Sie alle lösten sich auf, sobald ich näherkam. Bannon und Obaid waren noch auf dem Exerzierplatz und absolvierten einen Extra-Drill.
Es hatte keinen Sinn, in unsere Stube zu gehen, und ich machte mich auf den Weg zu Bannons Zimmer, um Zuflucht vor der Hitze zu finden. Die Klimaanlage war eingeschaltet und mein durchgeschwitztes Hemd wurde innerhalb von Minuten steif wie ein Brett. Also zog ich es aus. Während ich in meinem weißen Unterhemd dasaß, sah ich mich nach etwas um, das mich von den Drillbefehlen ablenken würde, die noch in meinem Kopf widerhallten. Ich streckte mich auf dem Boden aus, legte den Kopf auf die Matratze und die Stiefel vor die Schlitze der Klimaanlage. Ich suchte unter der Matratze und fand, wie erwartet, einen braunen Umschlag mit der Juli-Ausgabe des Playboy. Jassir Arafat und die thailändische Schönheit Diana Lang teilten sich das Titelbild. Schüsse von Lang und Arafats Gewehre und Posen stand auf dem Cover.
Ich beschloss, mir das Interview mit Arafat für später aufzuheben, und öffnete das Faltblatt in der Mitte. Die Tür ging auf und Bannon betrat, sich mit seiner Mütze Luft zufächelnd, den Raum. „Ich geb’s auf. Dein Freund schafft es einfach nicht.“
Meine hektischen Bemühungen, die Zeitschrift in den Umschlag und diesen gleichzeitig unter die Matratze zu schieben, beachtete er nicht. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das weiße Krokodilsgesicht und das Haar klebte ihm am Kopf. „Zwei Wochen noch, bis der Präsident die Parade abnimmt“, murmelte er, „und manche Leute können nicht mal im Gleichschritt marschieren.“
Ich zog meine Füße von der Klimaanlage weg. Wen er damit meine, fragte ich Bannon.
„Ich kann Baby O nicht im Team behalten. Der Drill hat kaum begonnen, da schwitzt er schon wie eine Hure in der Kirche. Er hat einfach kein Talent.“
„Obaid ist vielleicht nicht gerade ein Naturtalent, aber er gibt sich unheimlich Mühe“, sagte ich. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so motiviert war. Er steht sogar noch nachts in unserer Stube und übt seine Bewegungen.“
„Er hätte bestimmt einen guten Kamikaze-Piloten abgegeben, aber für diesen verdammten Drill ist er einfach nicht gemacht.“
„Der Drill bedeutet ihm sehr viel. Du könntest doch …“
Ich ließ den Satz in der kühlen Luft hängen. Er wusste, was ich meinte. Wir durften Obaid nicht im Stich lassen.
„Es wäre doch nur zu seinem Besten“, brummte Bannon. „Du sagst rechts, und er geht nach links. Du sagst, er soll das Gewehr werfen, und er steht wie angewurzelt da. Und das bei lauten Befehlen. Stell dir mal das Chaos in der stillen Phase vor. Wir haben heute Spiralwürfe geübt, und er hat mich jedes Mal fast am Kopf getroffen. Er wird jemanden umbringen oder sich selbst was antun. Versuch du doch mal, ihn zur Vernunft zu bringen. Aus ihm wird bestimmt ein guter Offizier, aber den Drill kann er auf keinen Fall mit uns üben. Ich muss jetzt gehen und meinen Abschlussbericht schreiben.“
Bannon verließ den Raum, ohne sich umzudrehen, ohne etwas zu versprechen.
Ich überlegte, ob ich herausfinden sollte, was Jassir Arafat in einer Zeitschrift voller Orientalinnen mit herzförmig rasiertem Schamhaar zu suchen hatte, als die Tür aufging. Es war Obaid. Er trat die Tür hinter sich zu, lehnte sich gegen das Bruce-Lee-Poster und starrte mich an, als wäre es allein meine Schuld, dass er seine Bewegungen nicht koordinieren konnte.
Seine Uniform war voller Schweißflecken. Die rechte Hand hatte er mit seinem blauen Schal umwickelt, und auf seiner rechten Wange prangte ein Bluterguss. Seine für gewöhnlich heiteren Augen hatten sich in aufgewühlte Teiche des Zorns verwandelt.
Für mich lag es auf der Hand, warum er auf dem Exerzierplatz regelmäßig Prügel bezog. Du kannst die besten Noten in Militärgeschichte einheimsen und die ganze Nacht Marschieren üben, aber sobald die stille Phase des Drills einsetzt, hilft dir kein Handbuch mehr. Obaid lernte in allen Fächern für mich mit. Er zeichnete meine Navigationskarten, und weil ich unfähig war, mich auf mehr als zwei Absätze in einem Lehrbuch zu konzentrieren, verfasste er Notizen für mich. Dennoch war mir trotz völligen Mangels an akademischer Begabung – oder vielleicht gerade deswegen – ein steiler Aufstieg in der Drill-Abteilung beschert gewesen, und ich kommandierte bereits die Staffel, während er noch immer im Reserveeinsatz war. Niemand, der sich außerhalb des Unterrichts hinsetzen und länger als zehn Minuten am Stück ein Buch lesen kann, würde je einen guten Offizier abgeben, geschweige denn, einen vernünftigen Gleichschritt auf dem Exerzierplatz zustande bringen. Bannon hatte recht: Ein falscher Schritt, ein einziger Patzer konnte die lautlose Eleganz der gesamten Choreographie zerstören, die wir für den Besuch des Präsidenten entworfen hatten. Und außerdem die Säbelübung verpfuschen, die ich eigens für ihn einstudiert hatte.
