10
Matt
Sonntagsbrunch, 24. September
»Warum grinst du nicht hämisch?«
Sabrina nimmt einen Schluck von ihrem Mimosa. »Warum sollte ich grinsen?«
»Weil du ganz genau weißt, dass du mir den Arsch gerettet hast.«
Sie zuckt die Achseln. »Dafür bezahlst du mich. Ich brauche nicht hämisch zu grinsen. Ich weiß bereits, dass ich gut in dem bin, was ich tue.«
»Ja, bist du. Ich … habe dich unterschätzt. Entschuldige bitte.«
Sie wirft mir einen verblüfften Blick zu, dann mustert sie mich, als suche sie nach Sarkasmus. Sie kann mich ansehen, so viel sie will; da ist kein Sarkasmus. Ich kann Anerkennung zollen, wenn jemand sie verdient, und Sabrina verdient sie ganz eindeutig.
Wir sitzen seit fast einer halben Stunde an unserem Tisch, und mit jedem verstreichenden Moment wird meine Anspannung ein klein wenig geringer. Obwohl ich noch nicht aus dem Schneider bin, was meinen Ruf betrifft, bin ich zuversichtlich, dass ich einen großen Schritt in Richtung Schadensbegrenzung weitergekommen bin, dank Sabrina.
»Beobachten sie uns?«, frage ich.
»Kann ich nicht erkennen«, antwortet Sabrina. »Aber nur für den Fall des Falles …« Sie spießt eine Gabel Ei auf und hält sie für mich über den Tisch, ein anhimmelndes Lächeln auf dem Gesicht.
Ich verdrehe die Augen, etwas, das ich mir leisten kann, da ich mit dem Rücken zu den Wolfes und Feinstein sitze.
Trotzdem esse ich pflichtschuldigst das Ei von ihrer Gabel, denn anscheinend tun verliebte Menschen das. Davon habe ich keine Ahnung.
»Meinst du, er hat es dir abgekauft?«, frage ich.
»Wer, Adam?«, gibt sie zurück, bevor sie einen weiteren Schluck von ihrem Mimosa nimmt.
Ich schüttele den Kopf über ihre lässige Verwendung seines Vornamens. »Ja, Adam. Wie kommt es, dass du nie erwähnt hast, dass du Adam Feinstein beim Vornamen nennst und wie eine beste Freundin mit ihm verkehrst? Und mit seiner Frau? Und mit seiner Tochter?«
»Dafür bezahlst du mir die großen Scheine«, antwortet sie mit einem Lächeln. »Und sie sind eine wirklich nette Familie. Letztes Jahr haben sie mich zu einer Chanukka-Party eingeladen.«
»Du feierst Festtage mit ihnen? Du bist nicht einmal Jüdin.«
Sie zuckt die Achseln. »Na und? Sie wissen das. Genau wie sie wissen, dass die Feiertage einsam sein können.«
Bei diesen Worten schaue ich auf, ein wenig verblüfft über dieses Eingeständnis. Aus irgendeinem Grund ist mir nie in den Sinn gekommen, dass jemand, der so kess und selbstbewusst ist wie Sabrina Cross sich jemals einsam fühlen könnte, aber …
Natürlich fühlt sie sich einsam. Wie könnte sie das nicht? Meine Familie treibt mich die Wände hoch, verdammt, aber es ist trotzdem ein warmer Ort, um die Feiertage da zu verbringen, wo man sich freut, mich zu sehen.
Ich kenne die Details von Sabrinas familiärer Situation nicht und weiß nur, dass sie keine Familie hat. Oder zumindest keine, mit der sie in Kontakt steht.
Meine Kehle schnürt sich zu vor schlechtem Gewissen darüber, dass ich nie auf den Gedanken gekommen bin, sie in irgendwelche Festtagsaktivitäten einzuschließen. Nicht dass sie mein Angebot angenommen hätte, aber die Vorstellung, dass sie solche Tage ganz allein verbringt …
»Hör auf, mich so anzusehen«, sagt sie, während sie an einem Stück Schinken knabbert.
»Wie sehe ich dich denn an?«
»Als würde ich dir leidtun. Ich versichere dir, ich komme blendend mit meinem Feiertagsprogramm zurecht.«
Am liebsten würde ich nachhaken. Ob sie allein feiert. Oder mit Ian. Oder …
»Deine Häschen sind gerade gegangen«, vermeldet sie und lenkt meine Gedanken ab.
