Sechsundzwanzig

General Zia hatte beschlossen, sich das Fahrrad seines Gärtners auszuleihen und das Army House heimlich ohne Leibwächter zu verlassen. Doch zunächst einmal brauchte er einen Shawl. Nicht weil es kühl war, sondern um unerkannt zu bleiben. Die Entscheidung, sich allein aus dem Army House herauszuwagen, hatte ihm der Koran eingegeben. Die Idee, als normaler Bürger verkleidet auszugehen, stammte von seinem Freund Ceaușescu.

Der Plan war eine geglückte Kombination aus göttlich und teuflisch.

Nach Brigadier TMs Beisetzung hatte General Zia sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen und sich geweigert, auch nur ein Minimum der Regierungsaufgaben zu erledigen, die ihm seit Einführung der Alarmstufe Rot oblagen. Er blätterte in dem dicken Ordner über die laufende Untersuchung des Unfalls, den General Akhtar ihm gesandt hatte. In der Zusammenfassung wurde General Akhtar dafür gelobt, dass er eine Live-Übertragung von Brigadier TMs traurigem Ableben im Fernsehen verhindert hatte. Andernfalls hätte das Vertrauen der Nation in die Professionalität der Armee womöglich einen starken Rückschlag erlitten.

General Zia weinte und betete pausenlos, um sich davon abzuhalten, das Unwiderstehliche zu tun. Schließlich griff er doch wie ein rückfälliger Junkie nach dem in grünen Samt eingeschlagenen Koran. Dreimal küsste er den Rücken des Buches, dann schlug er es mit bebenden Händen auf.

Seine Knie zitterten vor Aufregung, als das Buch ihm nicht, wie befürchtet, Jonas’ Gebet offenbarte, sondern einen einfacheren, praktischeren Vers: Geht hinaus in die Welt, ihr Gläubigen … Seine Tränen versiegten, er lächelte wissend. Selbst das Jucken in seinem Rektum fühlte sich an wie ein Aufruf zum Handeln. Er rutschte auf der Stuhlkante herum. In seiner Erleichterung erinnerte er sich an den Rat, den Nicolae Ceaușescu ihm bei einem bilateralen Treffen während des Gipfels der Bewegung der Blockfreien Staaten gegeben hatte. Es war eine jener Begegnungen, bei denen die Staatsoberhäupter sich nichts zu sagen haben und die Dolmetscher mit langatmigen blumigen Übersetzungen von Höflichkeiten Zeit schinden. Die Staaten der beiden Führer lagen so weit voneinander entfernt, dass Ceaușescu nicht einmal über bilaterale Handelsbeziehungen mit General Zia sprechen konnte, da solche zwischen Rumänien und Pakistan nicht bestanden. Und General Zia konnte seinen Amtskollegen nicht um Beistand in der Kaschmirfrage bitten, da Ceaușescu wahrscheinlich nicht wusste, wo Kaschmir lag, und erst recht nicht mit dem Inhalt der Problematik vertraut war.

Dennoch gab es etwas an diesem Mann, das General Zias Interesse erregte: Ceaușescu war seit vierundzwanzig Jahren an der Macht und war – im Gegensatz zu anderen Herrschern von ähnlichem Überlebenswillen und Ruf, die von keinem anständigen Land mehr eingeladen wurden – von Generalsekretär Breschnew und Präsident Nixon empfangen worden, sogar erst kürzlich von der britischen Königin geadelt worden.

Außerdem nahm er an diesem Treffen der Bewegung Blockfreier Staaten teil, obwohl sein Land nicht einmal Mitglied war. Man hatte ihm einen Beobachterstatus gewährt. Dieser Mann besaß eindeutig die Fähigkeit, sich einen Platz in der Welt zu sichern.

