Prolog

Vielleicht haben Sie mich nach dem Absturz im Fernsehen gesehen. Der Filmausschnitt ist kurz, die sonnengebleichte Szenerie wirkt leicht verwaschen. Nach nur zweimaliger Ausstrahlung wurde der Beitrag zurückgezogen, da man einen ungünstigen Einfluss auf die Moral der Truppe befürchtete. Man sieht es in dem Ausschnitt nicht, aber wir gehen auf die Pak One zu, die auf der Rollbahn hinter dem Kameramann geparkt ist. Die Maschine ist noch mit einer Kraftstoffpumpe verbunden und wird von Soldaten in Tarnuniformen bewacht. Ihr stumpfgrauer Rumpf liegt nur knapp über dem Boden, so dass sie an einen an den Strand geworfenen Wal erinnert, der überlegt, wie er sich zurück ins Meer bugsieren soll, und angesichts der ungeheuren Aufgabe, die vor ihm liegt, die Nase hängen lässt.

Das Flugfeld liegt bei Bahawalpur mitten in der Wüste, sechshundert Meilen vom Arabischen Meer entfernt. Zwischen der gleißenden Wut der Sonne und der endlosen Weite des glitzernden Sandes gibt es nichts außer einem Dutzend Männern in Khaki, die sich auf das Flugzeug zubewegen.

Für einen Augenblick taucht General Zias Gesicht auf – das letzte Erinnerungsbild eines viel fotografierten Mannes. Sein Mittelscheitel glänzt in der Sonne, seine unnatürlich weißen Zähne blitzen, während sein Schnurrbart den üblichen kleinen Tanz für die Kamera aufführt, doch als sie zurückfährt, erkennt man, dass er nicht lächelt. Einem aufmerksamen Beobachter fällt vielleicht auf, dass der General sich unbehaglich fühlt. Er hat den Gang eines Mannes, der unter Verstopfung leidet.

Rechts von ihm schreitet Arnold Raphel, der US-amerikanische Botschafter in Pakistan, dessen spiegelnde Glatze und sorgfältig gepflegter Schnurrbart ihm den Anschein eines geachteten homosexuellen Geschäftsmannes aus einer amerikanischen Kleinstadt verleihen. Man sieht, wie er ein unsichtbares Sandkorn vom Revers seines blauen Blazers schnippt. Hinter dem lässig-adretten Äußeren verbirgt sich ein hervorragender diplomatischer Geist. Raphel ist Verfasser scharfsinniger, präziser Memoranden und besitzt die Fähigkeit, noch im erbittertsten Wortwechsel höflich zu bleiben. Links von Zia schleppt sich sein früherer Meisterspion und Kopf des Geheimdienstes General Akhtar vorwärts, vom Gewicht des halben Dutzends Orden an seiner Brust niedergedrückt, als wäre er der Einzige der Gruppe, dem klar ist, dass sie diese Maschine nicht besteigen sollten. Er presst die Lippen aufeinander, und obwohl die brennende Sonne sich alles untertan macht und der Landschaft sämtliche Farben entzieht, ist zu erkennen, dass sein für gewöhnlich bleicher Teint ein feuchtes Gelb angenommen hat. Am folgenden Tag werden die Nachrufe in den Zeitungen ihn als schweigsamen Soldaten und als einen der zehn Männer schildern, die zwischen der Freien Welt und der Roten Armee standen.

Als die Gruppe sich dem roten Teppich nähert, der zur Gangway der Pak One führt, trete ich nach vorn. Man sieht gleich, dass ich der Einzige bin, der lächelt, doch als ich salutiere und auf die Maschine zugehe, verschwindet mein Lächeln. Heute weiß ich, dass ich vor einem Haufen toter Männer salutiere. Aber in Uniform salutiert man. So ist das. Später werden Absturzexperten von Lockheed die Trümmer der Maschine zusammensetzen und verschiedene Szenarien simulieren, um das Rätsel zu entschlüsseln, wie eine völlig intakte C-130 kaum vier Minuten nach ihrem Start vom Himmel fallen kann. Astrologen werden ihre Vorhersagen für den August 1988 hervorkramen und Jupiter die Schuld an dem Absturz geben, der die gesamte Lametta-Riege der pakistanischen Armee plus den amerikanischen Botschafter auslöschte. Linke Intellektuelle werden auf das Ende einer grausamen Diktatur anstoßen und die historische Dialektik solcher Ereignisse verkünden.

Doch diesen Nachmittag hält die Geschichte noch Siesta, wie sie es für gewöhnlich zwischen dem Ende eines Krieges und dem Beginn des nächsten tut. Über hunderttausend Sowjetsoldaten machen sich zum Abzug aus Afghanistan bereit, nachdem man sie dazu herabgewürdigt hat, mit Stiefelwichse bestrichenen Toast zu essen, und die Männer, die wir in dem Fernsehausschnitt sehen, sich als unumstrittene Sieger erwiesen haben. Sie bereiten sich auf den Frieden vor und sind – vorsorglich, wie es ihre Art ist – nach Bahawalpur gekommen, um Panzer zu kaufen und in Ruhe das Ende des Kalten Krieges erwarten zu können.

Ihr Tagwerk ist vollbracht, die Männer machen sich auf den Heimflug. Sie haben volle Bäuche und der Gesprächsstoff ist ihnen ausgegangen. Es herrscht die verhaltene Ungeduld höflicher Menschen, die einander nicht zu nahe kommen wollen. Erst später werden die Leute sagen: Schaut euch diesen Film an, wie müde sie sich dahinschleppen. Diese Männer werden von der unsichtbaren Hand des Todes ins Flugzeug geschoben. Das sieht doch jeder.

