30
Sabrina
Montagnachmittag, 16. Oktober
»Also, reden wir darüber, oder willst du weiter so tun, als sei alles bestens?«
Ich sehe Ian über meine Cola light hinweg an. »Du hast dieses Treffen anberaumt. Wenn du etwas zu sagen hast, sag es.«
Es ist Montagnachmittag, eine gute Woche, nachdem Matt mir im Prinzip einen Heiratsantrag gemacht hat.
Ohne Liebe.
Ich gebe mir wirklich große Mühe, nicht daran zu denken. Oder an ihn zu denken.
Aber Ian macht es mir schwer. Denn auch wenn ich weiß, dass er mein bester Freund ist und mich liebt wie eine Schwester, liebt er auch Matt wie einen Bruder.
Es ist schwer, eine Mahlzeit mit diesem Mann zu teilen, ohne an den Mann zu denken.
Ian schiebt seinen Teller von sich, verschränkt die Arme auf dem Tisch und mustert mich mit seinen durchdringenden blauen Augen. Ich kann nicht umhin, sie mit einem anderen Paar blauer Augen zu vergleichen. Ians sind eisblau und leicht mandelförmig. Matts Augen sind dunkelblau, das Meer an einem sonnigen Tag, groß und leuchtend und …
Ich schnappe scharf nach Luft, als der Schmerz mich trifft. Wieder einmal. Ich weiß, dass er vergehen wird. Irgendwann.
Aber verdammt, ist das ätzend.
Verdammt, es hat wehgetan, dazustehen und mein Herz zu entblößen, in dem Wissen, dass er nicht genauso empfindet, es hat wehgetan, dass er mir praktisch die Hand geschüttelt und mir alles Gute gewünscht hat.
Ich nehme einen Bissen von meinem Salat Niçoise mit Thunfisch und tue so, als würde ich Ians Musterung nicht bemerken.
»Er ist reizbar«, berichtet Ian.
Ich knabbere mit den Schneidezähnen an einer grünen Bohne. »Wer?«
Der Blick meines besten Freundes ist vernichtend. »Ernsthaft?«
Na schön. Ich seufze und lege meine Gabel weg. »Es tut mir leid, dass Cannon sich wie ein Teenager benimmt, aber das ist wirklich nicht mein Problem. Ich habe ihm eine E-Mail geschickt und ihm mitgeteilt, dass ich unsere Arbeitsbeziehung mit Freuden bis zum Ende des Vertrages fortsetzen werde, trotz unserer persönlichen Verstrickungen. Er hat mein Angebot noch nicht angenommen.«
»Eine E-Mail«, wiederholt Ian. »Ihr beide zankt euch und liebt euch mit Ausdauer und Leidenschaft weiß Gott wie viele Jahre, und du sitzt hier und sagst mir, du hättest ihm eine E-Mail geschickt?«
»Was soll das, Ian? Was möchtest du von mir hören?«
»Ich will, dass du mir erzählst, was passiert ist.«
Ich trinke einen Schluck Limonade. »Frag ihn.«
»Ich habe ihn gefragt. Kennedy hat ihn gefragt. Kate hat ihn gefragt. Die halbe Firma denkt, sein Arzt habe ihm mitgeteilt, er habe nur noch sechs Monate zu leben, so unglücklich ist er.«
»Und das ist meine Schuld, weil …?«
Ian wirft frustriert die Hände hoch. »Ich weiß echt nicht, warum ich überhaupt mit einem von euch beiden rede.«
»Nun, ich sehe nicht ein, warum ich die Schuld an Matts Reizbarkeit haben soll. Vielleicht hängt es ja mit der Arbeit zusammen. Hat er schon etwas von Jarod gehört?«
Ich halte meinen Ton beiläufig, darauf bedacht, nicht den wahren Grund zu offenbaren, warum ich mich bereiterklärt habe, mich mit Ian zum Mittagessen zu treffen. Es ist nicht so, dass ich meinen besten Freund nicht genieße, aber wie gesagt, wenn ich Ian sehe, muss ich an Matt denken, und nun ja, in letzter Zeit … ist das denkbar schmerzhaft.
Ian zieht fragend die Brauen hoch. »Jarod? Du und der berühmteste Milliardär der Welt nennt euch beim Vornamen?«
Ich spiele mit meiner Gabel herum und weiß, dass ich irgendwann damit rauskommen muss. Ich kann es geradeso gut jetzt tun.
