KAPITEL 3

POPULISMUS ALS BETRUG

Bei der Schilderung der Strategie des aufstrebenden Tyrannen erkannte Shakespeare unter den Grundbesitzern seiner Zeit eine große Verachtung für die Massen und für die Demokratie als praktikable politische Möglichkeit. Populismus mag wie eine Annäherung an die Besitzlosen aussehen, ist aber in Wirklichkeit eine Form zynischer Ausbeutung. Der skrupellose Führer hat kein echtes Interesse daran, das Los der Armen zu verbessern. Von Geburt an von Reichtum umgeben, ist er an Luxus gewöhnt und findet am Leben der Unterschicht nichts Anziehendes. Ja, er verachtet sie, hasst ihren Geruch, fürchtet, sie könnten Krankheiten übertragen, und hält sie für launisch, blöde, wertlos und entbehrlich. Aber er erkennt die Möglichkeit, sie für seine Ambitionen einzuspannen.

Es ist nicht der wohlmeinende König oder der prinzipientreue Staatsdiener Herzog Humphrey, der versteht, was am Grund des Königreichs vor sich geht. Yorks Genie, falls dies der richtige Begriff für etwas so Gemeines ist, liegt darin zu begreifen, wie er den Unmut, der unter den Ärmsten der Armen brodelt, für sich nutzen kann. Er will »in England schwarzen Sturm« entfachen, der so lange wütet, bis die Krone, die er erlangen will – »der golden Reif auf meinem Kopf« –, wie die Sonne leuchtet und den Zorn besänftigt. »Und als das Werkzeug meines Plans hab ich/Mir einen Brausekopf aus Kent verdingt,/John Cade von Ashford« (2 Heinrich VI., III, 1, 349-357).

John (oder Jack) Cade existierte tatsächlich, er war ein Rebell aus der Unterschicht, über den kaum biografische Details bekannt sind. 1450 führte er einen blutigen Volksaufstand gegen die englische Regierung an, der rasch und gewaltsam niedergeschlagen wurde. Für seine Figur flickte Shakespeare Material aus historischen Chroniken (darunter der Vorwurf, Cade sei heimlich von York finanziert worden) mit den Spuren anderer Bauernaufstände zusammen und fügte Einzelheiten aus seiner eigenen lebhaften Vorstellungskraft hinzu.

Dem großmächtigen Richard Plantagenet, Herzog von York, liegt nicht das Geringste am Schicksal des niederen Mannes, den er zur Förderung seiner Pläne verleitet hat, und noch weniger an dem zerlumpten Mob, den er zur Rebellion aufstacheln will. Doch er hat Cade sorgfältig beobachtet und an ihm Qualitäten erkannt, die ihn nützlich machen, darunter eine unheimliche Gleichgültigkeit gegen Schmerz und daher die Fähigkeit, ihre Verbindung geheim zu halten:

Gesetzt, man fängt und quält und foltert ihn,
So weiß ich, daß kein Schmerz, den sie ihm antun,
Ihm abpreßt, daß ich’s war, der ihn zur Tat trieb.
(III, 1, 376-378)

Geheimhaltung ist wichtig; es schickt sich nicht für einen mächtigen Adligen, als Anstifter eines grausamen Volksaufstandes bloßgestellt zu werden.

Der Aufstand wird ein noch größerer Sturm, als York sich wünschen konnte. Vor dem Mob, der sich außerhalb Londons in Blackheath versammelt hat, hält Cade eine Volksrede, die ihn als erfolgreichen Demagogen zeigt, als Meister der Voodoo-Ökonomie:

In England soll’s bald sieben Dreigroschen-Brote für sechs Kreuzer geben; und auf den Schoppen solln bald zwei Maß gehen; und das Dünnbiertrinken erklär ich zum Kapitalverbrechen. Das ganze Reich soll Gemeingut werden … und Geld wird abgeschafft; alle solln fressen und saufen auf meine Kosten.
(IV, 2, 63-72)

Als die Menge begeistert brüllt, klingt Cade genau wie ein moderner Wahlredner: »Ich dank euch, liebe Leute!« (IV, 2, 70)

