Den drei Marines am Tor der Botschafterresidenz fiel es nicht ganz leicht, die Ankommenden mit der Gästeliste abzugleichen. Statt der erwarteten üblichen Smokings des diplomatischen Korps und der mit Goldlitzen besetzten Khakiuniformen der pakistanischen Streitkräfte sahen sie sich einem stetigen Strom wehender Turbane, Stammestrachten und bestickter Shalvar Kamiz gegenüber. Falls es sich um einen Kostümball handelte, hatte der Botschafter versäumt, die Wachen am Haupttor davon zu unterrichten. Die Einladung verhieß eine Grillparty unter dem Motto Kabul – Texas, doch der Großteil der Gäste hatte sich an diesem Abend offenbar entschieden, Texas zu ignorieren und sich nach Landessitte zu kleiden.
Wegen des grellen Flutlichts im Baum über dem heute mit rot-weiß-blauen Bändern und Wimpeln geschmückten Wachhaus der Marines waren die Spatzen, die jeden Abend lärmend die Äste bevölkerten, verstummt oder geflüchtet. Es wehte eine Brise, die jedoch nur Staub und tote Pollen vor sich hertrieb, da der Monsun in diesem Jahr beschlossen hatte, Islamabad zu übergehen.
Die Marines, die unter dem Befehl des zweiundzwanzigjährigen Corporal Lessard standen, ließen sich ihre gute Laune von der endlosen Schlange von Gästen, die so gar nicht zu Namen auf der Liste zu passen schienen, nicht verderben, denn einer ihrer Kameraden am Büfett schmuggelte ständig Bier und Hot Dogs zu ihnen hinaus.
Der örtliche CIA-Chef Chuck Coogan beeindruckte mit einer Karakulmütze und einem bestickten Halfter über der linken Schulter, während der weibliche Kulturattaché der Vereinigten Staaten in einer bauschigen afghanischen Burka heranrauschte, die so weit heruntergezogen war, dass der tiefe Ausschnitt des darunter getragenen türkis schimmernden Kleides frei blieb.
Die Marines hatten schon früh angefangen zu feiern. Sie wechselten sich auf ihren Posten ab, um immer mal wieder einen Schluck von dem Coors zu nehmen, das in zahlreichen Flaschen in einer Kühlbox lagerte, während Corporal Lessard auf seinem Klemmbrett die Namen abhakte und die Gäste des Botschafters mit etwas gezwungenem Lächeln willkommen hieß. Ein Hippie-Pärchen traf ein. Die beiden waren in identische afghanische Kelims gehüllt, die einen Geruch verströmten, als wäre rohes Haschisch darin verpackt.
„Freiheitsmedizin?“, fragte er.
„Grundversorgung für afghanische Flüchtlinge“, sagte das blonde Mädchen. Sie trug neonfarbene Perlen im Haar. „Für im Guerillakrieg verwundete Mudsch“, flüsterte der blonde Junge mit dem Spitzbart, als würde er dem Corporal ein streng gehütetes Geheimnis anvertrauen. Lessard hielt sich sein Klemmbrett vor die Nase und winkte die beiden durchs Tor. Als Nächstes begrüßte er eine Gruppe texanischer Krankenschwestern, die Armreifen bis zum Ellbogen trugen, und einen Militärbuchhalter aus Ohio mit einem Orden der Roten Armee, den wohl ein Mudsch einem toten Sowjetsoldaten abgenommen und an einen Trödler verkauft hatte.
Als jedoch ein Professor von der Universität Nebraska in der Uniform eines Marines auftauchte, riss Corporal Lessard der Geduldsfaden. „Was glauben Sie, wohin Sie in diesem Aufzug gehen, mein Freund?“, fragte er streng. Der Professor erklärte ihm mit gedämpfter Stimme, sein Alphabetisierungsprogramm für Erwachsene habe in Wirklichkeit das Ziel, afghanische Mudschaheddin an der Videokamera auszubilden. Sie sollten lernen, ihre Guerillaangriffe selbst zu drehen und zu schneiden. „Ein paar von den Jungs sind wirklich begabt.“
„Und das hier?“ Corporal Lessard befühlte die Schulterklappen der adretten Tarnuniform des Professors.