»Meine Häschen?«
»Die Barhäschen: Kara und Robin.«
Ich zucke zusammen. »Ach so. Zu meiner Verteidigung möchte ich erwähnen …«
Sie hebt die Hände. »Tu es nicht. Du schuldest mir keine Erklärungen, erinnerst du dich? Und ich bin mir sicher, dass es ein absolut vernünftiges Argument dafür gibt, dass du dir nicht die Mühe machst, dich an die Namen der Frauen zu erinnern, mit denen du …«
Ich beuge mich über den Tisch und stopfe einen Bissen von meinen Eiern Benedikt in ihren plappernden Mund.
»Tut mir leid«, sage ich, während sie kaut und mich dabei böse anfunkelt. »Ich dachte, ich hätte Feinstein auf uns zukommen sehen. Ich wollte ihn wissen lassen, wie vernarrt ich in dich bin, indem ich meine Mahlzeit mit dir teile.«
Sie schluckt und öffnet den Mund.
»Und«, füge ich hinzu, bevor sie sprechen kann, »damals habe ich ihre Namen gekannt. Es ist einfach … eine Weile her. Ich meine, wie stehen die Chancen, dass zwei Frauen, mit denen ich seit Jahren nicht geschlafen habe, nicht nur einander kennen, sondern auch heute hier auftauchen, im selben Restaurant wie wir?«
»Es ist ein beliebtes Brunch-Lokal«, sagt sie und zieht die Schultern hoch. »Ich kenne die Hälfte der Gäste hier.«
»Ja, das ist mir schon aufgefallen. Es vergehen ja keine fünf Minuten, ohne dass jemand vorbeikommt, um sich bei dir einzuschleimen.«
»Was zu deinen Gunsten ist.« Sie deutet mit ihrem Mimosa auf mich. »Je mehr Leute uns zusammen sehen, umso besser.«
»Ich weiß.«
Sie beugt sich vor. »Warum bist du so angespannt? Es ist nur ein Brunch. Magst du Brunchen nicht?«
»Eigentlich nicht.«
»Jeder mag Brunch.«
»Nein, nicht jeder mag Brunch. Ich hasse das ganze Trara. Warum können wir nicht einfach einen Haufen Eier essen und es hinter uns bringen?«
Sie zieht die Brauen hoch. »Einen Haufen Eier?«
»Du weißt, was ich meine.« Ich schiebe meinen Teller beiseite. »Brunch ist immer ein fürchterliches Gewese.«
»Du regst dich ziemlich auf über eine Mahlzeit, Cannon. Bist du immer noch nervös?«
»Ja, das wird es wohl sein«, gebe ich zu. Ich dachte, meine Anspannung hätte sich gelegt, aber vielleicht hat sie nur ein wenig nachgelassen. Ich stehe immer noch … neben mir. »Mein Plan, dort aufzutauchen, wo ich die Sams vermutet habe, ist beinahe nach hinten losgegangen.«
»Tja, deshalb sollten wir meine Pläne befolgen. Aber wie dem auch sei, ich denke, ich habe dich recht hübsch aus diesem Haufen Scheiße rausgezogen. Obwohl ich mir, um ehrlich zu sein, nicht vorstellen kann, dass Adam sich in Geschäftsdingen auf dich verlassen wird. Er ist sehr altmodisch.«
»Das ist in Ordnung«, sage ich und nippe an meinem Mimosa. »Ich will ihn gar nicht als Kunden.«
»Ach nein?«
Ich schüttele den Kopf. »Die Sams sind seit Wochen hinter ihm her, aber wenn sie ihn bekommen, ist Kennedy die erste Wahl. Sie passen gut zueinander. Die beiden können über Schachstrategien sprechen oder was auch immer.«
Um die Wahrheit zu sagen: Ich liebe Schach. Und ich bin ein verdammt guter Schachspieler. Aber es ist nicht die Würde des Spiels oder etwas in der Art, das mein Blut in Wallung bringt, so wie das bei Kennedy der Fall ist.
»Ja, das klingt vernünftig«, erwidert sie nachdenklich. »Wenn ich mich nicht täusche, würde Kennedy wahrscheinlich verrückt werden, wenn er die Sammlung von Dickens-Erstausgaben der Feinsteins sieht.«
Schnarch.