Ich dachte, ich könnte Obaid vielleicht mit den Bildern von Arafat ablenken, aber als ich sein wutverzerrtes Gesicht sah, gab ich die Idee auf. Immer wieder ballte er die Hände zu Fäusten. In seinen Augen stand ein Zorn, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Ich ging zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er fuhr zurück und drehte sich um, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und begann, mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen.
„Es wird alles gut“, sagte ich und kam mir vor wie einer von diesen Ärzten, die den Leuten raten, ihr Leben voll auszukosten, nachdem sie ihnen eröffnet haben, sie hätten noch sechs Wochen zu leben. Einen Moment blieb er reglos stehen, dann warf er sich auf Bannons Bett und riss dabei die Bambusstöcke mit dem Baldachin zu Boden. All die Bücher, die er gelesen hatte, hatten ihm die einfachste militärische Regel nicht beigebracht: Wut bekommt man in den Griff, indem man sie an jemandem auslässt, und nicht, indem man Möbel umräumt. Er nahm ein Kissen und warf es an die Wand. Enttäuscht von der mangelhaften Wirkung griff er nach dem Keramik-Buddha. Ich sprang hinzu, um ihn davon abzuhalten. „Nicht den Buddha“, sagte ich und nahm ihm die Figur aus der Hand. Seine Finger fühlten sich warm an im Vergleich zum klimaanlagengekühlten Gesicht des Buddha. Obaid sah sich nach einem anderen Wurfgeschoss um. Der kalte Luftzug hatte die Schweißflecken auf seinem Hemd getrocknet. Als ich mich ihm näherte, um ihn zu beruhigen, roch ich den Kardamom in seinem Atem und den Moschusduft von getrocknetem Schweiß.
„Komm“, sagte ich, „wir besprechen alles in Ruhe.“ Eigentlich war das sein Part in solchen Situationen.
„Ihr wollt mich loswerden.“
„Schau mal, Baby O …“ Ich suchte nach Worten und fuhr mit der Hand von seiner Schulter zu seinem Nacken, um die Stille zu überbrücken. Sein Haar sträubte sich unter meiner Berührung, sein Hals war trotz der Kühle im Raum noch warm. Ich ärgerte mich über meinen Mangel an Anteilnahme, und das war zu merken.
„Sieh mal, wir veranstalten ja kein Picknick. Es ist zu deinem eigenen Besten, Baby O.“
Er ignorierte meinen gönnerhaften Ton. „Es gibt da einen viel einfacheren Weg. Wovon wimmelt es hier? Von Flugzeugen. Wir müssten nur eines nehmen und einfach …“
„Das erörtern wir jetzt nicht“, schnitt ich ihm das Wort ab. Für einen Mann in Uniform waren seine Vorstellungen vom Soldatentum ziemlich naiv. Er sah sich wohl als eine Art Möwe Jonathan, deren Geschichte als jüngste Erwerbung auf dem Bücherstapel neben seinem Bett lag. Er redete von Flugzeugen, als wären sie keine Millionen Dollar teuren Kampfmaschinen, sondern so etwas wie ein Mittel für spirituelle Reisen.
„Der Wind war nur noch ein leises Flüstern in seinem Gesicht, und der Ozean unter ihm schien stillzustehen“, sagte Obaid mit geschlossenen Augen. „Ich könnte es allein tun.“ Er streichelte mir die Wange.
„Du kannst das verdammte Ding ja nicht mal richtig landen. Vergiss es.“
„Wer redet von landen?“ Er zog eine Navigationskarte mit Koordinaten und einem roten Kreis um das Army House hervor. „Dreiundzwanzig Minuten, bei ruhigem Wetter ohne Rücken- oder Gegenwind.“
Ich riss ihm die Karte aus der Hand, warf sie über meine Schulter und sah ihm fest in die Augen. Er starrte zurück, ohne zu blinzeln. Ich überlegte, ob ich ihm von Onkel Starchys Nektar erzählen sollte, entschied mich aber dagegen.
„Colonel Shigri hat sich nicht umgebracht, und ich werde es auch nicht tun“, sagte ich. Dann legte ich meinen Mund an sein Ohr und schrie in Lautstärke 5: „Ist das klar?“
Zum Teufel mit dem stummen Befehl.
„Ist das klar?“, schrie ich noch einmal.
Er drückte sein Ohr gegen meinen Mund, lehnte sich an mich und legte seinen Arm um meine Hüfte.