Die Absurdität dieser Versprechen mindert nicht ihren Erfolg. Im Gegenteil: Cade verkündet offensichtliche Lügen über seine Herkunft, prahlt mit den großen Dingen, die er tun will, und die Menge nimmt alles begierig auf. Natürlich kennen seine Nachbarn ihn als geborenen Lügner:

Cade: … meine Mutter von der Plantagenets hohem Geschlecht …
Matz (apart): Ja, hoch geschlechtlich war die immer, hab sie gut gekannt.
Cade: … meine Gattin eine Edle von Flaum, vom Haus irischer Grafen …
Matz (apart): Ja, ne Edelpflaume war das, vom Hausierer die Tochter, und hat sie auch immer angeboten. (IV, 2, 40-44)

Cades absurder Anspruch auf eine adlige Herkunft sollte ihn als bloße Witzfigur erscheinen lassen. Statt ein reicher, hochwohlgeborener Magnat ist er kaum mehr als ein Landstreicher: »Hab gesehn, wie sie ihn drei Markttage hinternander durchgepeitscht haben«, flüstert einer seiner Anhänger (IV, 2, 55-56). Aber seltsamerweise mindert dieses Wissen nicht den Glauben des Mobs an ihn.

Nach allem, was wir wissen, meint Cade vielleicht wirklich, dass alles, was er sich spontan ausdenkt, tatsächlich eintreffen wird. Gleichgültig gegenüber der Wahrheit, schamlos und von aufgeblähtem Selbstbewusstsein, betritt der großmäulige Demagoge ein Fantasieland – »Und wenn ich König bin, denn König werd ich sein« (IV, 2, 68) – und lädt seine Zuhörer ein, ihn in diese magische Welt zu begleiten. In dieser Welt muss zwei und zwei nicht vier ergeben, und die neueste Behauptung braucht sich nicht um die Erinnerung an die gegenteilige Behauptung zu scheren, die nur ein paar Sekunden alt ist.

In normalen Zeiten ist das Ansehen einer öffentlichen Person, die beim Lügen erwischt wird oder einfach eine eklatante Unkenntnis der Wahrheit offenbart, beschädigt. Doch dies sind keine normalen Zeiten. Würde ein neutraler Beobachter auf Cades groteske Verzerrungen, Fehler und offene Lügen hinweisen, so würde der Zorn der Menge sich gegen den Zweifler richten, nicht gegen Cade. Bekanntlich brüllt nach dem Ende einer von Cades Reden jemand aus der Menge: »Das Erste, was wir tun, wir bringen alle Rechtsverdreher um« (IV, 2, 74).

Shakespeare wusste, dass die Zeile Gelächter hervorrufen würde, und das hat sie in den letzten vier Jahrhunderten getan. Sie setzt die Aggressionen frei, die das ganze Rechtswesen durchwirbeln – nicht nur die käuflichen Anwälte, sondern alle Teile des gewaltigen sozialen Apparats, der das Einhalten von Verträgen, die Zahlung von Schulden, das Erfüllen von Verpflichtungen überwacht. Wir stellen uns leichten Sinnes vor, die Menge erwarte von ihren Führern, dass sie verantwortungsbewusst für das Funktionieren dieses Apparates sorgen, aber diese Szene legt etwas anderes nahe. Was die Menge will, ist die Erlaubnis, Verbindlichkeiten zu ignorieren, Versprechen zu missachten und Regeln zu brechen.

Cade beginnt mit vagem Gerede darüber, »daß alles anders wird« (IV, 2, 63), aber seine eigentliche Anziehungskraft verdankt er der Lust an umfassender Zerstörung. Er feuert den Mob an, die Londoner Rechtsschulen niederzureißen, aber das ist erst der Anfang: »Ich hätt ein Gesuch an Eure Lordschaft«, bittet einer seiner glühendsten Anhänger, »daß alles Gesetz in England aus Ihro Mund sollt quellen«. Cade stimmt zu: »Ich hab’s erwogen, so soll’s sein. Los, macht! Verbrennt alle Staatsurkunden; mein Maul soll’s Parlament von England sein« (IV, 7, 3-13).