»Er hat sich bei mir gemeldet.«
Okay, jetzt kneife ich ein klein wenig. Es ist die Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit. Dazu kommen wir später.
Ian beugt sich über den Tisch und schnappt sich eine Olive von meinem Teller. »Du und Lanham habt Kontakt … wie das?«
»Mr Lanham hat meine E-Mail bekommen und sich gemeldet.«
Ian lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. »Vor zehn Sekunden war er noch ›Jarod‹. Du kannst mir jetzt nicht plötzlich total förmlich werden.«
»Ich kann tun, was immer ich will.«
»Lass den Blödsinn, Sabrina. Du bist die direkteste Person, die ich kenne, und diese ganze Zugeknöpftheit passt nicht zu dir.«
Ich schlucke, ein wenig getroffen von dem Tadel, obwohl ich weiß, dass ich ihn wirklich verdient habe. »Jarod will mich engagieren«, berichte ich und trinke noch einmal von meiner Limonade.
»Wofür?«
»Das geht nur ihn und mich etwas an.«
»Sabrina …«
Ich hebe eine Hand. Nein, da ziehe ich die Grenze. »Ich rede mit niemandem über die Anfragen meiner Kunden, nicht einmal mit dir. Du würdest die gleiche Diskretion erwarten, wenn du mich engagieren würdest.«
»Ich habe dich engagiert«, bemerkt er. »Du hast mir die beste Anwältin der Stadt verschafft, als ich eine gebraucht habe.«
»Das habe ich getan, weil du mein bester Freund bist.« Ich wedele mit der Hand. »Der Punkt ist, wenn mich jemand um Hilfe bittet, schweige ich wie ein Grab.«
»Aber die ganze Gruppe weiß von deiner List mit Cannon.«
»Weil es zur Hälfte deine Idee war«, stelle ich fest. »Wäre Matt aus eigenem Antrieb zu mir gekommen und hätte mich gebeten, die Sache diskret zu behandeln, hätte ich keiner Menschenseele davon erzählt.«
»Nicht einmal mir?« Ian schenkt mir sein schönstes Lächeln.
»Nicht einmal dir, du Nervensäge.«
»Du und dein lästiges Berufsethos«, murmelt er kopfschüttelnd. »Okay, schön, erzähl mir nicht, was Lanham will. Kannst du mir zumindest verraten, was zwischen dir und Matt vorgefallen ist? Als Freund?«
Ich zögere, dann begreife ich, dass es mir zwar nicht besonders gefällt, darüber zu reden, dass ich es aber vielleicht brauche. Gott allein weiß, dass der Versuch, es tief zu vergraben und so zu tun, als wäre nichts passiert, in der letzten Woche ziemlich nach hinten losgegangen ist. Ich kann nicht schlafen, ich esse kaum …
Ich hole tief Luft und schaue auf. »Offenbar habe ich mich in den Idioten verliebt.«
Ich bin auf einen Schock vorbereitet, aber ich sehe keinen. Stattdessen schenkt er mir ein mitfühlendes Lächeln. »Ja, das habe ich mir zusammengereimt.«
»Ach ja?«, murmele ich. »Es wäre vielleicht nett gewesen, wenn du es erwähnt hättest. Mir gegenüber.«
»Ja, ich kann mir genau vorstellen, wie gut dieses Gespräch gelaufen wäre.«
Ich stütze die Ellbogen auf den Tisch und lasse den Kopf müde in die Hände sinken. »Wie ist das passiert? Warum ist das passiert?«
Ian lächelt schwach. »Weiß er von deinen Gefühlen?«
Ich nicke knapp, weil ich keinen besonderen Wunsch verspüre, den Moment noch einmal zu durchleben, in dem ich Matt meine Gefühle gestanden habe und er … nichts getan hat.
»Und?«
Ich hebe den Kopf, kaum imstande, ihm von Matts Antrag zu erzählen, aber ich kann ihm einen ungefähren Überblick geben. »Er hat … Sex vorgeschlagen. Kameradschaft …«
Alles, wovon ich dachte, ich wolle es. Alles, womit ich bis vor einer Woche oder so wahrscheinlich vollkommen zufrieden gewesen wäre. Jemand, der mit dem Hund rausgeht, wenn es regnet. Jemand, der mit mir lacht. Hölle, selbst jemand zum Streiten, obwohl ich weiß, dass das verrückt klingt. Aber selbst in unseren schlimmsten Momenten haben Auseinandersetzungen mit Matt mir das Gefühl gegeben, lebendig zu sein.
