21
Matt
Samstagabend, 30. September
Auf der Rückfahrt sprechen Sabrina und ich nicht viel miteinander, aber es ist ein freundschaftliches Schweigen.
Als wir wieder in der Stadt sind, ist es fast elf, und die frische Trockenheit des frühen Abends hat einem unbarmherzigen Regen Platz gemacht, der die scharfen nächtlichen Konturen weicher wirken lässt.
Andererseits könnte das auch die Wirkung der Frau neben mir sein. Ich hätte nie gedacht, dass Sabrina Cross etwas Beruhigendes an sich haben könnte. Schon immer ist sie der Brennstoff, der meine Flamme entzündet, der Funke, der mich in Brand steckt.
Sabrina seufzt, als ich auf die Park Avenue einbiege, wo ihr Wohnhaus liegt. »Früher habe ich den Regen geliebt.«
Ich schaue zu ihr hinüber, und die Lichter der Stadt lassen Schatten über ihr Profil huschen. »Früher?«
»Bis ich mir einen Hund angeschafft habe.«
»Juno ist kein Fan von Regen?«
»Sie kommt wunderbar zurecht mit Regen, solange es nicht donnert. Und
wenn auf eine Entfernung von sechs oder sieben Meter von ihr kein Regenschirm zu sehen ist. Oh, und habe ich erwähnt, dass sie ausflippt, wenn ich eine Kapuze trage?« Sie berührt ihr Haar. »Bye bye, schöne Frisur.«
»Ich nehme sie.«
Sie sieht mich an. »Was?«
»Ich gehe mit Juno Gassi.«
»Du gehst nicht mit meinem Hund Gassi.«
»Warum nicht? Ich habe es schon früher getan, wenn du nicht in der Stadt warst.«
»Ja, aber ich habe dich nicht darum gebeten. Ich habe Kate gebeten. Sie hat mich verraten.«
»Ja, ein echter Judas, diese Frau. Hör mal, du hast mich damals nicht darum gebeten, und du bittest mich jetzt nicht darum. Ich biete es freiwillig an.«
»Du hast ein Auto.«
»Ein Auto – stell dir das mal vor – das man parken
kann.«
»Es gibt nicht viele Parkplätze auf der Straße. Mein Wohnhaus hat eine Tiefgarage, aber sie ist … teuer«, beendet sie ihren Satz, während ich bereits in besagte Garageneinfahrt einbiege.
»Echt jetzt?«, antworte ich, lasse das Fenster herunter und drücke auf die Taste für ein Ticket. »Du hast keine Bedenken, dass ich vierstellige Summen für deine Kleider ausgebe, aber du machst dir Sorgen wegen …« Ich betrachte das Schild mit den Preisen für die Parkplätze. »Verdammt, das ist
teuer.«
»Nicht wahr?« Sie löst ihren Sicherheitsgurt. »Wenn du jetzt wendest, kannst du mit der Angestellten reden und ein wenig Süßholz raspeln. Du könntest behaupten, du bist versehentlich hier reingefahren.«
Ich ignoriere sie und biege in eine freie Lücke ein, dann stelle ich den Motor ab. Sie schnaubt. Ich grinse.
»Okay, na schön. Aber nur weil du meinen Hund ausführst, sind wir noch lange nicht quitt«, fügt sie hinzu, als wir aus dem Wagen steigen und zu den Aufzügen gehen. »Dieses Essen war schrecklich.«
Ich lache. »Das war es wirklich, nicht wahr?«
»Taucht Felicia immer zum Abendessen auf?«
»Nein, aber ihre Besuche sind in den letzten zwei Jahren häufiger geworden.«
»Hat deine Mutter jemals einen ihrer … Kerle mitgebracht?«
»Nein. Felicia ist geschieden, aber die Männer meiner Mom waren immer verheiratet. Ich fürchte, ihre Ehefrauen wären nicht allzu scharf darauf gewesen, sie zu einer gemütlichen Dinnerparty auszuleihen.«
Sie schüttelt den Kopf, während wir in den Aufzug treten. »Weißt du, ich habe in Manhattan schon eine Menge seltsame Sachen mitgemacht. Offene Ehen sind nicht annähernd so ungewöhnlich, wie du vielleicht denkst. Aber das ist das erste Mal, dass ich erlebt habe, wie die andere Frau sich dem Abendessen der Familie anschließt, komplett mit Sohn und dessen neuer Freundin.«
»Neue Erfahrungen ermögliche ich dir jederzeit gern.« Ich halte meinen Ton unbeschwert, weil ich spüre, dass sie mich beobachtet.