Die Familien der Generäle werden volle Entschädigung erhalten und fahnendrapierte Särge, mit der strikten Anweisung, sie nicht zu öffnen. Die Familien der Piloten werden verhaftet und einige Tage in Zellen mit blutbespritzten Wänden und Decken geworfen, dann dürfen sie gehen. Die Leiche des amerikanischen Botschafters wird in die Vereinigten Staaten überführt und auf dem Friedhof in Arlington beigesetzt. Ein salbungsvoller Spruch ziert seinen Grabstein. Autopsien werden nicht vorgenommen, alle Spuren verlaufen im Sande. Ermittlungen werden verhindert, es wird vertuscht, um Vertuschtes zu vertuschen. Dass Diktatoren in der dritten Welt unter mysteriösen Umständen in die Luft fliegen, ist nichts Ungewöhnliches, aber wenn der hellste Stern am Firmament des US-amerikanischen diplomatischen Dienstes – als welchen man Arnold Raphel bei seiner Beisetzung auf dem Arlington-Friedhof bezeichnet – mit acht pakistanischen Generälen abstürzt, wäre zu erwarten, dass zumindest irgendjemand Arschtritte verteilt.

Vanity Fair gibt einen investigativen Bericht in Auftrag, die New York Times widmet der Affäre zwei Leitartikel, und Söhne der Verstorbenen reichen Petitionen bei Gericht ein, um sich dann mit lukrativen Kabinettsposten besänftigen zu lassen. Es wird festgestellt, dass es sich um den größten Vertuschungsskandal seit dem letzten größten Vertuschungsskandal in der Geschichte der Luftfahrt handelt.

Der einzige Zeuge jedoch, der Einzige, der diesen von der Kamera eingefangenen Weg gegangen ist, blieb völlig unbeachtet.

Denn wer diesen Ausschnitt verpasste, der verpasste wahrscheinlich auch mich. Wie die Geschichte. Ich bin der, der davonkam.

Was man im Wrack des Flugzeugs fand, waren keine Leichen, keine Märtyrer mit friedlichen Gesichtern, wie die Armee es behauptete, keine lädierten, ein wenig entstellten Männer, die nicht fotogen genug waren, um sie den Kameras oder ihren Familien zu präsentieren. Es waren Überreste. Fleischfetzen, die an geborstenen Flugzeugteilen klebten, verkohlte Knochen, die in verbogenem Metall steckten, abgetrennte Gliedmaßen und zu rosa Fleischklumpen zusammengeschmolzene Gesichter. Niemand wird je erfahren, ob der Sarg, der auf dem Friedhof in Arlington beigesetzt wurde, nicht auch ein paar Stückchen von General Zia enthielt, und ob das, was in der Shah-Faisal-Moschee in Islamabad liegt, keine Teile vom hellsten Stern des US-Außenministeriums enthält. Mit Sicherheit lässt sich nur eins sagen: In keinem der beiden Särge sind Überreste von mir.

Yes, Sir, ich bin der, der davonkam.

Der Name Shigri tauchte in den Untersuchungen nicht auf, die Ermittler des FBI ignorierten mich, und ich musste nie unter einer nackten Glühbirne sitzen und die Umstände erklären, die zu meiner Anwesenheit am Schauplatz der Ereignisse geführt hatten. Nicht einmal in den Geschichten, die man erfand, um die Wahrheit zu vertuschen, wurde ich erwähnt. Nicht einmal die Verschwörungstheorien, nach denen ein nicht identifiziertes Flugobjekt mit der Präsidentenmaschine kollidiert sei, oder geistesgestörte Zeugen, die gesehen hatten, wie vom Rücken eines Esels eine Boden-Luft-Rakete abgefeuert wurde, machten sich die Mühe, etwas über den Jungen in Uniform zu erfinden, der – eine Hand an der Scheide seines Säbels – nach vorne trat, lächelte, salutierte und sich entfernte. Ich war der Einzige, der an Bord der Maschine ging und überlebte. Und sogar noch eine Mitfahrgelegenheit nach Hause bekam.

Falls Sie den Ausschnitt im Fernsehen gesehen haben, haben Sie sich vielleicht gefragt, was dieser Junge, der seinem Aussehen nach aus den Bergen stammt, mit all diesen Vier-Sterne-Generälen in der Wüste zu schaffen hatte, und warum er lächelt. Dazu war es gekommen, weil ich meine Strafe bereits erhalten hatte. Es hat etwas Poetisches, ein Verbrechen zu begehen, nachdem man seine Strafe bereits verbüßt hat, hätte Obaid gesagt. Ich habe kein großes Interesse an Poesie, aber diese Art der vorgezogenen Bestrafung hat tatsächlich etwas Operettenhaftes. Die Schuldigen begehen das Verbrechen, die Unschuldigen werden verurteilt. Das ist die Welt, in der wir leben.

Meine Bestrafung begann genau zwei Monate und siebzehn Tage vor dem Absturz, als ich beim Weckruf erwachte und, ohne die Augen zu öffnen, Obaid die Decke wegzog, eine Gewohnheit, die ich in den vier Jahren, in denen wir die Stube teilten, angenommen hatte. Es war die einzige Möglichkeit, ihn aufzuwecken. Meine Hand strich über ein leeres Bett. Ich rieb mir die Augen. Sein Bett, frisch gemacht, ein gestärktes weißes Laken über die graue Wolldecke gespannt, erinnerte an eine Hinduwitwe in Trauer.

Obaid war weg, und die Mistkerle würden natürlich sofort mich verdächtigen.

Man kann unseren Männern in Uniform alles Mögliche vorwerfen, aber Phantasie zählt nicht dazu.