23
Matt
Montagnachmittag, 2. Oktober
Keine Ahnung, was mit mir los ist, verdammt.
Ich sitze an einem Tisch einem Milliardär gegenüber, der es in Erwägung zieht, mir freie Hand mit seinem Geld zu lassen. Und statt mir den Augenblick des Sieges auszumalen, wenn ich Jarod Lanhams Auftrag bekomme, stelle ich mir ihn vor. Und Sabrina.
Als Paar.
Das Bild ist höllisch bitter, und doch geht es mir nicht aus dem Kopf. Denn Lanham ist nicht nur reicher als König Midas, er ist auch … anständig.
Und sieht anständig aus. Es war mir im Grunde immer scheißegal, ob Frauen einen anderen Mann attraktiv finden. Sicher, mir ist halbwegs bewusst, dass Ian und Kennedy gut aussehende Typen sind. Und dass Wolfes technischer Direktor Dan aussieht wie ein Pilz. Aber ganz allgemein gesprochen bin ich selbstbewusst genug, was meine eigenen Reize für das andere Geschlecht betrifft, um mir keine Sorgen wegen der Konkurrenz zu machen.
Und doch: Ich sitze hier und warte darauf, dass Lanham einen idiotischen Geschäftsmann abfertigt, der in unser Mittagessen geplatzt ist und ihm Honig ums Maul schmiert. Den Namen des Mannes habe ich bereits vergessen. Und dabei stelle ich fest, dass meine Aufmerksamkeit nicht dem Verkauf gilt. Sie gilt nicht dem überteuerten Kobe-Burger, den ich kaum angerührt habe. Stattdessen sehe ich Lanham an und versuche herauszufinden, ob er Sabrinas Typ ist.
Was Quatsch ist. Sabrina hat keinen Typ. Oder?
Es macht mir zu schaffen, dass ich das nicht weiß.
Ich weiß jedoch, wie Lanham Sabrina letzte Woche beim Lunch und später in der Bar angesehen hat. Er war ein Mann, der etwas gesehen hat, das er wollte – sie.
Und was sie betrifft, Sabrina hat … fasziniert
gewirkt.
Ich nehme einen Schluck von meinem Drink und mustere den Mann aus der Perspektive einer Frau. Aus Sabrinas Perspektive.
Verdammt.
Da gibt es kein Vertun, der Mann ist groß, dunkelhaarig, gut aussehend und absurd reich.
Nein, nicht reich. Ich
bin reich. Jarod Lanham ist überwältigend vermögend, einer, der so viel Geld hat, dass er nicht mal mit Spenden hinterherkommt.
Nicht dass Sabrina das interessieren würde. Ich kenne die Einzelheiten ihrer finanziellen Situation nicht, aber soweit ich das beurteilen kann, lebt sie finanziell sorglos. Ihre Wohnung ist zwar klein, liegt aber in einem luxuriösen Haus, und ich habe sie niemals zögern sehen, irgendetwas zu kaufen, das sie haben will, sei es eine neue Handtasche oder ein teures Glas Wein.
Oder erstklassige Kleider. Aber die hat sie natürlich einfach mir auf die Rechnung gesetzt. Es macht mir nichts aus. Aber Lanham würde es wirklich
nichts ausmachen. Verdammt, er hätte ihr den ganzen Laden kaufen können, wenn ihm danach zumute gewesen wäre.
Der Mann, der Lanham ein Ohr abkaut, hat inzwischen anscheinend begriffen, dass er nicht willkommen ist, schüttelt uns beiden zum Abschied die Hand und geht an seinen Tisch zurück.
Lanham lächelt entschuldigend. »Tut mir leid. Ich kenne den Mann kaum, aber er scheint zu denken, dass wir alte Freunde sind.«
»Kein Problem.« Ich nehme einen halbherzigen Bissen von meinem Burger; er nimmt einen enthusiastischeren von seinem Salat.
Ich will gerade in meine Einschätzung seines gegenwärtigen Portfolios einsteigen, mit dessen genauerer Betrachtung ich die halbe Nacht verbracht habe, als er als Erster das Wort ergreift.
»Stammen Sie von hier, Cannon?«
»Irgendwie schon. Aufgewachsen bin ich in Connecticut, aber mein Vater hat hier in der Stadt gearbeitet. Wir sind zu den üblichen Höhepunkten nach Manhattan gefahren – Broadway-Shows, der Weihnachtsbaum im Rockefeller Center, die Thanksgiving-Parade von Macy’s.«
Ich erzähle ihm nicht, dass es bei ungefähr der Hälfte dieser Ereignisse mein Dad und Felicia waren, die mich hergebracht haben, nicht mein Dad und meine Mom. Nicht weil es meine Mom nicht nach New York zog, sondern weil es ihr eine Chance bot, den Tag mit ihrem jeweiligen Liebhaber des Monats zu verbringen. Denn genau so lief das, was meine Eltern unter dem Namen »moderne Elternschaft« durchgezogen haben.