General Zia war von jedem, dem es gelungen war, länger im Amt zu bleiben als er selbst, fasziniert und aufrichtig beeindruckt. Er hatte bereits mehrere Veteranen der Weltbühne nach dem Geheimnis ihrer Macht befragt, aber keiner hatte ihm einen Rat geben können, der ihm in Pakistan etwas genützt hätte. Fidel Castro sagte ihm, er solle seiner Mission treu bleiben und seinen Rum mit viel Wasser trinken. Kim Il-Sung riet ihm, sich keine deprimierenden Filme anzusehen. Reagan hatte Nancy auf die Schulter geklopft und gesagt: „Hübsche Geburtstagskarten.“ König Abdul Aziz von Saudi-Arabien äußerte sich als Einziger unverblümt: „Woher soll ich das wissen? Fragen Sie meinen Arzt.“

Der Vorteil an Ceaușescu war, dass er ein völlig Fremder war, vor dem General Zia kein Blatt vor den Mund zu nehmen brauchte.

Ihre Begegnung fand in einem kleinen Konferenzraum im dreiundvierzigsten Stock des Manila Hilton statt. Die Dolmetscherin, eine rundliche Sechsundzwanzigjährige in einem Kostüm mit Schulterpolstern, erschrak, als General Zia den Austausch von Höflichkeiten unterbrach und sagte, er wolle die anberaumten zehn Minuten dazu verwenden, von Seiner Hoheit zu lernen. Ceaușescus Dracula-Lächeln verbreiterte sich und er legte die Hand auf den Schenkel der Dolmetscherin. „Noi voi tot learn de la each alt“, murmelte er.

Für General Zia hörte es sich an wie: „Wir alle sollten jeden Tag einen halben Liter frisches Blut trinken“.

„Wir sollten alle voneinander lernen“, übersetzte die Dolmetscherin.

„Wie ist es Ihnen gelungen, so lange im Amt zu bleiben?“

„Cum have tu conducere la spre stay în serviciu pentru such un timp îndelungat?“, fragte die Dolmetscherin Ceaușescu und legte eine Ledermappe auf ihren Schoß.

Ceaușescu sprach für etwa zwei Minuten, erhob den Finger, öffnete und schloss die Hände und griff schließlich nach dem Oberschenkel der Dolmetscherin. Und musste feststellen, dass er eine Ledermappe tätschelte.

„Glauben Sie nur zehn Prozent von dem, was Ihre Geheimdienste Ihnen über die öffentliche Meinung mitteilen. Das Volk sollte Sie entweder lieben oder fürchten. Das ist der Schlüssel. Ihr Abstieg beginnt an dem Tag, an dem Sie Ihrem Volk gleichgültig werden.“

„Wie erkenne ich, dass ich ihm gleichgültig werde?“

„Finden Sie es aus erster Hand heraus. Überraschen Sie die Leute, gehen Sie in Restaurants, zeigen Sie sich bei Sportereignissen. Gibt es bei Ihnen Fußball? Gehen Sie zu Fußballspielen, machen Sie einen Abendspaziergang. Hören Sie sich an, was die Leute zu sagen haben, und glauben Sie nur zehn Prozent von dem, was sie sagen, denn natürlich lügen sie. Doch wenn sie Sie einmal kennengelernt haben, dann werden sie Sie lieben und andere dazu bringen, Sie ebenfalls zu lieben.“

General Zia nickte eifrig, während Ceaușescu sprach, und lud ihn als Ehrengast zur Parade am Nationalfeiertag ein, wohl wissend, dass er nie kommen würde. Als er sich zum Gehen wandte, rief Ceaușescu noch etwas. General Zia wandte sich noch einmal an die Dolmetscherin, die die Mappe auf ihrem Schoß nun aufgeschlagen hatte.

„Bevor Sie zu einem Fußballspiel gehen, müssen Sie sicherstellen, dass Ihr Team gewinnt.“

Darauf hatte General Zia mehrmals an öffentlichen Veranstaltungen teilgenommen, aber sobald er den VIP-Bereich verließ, um sich unter sein Volk zu mischen, musste er feststellen, dass es sich um bestellte Claqueure handelte. Fähnchenschwingen und Jubelrufe waren einstudiert. Einige erstarrten, wenn er vorüberging: Soldaten in Zivil. Manche schienen Angst vor ihm zu haben, aber ein Blick auf Brigadier TM, der neben ihm die Menge mit seinen Ellbogen in Schach hielt, belehrte ihn sofort, dass es nicht er selbst war, den man fürchtete. Brigadier TM war es, dem man aus dem Weg ging. Ein paar Mal sah er sich ein Cricket-Match an, stellte jedoch fest, dass die Zuschauer mehr Interesse am Spiel hatten als daran, ihren Herrscher zu lieben oder zu fürchten.