„Wir sind doch im Krieg. Oder?“ Der Professor zuckte die Achseln und hängte beide Daumen in den Gürtel.
Corporal Lessard hatte wenig Verständnis für Soldaten, die sich wie Zivilisten aufführten, und überhaupt keines für Zivilisten, die Soldat spielten, aber an diesem Abend war er machtlos, nicht mehr als ein besserer Platzanweiser, ohne Einfluss auf die Gästeliste, gar nicht zu reden von der Kleiderordnung. Aber dieser Komiker sollte sich noch wundern.
„Willkommen an der Front, Sir“, sagte er und reichte dem Professor das Klemmbrett. „Hier, bitte. Betrachten Sie sich von nun an als im aktiven Dienst.“ Corporal Lessard zog sich in die Wache zurück und setzte sich auf einen Hocker, von dem aus er den Professor im Auge behalten konnte. Wenigstens konnte er jetzt mit seinen Männern ein Bier trinken.
Hatten die Gäste den Eingang passiert, konnten sie zwischen zwei riesigen Bewirtungszelten wählen. In der Mitte des ersten prangte ein Arrangement von den Ausmaßen einer kleinen Farm: eine amerikanische Flagge aus Rotkohl, Heidelbeeren und gewaltigen Schinkensandwichs mit Heidelbeer-Chutney. Vor einer Reihe gasbetriebener Grillgeräte standen Marines in Shorts und Baseballkappen und brieten Würstchen, Viertelpfünder und massenweise Maiskolben. Pakistanische Kellner mit Schnürsenkelkrawatten und Cowboyhüten eilten – Kindern ausweichend, die sich um die Hot Dogs balgten – Punschkrüge und Pappbecher tragend durch das Zelt und versorgten die wenigen Gästen, die sich dort eingefunden hatten, mit Getränken. Vor dem Nachbarzelt, wo acht ganze Lämmer an Eisenspießen über offenem Feuer garten, bildete sich eine lange Schlange. Der afghanische Koch versicherte jedermann, dass er die Lämmer eigenhändig geschlachtet habe und alles in seinem Zelt halal sei.
Der Gattin des Botschafters war schlecht, seit der Afghane am Morgen einen zentimeterdicken Eisenspieß durch das erste der acht Lämmer gestoßen hatte. Das Kabul-Texas-Motto war Nancy Raphels Idee gewesen. Mittlerweile bereute sie es allerdings, denn ihr senffarbener seidener Shalvar Kamiz nahm sich neben den phantasievollen Variationen traditioneller Gewänder, die die meisten Gäste trugen, fast lächerlich dezent aus. Der Anblick so vieler als afghanische Stammesfürsten herausgeputzter Amerikaner widerstrebte ihr. Sie war froh, dass ihr Mann sich an seine übliche Abendgarderobe gehalten hatte – einen blauen zweireihigen Blazer und hellbraune Hosen.
Sie hatte den Abend als kulturell einfühlsames Barbecue geplant. Bekommen hatte sie eine Reihe kleiner Kadaver, die langsam an Eisenspießen brutzelten, und um die sich ihre Gäste mit ihren Stars-and-Stripes-Papptellern rissen, als wären sie auf einem Stammesfest. Angesichts dieser bedrückenden Lage brach Nancy vor Erleichterung fast zusammen, als ihr Mann ihr nach einem Anruf aus dem Army House mitteilte, dass Präsident Zia ul-Haq nicht kommen würde. Sie entschuldigte sich bei der Gattin des französischen Botschafters, zog sich, um ihre Nerven zu beruhigen, in ihr Schlafzimmer zurück und verkleidete sich als usbekische Braut.