»Ich war nie bei so etwas«, sagt er, hebt sein Rotweinglas und lässt die Flüssigkeit nachdenklich darin kreisen. »Ich glaube, ich würde es gern nachholen.«
»Es wird überschätzt.« Ich greife nach einer Pommes und stecke sie mir in den Mund. »Die Parade ist verrückt, der Baum ist jedes Jahr genau derselbe, und von den Musicals will ich gar nicht erst reden.«
Er lächelt schwach. »Sie sind schrecklich zynisch, was Ihre Stadt betrifft.«
»Nichts von alldem ist meine Stadt«, erwidere ich nachdrücklich. »Nicht die echte Stadt. Die New Yorker mögen an den Touristenkram gewöhnt sein, so wie wir an das Chaos auf dem Times Square gewöhnt sind oder an den exorbitanten Preis, um auf die Spitze des Empire State Buildings zu gelangen. Aber das Herz der Stadt sind seine Bewohner, nicht die berühmten Orte oder Events.«
Lanham denkt einen Moment lang darüber nach, dann nickt er zustimmend und nippt an seinem Wein. »Das gefällt mir. Verdammt, die Stadt gefällt mir.«
Ich esse eine weitere Pommes und beobachte ihn. »Denken Sie über einen Umzug nach?«
»Ja.«
Hm.
Normalerweise wäre ich begeistert. Falls er zu meinem Kunden wird, und das ist immer noch ein großes
Falls, würde seine Ortsansässigkeit mir meinen Job erleichtern. Sie würde es mir erleichtern, mich persönlich mit ihm zu treffen, um über Strategien zu diskutieren, ihm Honig ums Maul zu schmieren und ihn bei Laune zu halten, damit sein Geld bei Wolfe bleibt.
Jetzt jedoch frage ich mich, ob seine Gründe hierzubleiben etwas mit einer bestimmten Person zu tun haben.
Ich ohrfeige mich im Geiste dafür, dass ich derart absurde Dinge denke. Er ist Sabrina zweimal begegnet, und eine dieser Begegnungen hat weniger als fünf Minuten gedauert.
Er stellt sein Weinglas wieder auf den Tisch und schiebt seinen Salatteller beiseite. Dann stützt er die Arme auf den Tisch und beugt sich leicht vor, sein Gesichtsausdruck eindringlich. »Darf ich Sie etwas fragen?«
»Selbstverständlich.« Ich dränge die Gedanken an Sabrina beiseite und zwinge mich, mich auf meinen Job zu konzentrieren. Darauf, die richtigen Dinge zu sagen, um diesen Kerl endlich einzusacken.
»Wenn ich Sie zu meinem Berater mache …«
Mein Puls hämmert erwartungsvoll.
»… werden Ihre Bosse Ihnen dann nicht mehr wegen der Vegas-Scheiße zusetzen?«
Es gelingt mir zu verhindern, dass ich die Muskeln anspanne, aber nur mit knapper Not. »Wie bitte?«
Er lächelt. »Na, kommen Sie. Wollen Sie mir erzählen, die beiden hätten Ihnen nicht die Hölle heißgemacht, weil Sie dem Firmenimage geschadet haben, nachdem man Sie mit einer Nutte und Koks erwischt hat?«
»Es war ein mittelmäßiger Lapdance, und ich fasse die harten Sachen nicht an«, antworte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Ich glaube Ihnen«, sagt er in einem leisen, sachlichen Ton, der mir verrät, dass er es ernst meint. »Aber ich weiß auch, dass dieses Geschäft, Quatsch, die meisten
Geschäfte, auf dem Ruf der Menschen basieren, die sie betreiben. Sie können mir nicht erzählen, dass Ihre Bosse sich nicht vor Panik in die Hose geschissen haben und Ihnen damit drohen, Sie zur Kur zu schicken.«
Ich hebe meinen Drink und sage nichts.
Er beugt sich noch weiter vor. »Sie sind nicht zur Kur gegangen, aber Sie haben das Zweitbeste getan. Sie haben sich eine zauberhafte Frau zugelegt, die an Ihrer Seite steht und Ihren Playboy-Ruf widerlegt.«
Ich kneife warnend die Augen zusammen, und Lanham hebt die Hände in einer beschwichtigenden Geste. »Ich verurteile das nicht. Ich würde das Gleiche tun. Hölle, ich habe
das Gleiche getan. Die Menschen lieben einen eingefleischten Playboy, aber sie wenden sich genauso schnell gegen ihn, wenn er zu weit geht. Es war klug von Ihnen, Sabrina vor Ihren Wagen zu spannen.«
Ich hüte mich, etwas dazu zu sagen, aber er lässt das Thema nicht fallen.