Jetzt, wo Brigadier TM nicht mehr bei ihm war, blieb ihm nur noch eins. Er musste Genosse Ceaușescus Rat folgen und ohne seine Leibwächter das Army House verlassen.

Statt sich nach dem Abendgebet in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen, ging er ins Schlafzimmer, wo die First Lady auf einem Stuhl saß und ihrer jüngsten Tochter eine Geschichte vorlas. Er küsste seine Tochter auf die Stirn und setzte sich, bis die First Lady die Geschichte zu Ende gelesen hatte. Sein Herz hämmerte beim Gedanken an sein bevorstehendes Abenteuer. Er blickte auf seine Frau und seine Tochter, als würde er in eine ferne Schlacht ziehen, aus der er vielleicht nie mehr zurückkehren würde.

„Könntest du mir einen Shawl leihen?“

„Welchen?“

Er hoffte, sie würde fragen, wozu er den Shawl brauchte. Damit er wenigstens einem Menschen von seinem Plan erzählen konnte, ehe er sich auf seine Mission begab, aber sie fragte nur, welchen er wolle.

„Je älter, desto besser.“ Der General bemühte sich, geheimnisvoll zu klingen. Seine Frau ging ins Ankleidezimmer und brachte ihm einen alten braunen Shawl mit besticktem Rand. Noch immer fragte sie nicht, wozu er ihn brauche.

Schon vor Beginn seines Abenteuers etwas enttäuscht, umarmte General Zia seine Tochter und wollte hinausgehen.

„Mach ihn aber nicht schmutzig“, sagte die First Lady. „Er ist von meiner Mutter.“

General Zia hielt einen Moment inne. Vielleicht sollte er sich doch seiner Frau anvertrauen, aber sie griff wieder nach ihrem Buch. „War es nicht Kalif Omar, der als einfacher Mann verkleidet nachts ausging, um nachzusehen, ob seine Untertanen in Frieden lebten?“, fragte sie, ohne ihn anzusehen.

General Zia nickte. Die First Lady war wirklich beschlagen in der Geschichte. Er hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, der Welt als Kalif Omar II im Gedächtnis zu bleiben.

„Sagte er nicht, er könne niemals Ruhe finden, und ginge auch nur ein Hund an den Ufern des Euphrat mit leerem Magen zu Bett?“

„Ja“, sagte General Zia. Sein Schnurrbart tanzte.

„Er sollte unsere islamische Republik heute sehen. Geile Böcke regieren das Land.“

Mit General Zias Herz sank auch sein Schnurrbart, aber er murmelte den Vers, der ihn aufgerufen hatte, in die Welt hinauszuziehen, und stürmte voll neuem Tatendrang aus dem Zimmer.

Er fragte den Gärtner, ob er ihm sein Rad leihen würde, und dieser gab es ihm, ohne sich zu erkundigen, wozu er es brauche. Als er seinen Wohnbereich verließ, salutierten die beiden Soldaten an der Tür und wollten ihm folgen. Er befahl ihnen, auf ihrem Posten zu bleiben. „Ich will mir nur etwas Bewegung verschaffen.“

Dann hüllte er sich fest in den Shawl, nur Augen und Stirn ließ er unbedeckt. Er stieg auf das Fahrrad und begann zu treten. Die ersten paar Meter schwankte er ein wenig, aber dann fand er das richtige Gleichgewicht und fuhr, langsam in die Pedale tretend, am Straßenrand entlang.

