29
Matt
Sonntagabend, 8. Oktober
Sabrinas Worte hängen in der Luft wie die Druckwellen einer Explosion, und mein Schock macht mich sprachlos.
Als ich endlich doch in der Lage bin, etwas hervorzubringen, ist es alles andere als eloquent. »Was?«
Sie zuckt zusammen. »Ich weiß. Mich hat es auch überrascht.«
Ich stehe da wie angewurzelt; ich kann sie nur anstarren. »Sabrina, ich dachte …«
»Es ist nicht so, als würde ich einer Sekte beitreten, Cannon«, unterbricht sie mich, und etwas von ihrer gewohnten Schlagfertigkeit kehrt zurück.
»Du könntest es ebensogut tun.« Die Worte sind kalt und gefühllos, und ich will nicht, dass sie so klingen, wirklich nicht. Aber die Behauptung, sie habe mich hier überrumpelt, ist eine Untertreibung. Ich kann kaum klar denken, geschweige denn mich klar artikulieren.
Ihre blauen Augen scheinen aufzuflammen, als sie näher kommt. »Du hast Angst.«
Verdammt richtig.
»Ich bin verwirrt. Noch vor ein paar Tagen waren wir uns da vollkommen einig. Du hast selbst gesagt, dass du emotionale, schmutzige Szenen vermeiden willst.«
»Ich weiß, dass ich das gesagt habe! Und der Grund dafür sind genau solche Momente wie dieser«, antwortet sie und klingt dabei leicht frustriert. »Denn das hier …«, sie deutet zwischen uns hin und her, »ist ätzend.«
»Genau«, pflichte ich ihr bei, strecke die Hände aus und umfasse ihre Schultern. »Also, lass es gut sein. Es ist einfach die Nähe, die dich verwirrt. Es kann wieder so zwischen uns sein wie früher, nur zwei Freunde, die die Gesellschaft des anderen genießen. Wir können uns auch wieder streiten.«
Nur verlass mich nicht. Geh nicht weg.
»Hör mal, Matt.« Sie zieht die Schultern hoch und löst sich von mir. »Ich verlange nichts von dir. Ich weiß, dass es sich bei mir verändert hat. Du empfindest nicht genauso, und das ist … o-okay.«
Sie stottert bei dem Wort, als schmerze es sie, dann holt sie tief Luft und spricht weiter.
»Die Sache ist klar. Ich bin auch nicht unbedingt begeistert davon, aber meine Gefühle sind nun mal da, und sie sind kompliziert, und sie werden in absehbarer Zeit nicht vergehen. Du willst keine Ehefrau, die dich liebt, und ich will keinen Ehemann, der mich nicht liebt. Was bedeutet das für uns?«
Ich schließe die Augen und versuche, das Chaos der Gedanken, die mir durch den Kopf wirbeln, zu ordnen. »Ich weiß es nicht.«
»Nun, ich weiß es sehr wohl«, erklärt sie sachlich, als hätte sie nicht gerade das L-Wort fallen lassen und all das Gute zerstört, das zwischen uns war. »Wir brauchen etwas Abstand.«
»Ich will keinen verdammten Abstand!«, rufe ich und öffne die Augen wieder. »Ich will … ich will …«
»Was denn?«, fragt sie.
Dich.
Ich versuche, ihr das laut zu sagen, aber die Worte bleiben mir im Halse stecken. Es ist, als seien sie tief in mir vergraben, eingesperrt in meiner Kehle.
»Ich will, dass es wieder so ist wie früher«, verlange ich stattdessen und hasse den flehenden Unterton in meiner Stimme, bin aber außerstande, etwas dagegen zu tun.
Sie sagt nichts.
Ich verliere sie. Ich weiß, dass ich sie verliere, und doch kann ich sie nur halten, indem ich diesen idiotischen Sprung wage, mit ihr über meinen Schatten springe und alles riskiere.
Ich werde das nicht tun. Sie bedeutet mir zu viel.
»Sabrina«, sage ich leise und überwinde den Abstand zwischen uns. »Du weißt, dass du mir wichtig bist …«
Ihr Gesicht verzerrt sich. »Tu das nicht. Bitte, tu das nicht.«
Ich balle ungeduldig die Fäuste. »Was soll ich nicht tun. Die Wahrheit sagen?«
»Nicht wenn die Wahrheit ein beschwichtigendes Aber
enthält. Du bist mir wichtig, aber
. Du willst weiter mit mir schlafen, aber.
Das ist es, was ich dir zu erklären versuche. Ich will, was wir haben, ohne die Aber. Ich will, was Ian und Lara haben. Was, wie ich vermute, die Sams haben. Ich will jemanden, der mit mir zusammen ist, nicht nur, weil es bequem ist und weil wir gut harmonieren, sondern weil er den Gedanken nicht ertragen kann, ohne mich zu sein.«
Ich schlucke und denke an meine Eltern. Denke daran, welche Versprechen sie einander gegeben haben, dass sie angeblich einst so waren wie Ian und Lara, aber es war nicht von Dauer.
Ich denke daran, wie die beiden jetzt sind. Einander gleichgültig.
Das werde ich Sabrina nicht antun. Das werde ich uns
nicht antun. Aber ebenso wenig kann ich es ertragen, sie unglücklich zu sehen. Wenn es das ist, was sie braucht …
Ich strecke die Hände aus und umfasse behutsam ihr Gesicht, lasse die Daumen über ihre Wangen wandern. »Es tut mir leid, dass ich dir nicht geben kann, was du willst«, sage ich leise. »Aber wenn du deinem Märchen-Happy-End hinterherjagen willst, werde ich dir nicht im Weg stehen.«
Kurz erschlaffen ihre Züge, aber sie erholt sich fast sofort und nickt schnell. »Danke. Aber ich brauche trotzdem ein wenig Raum, Matt. Ich kann mich nicht in jemand anderen verlieben, solange ich in dich verliebt bin.«
Ich spüre ihre Worte wie ein Messer in meiner Brust.
Aber ich nicke, denn ich weiß, was sie meint. Kein zwangloser Sex, wenn es uns in den Kram passt. Kein verbales Vorspiel mehr, das als Streit getarnt ist. Und für mich keine Seelenverwandte mehr – keine Rückfallebene mehr auf die mit Sabrina geteilte Überzeugung, dass Liebe Beziehungen zerstört, statt sie zu nähren.
»Sind wir noch Freunde?«, fragt sie und klingt verletzlicher, als ich sie je gehört habe.
Mein Magen krampft sich bei dem Wort zusammen, gleichzeitig unendlich wichtig und nicht annähernd genug. »Natürlich«, flüstere ich und bette meine Stirn an ihre. »Natürlich.«
Unsere Arme finden langsam ihren Weg um den anderen, und die Abschiedsumarmung ist nicht für immer, nicht endgültig, aber ein Abschied von unserem gemeinsamen Weg. Dem Weg, der zu uns gepasst hat.
Ich drücke ihr einen langen Kuss auf die Schläfe. »Werde glücklich.«
Ich höre sie schlucken, dann nickt sie.
Ich ziehe mich zurück, in der Absicht, ihr mein freches Standardlächeln zu schenken, aber ich kann es nicht heraufbeschwören. Nicht beim Anblick der ungeweinten Tränen in ihren Augen.
Sie nimmt die Hände von meiner Taille, und ich lasse sie mit einem Schritt rückwärts los.
Ich gehe zur Tür, weil ich weiß, dass sie mich nicht daran hindern wird. Sie will Liebe. Ich will, dass sie sie bekommt.
Und Hölle, ich wünschte, ich hätte es in mir, sie ihr zu geben.