Dass die Marines im Wachhaus es sich erlauben konnten, im Dienst zu trinken, verdankten sie nicht dem 4. Juli, sondern einer Kommandoeinheit der pakistanischen Armee, die über die Sicherheit auf dem Gelände wachte. Etwa fünfhundert Meter vor dem Haupttor mussten alle Ankommenden an der Schranke halten, die die Brigade 101 auf der Allee errichtet hatte. Unter dem wachsamen Auge eines Subedar-Majors wurden die Gäste mit Sprengstoff- und Metalldetektoren empfangen. Soldaten führten Abtastgeräte unter die Wagen und ließen die einheimischen Gäste ihren Kofferraum öffnen, ehe sie sie zum Wachhaus durchwinkten, wo eine zunehmend fröhliche Gruppe von Marines sie willkommen hieß. Die pakistanische Armee erhellte die Straße mit ihren eigenen Suchscheinwerfern. Auch hier waren die Alleebäume so grell angestrahlt, dass sämtliche Vögel ihre Nester verlassen hatten. Ein Verpflegungstrupp der Bezirksverwaltung lieferte ein frühes Abendessen, und der Subedar-Major bekam einen Tobsuchtsanfall, als er die leere Thermoskanne im Wagen sah. „Wie sollen meine Männer ohne Tee wach bleiben?“, schrie er den Fahrer an, einen Zivilisten, der die Achseln zuckte und davonfuhr, ohne ihn einer Antwort zu würdigen.
Die Veranstaltungen in der Botschaft waren für gewöhnlich sehr exklusiv, aber Corporal Lessard, der die Ankunft der Gäste nun aus der Wache heraus beobachtete, kam es vor, als hätte der Botschafter jeden eingeladen, der jemals einem verwundeten Mudschahed einen Verband angelegt hatte, und dazu jeden afghanischen Kommandanten, der jemals auf einen russischen Soldaten geschossen hatte. Corporal Lessard befreite den Professor vom Dienst, als der erste Gast im Anzug eintraf – ein schlaksiger Mann mit wehendem Bart. „OBL“, stellte der Bärtige sich vor und hob die Hand, als würde er eine unsichtbare Menge grüßen.
Corporal Lessard ging seine Liste durch und musterte den Mann erneut.
„Laden und Co. Constructions.“ Der Mann klopfte ungeduldig auf seinen Bart und Corporal Lessard ließ ihn mit einem Lächeln und einer etwas übertriebenen Geste hinein. Als er wieder beim Bier saß, gab er einen Witz zum Besten: „Was zieht ein Turban an, wenn er sich verkleiden will?“ Bei der Antwort verschluckte er sich vor Lachen fast an seinem Bier: „Einen Anzug!“
Der Botschafter hatte gute Gründe, niemanden auszuschließen. Nach einem Jahr im Amt fühlte Arnold Raphel sich zunehmend isoliert. Dutzende amerikanische Hilfsdienste führten an der pakistanisch-afghanischen Grenze ihren eigenen kleinen Dschihad gegen die Sowjets. Einige von ihnen wollten die Scharte von Vietnam auswetzen, andere glaubten, im Namen Gottes zu handeln. Jedenfalls gab es so viele Wohltätigkeitsorganisationen mit undurchsichtigen Namen und abseitigen Missionen, dass es kaum möglich war, den Überblick zu behalten. Jetzt, wo die letzten sowjetischen Soldaten aus Afghanistan abzogen und die Mudschaheddin Kabul belagerten, geriet man sich in die Haare, wem das Verdienst gebührte. Kaum einer der Helfer dachte an Heimkehr. Vielleicht würden sich ja weitere Fronten eröffnen. Erst in der vergangenen Woche hatte der Botschafter eine diplomatische Beschwerde wegen einer Gruppe von Lehrkräften der Universität Minnesota erhalten, die die neuen islamischen Bücher für Afghanistan verfasste und nach Zentralasien versandte. Als er ermittelte, forderte man ihn auf, die Finger davon zu lassen, da es sich um ein weiteres Geheimprogramm eines Geheimprogramms handele. Jeder Amerikaner, dem er in Islamabad begegnete, behauptete, von dieser oder jener „Behörde“ zu sein.