Dass die einfachen Leute bei dieser Zerstörung noch die sehr begrenzte Macht verlieren würden, die sie besitzen, spielt keine Rolle. Für die, die Cade am vehementesten unterstützen, ist das altehrwürdige System institutioneller Vertretung wertlos. Es hat sie – so empfinden sie es – nie vertreten. Sie haben das unbestimmte Verlangen, alle Verträge zerrissen, alle Schulden erlassen und die bestehenden Institutionen vernichtet zu sehen.

Besser die Gesetze kommen aus dem Mund des Diktators, der zwar von sich behauptet, ein Plantagenet zu sein, aber in dem sie einen der ihren erkennen. Die Massen wissen genau, dass er ein Lügner ist, doch er kann – trotz seiner Käuflichkeit, Grausamkeit und Selbstsucht – ihren Traum in Worte fassen: »Und ab sofort wird alles Gemeineigentum« (IV, 7, 16).

Cades Tirade macht jede Transparenz über seine Vergangenheit und jedes ernsthafte Bemühen hinfällig, dieses oder jenes Versprechen zu halten. Seine Anhänger fordern nicht, dass er sein Wort hält, im Gegenteil: Sie sind begeistert, wenn er gegen alle Verträge wettert: »Ist das nicht zum Gotterbarm, daß sie die Haut von unschuldigen Lämmern zu Pergament machen? Und daß Pergament, wenn vom Anwalt bekritzelt, einen Mann ruiniern kann?« (IV, 2, 75-78). Die Bemerkung über das »bekritzelte« Pergament ist zugleich lächerlich – wie sollten Rechtsdokumente sonst aussehen? – und schlau. Die Armen, deren Leidenschaften Cade anfacht, fühlen sich ausgeschlossen, verachtet und empfinden so etwas wie Scham. Sie sind aus einer Wirtschaft ausgegrenzt, die immer stärker das Beherrschen einer ehemals esoterischen Technik erfordert: Lesen und Schreiben. Sie können sich nicht vorstellen, diese neue Fertigkeit zu erlangen, und auch ihr Anführer sagt nicht, sie sollten Bildung erwerben. Das würde seinen Zielen kaum nützen. Stattdessen bedient er sich ihrer Feindseligkeit gegen die Gebildeten.

Der Mob ergreift rasch einen Schreiber und wirft ihm vor: »Der kann lesen und schreiben.« Seine Ankläger berichten: »Wir haben ihn erwischt, wie er Schuljungen das Schreiben gelehrt hat« (IV, 2, 80-84). Cade leitet die Untersuchung: »Unterschreibst du gewöhnlich mit deinem Namen? Oder hast du ein Kreuzzeichen, wie jeder ehrliche brave Mann?« Hätte der Schreiber gewusst, was gut für ihn ist, so hätte er darauf bestanden, Analphabet zu sein und nur mit einem Kreuzzeichen zu unterschreiben. Doch er verkündet stolz: »Herr, ich bin, Gott sei’s gedankt, so gut erzogen, daß ich meinen Namen schreiben kann.« – »Er hat gestanden«, ruft der Mob, »weg mit ihm. Das ist ein Gauner und Verräter.« Cade nimmt diese Forderung auf: »Weg mit dem, sag ich: Hängt ihn, mit Tintenfaß und Feder um den Hals« (IV, 2, 97-105).

Jack Cade sehnt sich nach der Zeit zurück, als Knaben, wie er sagt, »mit ihren Murmeln um die Franzosenkrone« spielten, bevor England »entmähnt und kahl und krüpplig [wurde] und müßt am Stock gehen« (IV, 2, 156-158). Bevor Schwächlinge das Land in die Irre führten, hätten seine Feinde vor Englands Macht erzittert, und diese glorreiche Kraftmeierei müsse zurückgewonnen werden. Er verspricht, England wieder groß zu machen. Wie er das anstellen will? Er zeigt es der Menge sofort: Er greift die Bildung an. Die gebildete Elite hat das Volk verraten. Es sind Verräter, die allesamt ihre gerechte Strafe erhalten werden, und diese gerechte Strafe wird nicht von Richtern und Anwälten verhängt, sondern durch Zuruf, in einer Art Wechselgesang zwischen dem Führer und seinem Mob. Der englische Schatzkanzler Lord Saye »spricht sogar französisch – und deshalb ist er ein Verräter!« Das ist durchaus folgerichtig: »Die Franzosen sind unsre Feinde; drum, da frag ich nur eins: Kann einer, der die Sprache des Feindes spricht, ein guter Ratgeber sein, ja oder nein?« Die Menge brüllt die Antwort: »Nein, nein; und darum wolln wir seinen Kopf« (IV, 2, 161-166).

