47.

»Herr Raben, können Sie uns was über die Tat und den Tatort sagen?«, fragte Wagner.

»Nein, das steht mir nicht zu. Sie müssen meinen Chef fragen.«

»Wo ist der?«, fragte Lena.

»Am Alex vermutlich.«

»Da habe ich gerade angerufen«, sagte Wagner. Deutete auf die Telefonzelle an der Straßenecke. »Der wurde zu einem Tatort gerufen. Hier ist er nicht. Also gibt es noch ein Verbrechen.«

Raben eilte zur Telefonzelle. Hatte gleich die Steinkopf dran. »Der Chef ist in der Wohnung von diesem Ehrig. Er hat gerade angerufen. Er braucht Verstärkung, Erkennungsdienst, Rechtsmedizin, das Mordauto … ich muss jetzt auch weg.«

»Ist Ehrig ermordet worden?«

»So viel ich begriffen habe, sind die tot, die ihn umbringen wollten. Handgranate, sagte der Chef.« Sie legte auf.

Raben stand eine Weile in der Telefonzelle, bis jemand klopfte. Lena. »Was ist los, Herr Raben?«

Der verließ die Telefonzelle. Und schüttelte den Kopf. Waren jetzt alle verrückt geworden? Eine Handgranate war in einer Wohnung explodiert.

»Geht’s Ihnen nicht gut?« Sie öffnete die Tür der Telefonzelle.

»Offen gesagt, beschissen«, murmelte er. Er ging zurück zum Haus, wo sie Prietzlers Leiche gefunden hatten. Lena hatte sich eingehängt. Der Schupo ließ sie wortlos passieren. Raben setzte sich auf eine Stufe der Haustreppe, Lena neben ihn. Sie fasste seine Hand. »Was ist los?«

»Können Sie was für sich behalten? Oder lese ich es morgen im Tageblatt? Wir reden privat, ja?«

Sie nickte. »Indianerehrenwort.«

»Mehr, als ich verlangen könnte.« Er nickte. Drückte ihre Hand. »Die Kommunisten – glaube ich jedenfalls – haben versucht, einen von Essers Mördern umzubringen. Aber der hat es gerochen und den Genossen eine Falle gestellt, eine Handgranatenfalle. Zwei sind tot. Ein Dritter ist abgehauen. Ein Zeuge hat gesehen, wie er schreiend in ein Auto gestiegen und abgehauen ist.«

»Um Gottes willen«, sagte sie. Blickte ihn an.

»Ich habe den Eindruck, jemand zieht mir den Teppich unter den Füßen weg.«

»Aber es ist doch der Fall Ihres Chefs.«

»Bei dem weiß ich nicht, ob er sich nicht insgeheim freut. Nur tote Kommunisten sind gute Kommunisten.«

»Ist er Nazi?«

»Inzwischen weniger. Aber wenn die doch an die Macht kämen … Jedenfalls will er sie nicht zu hart anfassen.«

»Aber er hat den Fehrkamp doch eingelocht.«

»Erstens blieb ihm keine Wahl. Einen glatten Rechtsbruch traut er sich nicht.«

Wagner betrat den Flur. Sah die beiden auf der Treppe, nickte und verschwand.

»Zweitens weiß er seit den letzten Wahlen nicht mehr, ob er aufs richtige Pferd gesetzt hat.«

»Gehört er zur Nazi-Fachschaft wie Nebe?«

»So blöd ist er nicht. Er beteiligt sich nicht an einem offensichtlichen Rechtsbruch, obwohl ihn keiner mehr so nennen will. Wäre Nebe Kommunist, er wär nicht mal Schupo geworden.«

Die Haustür öffnete sich wieder. Lichtigkeit. »Bleiben Sie sitzen. Wenn Sie vielleicht etwas zur Seite rutschen.«

Lena lehnte sich an Raben. Lichtigkeit sprang mehr die Stufen hoch, als dass er lief.

Lena blieb angelehnt. Er roch ihre Haare. Drückte ihre Hand. »Ich wollte Sie nicht verdächtigen …«

»Tun Sie’s gern. Wir Reporter sind Aasgeier.«

»Ich habe noch nie einen so … schönen Aasgeier gesehen«, erwiderte er. Küsste sie auf die Haare.