Wollte er das Chaos einigermaßen unter Kontrolle bringen, musste er, davon war er überzeugt, zuerst einmal alle unter einem Dach versammeln. Es bedurfte einer symbolischen Geste, um klarzustellen, dass es nur einen Boss gab, und zwar ihn. Was konnte dazu geeigneter sein als eine Party? Und konnte es für eine Party einen besseren Anlass geben als den 4. Juli? Der Botschafter hoffte, es würde eine Abschiedsparty werden, bei der diese verrückten Amerikaner die afghanischen Befehlshaber, die die eigentliche Schlacht geschlagen hatten, kennenlernen und sich mit ihnen ablichten lassen konnten. Anschließend würden dann – hoffentlich – alle nach Hause fahren, damit er sich dem heiklen Geschäft widmen konnte, die amerikanische Außenpolitik durchzusetzen. Arnie hatte keine Rede vorbereitet, nur ein paar Worte, die er in die allgemeine Unterhaltung mit seinen amerikanischen Gästen einfließen lassen wollte: „Ein Sieg ist eine größere Herausforderung als eine Niederlage.“ Und: „Erhörte Gebete sind eine größere Last als der traurige Widerhall vergeblichen Flehens.“
Das eigentliche Motto der Party lautete also: Das habt ihr gut gemacht, und jetzt haut wieder ab. Wo auch immer ihr hergekommen seid.
Neben dem Botschafter stand General Akhtar, den der Anblick achtbarer Männer, die an Knochen nagten, anwiderte. Umgeben von Amerikanern in weiten Shalvar Kamiz und den abenteuerlichsten Kopfbedeckungen, die er seit seinem letzten Besuch im Märchenerzähler-Basar von Peshawar gesehen hatte, fühlte er sich herausgeputzt und fehl am Platz in seiner kompletten Gala-Uniform, die vor Goldlitzen und Messingorden nur so blitzte. General Akhtar hatte vor allen anderen gewusst, dass General Zia nicht kommen würde. „Wissen Sie, er fühlt sich nicht besonders“, erklärte er Arnold Raphel und lauerte auf eine Reaktion. „Der Verlust von Brigadier TM ist ein schwerer Schlag für General Zia. Er war für ihn wie ein Sohn. Und einer meiner besten Offiziere.“ Arnold Raphels gleichgültige Beileidsbezeugung bestärkte General Akhtar in seinem Entschluss, mit den Amerikanern ein letztes Mal gemeinsame Sache zu machen. Immerhin hatte er ihnen ihren Krieg gegen die Kommunisten gewonnen. Jetzt wollte er seinen Anteil an der Beute. Er nahm eine Erdbeere von der Torte, legte sie sich auf den Teller und wandte sich dem Botschafter zu. „Kompliment an Mrs. Raphel für die hervorragende Organisation. Hinter jedem großen Mann …“
OBL kam mit einem Journalisten ins Gespräch, der, Bier aus einem Pappbecher schlürfend, darüber nachdachte, was er jetzt, wo General Zia nicht aufgetaucht war, seiner Zeitung schicken solle. „OBL“, stellte er sich vor und wartete auf ein Zeichen des Erkennens.
Der Mann war ein alter Hase und kannte sich aus auf solchen Diplomatenpartys. Undurchsichtige Regierungsfunktionäre aus abseitigen Ländern und deren seltsame Absichten waren nichts Neues für ihn. Er zückte seinen Notizblock. „Also, worum geht’s?“
In der Wache am Tor erhob der Professor aus Nebraska, der mittlerweile zum Ehren-Marine für einen Abend ernannt worden war, seine Flasche zu einem Trinkspruch auf den Kampfgeist der Afghanen. Er machte eine kurze Pause.
„Was ist eigentlich mit unseren pakistanischen Gastgebern?“, fragte er dann.
„Was soll mit ihnen sein?“, fragte Corporal Lessard.
