31
Matt
Dienstagmorgen, 17. Oktober
»Scheiße, was soll das? Sag mir, dass du Witze machst.«
Ian nippt an seinem Kaffee. »Keineswegs.«
»Sabrina will mit Lanham zu der Gala gehen?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, er will mit ihr hingehen.«
Ich empfinde plötzlich einen vollkommen neuen Respekt vor dem schlichten Denken der Höhlenmänner, denn ich hätte nichts lieber als einen großen Stock, eine Klippe und nur Lanham und mich, die auf Leben und Tod miteinander kämpfen, bis er in den Abgrund stürzt.
»Das ist Blödsinn«, murmele ich.
»Hast du überhört, dass du die Chance bekommst, Lanhams gesamtes Vermögen zu managen?«, fragt Kennedy, der an der gegenüberliegenden Seite meines Büros an der Wand lehnt.
»Ja, aber das Arschloch benutzt Sabrina als Hebel. Wieso bin ich der Einzige, der sich darüber ärgert?«
»Weil das«, sagt Kate, die durch meine offene Bürotür kommt und sich hemmungslos in das Gespräch einmischt, »was er tut, nicht viel anders ist als das, was du mit ihr gemacht hast.«
Ich funkele sie an. »Es ist etwas vollkommen anderes. Woher weißt du überhaupt davon?«
Kate schließt die Tür, schüttelt den Kopf und setzt sich mir gegenüber hin, neben Ian. »Sabrina hat es mir erzählt. Und es ist nichts anderes. Du hast sie benutzt, um an ihn heranzukommen. Er hat dich benutzt, um an sie heranzukommen. Du und Jarod wollt verschiedene Dinge, aber du hast trotzdem jemand anderen benutzt, um es zu bekommen.«
»Die Parallelen sind wirklich bemerkenswert«, überlegt Kennedy laut.
»Halt die Klappe«, knurre ich ihn an. »Wie könnt ihr alle drei dasitzen, als sei das in Ordnung? Als sei es keine große Sache, dass die Frau, die ich …«
»Ja?«, hakt Kate nach, lehnt sich zurück und schlägt die Beine übereinander. »Ich brenne darauf zu erfahren, wie du diesen Satz beenden wirst.«
»Ich hätte auch nichts dagegen, das zu hören«, wirft Ian ein. Seine Stimme ist milde, aber es schwingt ein warnender Unterton darin mit.
Ich sehe ihm fest in die Augen. »Du hast mit ihr geredet.«
»Ja. Wir haben gestern zusammen zu Mittag gegessen. Bei der Gelegenheit hat sie mir von dem Lanham-Deal erzählt.«
»Scheiß auf Lanham«, sage ich und beuge mich vor. »Wie geht es ihr?«
Es herrscht einen Augenblick Stille in meinem Büro. Schließlich durchbricht Kennedy das Schweigen. »Hast du gerade gesagt: ›Scheiß auf Lanham‹? Du sprichst von dem Einhorn, dem du deine ganze Karriere lang nachgejagt bist?«
Ich ignoriere diesen Einwurf und wende den Blick keine Sekunde von Ian ab. »Wie geht es ihr?«
»Wie zu erwarten«, antwortet Ian.
»Was zum Teufel heißt das?« Meine Verzweiflung klingt in meiner Stimme durch, aber es ist mir egal.
Ich bin verzweifelt.
Es ist mehr als eine Woche vergangen, seit ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Sie getroffen habe. Sie gehalten habe. Und ihre Abwesenheit fühlt sich in meiner Brust wie ein klaffendes Loch an.
Ihre E-Mail, sie stehe gemäß unseres Vertrages immer noch zur Verfügung, hat alles nur noch schlimmer gemacht und Licht auf die Tatsache geworfen, dass ich sie auf diese Weise nicht will. Ich will nicht, dass sie Zeit mit mir verbringt, weil der Vertrag es vorsieht, weil ich sie bezahle. Ich will nicht, dass sie um meiner Bosse willen und meines verdammten Rufes willen so tut, als sei sie in mich verliebt.
Ich will …
Ich will, dass sie mich wirklich liebt.
Das tut sie doch, du Idiot. Du warst nur ein zu großer Feigling, um dich darauf einzulassen.
Kate beugt sich zu Ian, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Hat er gerade einen Geistesblitz?« Sie sagt es im Flüsterton, aber die Worte sind offenkundig für meine Ohren bestimmt.
Ich habe keine Eingebung. Ich habe keinen Geistesblitz. Es ist ein ganzes Gewitter.