»Stört es dich?«
Ich sehe zu ihr hinüber, ohne den Kopf zu bewegen. »Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass ich mich daran gewöhnt habe?«
Sie denkt für einen Moment darüber nach. »Ja. Aber danach habe ich nicht gefragt.«
Wir erreichen ihr Stockwerk, aber erst als sie die Schlüssel aus ihrer Handtasche kramt, beantworte ich die Frage. »Ja. Ja, es stört mich.«
Sie nickt verständnisvoll, und ich bin erleichtert darüber, dass sie nicht weiter in mich dringt.
Stattdessen lassen wir uns von einer ekstatischen Juno begrüßen, die so beschäftigt damit ist, im Kreis umherzuspringen, dass ich ihr kaum die Leine anlegen kann.
»Macht es dir auch wirklich nichts aus?«, fragt Sabrina, während der Hund mich in Richtung Tür zieht.
»Du hast die trockenen Lammkoteletts meiner Mutter ertragen und das ABBA-Medley von der Geliebten meines Vaters. Das hier übernehme ich. Schlüssel?« Sie wirft sie mir zu, und ich fange sie auf.
Juno rennt wie der Blitz durch den Flur, geht im Aufzug ungeduldig auf und ab und zerrt mich dann durch die Lobby. Sobald wir draußen sind, bremst sie ab. Sie hasst den Regen vielleicht nicht, aber sie liebt ihn definitiv auch nicht. Sie erledigt schnell und effizient ihr Geschäft, bevor sie mich Richtung Tür zurückzerrt.
Trotzdem sind wir tropfnass, als wir in die Wohnung zurückkehren. Juan arbeitet heute Abend wieder, und er hebt lässig eine Hand, um mich im Vorbeigehen zu grüßen. Ich grinse und überlege, wie Sabrina es wohl findet, dass ihr Concierge inzwischen voll und ganz an mich gewöhnt ist.
Selbst wenn ich nicht bereits wüsste, wo Sabrina wohnt, Juno kennt den Weg. Ich lasse mich von ihr vor die Wohnungstür ziehen, wo sie ungeduldig mit dem Schwanz wedelt, bis ich den Schlüssel aus der Tasche gekramt habe.
Ich trete ein und löse die Leine des Hundes.
Als ich mich wieder aufrichte, fällt mein Blick auf Sabrina in der Küche, und Sehnsucht lässt mein Herz einen Schlag aussetzen. Sie hat bereits ihr Kleid ausgezogen und trägt jetzt enge schwarze Hosen und einen übergroßen Pullover, dessen Ärmel sie sich bis zu den Ellbogen hochgeschoben hat. Ihre Füße stecken in hässlichen grünen Socken, sie hat sich das Haar zu einem wirren Knoten aus dem Gesicht frisiert, und sie sieht … wunderschön aus.
Ich habe sie schon früher in Freizeitkleidung erlebt und ihr Haar in dem gleichen unordentlichen Knoten gesehen, aber nur wenn ich sie überrascht habe, indem ich unangemeldet aufgetaucht bin. Heute Abend wusste sie genau, dass ich sie sehen würde, wenn ich den Hund wieder nach oben bringe.
Vielleicht ist es als Warnung gedacht, dass sie sich in einem Outfit blicken lässt, das so offensichtlich nicht verführerisch ist, aber wenn das ihr Plan ist, geht der Schuss nach hinten los. Nichts könnte verführerischer sein als die Erkenntnis, dass sie bereit ist, mir gegenüber in ihrer Wachsamkeit nachzulassen.
Endlich.
