8
Sabrina
Samstag beim Mittagessen, 23. September
Ich runzele die Stirn und schaue zu dem Schild auf, als Matt mir die Tür zum Restaurant öffnet. »Ist das eine Kette?«
»Genau.«
»Aber …«
Er legt mir eine Hand auf den Rücken und schiebt mich dann vorwärts.
Ich wappne mich gegen eine schauerliche Einrichtung, grässliche Beleuchtung und den Geruch nach alten Zwiebelringen. Wappne mich gegen alles, das mich an meine Kindheit erinnert, an die Gelegenheitsjobs meiner Mutter in schmutzigen, schäbigen Restaurants, bis sie unweigerlich gefeuert wurde …
Ich bin angenehm überrascht.
Die Beleuchtung ist schmeichelhaft gedimmt, und das Restaurant scheint aus hohen Sitznischen aus schwarzem Leder zu bestehen. Rotes Vinyl oder Papierserviettenspender sind nirgends zu sehen. Nichts, das meine Philly-Flashbacks auslösen könnte.
Matt geleitet mich zum Tresen. Ich erlaube es ihm, vor allem weil es mir irgendwie weniger intim vorkommt, Seite an Seite auf Barhockern zu sitzen als einander gegenüber in einer Nische.
»Weißt du, hier wird uns niemand sehen«, sage ich, setze mich neben ihn und lege meine Handtasche auf den Hocker an meiner anderen Seite. Die Einkaufstüten – das komplette Dutzend – werden mir wie geplant nach Hause geliefert. »In Ketten-Restaurants gehen wochentags nur kleine Angestellte, und an den freien Tagen sind Touristen da.«
»Ich weiß«, brummt er.
»Und warum sind wir dann hier?«
»Weil es mir gefällt«, antwortet er.
»Okay, schön, warum bin ich hier?«
Er seufzt. »Ehrlich, ich weiß es nicht. Ich habe es nicht durchdacht. Ich weiß nur, dass ich gerade eine obszöne Menge Geld dafür ausgegeben habe, dir vor den Augen jeder Menge Zeugen Klamotten zu kaufen. Du hast deine Freundin dazu gebracht, unsere Namen in die Tratschmühle zu werfen. Morgen werden wir einen spießigen Brunch mit winzigen Tellern voller Scheiße wie Endivien und Würstchen von freilaufenden Truthähnen ertragen müssen. Also will ich jetzt nichts anderes, als in relativer Stille hier zu sitzen und ein riesiges Roastbeef-Sandwich verzehren, mit einem noch riesigeren Martini. Okay?«
Ich schürze die Lippen und denke nach. »Okay.«
Seine Augen werden schmal. »Das ist vielleicht das Furcht einflößendste Wort, das du je von dir gegeben hast.«
»Wie kommst du darauf?«, frage ich und nehme einen Schluck von dem Wasser, das mir der Barkeeper gerade hingestellt hat.
Matt beugt sich ein wenig zu mir hinüber. »Wie leicht du vergisst, dass ich dich kenne. Und ich weiß, dass jedes Mal, wenn du bei irgendetwas einfach so zustimmst, todsicher die Hölle folgt.«
Ich verberge mein Lächeln, denn verdammt … er kennt mich wirklich. Bereitwillige Zustimmung zu irgendetwas und so zu tun, als sei ich absolut ergeben, sind schon lange der Kern meiner Strategie, allem und jedem einen Schritt voraus zu sein, das mir begegnet.
Verstehen Sie, der Trick, die Kontrolle zu behalten, besteht darin, andere Menschen denken zu lassen, sie hätten die Kontrolle. Niemand lässt schneller in seiner Wachsamkeit nach als ein Mensch, der denkt, er oder sie würde das Schiff steuern.
Doch um die Wahrheit zu sagen, ist mein »Okay« gerade jetzt wirklich nur das – ein Okay.
Matt ist nicht der Einzige, der müde ist. Sicher, wir sind seit gerade mal zwei Stunden zusammen und haben die meiste Zeit davon damit zugebracht, Champagner zu trinken und einzukaufen.