»Ist das mit Ihnen beiden etwas Ernstes?«
Abermals versuche ich zu schweigen, aber ich kann vor Ärger nicht an mich halten. »Weshalb all das Interesse?«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Ja«, blaffe ich. »Mit uns ist es etwas Ernstes.«
Er mustert mich, dann nickt er und isst weiter. »In Ordnung.«
»Das ist nicht die Antwort, die Sie hören wollten, oder?«, sage ich.
Er zuckt die Achseln. »Sabrina ist sehr reizvoll. Aber ich unterlasse Annäherungsversuche, wenn eine Frau vergeben ist.«
Ich knirsche mit den Zähnen. Sabrina ist sehr reizvoll.
Verdammt richtig, das ist sie. Und ich glaube keine Sekunde lang, dass dieser Milliardär keinen Annäherungsversuch machen würde, sobald sich eine Gelegenheit bietet.
»Also läuten irgendwann die Hochzeitsglocken?«
Ich widerstehe dem Drang, seine Gabel zu packen und ihn damit zu erstechen. »Menschen können zusammengehören, ohne verheiratet zu sein.«
Lanham zieht eine Schulter hoch.
»Sie denken anders?«, frage ich und schiebe den Gedanken beiseite, dass ich mir beim besten Willen nicht hätte vorstellen können, mit Jarod Lanham über so ein Thema zu reden.
Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und sieht mich an. »Nennen Sie mich altmodisch, aber mir gefällt die Vorstellung von einem Mann und einer Frau, die sich aneinander binden. An eine einzige Person. Mit Gelübden.«
Ich gebe sorgfältig Acht darauf, meine Überraschung zu verbergen. Der Jarod Lanham, den ich aus der Klatschpresse kenne, scheint mir kaum der Typ für die Ehe zu sein. Er hatte feste Freundinnen, das schon, aber er hatte jede Menge davon. Nichts an dem Mann hat je darauf hingedeutet, dass er sesshaft werden will.
Er lächelt kläglich. »Das ist Ihnen unverständlich?«
Ich zucke die Achseln und halte meine Antwort bewusst vage, da ich den Mann kaum kenne. »Es spielt keine Rolle, ob ich Ihnen beipflichte oder nicht. Es ist Ihr Leben. Wenn Sie sich eine Zeremonie wünschen und ein Vermögen für eine Hochzeit ausgeben wollen, ist das Ihre Angelegenheit.«
Lanham schüttelt den Kopf. »Es geht nicht um die Hochzeit. Es geht um das, was danach kommt. Es ist mir scheißegal, ein Verlobter zu sein, aber ich hätte nichts dagegen, jeden Morgen neben demselben Gesicht aufzuwachen. Jemanden zu haben, mit dem ich mein Leben teilen kann. Eine Gefährtin.«
Die Worte klingen so vertraut, dass ich für einen Moment denke, ich hätte ein Déjà-vu. Dann wird es mir klar. Ich habe dieses Gespräch schon einmal geführt, aber nicht mit Lanham. Mit Sabrina.
Seine Gedanken zum Thema Ehe sind ein fast identisches Spiegelbild ihrer.
Die Erkenntnis weckt in mir den Wunsch, nach etwas zu schlagen. Weil sie so kompatibel sind. Weil sie nicht wirklich zu mir gehört …
»Entschuldigung.« Lanham schüttelt den Kopf. »Sie wundern sich wahrscheinlich, warum zur Hölle ich über mein Privatleben rede statt über meinen Portfolio.«
Seine Feststellung holt mich jäh in die Gegenwart zurück, und es ärgert mich ziemlich zu entdecken, dass …
Ich habe mich nicht darüber gewundert.
Obwohl ich den größten Teil meines Berufslebens damit verbracht habe, mich darauf vorzubereiten, ein solch finanzielles Schwergewicht als Klienten zu gewinnen, bin ich in diesem Moment nicht annähernd so aufgeregt, wie ich gedacht hätte. Aus irgendeinem Grund fühlt es sich einfach nicht so wichtig an, wie ich erwartet hatte.
Ich höre mich mein Verkaufsgespräch mit Lanham durchführen, meine Strategie für sein Portfolio diskutieren und all die Gründe aufzählen, warum er ein Narr wäre, mich nicht zu engagieren, aber ich kann an nichts anderes denken als daran, dass dies – mein Job – nicht mehr das Wichtigste in meinem Leben ist.
Die Erkenntnis ist Furcht einflößend.