Oder vielmehr eine Erkenntnis nach der letzten Woche, ohne einen verdammten Schimmer, was als Nächstes passiert. Was mache ich? Wie bekomme ich sie zurück? Wie vertraue ich darauf, dass ich Manns genug dafür bin?
»Sind deine Eltern glücklich?«, frage ich Kate.
Sie blinzelt überrascht. »Meine Eltern?«
»Ich bin ihnen einmal begegnet. Sie schienen glücklich zu sein.«
»Ja, sie sind glücklich. Im nächsten Monat sind sie zweiunddreißig Jahre verheiratet, und sie benehmen sich immer noch wie in den Flitterwochen.«
Zweiunddreißig Jahre Glück.
Ich richte den Blick auf Kennedy. »Was ist mit deinen Eltern? Sind die glücklich?«
Er sieht mich fragend an, nickt jedoch. »Ja, sind sie.«
Ich schaue zu Ian hinüber, der die Achseln zuckt. »Alle wissen, dass meine Eltern nicht ins Bild passen. Die längste Beziehung meines Pflegevaters ist die mit den Phillies. Aber wenn du auf das aus bist, wovon ich denke, dass du es bist – die Versicherung, dass ein Mann und eine Frau langfristig miteinander glücklich sein können –, kann ich dir versichern, dass zwei Menschen, die einander lieben, eine gute Beziehung führen können. Es ist vielleicht nicht einfach. Es ist schrecklich Furcht einflößend. Aber es ist möglich.«
Kate tätschelt liebevoll Ians Knie. »Ich kann nicht behaupten, dass ich mir dich jemals in der Rolle des Paartherapeuten hätte vorstellen können, aber der Anblick ist hinreißend.«
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich schwören, dass Ian ein ganz klein wenig errötet, aber angesichts meiner eigenen Zwangslage bin ich momentan kaum derjenige, der ihm deswegen die Hölle heißmachen könnte.
»Du weißt, was ich meine«, brummt Ian. »Ich sage nur, dass Cannon jedwede idiotischen Hemmungen überwinden sollte, die er in Bezug auf Beziehungen hegt.«
»Was sind deine Hemmungen?«, hakt Kennedy nach. »Gute, altmodische männliche Bindungsphobie?«
»Etwas in der Art.«
Das Schweigen meiner Freunde verrät mir, dass ihnen meine Antwort nicht genügt.
Ich seufze. »Na schön. Die Beziehung meiner Eltern ist total verkorkst. Es wäre etwas anderes, wenn sie sich einfach scheiden lassen würden, versteht ihr? Einander weiterziehen lassen würden. Stattdessen haben sie einfach irgendwie akzeptiert, dass ihr beschissenes Arrangement so gut ist, wie es eben geht.«
»Und deshalb glaubst du, besser würde es für dich niemals werden?«, fragt Kate, die sich so anhört, als sei sie ein klein wenig enttäuscht von mir.
Ich mache mir nicht die Mühe, mich zu verteidigen, denn ich bin ebenfalls enttäuscht. Ich bin ein Idiot und ein Feigling gewesen, zu töricht, um zu erkennen, dass meine Gefühle für Sabrina nicht Furcht einflößend sind, weil sie falsch sind – sie sind Furcht einflößend, weil sie richtig sind.
Sie ist richtig. Für mich.
»Was ist, wenn ich Nein sage?«, frage ich. »Was ist, wenn ich Sabrina auf den Vertrag festnagele und ihr erkläre, dass sie nicht mit Lanham zu der Gala gehen darf?«
»Du müsstest ihn als Kunden abschreiben, aber ich glaube nicht, dass es das ist, wonach du wirklich fragst«, sagt Ian.
»Nein, ist es nicht. Ich will wissen, ob ich noch eine Chance bei ihr habe. Um die Sache in Ordnung zu bringen.«
»Das wirst du nicht herausfinden, indem du sie mit diesem verdammten Vertrag zu irgendetwas zwingst«, meldet Kennedy sich zu Wort.
Kate zeigt auf Kennedy, ohne ihn anzusehen. »Ausnahmsweise einmal hat der Vernunftbolzen da recht. Du bist gegangen, als sie am verletzlichsten war. Du bekommst sie nicht zurück, indem du sie zwingst, mit dir zu der Gala zu gehen.«
»Tja, ich kann sie nicht mit einem anderen Mann hingehen lassen.«
»Aber genau das wirst du tun«, entscheidet Ian.