Sie schaut auf, ein schwaches Lächeln auf ihren ungeschminkten Lippen. »Ich koche Tee. Willst du auch eine Tasse?«
Ich hasse Tee, aber ich spüre, wie ich nicke.
Sie sieht mich genauer an. »Du bist tropfnass.«
Ich schaue an mir hinab. »Ja. Ich würde dich ja fragen, ob du irgendwo Männersachen verstaut hast, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die Antwort hören will.«
»Ja, weil ich weiß, dass du seit unserer ersten Begegnung zölibatär gelebt hast«, gibt sie zurück und hängt zwei Teebeutel in eine Kanne. »Ich hole dir ein Handtuch.«
Es ist vor allem mein Pullover, der nass ist, daher ziehe ich ihn aus und hänge ihn über die Rückenlehne eines Stuhls. Nur mit meinem Unterhemd bekleidet stehe ich da, als sie zurück ins Wohnzimmer kommt und mir ein Handtuch zuwirft.
»Danke.« Ich rubbele mit dem Handtuch mein nasses Haar trocken. »Wo ist Juno?«
»Die Routine nach dem Kacken im Regen beinhaltet für gewöhnlich, dass sie sich geschlagene fünf Minuten lang auf dem Teppich in meinem Schlafzimmer auf dem Rücken herumwälzt. Ich habe gelernt, deswegen keine Fragen zu stellen.«
Sabrina greift nach ihrem Handy, um Musik einzuschalten, und die leisen Klänge einer Jazz-Sängerin, die mir nicht bekannt ist, erfüllen den Raum. Sie schnappt sich zwei Tassen und trägt sie mitsamt der Teekanne ins Wohnzimmer.
Sie stellt sie auf den Polsterhocker, der gleichzeitig als ihr Couchtisch fungiert, betrachtet ein Weilchen die Teekanne, dann blickt sie nachdenklich zu mir auf. »Darf ich dich etwas fragen?«
Ich setze mich neben sie auf das Sofa, darauf bedacht, Abstand zu wahren, voller Angst, den zerbrechlichen Waffenstillstand zwischen uns zu brechen. »Natürlich.«
Sie richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Teekanne und schenkt den Tee ein. »Sind deine Eltern der Grund, warum du so total gegen die Ehe bist?« Sie lächelt schwach und reicht mir eine Tasse.
Ich bedanke mich mit einem Nicken, bevor ich ihre Frage beantworte. »Wahrscheinlich.«
»Wahrscheinlich liegt es an deinen Eltern?«
Ich nicke. »Ich meine, es ist nicht so, dass ich miterlebt habe, wie verkorkst ihre Ehe ist, und deshalb ein Gelübde abgelegt habe, niemals in ihre Fußstapfen zu treten. Aber im Laufe der Zeit nimmt es ein Kind schon mit, das alles mitzukriegen – und ich habe es mitgekriegt. Sie haben es nicht mal bemerkt. Verdammt, so etwas nimmt selbst einen Erwachsenen mit.«
Ich wappne mich gegen die übliche Predigt – dass die Fehler meiner Eltern nicht unbedingt meine sein müssen, dass ich mein Leben nicht als Reaktion auf die Dummheiten eines anderen leben kann, et cetera et cetera. Alles, was jede Frau oder Freundin mir im Laufe der Jahre zu erklären versucht hat, bis ich es schließlich aufgegeben habe, darüber zu reden, und klargestellt habe, dass ich keine Beziehung will, Punkt.
Aber Sabrina kommt mir mit nichts Derartigem. Sie nickt nur. »Das verstehe ich. Sosehr ich Lara und allen die Daumen drücke und ihnen das Beste wünsche, ist die Wahrheit, dass ich verdammt viel mehr zerrüttete Beziehungen kenne als gute.«
Ich nehme einen Schluck Tee. Ich verabscheue ihn immer noch, aber die Wärme ist irgendwie schön.