„Die Jungs auf den Lastwagen da draußen. Unsere erste Verteidigungslinie. Was machen sie?“
„Sie tun ihre Pflicht. Genau wie wir.“
„Nein, sie tun unsere Pflicht“, entgegnete der Professor.
„Sie halten den Feind in Schach. Sie beschützen uns, während wir dieses Fest genießen, mit dem wir unsere Befreiung feiern. Wir müssen die Belohnung mit ihnen teilen.“
Corporal Lessard schaute sich in der überfüllten Wache um. „Es sind etwa hundert. Wir haben nicht genug Platz.“
„Dann müssen wir ihnen etwas von unserer Belohnung bringen.“
Corporal Lessard, trunken von Coors, Patriotismus und der Liebe, die man an Tagen wie diesem für seine Mitmenschen empfindet, erklärte sich bereit, den pakistanischen Soldaten ein Tablett mit Speisen zu bringen. Einen Moment lang dachte er auch an ein paar Flaschen Bier, aber in seinem Landeskundekurs hatte er gelernt, dass man den Einheimischen keinen Alkohol anbot, sofern man keine verborgene Absicht damit verfolgte oder sie ausdrücklich darauf bestanden. Corporal Lessard deckte ein Tablett aus rostfreiem Stahl mit Alufolie ab, hob es über seinen Kopf und machte sich auf den Weg zu den pakistanischen Soldaten. Er war schon recht angeheitert, und das Rauschen der Bäume zu beiden Seiten der Allee erinnerte ihn an das Zischen von Schlangen. Der Weg kam ihm endlos vor.
OBL und der Journalist fanden einander in gleichem Maße langweilig. Der Journalist feixte, als OBL behauptete, seine Bulldozer und Zementmischer seien entscheidend am Sieg über die Sowjets in Afghanistan beteiligt gewesen. „Mein Chefredakteur glaubt, dass es sein Füller war, der die Rote Armee zum Rückzug gezwungen hat, dabei kann er nicht mal einen vernünftigen Satz schreiben“, erklärte er, ohne eine Miene zu verziehen. OBL gab auf, nachdem er angeboten hatte, für ein Foto zu posieren, und der Journalist sagte: „Ich besitze nicht mal einen Apparat, und selbst wenn, dürfte ich ihn sowieso nicht mit in die Botschaft bringen.“
„Sehr unprofessionell von Ihnen“, knurrte OBL, während er den Blick über die Gäste schweifen ließ, die in Grüppchen herumstanden und sich amüsierten. In der Mitte des Rasens entdeckte er General Akhtar. Einige Amerikaner mit afghanischem Kopfputz umringten ihn. OBL ging auf sie zu und hoffte, der Kreis würde sich öffnen, um ihn aufzunehmen. Mürrisch wartete er einige Minuten und versuchte, General Akhtars Blick aufzufangen. Zu seinem Schrecken starrte der General ihn ohne ein Zeichen des Erkennens an, doch der örtliche CIA-Chef war Akhtars Blick gefolgt und trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. „Schicker Anzug, OBL“, bemerkte er.
General Akhtars Augen leuchteten auf. „Ohne unsere saudischen Freunde hätten wir diesen Krieg nie gewonnen. Wie gehen die Geschäfte, Bruder?“, fragte er und ergriff OBLs Hand. „Allahs Güte ist groß. Kein Geschäft läuft besser in Kriegszeiten als die Baubranche“, erwiderte dieser lächelnd.