Als er sich dem Haupttor näherte, begann er, an seinem Entschluss zu zweifeln. Vielleicht sollte er lieber umkehren. Vielleicht Brigadier TM informieren, damit er ein paar von seinen Männern in Zivil schickte, die ihm folgten. Dann sah er Brigadier TMs in eine Flagge gehüllten Sarg vor sich, und das Fahrrad geriet wieder ins Schwanken. General Zia war noch immer unentschlossen, als er bei den Wachposten des Army House ankam und das Tor sich öffnete. Er bremste, sah nach rechts und nach links, in der Hoffnung, jemand würde ihn erkennen und fragen, was zum Teufel er vorhabe. Während er sich hastig nach einer geeigneten Ausrede das Gehirn zermarterte, rief aus der Wache eine Stimme.

„Na, Alter, hast wohl keine Lust, nach Hause zu fahren? Schiss vor deiner Frau?“ General Zia warf einen Blick auf das Wachhaus, sah aber niemanden. Energisch trat er in die Pedale. Das Tor schloss sich hinter ihm. Die Erkenntnis, dass seine Verkleidung funktionierte, verlieh ihm neuen Mut. Seine Zweifel schwanden, er hob den Hintern vom Sitz und strampelte kräftig, während seine Augen vor Rührung und Anstrengung feucht wurden. Er hielt an der roten Ampel auf der Kreuzung, die auf die Constitution Avenue führte, obwohl kein einziges Fahrzeug in Sicht war. Die Ampel blieb rot, machte keine Anstalten grün zu werden. Also schaute General Zia nach links und rechts und dann wieder nach links und bog in die Constitution Avenue ein.

Die Straße war wie ausgestorben, kein Mensch, kein Fahrzeug. Ihre acht Spuren waren eigentlich nicht für den Verkehr gedacht, der selbst am Tag nur spärlich floss, sondern für die schwere Artillerie und die Panzer bei der Parade am Nationalfeiertag. Die breite Straße, noch feucht von einem nachmittäglichen Regenguss, glänzte gelblich im Schein der Straßenlaternen. Still und düster umragten die Berge die Stadt. General Zia fuhr langsam. Schon jetzt taten ihm von der ungewohnten Anstrengung die Beine weh. Zuerst fuhr er geradeaus am Straßenrand entlang, dann in der Mitte und schließlich im Zickzack. Jeder, der ihn von einem der Hügel beobachtete, würde ihn für einen alten Mann halten, der, in seinen Shawl gewickelt, auf seinem Fahrrad nach Hause schwankte. Wahrscheinlich war der Alte sehr erschöpft von seinem harten Arbeitstag im Army House.

Als General Zia etwa einen Kilometer gefahren war, ohne jemandem zu begegnen, kam ihm ein seltsamer Gedanke: Was, wenn er ein Reich ohne Einwohner regierte? Ein Geisterland? Was, wenn dort draußen wirklich niemand war? Was, wenn die Statistiken der Volkszählung – 130 Millionen Gesamtbevölkerung, 52 Prozent Frauen, 48 Prozent Männer, 90 Prozent Muslime – nur das Werk übereifriger Beamter waren? Was, wenn alle ausgewandert waren und er ein Land regierte, in dem außer seinen Soldaten, seinen Beamten und seinen Leibwächtern keiner lebte? Er keuchte und fand es recht vergnüglich, welch sonderbare Verschwörungstheorien man als ein einfacher Bürger auf seinem Fahrrad hegen konnte.

Plötzlich bewegte sich etwas in einem Gebüsch am Straßenrand und eine Stimme schrie: „He! Du da, Alter, komm her. Du fährst ohne Licht. Glaubst du, die Straße gehört deinem Vater? Gibt es in diesem Land nicht schon genug Gesetzlosigkeit?“

Statt zu bremsen, stemmte General Zia die Absätze auf den Boden und kam holpernd zum Stehen. Ein Mann trat hinter dem Gebüsch hervor. Er war in einen alten braunen Shawl gewickelt, unter dem General Zia das Barett eines Polizisten erkannte.

