General Akhtar salutiert besonders gewissenhaft, sorgt dafür, dass seine Hand gerade ist, seine Augen geradeaus blicken, sein Rücken gestrafft ist und jeder Muskel seines Körpers vor Achtung vibriert. Der junge Shigri hat am Ende doch gekniffen, aber die Maschine, die General Zia besteigen wird, hat genügend VX-Gas an Bord, um ein ganzes Dorf auszulöschen.
General Zia ist ein toter Mann, und tote Männer in Uniform verdienen Respekt.
Unter anderen Umständen hätte General Akhtar ihn bis an die Maschine begleitet und gewartet, bis General Zia die Treppe hinaufstiegen wäre und die Kabinentür sich geschlossen hätte, ehe er auf dem roten Teppich davonginge. Doch diesmal wird er die zweihundert Meter roten Teppichs zwischen ihnen und dem Flugzeug nicht zurücklegen. Er hat seine geschätzte Ankunftszeit in Islamabad bereits zweimal geändert, und jetzt muss er gehen, sofort, auch auf die Gefahr hin, unhöflich, schroff und respektlos zu erscheinen. Immerhin hat er ein Land zu regieren.
Doch statt zurückzusalutieren, macht General Zia einen Schritt nach vorn und legt den Arm um seine Hüfte.
„Bruder Akhtar, ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Ich habe Sie gerufen, weil ich diese Erinnerung mit Ihnen teilen möchte. Als ich auf der Oberschule war, konnten meine Eltern es sich nicht leisten, mir ein Fahrrad zu kaufen. Ich musste mich von einem Jungen aus der Nachbarschaft mitnehmen lassen. Und schauen Sie uns jetzt an.“ Er macht eine ausladende Geste, mit der er auf die C-130 und die beiden kleinen Cessnas auf dem Rollfeld zeigt. „Jeder von uns nimmt ein anderes Flugzeug, obwohl wir das gleiche Ziel haben.“
„Allah hat es gut mit Ihnen gemeint“, sagt General Akhtar mit gezwungenem Lächeln. „Und Sie meinen es gut mit mir. Mit uns.“ Er schaut zu General Beg, dessen Blick auf den Horizont gerichtet ist, wo ein kleines Jagdflugzeug gerade zu einem Aufklärungsflug aufsteigt. Es hat den Befehl, die Umgebung nach natürlichen Gefahren abzusuchen und zugleich als Ablenkungsziel zu dienen, falls zufällig jemand in der Gegend auf ein Flugzeug ballern will.
Acht Kilometer von den Generälen entfernt wird die Krähe vom Dröhnen eines herannahenden Flugzeugs aus ihrem Verdauungsschlaf geschreckt. In Panik flattert sie auf, wird dann jedoch von einer überreifen Mango am Ast über ihr abgelenkt und beschließt, ihr Schläfchen zu verlängern.
General Zia merkt nicht, wie General Akhtar sich in seinem Griff windet, und schwelgt weiter in seinen Erinnerungen. „Man redet immer von der guten alten Zeit. Und es war ja wirklich eine schöne Zeit, aber selbst damals gab es nichts Schöneres als eine Freifahrt. Jede Woche hat der Nachbarsjunge mich auf seinem Fahrrad zu der Mangoplantage in der Nähe unserer Schule mitgenommen. Dann hat er gewartet, bis ich über den Zaun geklettert war und mit den geklauten Mangos zurückkam. Ich hoffe, Allah vergibt mir diese Sünde meiner Kindheit. Und seht mich jetzt an, meine Brüder. Allah hat mir inzwischen ein eigenes Flugzeug und eigene Mangos gewährt – als Geschenk meines eigenen Volkes. Lassen Sie uns eine Mangoparty in der Pak One feiern und die gute alte Zeit zurückholen.“
General Beg lächelt zum ersten Mal. „Ich gehöre zu den Unglücklichen, denen Allah nicht die Fähigkeit geschenkt hat, den himmlischen Geschmack der Mango zu genießen. Ich bin sogar allergisch gegen den Geruch. Doch ich hoffe, Sie genießen Ihre Party. Es sind zwanzig Kisten. Sie können auch der First Lady welche mitbringen.“ Er salutiert und wendet sich zum Gehen.