Arnold Raphel sprach mit einer Gruppe älterer Afghanen, während er immer wieder zu seiner Frau hinübersah, die die weiten ethnischen Teile, die sie zu Anfang der Party getragen hatte, gegen eine Khakihose und ein schwarzes T-Shirt eingetauscht hatte. Einerseits war er erleichtert, dass General Zia nicht gekommen war, doch zugleich fühlte er sich auch in seiner Berufsehre als Diplomat gekränkt. Die Party war zwar kein offizieller Staatsakt, aber General Zia hatte bisher nie eine Einladung seiner Behörde versäumt. Arnold Raphel wusste, dass der General seit dem Tod seines Sicherheitschefs völlig durchgedreht war, andererseits musste er doch wissen, dass eine Party zum 4. Juli in der Amerikanischen Botschaft der sicherste Ort war, den es in diesem gefährlichen Land überhaupt geben konnte. „Bruder Zia kommt nicht. Es geht ihm nicht gut“, erklärte er einem bärtigen Afghanen in einem regenbogenfarbenen Shawl. Der Alte tat gleichgültig, als wüsste er bereits alles. „Das ist das beste Lamm, das ich seit Kriegsbeginn gegessen habe. So zart. Als hätte man es direkt aus dem Bauch seiner Mutter gezogen.“
Eine Welle von Übelkeit stieg aus Nancys Magengrube und drückte nach oben. Sie bedeckte den Mund mit der Hand, murmelte etwas und rannte in ihr Schlafzimmer.
OBL badete in der Atmosphäre und lachte höflich über das unbekümmerte Geplänkel zwischen den Amerikanern und General Akhtar. Er genoss die Wärme, die man empfindet, wenn man sich im Mittelpunkt einer Festlichkeit aufhält. Dann legte der CIA-Chef plötzlich seine Hand auf General Akhtars Schulter und wandte sich OBL zu. „Schön, Sie zu sehen, OBL. Gute Arbeit. Machen Sie weiter so.“ Die anderen folgten den beiden, man ließ ihn stehen. Er bemerkte einen Mann in einem marineblauen Blazer, der mit einigen seiner afghanischen Bekannten sprach. Er schien wichtig zu sein. OBL ließ sich langsam auf die Gruppe zutreiben.
Ein Teil der Gesellschaft begab sich in den Salon, einen großen Raum im Untergeschoss mit Ledersofas, einem Fernseher von vierundvierzig Zoll und einem übertriebenen Stück Vorstadtnostalgie in Gestalt einer Bar. Arnold führte einigen seiner amerikanischen Mitarbeiter die Aufzeichnung des NFL-Entscheidungsspiels der Redskins gegen die Tampa Bay Buccaneers aus der vergangenen Woche vor. Der Raum war voller Zigarrenrauch und lärmender Amerikaner. Statt Bier, wie in der oberen Etage, bevorzugte man hier Whisky. Auf einem Diwan saß, einen Stoß Fünzig-Dollar-Scheine vor sich, der saudische Botschafter und nahm Wetten entgegen. Man hatte vergessen, ihm mitzuteilen, dass das Spiel acht Tage zurücklag und die Redskins die Buccaneers vernichtend geschlagen hatten.
Ein großer Amerikaner in Kaftan und orangefarbenem Fliegerschal reichte General Akhtar ein halb gefülltes Glas Bourbon. Akhtar hatte gute Lust, dem Fremden den Whisky ins Gesicht zu schütten, schaute sich jedoch zunächst einmal um. Außer den Amerikanern und dem saudischen Botschafter, der offenbar so betrunken war, dass ihm alles egal war, konnte er kein bekanntes Gesicht entdecken. Er beschloss, den Drink vorerst zu behalten. Der Lärm, folgerte der alte Meisterspion, bot den idealen Hintergrund, um Coogan auszuloten. Nicht einmal die raffinierteste Wanze wäre imstande, aus dem Stimmengewirr, das mittlerweile im Gange war, einen einzigen sinnvollen Laut zu isolieren. „Halt sie auf, Jack! Abblocken! Dreck sollen sie fressen, Jack. Dreck!“ General Akhtar erhob mit den anderen sein Glas, schnupperte aber nur daran. Es stank wie eine alte Wunde.
Aus dem Lastwagen, in dem die pakistanischen Soldaten sich aufhielten, nachdem sie die letzten Gäste überprüft hatten, richtete ein Subedar-Major seine Kalaschnikow auf Corporal Lessard und befahl ihm, stehen zu bleiben.