Nachdem der Mob die Londoner Befestigungen durchbrochen hat, in die Stadt strömt und besagten Lord Saye gefangen nimmt, genießt Cade ausgelassen seinen Triumph. Er hat den höchsten Finanzbeamten des Reichs in seiner Gewalt, Sinnbild des Sumpfes, den er trockenlegen will. (Die tatsächliche Metapher des Demagogen für das, was er vorhat, ist etwas häuslicher. Er verkündet, »daß ich der neue Besen bin, der den Hof von solchem Kot wie dir freifegen muß« [IV, 7, 30-32].) Seine Anhänger nehmen jedes Wort von ihm begeistert auf, ihnen berichtet er von den Vorwürfen gegen den Gefangenen. Er klagt Lord Saye an, etwas noch Schlimmeres getan zu haben, als die Normandie den Franzosen zu überlassen:

Du hast hochverräterisch die Jugend des Landes durch die Einrichtung von Lateinschulen verdorben; und wohingegen früherzeitig unsre Vorväter keine Bücher kannten als das Kerbholz mit Holzkerben, hast du das Drucken durchgedrückt; und der königlichen Kronwürde und Würdenkrone zuwider hast du eine Papiermühle gebaut.
(IV, 7, 29-34)

Sich für die Bildung von Bürgern – Menschen, die Bücher lesen – eingesetzt zu haben, ist Sayes ungeheuerlichstes Verbrechen. Und Cade hat unterstützende Beweise: »Es wird dir ins Gesicht schlagend bewiesen werden, daß du Männer um dich hast, die Umgang mit Nomen und Verben pflegen und solchen herben und abscheulichen Worten, die kein christlich Ohr zu hören demutsgeduldig genug ist« (IV, 7, 34-37).

Natürlich sollen wir das lächerlich finden, die Szene ist darauf angelegt. Shakespeare begriff aber etwas von entscheidender Bedeutung. Obwohl die Absurdität der demagogischen Rhetorik überdeutlich ist, vermindert das Gelächter keine Sekunde lang ihre Bedrohlichkeit. Cade und seine Anhänger werden sich nicht davonschleichen, weil die traditionelle politische Elite und das gesamte gebildete Volk ihn für einen Esel halten.

Dass Cade selbst die Grundlage seiner Macht versteht, deuten die Zeilen nach seinem Geschwätz über Nomen und Verben an. »Du hast Friedensrichter bestallt«, wirft er Lord Saye vor,

daß sie sich arme Leute einbestellen hinsichtlich Fragen, die sie gar nicht beantworten können. Darüber hinaus hast du sie ins Gefängnis gesteckt; und weil sie kein Latein lesen konnten, hast du sie aufgehängt; wo sie doch aus gerade diesem Grunde zu leben besonders verdient hatten.
(IV, 7, 37-42)

In gewisser Weise ist diese Tirade die Fortsetzung des Unsinns, den Cade von sich gibt; es ist lächerlich, Verbrecher nur deshalb zu begnadigen, weil sie nicht lesen und schreiben können. Aber der Witz bekommt einen bitteren Beigeschmack. Das Stück hat bereits ausführlich gezeigt, dass die Reichen und Mächtigen ungestraft davonkommen. Außerdem wusste Shakespeares Publikum gut, dass die Gerichte seiner Zeit das sogenannte »Vorrecht des Klerus« einräumten: Wer wegen Mordes oder Diebstahls zum Tode verurteilt worden war und nachweisen konnte, dass er des Lateinischen mächtig war, konnte Kirchengerichten ohne Todesstrafe übergeben werden. Cades Vorwurf, dass Analphabeten gehängt wurden, ist völlig richtig – und trifft ein ganzes Rechtssystem, das die gebildete Elite stark bevorzugte.