„Absteigen. Wieso fährst du ohne Licht?“

Der Wachtmeister hielt das Fahrrad an der Lenkstange fest, als bestünde Fluchtgefahr. General Zia stieg ab und stolperte, weil er so fest in den Shawl gewickelt war. In seinem Kopf rauschte es vor Aufregung über diese erste Begegnung mit einem seiner Untertanen, ohne dass Sicherheitsgeländer sie trennten oder Gewehre auf seinen Gesprächspartner gerichtet waren.

Auf dem Fußweg am Rande der Constitution Avenue unter den wachsamen Blicken des alten Polizisten erkannte General Zia die wahre Bedeutung dessen, was der alte Dracula ihm gesagt hatte. Ihm wurde klar, dass Ceaușescus Rat eine Metapher enthielt, die er vor seinem Abenteuer nicht verstanden hatte. Was war Demokratie? Was war ihr Wesen? Es lag darin, dass ein Herrscher aus seinem Volk Kraft schöpfen und so immer stärker werden sollte. Genau das war es, was er, General Zia, im Augenblick tat. Umgeben von den stummen Hügeln um Islamabad fand hier ein uraltes Ritual statt: Herrscher und Untertan begegneten einander von Angesicht zu Angesicht, ohne einen Beamten, der ihre Beziehung komplizierte, ohne Schützen, die ihre Begegnung beschmutzten. Einen Moment lang verflüchtigte sich seine Angst vor dem Tod im kalten Smog über ihnen, und General Zia fühlte sich stark und unbesiegbar wie die Berge, die um ihn aufragten.

„Hände an die Ohren!“ Der Polizist zog eine Zigarette hinter seinem Ohr und ein Feuerzeug unter seinem Shawl hervor. Es roch nach Kerosin, als er sie anzündete. General Zia versuchte, das Fahrrad auf dem Asphalt zu halten, aber der Polizist versetzte ihm einen Tritt und es fiel auf den Fußweg und blieb dort liegen.

General Zia zog die Arme aus seinem Shawl und legte sie an die Ohren. Diese Lektion in Gehorsam bereitete ihm Vergnügen. Im Kopf verfasste er bereits eine Rede: „Alle Weisheit, die ich brauche, um dieses Land zu regieren, habe ich von einem einsamen Polizeiwachtmeister, der mitten in der Nacht auf einer leeren Straße in Islamabad seine Pflicht tat …“

„Nicht so.“ Der Polizist schüttelte missmutig den Kopf. „Wie ein Hahn. Mach wie ein Hahn!“

General Zia fand, die Zeit sei gekommen, sich vorzustellen, aber der Wachtmeister gab ihm keine Gelegenheit, sein Gesicht zu entblößen. Er griff mit einer Hand sein mit dem Shawl verhülltes Haupt und drückte ihn nach unten.

„Tu nicht so, als wüsstest du nicht, wie ein Hahn macht.“

General Zia wusste, wie man den Hahn spielt, aber das letzte Mal, als er es getan hatte, war vor mehr als einem halben Jahrhundert in der Schule gewesen. Die Erkenntnis, dass diese kindische Strafe noch immer verhängt wurde, verblüffte ihn. Seine Wirbelsäule wollte sich nicht beugen, aber der Wachtmeister drückte seinen Kopf immer weiter nach unten, bis er fast die Knie berührte. Zögernd schob General Zia beide Hände durch die Beine und versuchte seine Ohren zu erreichen. Sein Rücken war unnachgiebig wie ein Betonklotz, die Beine zitterten unter dem Gewicht seines Körpers, und er hatte das Gefühl, er würde zusammenbrechen und nach vorne kippen. Sobald der Wachtmeister seinen Kopf losließ, versuchte er aufzuschauen. Der Wachtmeister stellte ihm den Fuß ins Genick.

„Ich bin General Zia ul-Haq“, erklärte Zia in gebückter Haltung.

Der Wachtmeister verschluckte sich am Rauch und bekam einen Hustenanfall, der in Gelächter überging.