„General Beg.“ Zia versucht die Autorität aufzubringen, die ihn im Stich zu lassen scheint. General Beg dreht sich um, seine Miene ist geduldig und ehrerbietig, aber noch immer verbirgt die verspiegelte Sonnenbrille seinen Blick. General Zia reibt sich das linke Auge. „Mir ist etwas ins Auge geflogen“, sagt er. „Kann ich mir mal Ihre Sonnenbrille leihen?“ General Zia fixiert General Beg, wartet, dass dieser die Sonnenbrille abnimmt und er ihm tief in die Augen sehen kann. Er denkt an das Geheimdienstprofil, das er vor Begs Beförderung angefordert hat. Etwas von einer Vorliebe für teure Parfüms, BMWs und Bertrand Russell hatte darin gestanden, nichts jedoch von einer Mango-Allergie und rein gar nichts über Sonnenbrillen.
General Begs Hände bewegen sich in völligem Gleichklang. Mit der linken nimmt er die Sonnenbrille ab und reicht sie General Zia, während er mit der rechten ein identisches Exemplar aus seiner Brusttasche hervorzieht und aufsetzt. In dem kurzen Moment, in dem seine Augen unbedeckt sind, sieht General Zia nur, was er bereits weiß: Beg verbirgt etwas vor ihm.
Es ist General Zias rechtes Auge, das dieses Urteil fällt. Das linke schweift an Beg und dem Säbel schwingenden jungen Shigri vorbei, der vergeblich versucht, sein Grinsen zu unterdrücken (wie der Vater, so der Sohn, denkt General Zia, kein Sinn für feierliche Anlässe). In der Ferne sieht er eine Fata Morgana, ein Mann in Uniform rennt über das Rollfeld. Er stürzt kühn auf sie zu, durchbricht die Sicherheitsabsperrungen, missachtet die Rufe der Kommandosoldaten und die entsicherten Kalaschnikows, denkt nicht an die nervösen Zeigefinger der Scharfschützen. Sie hätten ihn längst erschossen, würde er nicht die Uniform eines Majors tragen und die Hände in die Höhe halten, um seine friedliche Absicht zu demonstrieren. General Akhtar erkennt ihn als Erster und hebt die Hand, um den Scharfschützen zu signalisieren, nicht zu feuern. Sie haben Beine und Gesicht des Majors im Fadenkreuz und warten nur darauf, dass dieser Verrückte eine abrupte Bewegung macht.
General Akhtar empfindet die Erleichterung eines Mannes auf dem Galgen, dem man den Strick um den Hals gelegt hat und gerade die schwarze Kapuze überstülpt, während der Henker schon den Hebel einrichtet und das Henkersgebet spricht. Der Mann mit der Schlinge um den Hals wirft noch einen letzten Blick auf die Welt. Da sieht er in der Ferne einen Boten herangaloppieren, der die Arme schwenkt.
General Akhtar ist außerordentlich erleichtert, Major Kiyani zu sehen. Er weiß nicht, welche Botschaft der Major bringt, und ist dennoch froh. Just in dem Moment, als er schon aufgeben wollte, Gott um sein Eingreifen anzuflehen, erscheint ein Retter.
Noch immer sprachlos von General Begs geschmeidigem Manöver wirft General Zia, die Sonnenbrille in der Hand, einen oberflächlichen Blick auf Major Kiyani, der nun langsamer wird und wie ein Marathonläufer in der letzten Etappe auf sie zukommt. Einige Meter von ihnen entfernt bleibt er stehen und salutiert. Erst als statt des gewohnten schweren Stampfens der Militärstiefel das Klatschen von Peshawari-Sandalen auf dem Beton ertönt, schaut General Zia auf Kiyanis Füße. „Zum Teufel, Major“, sagt er. „Warum laufen Sie in Schlappen herum!“
Dies sollte sich als General Zias letzter klarer Gedanke erweisen, die letzte Äußerung, die für seine Mitreisenden in der Pak One einen Sinn ergab.