So ist es kaum verwunderlich, dass die Unterschicht ein unerschöpfliches Reservoir an Unmut bietet, das Cade anzapfen kann, und ebenso wenig, dass der Spott und die Verachtung, mit denen er und seine Anhänger überhäuft werden, diesen Unmut nur verstärken. »Rebellenpack, Kents Abschaum und Kents Dreck,/Zum Galgen reif, legt eure Waffen ab,/Heim in die Hütten«, beschimpft der königliche Offizier Sir Humphrey Stafford den Mob. Dass er die Leute »Abschaum und Dreck« nennt, verleiht dem hochtrabend zur Schau getragenen Respekt, mit dem ihr Anführer sie bedenkt, nur noch stärkeres Gewicht: »Zu euch, euch, gute Leute, red ich hier,/Die ich euch zu regieren hoff dereinst;/Denn Englands Krone ist nach Recht mein Erbe.« Einmal mehr präsentiert Cade seine groteske Lüge, und einmal mehr versucht der Vertreter des Staates, sie zu entlarven: »Du Lump! Dein Vater war ein Mauermörtler«, schäumt Stafford, worauf Cade erwidert: »Und Adam war ein Gärtner« (IV, 2, 116-129).

Diese Antwort ist mehr als eine unlogische Replik. Cades Worte spielen auf eine Losung aus dem Bauernaufstand des späten 14. Jahrhunderts an: »Als Adam grub und Eva spann, wer war da der Edelmann?« Der Anführer der Bauern, der revolutionäre Priester John Ball, erklärte damals die Bedeutung seines aufrührerischen kleinen Reims: »Von Anbeginn an waren alle Menschen von Natur gleich geschaffen.« Im Lauf der Rebellion hatten die Aufständischen Archive verbrannt, Gefängnisse geöffnet und Staatsbeamte getötet.

Shakespeare überträgt die Furcht und den Abscheu der Besitzenden vor der Erhebung der Unterschicht in seine Schilderung von Cades Aufstand. Was die Bauernrebellen antreibt, ähnelt der mörderischen Vision Pol Pots in Kambodscha: Sie wollen nicht nur die Adligen vernichten, sondern gleich die ganze gebildete Bevölkerung des Landes. »Gelehrte, Advokaten, Adel, Hof allesamt/Ist für sie Ungeziefer und soll sterben«, berichtet ein entsetzter Beobachter (IV, 4, 35-36).

Das einfache Volk ist ausgebeutet und versklavt worden, jetzt ist die Gelegenheit gekommen, Freiheit zu erringen. »Wir lassen keinen aus, nicht Lord, noch Edelmann«, verspricht Cade eiskalt und treibt seine Anhänger an: »Schont keinen als bloß die in Nagelschuhen«, nämlich den Stiefeln der Bauern. Es sind nicht die städtischen Massen, die sich erhoben haben, sondern die Armen vom Land, die allesamt, wie Cade sagt, »wenn sie’s wagten, bei uns mittun würden« (IV, 2, 177-180). Sie sind Mitläufer in einem Krieg der Unwissenden gegen die Gebildeten und würden, wenn sie den Mut hätten, das grausige Ende beklatschen, das er Menschen wie dem wortgewandten Lord Saye beschert: »Geht, schafft ihn weg, sag ich, und haut ihm gleich den Kopf ab; und dann brecht seinem Schwiegersohn ins Haus, Sir James Cromer, und haut dem den Kopf ab, und bringt sie mir auf zwei Stangen her« (IV, 7, 102-104).

Als sein Befehl ausgeführt ist und die Köpfe gebracht werden, inszeniert Cade ein Stück sadistischen politischen Theaters: »Laßt sie sich küssen«, befiehlt er, »denn zu Lebzeiten warn die ein Herz und eine Seele.« Und mit dem grausamen Sarkasmus, der diese Art des Demagogen perfekt veranschaulicht, fügt er hinzu: »Nun trennt sie wieder, damit sie nicht beratschlagen, wie sie noch mehr Städte in Frankreich aufgeben« (IV, 7, 121-125).