»Außerdem ist er gerade gegangen.«
»Wer?«
»Adam.«
»Gott sei Dank«, sage ich und atme aus. »Ich hab mich wie auf dem Präsentierteller gefühlt. Die Sams sind nicht mit ihm zusammen los?«
Sie schüttelt den Kopf und schaut über meine Schulter hinweg zu ihrem Tisch hinüber. »Nein, sie sind nur noch zu zweit.«
»Und diskutieren wahrscheinlich darüber, wer von ihnen mich feuern muss.«
»Das glaube ich nicht«, murmelt Sabrina, die das ältere Ehepaar immer noch beobachtet. »Sie wirken irgendwie … romantisch. Sie füttert ihn mit einem Happen von irgendetwas Schokoladigem, und er hat ihr gerade etwas Puderzucker von den Lippen gewischt.«
»Würg.«
»Ich finde es irgendwie süß.«
Ich werfe ihr einen scharfen Blick zu, überrascht, einen sehnsüchtigen Ausdruck auf ihrem Gesicht zu sehen. »Moment mal.« Ich beuge mich vor. »Ich dachte, du hältst nichts von diesem ganzen Romantikquatsch.«
Sie zuckt die Achseln. »Tu ich auch nicht, nicht wirklich. Ich bin jedenfalls nicht der Auffassung, dass es eine einzige Person gibt, die jeden von uns vervollständigt, oder dass romantische Liebe verlässlich ist.«
»Stimmt.« Ich nicke. »Ehe ist scheiße.«
»Nein, das finde ich nicht«, antwortet sie.
»Genau, und – Moment mal. Was?«
»Ich finde nicht, dass Ehe scheiße ist«, wiederholt sie.
»Du hast gerade gesagt …«
»Ich habe gesagt, dass ich finde, Märchenversionen von Ehe sind scheiße«, verdeutlicht sie. »Aber mit der richtigen Einstellung, finde ich, kann die Ehe … schön sein. Auf ihre eigene Weise.«
»Willst du heiraten?«, frage ich, erschüttert bis ins Mark.
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Eines Tages. Ja, ich denke schon«, entgegnet sie und scheint sich für die Idee zu erwärmen. »Jemanden, der diesbezüglich mit mir auf der gleichen Wellenlänge liegt.«
»Welche Wellenlänge wäre das?«
Sie beißt sich auf die Unterlippe und denkt darüber nach. »Nun, ich will keine große weiße Hochzeit mit dem ganzen Lieben-und-Ehren. Aber ich will auch nicht unbedingt den Rest meines Lebens allein zubringen. Es wäre schön, jemanden zu haben, mit dem ich mein Leben teilen kann. Einen Gefährten.«
»Du hast Juno.«
Sabrinas weicher Gesichtsausdruck vergeht bei meinem unbedachten Einwurf. »Vergiss es.«
»Entschuldige«, sage ich und meine es ernst. »Das war eine miese Bemerkung von mir. Ich bin einfach überrascht. Ich dachte …«
»Du dachtest, wir wären beide Zyniker?«, sagt sie mit einem kleinen Lächeln. »Das sind wir. Ich meine ja nur, theoretisch kann ich den Reiz, einen Partner zu haben, nachempfinden. Jemanden, zu dem ich nach Hause komme, mit dem ich über meinen Tag spreche. Mit dem ich zu Abend esse.«
»Jemanden, mit dem du zum Brunch gehen kannst«, ergänze ich.
»Richtig. Genau das.«
Unsere Blicke kreuzen sich und verweilen, und etwas Seltsames geschieht zwischen uns.
»Aber du magst keinen Brunch«, bemerkt sie hastig.
»Stimmt. Nein. Definitiv nicht.«
»Gut«, antwortet sie.
»Großartig.«
Wir nehmen unser Mahl schweigend wieder auf, und obwohl sie das Gespräch auf meine »Ruf-Reha« zurücklenkt und auf ihre Pläne für die nächste Woche, fällt es mir schwer, mich auf das gegenwärtige Thema zu konzentrieren.
Ich kann nur an Sabrina denken und an ihre Vorstellung von einer Ehe als eine Art Partnerschaft. Und dass, falls und wenn sie einen solchen Partner findet, Schluss mit Mahlzeiten wie dieser sein wird.
Schluss mit uns. Was immer das mit uns ist.