Nicht gerade ein hartes Tagewerk.
Und doch, es sind Matt und ich. Was bedeutet, dass es so etwas wie Leichtigkeit nicht gibt. Ich war mir in jeder einzelnen Minute seiner nur allzu bewusst, und lassen Sie mich bloß nicht davon sprechen, was das in der Ankleidekabine war.
Ich weigere mich, vor mir selbst zuzugeben, wie nah ich daran war, aus diesem Kuss etwas mehr werden zu lassen. Mich von ihm an die Wand drücken zu lassen. Für einen Quickie in einer Umkleidekabine, um Himmels willen.
Das ist genau das überstürzte und krasse Benehmen, das zu vermeiden ich versucht habe, seit ich erwachsen bin. Ich bin weniger durch Klugheit oder auch nur durch harte Arbeit dahin gekommen, wo ich bin, sondern durch Impulskontrolle. Ich behalte die Kontrolle, immer.
Nun, fast immer. Der Mann neben mir ist da die einzige Ausnahme.
»Möchten Sie zu dem Wasser noch etwas anderes?«, fragt der blonde Barkeeper mit einem freundlichen Lächeln.
Matt bedeutet mir mit einem Nicken, als Erste zu bestellen.
»Einen Belvedere-Martini. Drei Oliven«, sage ich.
»Das Gleiche für mich«, echot Matt. »Aber mit einer Zitronenscheibe.«
»Kommt sofort.« Der Barkeeper entfernt sich, um den Wodka zu holen.
»Belvedere, hm? Ich hätte dich für ein Goose-Mädchen gehalten.«
»Ich bin ein Wodka-Mädchen«, erkläre ich und greife nach der Speisekarte. »Ich trinke jeden Wodka.«
»Und da dachte ich, wir hätten nichts gemeinsam.«
»Nichts gemeinsam zu haben, war nie unser Problem«, entgegne ich, während ich die Salate überfliege. Geräucherten Thunfisch oder Huhn? Entscheidungen, Entscheidungen.
»Ach ja? Was ist denn unser Problem?«, fragt er und dreht sich zu mir um.
Ich lege die Speisekarte zurück auf den Tresen und falte die Hände. »Nun. So aus dem Stegreif würde ich sagen, es fängt mit der Tatsache an, dass du ein anmaßendes Arschloch bist, und ich bin …«
»Eine nachtragende Zicke?«
»Es ist nicht so, als würde ich dir eine eingebildete Kränkung nachtragen«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Nein. Aber du trägst mir etwas nach, das vor vier Jahren passiert ist. Und für das ich mich ungefähr hundertmal entschuldigt habe.«
»Ich will nicht darüber reden.«
»Siehst du, das ist unser Problem«, sagt er und hebt leicht die Stimme. »Du willst nie darüber reden, also sitzen wir hier, Jahre später, und hassen einander immer noch wie die Pest.«
»Vergisst du nicht gerade, wer dir gegenwärtig hilft, deinen Job zu retten?«
»Vergisst du nicht gerade, was für einen verdammten Haufen Geld ich dafür ausgebe, dass du das tust?«, blafft er zurück. »Du hast dich ja wohl kaum aus reiner Herzensgüte freiwillig dafür gemeldet.«
»Ich habe kein Herz. Warst du nicht derjenige, der mir das gesagt hat?«
»Oh Mann«, murmelt er und fährt sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Mit uns hört das nie auf, nicht wahr?«
Ich antworte nicht.
Der Barkeeper erscheint mit zwei herrlich großen Cocktails. »Möchten Sie heute etwas essen oder nur die Drinks?«
Zum Kuckuck mit dem Salat. Grüner Salat reicht nicht zum Auftanken, um mit diesem Mann fertig zu werden. »Ich nehme das Roastbeef-Sandwich«, sage ich. »Mit Pommes.«
Matt wirft mir einen überraschten Blick zu. »Ich nehme das Gleiche. Mit einer zusätzlichen Portion Meerrettich.«
»Warum siehst du mich so an?«, frage ich, als der Barkeeper nach unseren Speisekarten greift und geht.