Ich schüttele bereits den Kopf. »Wenn er mit Sabrina zu der Gala geht, gewinne ich ihn als Kunden, und sie wird denken, ich wolle den Kuchen behalten und ihn gleichzeitig essen oder wie immer diese Redewendung heißt.«
»Woher hast du diese Redewendung?«, fragt Kennedy. »Von Marie-Antoinette?«
»Nein, die lautet: Lasst sie Kuchen essen «, wirft Kate ein. »Ich glaube, den Kuchen behalten und ihn gleichzeitig essen  …«
»Leute«, unterbreche ich sie. »Wie wär’s mit ein wenig Hilfe?«
»Okay, okay, tut mir leid«, sagt Kate. »Ich glaub, ich kapiere, worauf Ian hinauswill. Du lässt Sabrina mit dem heißen Milliardär zu der Gala gehen …«
Ich zucke zusammen. Das mentale Bild von Sabrina am Arm eines anderen Mannes macht mich körperlich krank.
»Und du lässt Lanham als Klienten sausen«, vollendet Ian seine Ausführungen.
Ich schnappe nach Luft. Ich wusste irgendwie, worauf das hier hinauslaufen würde. Es musste wohl so kommen. Aber ich werde nicht behaupten, die Aussicht darauf, mir Jarod Lanham entgehen zu lassen, würde nicht wehtun.
Es ist nur so, dass der Gedanke daran, Sabrina zu verlieren, mehr schmerzt. Erheblich mehr.
»Das wird den Sams nicht gefallen«, sage ich.
»Nein«, stimmt Kennedy mir zu. »Sie werden sauer sein.«
»Ist dir das wichtig?«, fragt Ian.
Ich sehe ihm in die Augen. »Ja. Aber Sabrina ist mir wichtiger.«
»Liebst du sie?«, kommt Kate auf den Kern der Sache zu sprechen.
Liebe.
Das ist ein Wort, über das ich nie wirklich viel nachgedacht habe, zum Teil weil ich nicht glaubte, dass es etwas für mich sei. Aber vor allem weil …
Ich Angst hatte. Immer noch Angst habe, um ehrlich zu sein. Aber wenn irgendjemand es wert ist, dann Sabrina.
Statt Kates Frage zu beantworten, richte ich meine Aufmerksamkeit auf die Männer. »Erinnert ihr euch daran, worüber wir vor einigen Wochen gesprochen haben …? Wie habt ihr es noch gleich genannt? Den Aschenputtel-Komplex?«
»Den was, bitte schön?«, kommt es von Kate.
»Du weißt schon … Wenn eine Frau ein schickes Kleid anzieht, auf einen Ball geht und fest entschlossen ist, dort ihren Traumprinzen zu finden.«
Sie verdreht die Augen. »Na klar. So sind wir Frauen, allerdings. Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt noch Zeit für die Jagd nach dem Prinzen erübrigen können, wo wir uns doch ständig die Nase pudern.«
»Okay, aber wir haben Sabrina für deinen Plan ausgewählt, weil wir wussten, dass sie immun gegen den Aschenputtel-Komplex sein würde«, sagt Ian und ignoriert Kate.
»Weshalb ich eure Hilfe brauche«, antworte ich und versuche, einen kühlen Kopf für das zu bewahren, das sich wie die wichtigste Unternehmung meines Lebens anfühlt. »Ich muss herausfinden, wie ich Sabrina ent-immunisieren kann.«
»Nur damit ich das richtig verstehe«, sagt Kennedy. »Statt den Aschenputtel-Komplex zu vermeiden, willst du ihn aktivieren? Um den Preis deines Traumkunden und potenziell den Preis deines Jobs?«
Ich nicke. »Du hast einmal zu mir gesagt, dass Lanham das sei, was ich mehr wolle, als irgendetwas anderes. Du hast dich geirrt.«
»Du willst Sabrina«, fasst Ian die Sache zusammen. »Aber für wie lange?«
»Ich will Sabrina … für immer. Für immer und ewig.«
Die Männer wirken ein wenig schockiert, aber Kate lächelt nur triumphierend. »Wusste ich’s doch. Du liebst sie.«
Ich wappne mich gegen meine innere Panik, und ich flippe aus, wahrhaftig, aber nicht so, wie ich es erwartet habe.
Ich habe keine Panik wegen meiner Liebe zu ihr. Im Gegenteil, Sabrina zu lieben könnte einfach das Vernünftigste und Schlaueste sein, das mir je eingefallen ist.
Ich liebe sie. Ich liebe sie mehr als irgendetwas sonst. Meine Panik? Ist Furcht, dass ich zu spät komme – dass sie mich vielleicht nicht mehr liebt.