„Ist ein General Zia nicht genug für diese bedauernswerte Nation? Brauchen wir noch Irre wie dich, die durch die Nacht rennen und sich für ihn ausgeben?“

General Zia bewegte sein Gesicht unter dem Shawl und hoffte, der Wachtmeister würde einen Blick darauf werfen.

„Eure Hoheit müssen ein viel beschäftigter Mann sein“, sagte der Wachtmeister, „und haben es gewiss eilig, ins Army House zurückzukommen, um unser Land zu regieren. Erzähl mir einen Witz, und ich lasse dich gehen. Bist du schon jemals in deinem Leben einem so großzügigen Polizisten begegnet? Komm, erzähl mir einen Witz über General Zia.“

Das war leicht. General Zia hatte schon viele Journalisten mit Scherzen über sich selbst zum Lachen gebracht.

Er räusperte sich. „Warum lässt die First Lady General Zia nicht in ihr Schlafzimmer?“

„Ach, halt’s Maul“, sagte der Wachtmeister. „Den kennt doch jeder. Und das ist nicht mal ein Witz. Wahrscheinlich stimmt es. Sag einfach dreimal ‚General Zia ist eine einäugige Schwuchtel‘, und du kannst gehen.“

Den Spruch kannte General Zia noch nicht. Indische Propaganda, dachte er, und blinzelte, um sicherzugehen, dass er nicht träumte. Sein linkes Auge betrachtete die schmutzverkrusteten Kanvasschuhe des Polizisten, während das rechte einem Froschbaby folgte, das die Constitution Avenue überquerte. Sein Rücken brachte ihn fast um. Er musste sich unbedingt aufrichten.

Leise begann er: „General Zia ist eine …“

Aus der Ferne vernahm er die Sirenen der Motorräder, die immer seinen Präsidentenkonvoi anführten. Einen Moment lang fragte er sich, ob jemand das Army House besetzt hatte, während er mit diesem perversen Wachtmeister sprach.

„Man merkt, dass du nicht mit dem Herzen dabei bist. Ich überprüfe das bei allen, die ich auf der Straße anhalte, und ich schwöre, keiner hat mich je enttäuscht. Das ist die einzige Strafe, die jedermann zu gefallen scheint.“

Der Wachtmeister trat ihn in den Hintern, und General Zia fiel mit dem Gesicht nach vorn. Sein Rückgrat knackte und Wogen von Schmerz brandeten durch seinen Körper. Der Wachtmeister zerrte ihn hinter das Gebüsch.

„Das echte Einauge ist unterwegs. Jetzt ist erst einmal er dran. Aber dann machen wir beide einen langen Plausch.“ Er nahm seinen Shawl ab und warf ihn über General Zia.

Der Wachtmeister nahm Haltung an und salutierte, als der Präsidentenkonvoi mit blinkenden Lichtern und heulenden Sirenen vorbeibrauste. Er war kleiner als üblich: ein schwarzer Mercedes, gefolgt von zwei offenen Jeeps mit Kommandosoldaten, die ihre Gewehre auf den Straßenrand richteten. Als der Wachtmeister sich umwandte, um mit General Zia über die Bedingungen seiner Freilassung zu verhandeln, hörte er, wie die Eskorte drehte und in voller Geschwindigkeit zurückgerast kam. Die Sirenen schluchzten und verstummten wie ein weinendes Kind, das plötzlich einschläft. Ehe der Wachtmeister wusste, wie ihm geschah, waren die Soldaten mit ihren Kalaschnikows und Suchscheinwerfern bei ihm. Ein älterer Mann im Shalvar Kamiz, der noch im Jeep saß, deutete auf das Fahrrad und sagte mit ruhiger Stimme: „Das ist das Fahrrad, das er genommen hat.“

Während der kurzen Rückfahrt zum Army House saß General Zia auf dem Rücksitz des Mercedes und tat, als wäre General Akhtar nicht da. Seinen Shawl eng um sich gewickelt, hielt er den Kopf gesenkt und wirkte wie jemand, der gerade aus einem sehr schlechten Traum erwacht ist.