Ich wünschte, ich würde nicht mehr wollen. Ich wünschte, ich würde nicht alles wollen – den Lebenspartner und das Märchen.
Ich sehe Ian unglücklich an. »Ich will nicht nur jemanden, mit dem ich zusammen sein kann. Ich will jemanden, der mich liebt.«
Er beugt sich über den Tisch und drückt mir brüderlich den Arm. »Natürlich willst du das. Und du verdienst es, Sabrina.«
Ich lächele schwach. »Versuch mal, das Matt zu sagen.«
»Das sollte nicht nötig sein«, murmelt er. Ians Blick wird nachdenklich. »Bist du dir sicher, dass er nicht genauso empfindet? Denn so, wie er sich aufführt …«
»Ian, du warst nicht dabei. Du hast sein Gesicht nicht gesehen. Was immer ich für ihn empfinde … es beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Oder wenn doch, ist es auf seiner Seite nicht stark genug, dass er den Mut findet, entsprechend zu handeln.«
Ian senkt geschlagen den Kopf. »Für jemanden, der so schlau ist, ist er solch ein verdammter Idiot.«
Ich greife nach meiner Cola light und kaue erregt an meinem Strohhalm, eine Angewohnheit, von der ich angenommen hatte, ich sei sie mit zwölf losgeworden. »Ganz meine Meinung.«
»Tja, und wie geht es jetzt weiter?«
Ich zucke die Achseln. »Irgendwann werde ich über meine Gefühle für ihn hinwegkommen, und es kann zwischen uns wieder so werden wie früher.«
»So ein Freundschaft-plus-Ding?«, fragt Ian und schüttelt sich.
»Nein, nicht so was.« Ich kaue weiter auf meinem Strohhalm herum. »Ich denke … ich denke, ich will mich auf die Suche machen. Ich will jemanden finden und eine richtige Beziehung haben. Auch wenn diese ganze Sache mit der Liebe höllisch wehtut, weiß ich nicht, ob ich mich mit etwas Geringerem abfinden will.«
»Das solltest du auch nicht«, pflichtet Ian mir energisch bei. »Aber du weißt, dass du das hier nicht wie ein Projekt angehen kannst. Du kannst nicht einfach beschließen, dich in jemanden zu verlieben. Vor allem nicht, solange du in jemand anderen verliebt bist.«
»Das ist mir klar«, seufze ich. »Es nervt, aber ich weiß es. Aber ich kann anfangen, mich umzusehen, oder?«
»Natürlich«, sagt er langsam. »Nach einer gewissen Zeit. Wenn du bereit bist.«
Ich erwidere nichts, und er wirft mir einen wissenden Blick zu.
»Sabrina, was verschweigst du mir?«
Ich hole tief Luft und habe bereits eine gute Vorstellung davon, wie meine Bombe einschlagen wird. »Jarod Lanham wird Matt das Mandat für die Verwaltung seines Vermögens geben«, berichte ich.
»Was? Hat er dir das gesagt?«
»Ja. Er wird ihn engagieren … wenn ich mit ihm zu der Wolfe Gala gehe.«
»Im Ernst?« Ian wirkt schockiert und verwirrt, und ich mache ihm keinen Vorwurf. Die Situation ist … seltsam.
»Ich habe mich vor einigen Tagen mit Jarod getroffen wegen eines potenziellen Auftrags«, berichte ich. »Er hat mir zu meiner ›Verlobung‹ gratuliert, und ich habe ihm geantwortet, die Gerüchte beruhten nicht auf Fakten.«
»Sabrina …«
»Ich habe ihm nicht erzählt, dass die Sache zwischen Matt und mir eine List war«, unterbreche ich ihn und hebe eine Hand, um seinen Einwänden Einhalt zu gebieten. »Ich habe lediglich klargestellt, dass das mit der Verlobung nicht stimmt.«
»Warum lädt er dich dann zu der Gala ein, wenn er denkt, du und Matt wäret immer noch ein Paar? Das ist doch echt niederträchtig.«
Das ist es irgendwie. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, was Jarods Beweggründe sind. Diese ganze Sache mit Matt hat mich anscheinend aus dem Konzept gebracht, denn statt die Motive eines Menschen binnen einer Sekunde zu durchschauen, habe ich eine ganze Mahlzeit mit Jarod verbracht und nach wie vor keinen Schimmer, was hinter seinem Ansinnen steckt.