»Irgendwie hatte ich von dir eine Salat-mit-Dressing-am-Rand-Bestellung erwartet.«
»Tja, Streitigkeiten mit dir machen Appetit.«
Er grinst. »Weißt du, was sonst noch Appetit macht?«
Ich lache leise, weil sein Gesichtsausdruck so typisch geiler Kerl ist. »Wir tun das nicht. Hast du unseren Plan vergessen, von der Streiten-und-Vögeln-Basis wegzukommen?«
»Das war dein Plan«, murmelt er. »Mir war es ganz recht, wie es gelaufen ist.«
Ich nippe an meinem Drink. »Meinst du, dass das mit uns vielleicht deshalb so ist, weil wir so schnell miteinander ins Bett gestiegen sind?«
»Du meinst, ob ich es bereue, gleich in der ersten Nacht mit dir geschlafen zu haben? Absolut nicht.«
»Ich wette, du bereust den Morgen danach«, antworte ich und werfe ihm aus dem Augenwinkel einen leeren Blick zu.
Er schaut mich an. »Das weißt du längst.«
Ich nehme noch einen Schluck von meinem Drink. Er hat recht. Ich weiß es. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, er hat sich tatsächlich dafür entschuldigt, was er an diesem Morgen gesagt hat. Und noch ein Dutzend Mal danach.
Verdammt, ich bezweifle nicht einmal, dass die Entschuldigungen ihm erheblich ernster waren als die spontane Beleidigung, die uns überhaupt in unsere Rollen als Gegner hineinmanövriert hat.
Also denken Sie jetzt, dass er recht hat. Dass ich wirklich eine Xanthippe bin, die ihren Groll nicht loslassen kann.
Ich bekenne mich in Ersterem für schuldig. Ich habe nie vorgegeben, eine nette süße Frau zu sein.
Was die Sache mit dem Groll betrifft, es ist weniger Groll als … Selbstschutz. Matt Cannon hat mir an jenem Morgen auf eine Weise wehgetan, von der ich mir immer selbst versprochen habe, dass niemand mir je wieder so wehtun kann.
Ich habe nicht die Absicht, das noch einmal passieren zu lassen. Lieber bin ich zornig als verletzt, und obwohl es ihm vielleicht nicht einmal bewusst ist, geht es ihm wahrscheinlich genauso.
»Okay, lass uns zum Geschäftlichen kommen«, sage ich und schiebe mir eine Olive in den Mund. »Es ist gut, das Fundament gelegt zu haben, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Sams die Klatschseite lesen oder mit Georgie und Crew durch die Klubs ziehen. Wir streuen Körner aus, um diese ganze Sache glaubwürdig zu machen, aber wie erreichen wir die Leute, die zählen?«
»Du meinst die Kunden, die drohen wegzugehen, weil es ihnen nicht gefällt, wie ich meine Wochenenden verbringe?«, knurrt er in seinen Martini.
»Diese Leute haben dir etwas mehr als ihr Sparschwein anvertraut, Cannon. Du jonglierst Tag für Tag mit Millionen. Sie haben keine Ahnung, wie dein Leben aussieht, bis auf das, was sie im Wall Street Journal gelesen haben. Niemand will sich vorstellen, dass der Mann auf diesem Foto derjenige ist, der die Schlüssel zu seiner Altersversorgung in Händen hält.«
»Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie den Mann wollen, der seine Kreditkarte zum Glühen bringt, um seiner ›Freundin‹ Kleider zu kaufen.«
Ich tätschele lächelnd seinen Arm. »Ich werde morgen alles wieder zurückbringen, falls es dein Budget sprengt.«
Er lässt sein Glas gegen meins klirren, um mir zuzuprosten. »Mach dir deshalb keine Sorgen. Ich kann es mir leisten, und es war jeden Penny wert zu wissen, dass du jedes Mal an mich denken wirst, wenn du dich anziehst. Oder ausziehst.«
Mein Lächeln verrutscht, und seins wird breiter. »Guter Zug«, murmele ich.