Cade strebt danach, ein Tyrann zu sein, und zwar ein reicher: »Der stolzeste Peer im Reich soll keinen Kopf am Kragen tragen, außer er zahlt mir Tribut« (IV, 7, 111-112). Außerdem wünscht er sich das Recht, mit jeder Frau zu schlafen, die er in die Finger kriegen kann. Eine Weile kann er seine Anhänger zu wahnhafter Zerstörungswut aufpeitschen: »Rauf in die Fish Street! Runter Sankt Magnus Corner! Schlagt sie tot und macht sie alle! Schmeißt sie in die Themse!« (IV, 8, 1-3). Doch er kann auf keine organisatorischen Fähigkeiten und keine Partei zurückgreifen, und wir wissen (im Gegensatz zu seinen Anhängern), dass er nur das Werkzeug des finsteren York ist.

Als die Zeit reif ist, kopieren die Vertreter des Königs Cades Methoden, appellieren an patriotische Gefühle und Beutefantasien und locken den Mob von seinem Aufstand fort in eine andere Richtung – »Nach Frankreich! Frankreich! Holt euch, was verlornging.« Der isolierte und verbitterte Cade flieht und verflucht seine einstige Gefolgschaft:

Ich dacht, ihr wolltet nie die Waffen niederlegen, bis ihr euch nicht eure alte Freiheit zurückgeholt hättet; aber ihr seid alle Abtrünnige und Feigherzen und seid erst froh, wenn ihr unterm Adel in Sklaverei leben dürft. Solln sie euch doch den Buckel brechen mit Bürden, euch die Häuser unterm Hintern wegnehmen, eure Weiber und Töchter euch vor den Augen vergewaltigen.
(IV, 8, 24-31, 48)

Wenn wir Cade das nächste Mal sehen, dringt er als hungriger Flüchtling in einen Garten ein, »nachschaun, ob ich nicht was Gemüsiges knabbern oder ein paar Blatt Salat pflücken könnte«. Der Gartenbesitzer erschlägt den abgemagerten Rebellen mühelos mit dem Schwert und zerrt seine Leiche »zum Haufen Mist hin, der dein Grab sein soll« (IV, 10, 10-11, 80).

König Heinrich atmet erleichtert auf, doch fast zugleich mit Cades Ende wird ihm gemeldet, dass York sich mit einer irischen Armee dem königlichen Lager nähert. York ist schlau genug, seine Absichten so lange zu verbergen, bis er stark genug zum Handeln ist, aber in seinen Monologen macht er klar, dass er sich mit nichts Geringerem als der Krone zufriedengeben wird. Es folgt ein kompliziertes Gewirr von Ereignissen, Kriegen in Frankreich, Verschwörungen, Verrat und Gewalt in England. Das Resultat ist ein offener Krieg zwischen beiden Parteien, der roten und der weißen Rose, den Anhängern von Lancaster und York.

Die Schrecken dieses Krieges versinnbildlichen den Zusammenbruch grundlegender Werte – Respekt für Ordnung, Menschlichkeit und Anstand –, der den Weg für den Aufstieg des Tyrannen ebnet. Die Keime des Zusammenbruchs waren schon im Streit zwischen York und Somerset sichtbar geworden, wo die Meinungsverschiedenheit über ein obskures juristisches Problem rasch zu einem Trommelfeuer von Beleidigungen eskalierte. Der Zorn wurde durch den Aufstieg der Parteipolitik verstärkt und führte dann durch Yorks List zum Mord an Herzog Humphrey und zu Jack Cades Aufstand. Doch der Bürgerkrieg hebt den Schleier der Verstellung. Die führenden politischen Figuren verstecken ihre höchsten Ambitionen nicht mehr und überlassen das Ausagieren ihrer sadistischen Impulse nicht länger ihren Untergebenen. Die byzantinische Komplexität der Handlung von diesem Punkt an macht das letzte Stück von Shakespeares Trilogie schwer inszenierbar, aber einige Punkte sind besonders bemerkenswert.