»Du denkst doch hoffentlich nicht wirklich daran zuzustimmen …«, sagt Ian.
»Lass mich aussprechen«, bitte ich ihn. »Diese Sache mit Matt und mir ist nur vorgeblich. Er hat mich engagiert, damit ich so tue, als hätte ich eine Beziehung mit ihm, um seinen Ruf reinzuwaschen, damit er Kunden wie Jarod Lanham gewinnen kann. Ehrlich, Matt wird es nicht kümmern, wie es passiert, Hauptsache ist, dass es passiert. Lanham war immer das Ziel.«
»Also wirst du es tun?«
»Ich weiß es noch nicht. Das sollte wirklich Matts Entscheidung sein«, sage ich. »Wir haben einen Vertrag unterzeichnet, dass ich ihn zu verschiedenen Anlässen begleite, insbesondere zu der Gala. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er nicht lieber Jarod als Kunden hätte.«
»Und wie fühlst du dich dabei?«
»Spielt es eine Rolle?«
»Für mich schon.«
Ich hole tief Luft und denke nach.
Ehrlich gesagt habe ich es satt zu fühlen. Ich hätte nichts dagegen, ein bisschen betäubt zu sein, nur ein kleines Weilchen. Ich habe ernst gemeint, was ich Ian gesagt habe, dass ich an einem märchenhaften Happy End festhalten will, aber … nicht jetzt schon. Ich brauche Zeit, um meine Gefühle für Matt zu verstehen und sie zu akzeptieren, mitsamt der Qual und allem.
Aber … ich würde lügen, wenn ich behauptete, Jarods Interesse sei nicht Balsam für mein Ego. Es gibt mir Hoffnung zu wissen, dass ich, nur weil ich jetzt allein bin, nur weil mir jetzt das Herz wehtut, nicht für immer allein sein muss.
Ich werde mit Matt zu der Gala gehen, falls es das ist, was er will, aber ich kann nicht sagen, dass ich mich darauf freue. Nicht mit dieser merkwürdigen unerwiderten Liebe, die in mir arbeitet. Ich weiß auch nicht, ob ich die Gala besonders genießen würde, wenn ich mit Jarod hingehe, aber es würde weniger wehtun.
»Ich will nur, dass Matt glücklich ist«, bemerke ich leise. »Seine Karriere bedeutet ihm alles, und einen Kunden wie Jarod zu gewinnen, sollte eine Menge dazu beitragen, den Glauben anderer Klienten an ihn wiederherzustellen.«
»Hast du schon mit ihm darüber gesprochen?«
Ich schüttele den Kopf. »Ich wollte am Spätnachmittag bei euch vorbeischauen. Kate sagt, sie habe ein wenig freie Zeit.«
»Lass mich das übernehmen«, schlägt Ian vor.
Ich blinzele überrascht. »Warum?«
»Das ist eine Männersache.«
»Nun, für mich ist es eine professionelle Sache«, kontere ich. »Ich kann keinen Kollegen meines Kunden eine solche Neuigkeit überbringen lassen.«
»Tust du auch nicht. Du lässt deinen besten Freund mit seinem besten Freund über eine heikle Situation reden.«
»Aber …«
»Sabrina.« Er berührt mich noch einmal am Arm. »Vertrau mir in dieser Sache.«
Ich öffne den Mund, um Nein zu sagen – um ihm zu sagen, dass ich, bester Freund hin, bester Freund her, meine Probleme selbst löse. Es immer getan habe und es immer tun werde.
Aber andererseits … habe ich meine Probleme wirklich selbst gelöst? Denn im Laufe des vergangenen Monats habe ich mich eher in Schwierigkeiten gebracht, anstatt sie zu beseitigen.
Schlechter als ich kann es Ian wohl kaum machen.
»Na gut«, seufze ich. »Rede mit ihm.«