In seinem Herzen wusste er, was er zu tun hatte. General Akhtar mit all seinen Spionen und Abhördrähten hatte ihm nie gesagt, was diese 130 Millionen Menschen wirklich von ihm hielten. Nicht einmal zehn Prozent der Wahrheit hatte er ihm gesagt. Er sah General Akhtar nicht an, aber der Geruch im Wagen verriet ihm, dass er auf der Party in der Amerikanischen Botschaft Whisky zu sich genommen hatte. Was kam als Nächstes? Schweinefleisch? Das Fleisch seines eigenen Bruders?

Er sprach erst wieder, als sie aus dem Wagen ausstiegen. „Lassen Sie den Wachtmeister frei.“ Niemand würde dem Polizisten ein einziges Wort seiner seltsamen Geschichte glauben. Da war General Zia sich ganz sicher. „Er hat nur seine Pflicht getan.“

Er ging geradewegs in sein Arbeitszimmer, schickte nach seinem Stenografen und diktierte zwei Ernennungsschreiben. Dann rief er einen für Militäroperationen zuständigen Generalleutnant an. Nach einer weitschweifigen Entschuldigung für die nächtliche Störung wies er ihn an, General Akhtar seiner Pflichten zu entheben.

„Ich möchte, dass Sie jetzt das Kommando übernehmen und persönlich die Akten aller Verdächtigen durchgehen. Ich will, dass Sie jedes einzelne Verhörzentrum aufsuchen, das General Akhtar untersteht, und mir direkt Bericht erstatten.“

Während General Beg sich aufmachte, um General Akhtars Posten zu übernehmen, tätigte General Zia den letzten Anruf in dieser Nacht.

„Ja, Sir.“ In Erwartung eines Dankesanrufs von General Zia war Akhtar noch nicht zu Bett gegangen.

„Danke, Akhtar“, sagte General Zia. „Mir fehlen die Worte, Ihnen meine Dankbarkeit zu schildern. Sie haben mir nicht zum ersten Mal das Leben gerettet.“

„Ich habe nur meine Pflicht getan, Sir.“

„Ich habe beschlossen, Sie zu befördern. Vier Sterne.“

General Akhtar traute seinen Ohren nicht. Gab General Zia seinen Posten als Armeechef auf? Trat er in den Ruhestand und zog nach Mekka? General Akhtar musste nicht lange warten, um es herauszufinden. „Ich habe Sie zum Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs ernannt. Auf gewisse Weise sind Sie damit auch mein Boss …“

Mit flehender Stimme versuchte General Akhtar, sein Unglück abzuwenden. „Sir, meine geheime Mission ist noch nicht abgeschlossen. Die Amerikaner führen hinter unserem Rücken Gespräche mit den Sowjets …“

Ein Leben glanzvoller bürokratischer Langeweile schien vor ihm auf. Er bekäme drei Adjutanten, jeweils einen von der Luftwaffe, von der Marine und der Armee, aber keine Macht über eine der drei Institutionen. Er bekäme eine eigene beflaggte Eskorte, könnte aber nirgendwohin fahren außer zur so- und sovielten Einweihung einer Wohnsiedlung für Armeeoffiziere. Er würde an der Spitze jedes Empfangskomitees stehen, das jemals für jeden zweitrangigen Würdenträger aus jedem Drittweltland bereitstehen würde. Statt seinen Geheimdienst würde er ein Protokoll leiten, das so feierlich und repräsentativ war wie der Kamm eines Kampfhahns.

„So ist das Leben, Akhtar. Und die Arbeit geht weiter. Vorläufig habe ich General Beg gebeten, das Kommando zu übernehmen.“

„Ich verlange eine ordentliche Übergabe …“ General Akhtar machte einen letzten Versuch, seine Geheimverstecke, seine Bänder, sein Spionagenetzwerk zu retten. Doch ihm wurde alles, was seine Macht ausmachte, genommen, und man steckte ihn in einen Käfig, auch wenn es ein goldener war.

„Sie haben es verdient, Akhtar“, sagte General Zia. „Die vier Sterne haben Sie wirklich verdient.“