Erstens macht das wachsende Chaos den Ausgang des Machtkampfs völlig unvorhersehbar. Solange er im Halbschatten wirkte und seine Wünsche durch Stellvertreter wie Cade vorantrieb, schien York nahezu unverwundbar. Sobald er jedoch im Licht steht – an einem Punkt setzt er sich sogar auf den Thron, muss aber schnell wieder heruntersteigen –, werden er und seine Familie zu direkten Zielen des gegnerischen Lagers. Seine Feinde nehmen seinen zwölfjährigen Sohn gefangen und ermorden ihn. Als sie kurz darauf York selbst gefangen nehmen, bieten sie ihm höhnisch ein mit dem Blut seines Sohns getränktes Taschentuch an. Dann verspotten sie ihn und krönen ihn mit einer Papierkrone, bevor sie ihn schließlich erstechen. Diese bösartige Grausamkeit hat er selbst mit entfesselt und legitimiert, und sie beendet das Leben des Möchtegerntyrannen.

Zweitens wird der Traum von der absoluten Herrschaft nicht von einer Einzelperson geträumt; im politischen Denken der Zeit ist das eine dynastische Ambition, eine Familienangelegenheit. In einer Epoche, in der die Macht regelmäßig vom Vater auf den ältesten Sohn überging (oder, falls keine Söhne existierten, auf die älteste Tochter), war es nur zu verständlich, wenn Tyrannen die Monarchen kopierten, die sie ablösen wollten, und versuchten, die Macht für ihre Erben zu sichern. Sogar in demokratischen Systemen, wo die Nachfolge durch Wahlen entschieden wird, haben wir dynastische Ambitionen keineswegs hinter uns gelassen; vielmehr scheinen sie in der heutigen Politik stärker zu werden. Und wem kann der stets unsichere Tyrann mehr trauen als den Mitgliedern seiner Familie?

Doch Familieninteressen sind nur ein Element im unaufhörlichen Tumult, den Shakespeare schildert. Der Tumult ist auch eine Folge der Parteipolitik, symbolisiert im Pflücken der weißen und roten Rosen. Yorks Tod ist ein schwerer Schlag für seine Partei, aber er beendet nicht die Bemühungen um den Sturz des rechtmäßigen Monarchen. Die Yorkisten finden einen neuen Kandidaten, Yorks Sohn Edward, und stärken mit allen Mitteln seinen Thronanspruch.

Drittens tritt die politische Partei, die um jeden Preis an die Macht kommen will, heimlich in Kontakt zum traditionellen Feind des Landes. Englands Feindschaft zu der Nation auf der anderen Seite des Ärmelkanals, die durch überhitzte patriotische Reden von der Wiedergewinnung verlorenen Territoriums ständig angefacht und von all dem dabei eingesetzten Gold und Blut befeuert wurde, verschwindet plötzlich. Die Yorkisten – die in Person von Cade so getan hatten, als sei es Hochverrat, auch nur Französisch zu sprechen – nehmen geheime Verhandlungen mit Frankreich auf, offiziell mit dem Ziel, den Krieg zwischen beiden Ländern durch eine dynastische Heirat zu beenden, in Wirklichkeit aber erwachsen sie, das stellt Königin Margaret zynisch klar, aus »dem Betrug, wie ihn die Not sich zeugt« (3 Heinrich VI., III, 3, 68). Um Edward Plantagenet auf den Thron zu bringen, versuchen die Yorkisten die Macht ihres Kandidaten zu stärken. Ihm fehlt immer noch die Kraft, Heinrich zu stürzen, und seine Partei wird sich die nötige Macht, egal woher, verschaffen, auch wenn das Landesverrat bedeutet. Dass die Yorkisten ständig den Verlust von so viel Territorium an die verhassten Gegner, die Franzosen, beklagt und Heinrich lautstark dafür die Schuld gegeben haben, spielt keine Rolle. Nun heucheln sie plötzlich »Freundlichkeit und ungefärbt[e] Liebe« ihrem Feind gegenüber (III, 3, 51). Glühende Patrioten wie Talbot sind hoffnungslos naiv, wenn sie meinen, die Loyalität zur Nation stehe über persönlichen Interessen. Eine zynische Insiderin wie Königin Margaret weiß es besser: »Denn wie kann ein Tyrann zu Haus ruhig herrschen,/Wenn er sich nicht im Ausland Rückhalt kauft?« (III, 3, 69-70).