„Wenn du ihn hier erledigen willst, musst du mich im Team haben. Du brauchst Unterstützung.“
Ich schob seine Hand weg und trat einen Schritt zurück. „Hör zu, du kannst dir deinen Rilke, oder was auch immer du gerade liest, sonst wohin stecken. Was kannst du schon machen? Hier, schau, das ist mein Säbel, da kommt der General, schau, ich mache einen Schwinger.“ Ich imitierte einen schwächlichen Schlag mit einem imaginären Säbel. „Huch, Verzeihung, nicht getroffen. Darf ich noch mal?“
Ich glaube, damit gab ich ihm den Rest.
Ich sah seine Faust nicht kommen. Als sie meinen Unterleib traf und ich mich krümmte, stieß er mir das Knie in die Rippen. Ich taumelte auf Bannons Bett zu und fand mich auf den Bambusstangen und dem Tarnbaldachin wieder. Der Schock, von Baby O geschlagen zu werden, war so überwältigend, dass ich keinen Schmerz spürte. Für einen Moment verschwamm das Bruce-Lee-Poster vor meinen Augen. Obaid trat auf mich zu, stellte sich über mich und blickte auf mich herunter, als hätte er mich nie zuvor gesehen. Mit meinem Stiefel erwischte ich ihn zwischen den Schienbeinen, und er fiel neben mich.
Ächzend rieb ich mir den unteren Brustkorb. Obaid stützte sich auf einen Ellenbogen und musterte mich. Dann setzte er sich plötzlich auf mich, als hätte er einen Entschluss gefasst. Mit beiden Knien meine Hüften umklammernd, zog er mir das Unterhemd aus der Hose und massierte meinen Brustkorb sachte mit beiden Händen. Dabei sah er mir die ganze Zeit in die Augen. Es gefiel mir nicht, dass er meine Reaktion sah, und ich schloss die Augen, während meine Hüften sich unfreiwillig hoben und meine gestärkte Khakihose sich plötzlich sehr eng anfühlte. Bannon würde hoffentlich noch einige Zeit für seinen Bericht brauchen.
Als er mein Hemd weiter nach oben schob, ließ die kühle Luft mich erschauern, und meine Brustwarzen richteten sich schamlos durchblutet auf. Obaid löste meinen Gürtel. Ich zog den Bauch ein und hielt den Atem an, als seine Hand in meine Hose glitt. Er umfasste meinen Penis nicht, sondern legte nur wie zufällig seinen Handrücken darauf. Ich fürchtete die Lippen, die sanft über meine Brust nach oben streiften. Ich hatte Angst, geküsst zu werden.
Ich atmete den Duft des Jasminöls in seinem Haar ein und ließ mich wieder auf die Matratze sinken; eine Bambusstange krachte unter mir, und in aufwallender Panik versuchte ich, mich aufzurichten. Doch die Hand in meiner Hose hinderte mich daran. Seine Lippen wanderten die Konturen meines Kinns entlang, während seine Finger winzige, leichte Kreise auf meiner Penisspitze vollzogen. Ich stöhnte und bewegte die Hüften, aber er drückte mich mit seinem Knie nach unten. Seine Lippen fuhren über meinen Brustkorb immer weiter nach unten. Mit geschlossenen Augen erinnerte ich mich. An unserem Haus auf dem Shigri Hill fließt ein Bach vorbei. In einem Winter stellte ich mich hinein, um zu sehen, ob meine erste Erektion seinem eiskalten Wasser standhalten würde. Mein Körper bäumte sich auf, und mein Penis berührte Obaids Nasenspitze. Er lachte.
Eine weitere Überraschung erwartete mich, als er sich aus seiner Hose wand und meine Hand an seinen Penis führte. Ich spürte einen Bogen, nicht nur einen leichten Bogen, sondern den Halbkreis einer Neumondsichel. Sein Penis hatte die Form einer Mondsichel, und seine Erektion wölbte sich fast bis zu seinem Nabel. Seufzend streckte er sich neben mir aus. Er hielt die Augen geschlossen, und ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Es wirkte so heiter, so erfüllt, aber dennoch so milde, dass es den Anschein hatte, er habe sich in seine eigene Welt zurückgezogen, wo der Wind nur noch ein leises Flüstern in seinem Gesicht war, und der Ozean unter ihm stillzustehen schien.
Lange Zeit wagte ich nichts zu sagen. Irgendwann schaltete sich die Klimaanlage ab, und das einzige Geräusch im Raum war das ängstliche Atmen zweier Jungen.
„Nein. Nein“, flüsterte er am Ende und bedeckte mich mit beiden Händen, in dem vergeblichen Versuch, keine Spuren auf dem Bett zu hinterlassen. „Nicht auf die Laken.“
Er wandte das Gesicht zur Decke. „Du wirst doch keine Dummheiten machen?“, fragte er.
„Und du machst auch keinen Blödsinn!“, gab ich zurück.
„Nein,“, sagte er.
Am Morgen danach war er verschwunden.