Sie sieht mich mit einem kläglichen Lächeln an, als ich schweige. »Zu zynisch?«
»Nein«, antworte ich langsam. »Ich widerspreche dir nicht. Es ist einfach seltsam, es laut zu hören aus dem Mund eines anderen Menschen. Vor allem aus dem Mund eines Menschen, der genauso gegen die Ehe ist wie ich.«
»Eine gewisse Sorte von Ehe befürworte ich durchaus«, stellt sie klar. »Eine stille, undramatische, die nicht zu schmutzigen Szenen führt.«
»Was ist mit Sex?«
Sie blickt auf und mustert mich scharf. »Was soll damit sein?«
»Dieses Arrangement mit deinem künftigen Ehemann. Schließt es Sex ein?«
»Das will ich doch hoffen.«
Ich fahre mir mit der Zunge über die Schneidezähne, überrascht, wie sehr mich die Aussicht, sie könnte heiraten und mit jemand anderem schlafen, stört. Ich schüttele den Kopf. »Sex und ein gemeinsames Leben. Klingt für mich stark nach einer richtigen Ehe.«
»Das ist es auch«, sagt sie sachlich. »Nur ohne die Macht, einander wehzutun.«
»Aber würde es mit Sex nicht kompliziert werden? Emotional, meine ich.«
»Wir
haben es so gehalten«, gibt sie zurück und wirft mir einen direkten Blick zu.
»Ach ja?« Ich lehne mich zurück. »Mir scheint, dass da eine Menge Gefühle im Spiel waren, nur keine sanften.«
Sie dreht den Kopf in meine Richtung. »Hass?«
»Kein Hass. Niemals Hass. Zumindest nicht meinerseits.« Ich lächele und lasse den Blick über ihr Gesicht wandern. Ohne Make-up sieht sie jünger aus. Weicher.
»Aber Zorn«, sagt sie.
»Bestimmt. Ein wenig. Vielleicht sogar eine Menge«, pflichte ich ihr bei.
»Hast du dich je gefragt, warum das so ist? Worauf wir sauer sind?«
»Ich hatte schon immer eine ziemlich gute Vorstellung diesbezüglich. Wir haben in der ersten Nacht, nachdem wir uns kennengelernt hatten, miteinander geschlafen, ich habe am nächsten Morgen etwas Dummes gesagt, und du warst mit Recht wütend auf mich«, beeile ich mich hinzuzufügen, als sie drauf und dran zu sein scheint, mich zu unterbrechen. »Und danach …« Meine Stimme verliert sich, und ich nippe an dem Tee, der übrigens wie Spülwasser schmeckt.
»… haben wir es nicht so ganz hingekriegt, miteinander auszukommen«, beendet sie meinen Satz für mich.
»Du bist eine höllisch komplizierte Frau.«
»Und trotzdem bist du nicht weggegangen.«
»Wie meinst du das?«
Sie beugt sich vor und schaut auf die Tasse, aus der sie noch keinen Schluck getrunken hat. »Ich habe so viele schreckliche Dinge zu dir gesagt und du zu mir, und doch hütest du meinen Hund, wenn ich fort bin. Ich habe zugesagt, dir zu helfen, dein Leben wieder ins Lot zu bringen. Wir passen aufeinander auf, selbst wenn wir verzweifelt versuchen, einander aus dem Weg zu gehen.«
»Vergiss den exzellenten
Sex nicht.«
Sie lächelt, und es wirkt beinahe schüchtern. »Ja. Exzellenter Sex.«
Ich nehme ihr die Tasse aus den Händen, stelle sie auf den Hocker und stelle meine eigene daneben. »Wollen wir darüber reden, dass ich dich heute Abend geküsst habe?«
»Ich habe beschlossen, den Verstoß gegen den Vertrag zu übersehen. Du hast ein furchtbares Elternhaus, Cannon.«
»Das stimmt. Aber was ist deine Ausrede?«
»Ausrede wofür?«
»Dafür, dass du meinen Kuss erwidert hast.«
Sie wirft mir einen ärgerlichen Blick zu. »Darüber reden wir nicht.«
»Gut«, antworte ich schlicht. »Denn reden ist ganz und gar nicht das, was ich im Sinn hatte.«
Dann strecke ich die Hand aus und ziehe sie zu mir herüber.