Viertens kann der legitime, gemäßigte Herrscher nicht auf öffentlichen Dank oder Unterstützung zählen. In dem chaotischen Kampf aller gegen alle, der das Reich erfasst hat, erregt diese scheinbare Preisgabe von Prinzipien keine große Empörung. Was zu anderen Zeiten vielleicht zum Vorwurf des Verrats geführt hätte, wird einfach als normal akzeptiert. Und wenn es nicht länger die verdienten Strafen für Verrat gibt, gibt es auch nicht mehr die erhofften Belohnungen für Tugend. Vielleicht war eine solche Hoffnung immer trügerisch: Ein anständiger Herrscher sollte nie auf die Dankbarkeit des Volkes rechnen. Das hatte sich bereits während der Cade-Rebellion gezeigt, aber es bewahrheitet sich noch fataler auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs. Kurz vor seinem Sturz drückt Heinrich die Zuversicht aus, dass seine Untertanen ihn unterstützen werden, weil er stets ein einigermaßen gerechter, fürsorgender und gemäßigter König war. Dieser Anspruch ist nicht falsch, aber der tödliche Fehler liegt in Heinrichs Glauben, dies werde ihm öffentliche Unterstützung sichern:

Ich hab nicht ihren Bitten ’s Ohr verstopft,
Noch ihre Wünsche zögerlich verschleppt;
Mein Mitleid war für ihre Wunden Balsam,
Mein Mildsinn hat ihr schwellendes Leid gestillt,
Mein Gnadwort trocknete ihr Meer aus Tränen;
Ich hab nicht hingegiert auf ihren Reichtum,
Noch sie mit schweren Steuern sehr gepreßt,
Noch war ich rachewild, sooft sie irrten.
Warum dann sollten sie mir Edward vorziehn?
(IV, 8, 39-47)

Doch im Augenblick der Wahrheit, in der Schlacht, die entscheidet, ob es den Yorkisten endgültig gelingt, an die Macht zu kommen, bleibt die öffentliche Unterstützung für den tugendhaften Heinrich aus. Zuerst wird sein Sohn und Erbe von den Söhnen Yorks ergriffen und erstochen, dann stirbt er selbst von der Hand des skrupellosesten dieser Söhne, Richard, Herzog von Gloucester. Der Führer der Yorkisten, Edward Plantagenet, besteigt den Thron.

Und fünftens kann die scheinbare Wiederherstellung der Ordnung nach dem nationalen Chaos sich als Illusion erweisen. Edward, der meint: »Und nun was bleibt noch, als die Zeit verbringen/Mit Staatsprunkfeiern, heiteren Komödien«, ist eine gemäßigtere Gestalt als sein Vater York, weit weniger von Machtfantasien verzehrt. Um dem Land wieder den Anschein einer normalen, legitimen Herrschaft zu geben, hofft er ein kollektives Vergessen des Albtraums zu bewirken, aus dem alle noch kaum erwacht sind. In diesem Geist der Amnesie bezeichnet er das von seiner Partei angerichtete Blutvergießen als »Leid und Missgeschick« (V, 7, 42-45) und erklärt fröhlich, alle Bedrohung sei verschwunden: »So wischten Wir die Zukunftsangst vom Thron/Und machten Sicherheit zu Unserm Schemel« (V, 7, 13-14).

Nach den Schlussworten des neuen Königs scheint alles im Reich glücklich entschieden: »Denn heut, hoff ich, beginnt lang währndes Glück« (V, 7, 46). Am Ende von Shakespeares Rosenkriegs-Trilogie weiß das Publikum jedoch, dass diesem Glück keine Dauer beschieden ist. Edward verdankt den Sieg seiner Partei und damit seine Krone vor allem seinen tapferen Brüdern George, Herzog von Clarence, und Richard, Herzog von Gloucester. George schwankte an einem Punkt im Bürgerkrieg und schlug sich kurz auf die Seite Lancasters, kämpfte dann aber wieder für die Sache Yorks. Richard schwankte niemals, und er war es auch, der Heinrich VI. erschlug. Doch als der König blutend zu seinen Füßen lag, stellte Richard klar, dass seine einzige Treue ihm selbst gilt: »Hab keinen Bruder, bin nicht wie ein Bruder;/… Ich bin ich selbst allein« (V, 6, 80-83). Ein neuer Tyrann wartet auf seinen Auftritt.