Der Marine hob das Tablett über seinem Kopf höher, und die Aluminiumfolie reflektierte den Scheinwerfer, den einer der Soldaten auf dem Laster darauf richtete. „Ich bringe euch was zu futtern, ihr tapferen Männer.“
Der Subedar-Major senkte sein Gewehr und kletterte vom Lastwagen. Zwei Reihen Soldaten musterten den Amerikaner, der das Tablett über seinem Kopf balancierte. Der Subedar-Major und der Marine standen einander im Lichtkreis des Suchscheinwerfers gegenüber.
„Hot Dogs“, sagte Corporal Lessard und streckte dem Pakistaner das Tablett entgegen.
General Akhtar wechselte sein Glas von der rechten in die linke Hand und räusperte sich. Dann überlegte er kurz, brachte die Hand an den Mund und signalisierte damit General Zias Schnurrbart, eine Geste, die man üblicherweise in den Wohnzimmern von Islamabad benutzte, wenn man den gefürchteten Namen nicht aussprechen wollte. Akhtars rechter Daumen und Zeigefinger zwirbelten unsichtbare Barthaare auf seiner Oberlippe. „Er hatte gewisse Träume“, sagte General Akhtar und sah Coogan in die Augen.
Coogan, der mit dem Herzen bei einem Quarterback war, der gerade einen Sechsundfünzig-Yard-Angriff lief, lächelte. „Er ist ein Visionär. War er schon immer. Menschen wie er ändern sich nicht. Wahrscheinlich hat TMs Absturz auch nicht gerade geholfen. Netter Spruch übrigens, Akhtar: ‚Ein Profi, der nicht einmal im Tod sein Ziel verfehlte.‘ Hätte Ihr Boss nur halb so viel Humor wie Sie, wäre euer Pakiland wesentlich spaßiger.“ Coogan zwinkerte und wandte sich wieder dem Fernseher zu.
General Akhtar war nervös. Er war lange genug in diesem Geschäft, um zu wissen, dass man ihm keinen schriftlichen Auftrag erteilen würde, General Zia zu stürzen. Verdammt, nicht einmal eine verbale Bestätigung würde er bekommen. Aber nicken mussten sie zumindest. So viel Vertrauen konnte er erwarten. „Er wird den Krieg nicht beenden, bis Sie ihm den Friedenspreis geben.“ General Akhtar beschloss, seiner Sache Nachdruck zu verleihen. Mit einem kurzen Blick in die Runde vergewisserte er sich, dass niemand sich auch nur im Geringsten für ihr Gespräch interessierte.
„Was für einen Preis?“ Coogan übertönte die anderen Stimmen. „Blocken, Jack! Jetzt blocken!“
„Den Friedensnobelpreis. Für die Befreiung Afghanistans.“
„Das ist Sache der Schweden. Damit haben wir nichts zu tun. Und Sie kennen doch diese eingebildeten Schweden. Sie würden ihren kostbaren Preis nie jemandem wie …“ – Coogan zwirbelte einen imaginären Schnurrbart – „… geben.“ Lachend wandte er sich wieder dem Bildschirm zu.
General Akhtar merkte, wie völlig desinteressiert Coogan war. Er hatte seinen Krieg gewonnen und jetzt wollte er feiern. Der General wusste, wie kurzlebig das Interesse der Amerikaner sein konnte. Aber er wusste auch, dass in der subtilen Kunst der Spionage auch Unverbindlichkeit eine Art von Verbindlichkeit war. Dennoch wollte General Akhtar ein deutlicheres Zeichen. Plötzlich nahm er den würzigen Geruch von Haschisch wahr und sah sich panisch um. Niemanden schien es zu kümmern. Alle waren damit beschäftigt, Jack anzufeuern, die Gegner aufzuhalten und Dreck fressen zu lassen. General Akhtar sah, dass der Mann, der ihm den Drink eingeschenkt hatte, hinter Coogan stand und einen Joint rauchte.