»Ich dachte mir, dass du das zu schätzen weißt«, antwortet er mit einem Augenzwinkern. »Okay, also, wegen dieser Gala, zu der du mich begleiten musst … Es handelt sich um eine große, schicke Wohltätigkeitsveranstaltung …«
»Ich war schon früher bei der Wolfe Gala, Matt.«
»Klar. Als Ians Date.«
»Als Ians gute Freundin «, korrigiere ich ihn, obwohl das nicht nötig sein sollte. Gerade Matt weiß, dass Ians und meine Beziehung rein platonisch ist und immer war.
»Nun, in diesem Jahr wirst du mit mir hingehen. Als meine feste Freundin.«
»Gespielte feste Freundin«, verdeutliche ich und schiebe meinen Drink aus dem Weg, um Platz für die Sandwiches zu machen, die der Barkeeper vor uns hinstellt.
»Korrekt. Wenn wir einander nicht vorher umbringen«, murmelt Matt und nimmt einen riesigen Bissen von seinem Roastbeef-Sandwich.
Ja. So ist das.
Wir verfallen beide in Schweigen, und ich habe das Gefühl, dass seine Gedankengänge meinen wahrscheinlich ziemlich ähnlich sind:
Wie zum Teufel soll das funktionieren?
Wie können wir so tun, als seien wir ineinander verliebt, wenn wir es kaum ertragen können, zusammen im selben Raum zu sein? Ich war mir so sicher, dass die erzwungene Nähe die Dinge zwischen uns ändern würde, aber bisher fühlt sich unsere Beziehung komplizierter an denn je. Gott weiß, dass meine Gefühle … verworren sind. Und das hasse ich. Ich hasse es, dass …
»Das Ganze wird nicht funktionieren«, unterbricht Matt meine Gedanken.
Bei seinen Worten wird mir flau im Magen, obwohl ich nicht weiß, ob es ein Schlag für meinen professionellen Stolz ist oder wegen meiner persönlichen Verstrickungen. »Wie meinst du das?«
Er schiebt seinen Teller von sich und wischt sich den Mund ab. »Wir treiben einander in den Wahnsinn.«
»Das hast du schon gewusst, als du mich gebeten hast, dir zu helfen«, bemerke ich.
»Eine vorübergehende geistige Umnachtung. Ich habe vergessen, wie frustrierend du sein kannst.«
»Ich?! Du bist derjenige, der …« Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen, entschlossen, ihn mir nicht unter die Haut gehen zu lassen. »Es ist der erste Tag. Klar, dass es ein paar Stolperer und Auseinandersetzungen gibt, wenn man unsere Vorgeschichte bedenkt.«
Matt wirft mir einen neugierigen Blick zu. »Ich biete dir einen Ausweg an. Warum ergreifst du die Möglichkeit nicht?«
Das ist eine gute Frage. Ich sollte den Ausweg nehmen. Ich sollte uns beide aus dieser Situation herausmanövrieren, bevor alles zum Teufel geht, aber …
Der Gedanke an Versagen schmeckt bitter. Mein ganzes Selbstwertgefühl basiert auf meiner Fähigkeit, jede Situation zu beherrschen. Jede Situation in Ordnung zu bringen.
Ich werde nicht zulassen, dass er mir das wegnimmt.
»Du hast mich für einen Job engagiert«, antworte ich leise. »Lass ihn mich machen.«
»Darum geht es also bei alldem? Um unseren Vertrag?«, fragt er und hält meinen Blick fest.
Ich zögere nur einen Sekundenbruchteil, bevor ich nicke, aber daran, wie seine Augen sich verengen, sehe ich, dass er das Zögern bemerkt hat. Dass er den Verdacht hat, es gehe hier um mehr als um meinen Job. Um mehr als seinen Job.
Trotzdem nickt er nur zustimmend und dringt nicht weiter in mich. Sonst bekäme er womöglich Antworten, für die keiner von uns bereit ist.