„Darf ich Ihnen Leutnant Bannon vorstellen?“ Coogan zwinkerte General Akhtar zu. „Er bringt Ihren Jungs den Silent Drill bei. Einer unserer wichtigsten Männer.“
General Akhtar wandte sich um und schenkte Bannon ein schwaches, gelbliches Lächeln. „Er hat wirklich gute Arbeit geleistet. Ich glaube, seine Jungs sind bereit für den Ernstfall“, sagte General Akhtar und starrte auf den Joint in Bannons Hand.
OBL schlenderte zwischen weggeworfenen Papptellern, angebissenen Hot Dogs und abgenagten Knochen über den verlassenen Rasen. Plötzlich fiel ihm ein, dass er noch nichts gegessen hatte. Er ging auf das Zelt zu, aus dem der Geruch von brennendem Lammfett zu ihm herüberwehte.
Im Kabul-Zelt nahm der Koch gerade die Reste seines kulinarischen Werkes gründlich in Augenschein. Acht Skelette hingen über der schwelenden Asche der Grillfeuer. Er hatte gehofft, seiner Familie etwas mitbringen zu können, aber nicht einmal mit einem kleinen Messer ließen sich noch ein paar Fleischfetzen von den Knochen schaben. „Großer Gott“, murmelte er, während er sein Handwerkszeug einpackte. „Diese Amerikaner fressen wie die Schweine.“
Coogan teilte seine Aufmerksamkeit zwischen den Nöten der Redskins und denen des Generals auf, der seinen Drink schon seit Ewigkeiten in der Hand hielt, ohne einen Schluck zu nehmen. Coogan erhob sein Glas, während er mit einem Auge den Quarterback der Redskins verfolgte, der die Verteidigung der Buccaneers durchbrach, und mit dem anderen General Akhtar zuzwinkerte. „Schnapp ihn dir!“, schrie Coogan.
General Akhtar wusste, dass er seine Antwort bekommen hatte. Er wollte den Moment nicht einfach so verstreichen lassen und erhob sein Glas, um mit Coogan anzustoßen. „Bei Gott. Wir schnappen ihn.“ Er nahm einen ausgiebigen Schluck, und plötzlich roch die Flüssigkeit gar nicht mehr so scheußlich wie noch vor wenigen Sekunden. Sie war bitter, schmeckte aber nicht so schlecht, wie er sein Leben lang angenommen hatte.
Der Subedar-Major ließ seinen Blick von dem Tablett zum Gesicht des Marines wandern. Endlich begriff er.
„Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?“, fragte der Subedar-Major.
„Tee?“, wiederholte Corporal Lessard irritiert. „Wir wollen mal nicht Britisch werden. Hier, was zu futtern für euch. Hot Dogs.“
Der Marine nahm die Aluminiumfolie vom Tablett, nahm ein Hot Dog und biss hinein.
Der Subedar-Major lächelte sehr verständnisvoll. „Hund? Halal?“
Corporal Lessard ging allmählich die Geduld aus. „Nein. Kein Hund. Rindfleisch.“ Er muhte und machte eine Geste, die zeigen sollte, wie ein Kuh geschlachtet wurde.
„Halal?“, fragte der Subedar-Major erneut.
Ein Spatz taumelte ins Scheinwerferlicht und zwitscherte, wie um die sprachliche Kluft zwischen den beiden zu überbrücken. Corporal Lessard fühlte so etwas wie Heimweh.
„Das ist ein beschissenes Stück Fleisch in einem beschissenen Stück Brot. Wenn wir uns darauf nicht einigen können, weiß ich nicht, was zum Teufel ich hier soll.“ Er warf das Tablett zu Boden und rannte in Richtung der Wache davon.
Nancy Raphel vergrub ihr Gesicht im Kissen und wartete, dass ihr Mann ebenfalls zu Bett kam. „In Zukunft bleiben wir bei unserem Cocktail-Menü“, erklärte sie, bevor sie einschlief.
Als General Akhtar die Amerikanische Botschaft verließ, kam ihm ein äußerst verstörter Major entgegen.
„General Zia ist verschwunden“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Nirgendwo eine Spur von ihm.“