Joe tat, wie Vera ihm befohlen hatte, und versuchte, etwas über Robbie Marshalls Finanzen in Erfahrung zu bringen. Den Fallakten hatte er nur entnehmen können, dass nach Robbies Verschwinden keine seiner Kreditkarten mehr benutzt worden war. Anrufe bei Marshalls Bank brachten auch nichts. Erst musste er zwanzig Minuten lang warten und einer Automatenstimme Fragen beantworten, dann führte er ein Gespräch mit der Mitarbeiterin eines Callcenters, nach dem beide angespannt und frustriert waren. Es war einfach zu lange her. Die Frau am anderen Ende der Leitung wusste überhaupt nicht, wo sie hätte anfangen sollen, weigerte sich aber, ihn zu jemandem durchzustellen, der ihm vielleicht hätte weiterhelfen können. Am Ende legte sie einfach auf. Joe wusste, dass es Wege gab, die durch dieses Labyrinth führten – er bräuchte die Aufgabe nur den Finanzspezialisten aus dem Betrugsdezernat zu übergeben –, aber auch ihn hatte die Ungeduld gepackt. Er brauchte die Art Unterlagen, wie er sie in Gary Keanes Büro gefunden hatte: Aufzeichnungen, auf die er sofort zugreifen konnte und die er verstand.
Das ließ ihn an Eleanor Marshall in ihrem schmucken Häuschen mit Blick auf den Park von Wallsend denken. Solange es keinen Beweis dafür gegeben hatte, dass Robbie nicht mehr am Leben war – könnte sie sein Zimmer da vielleicht so gelassen haben, wie es war, als er das letzte Mal aus dem Haus ging, nur falls er eines Tages aus heiterem Himmel doch wieder vor der Tür stand? Joe überlegte, ob Robbie 1995 wohl schon einen Computer gehabt hatte. Er selbst hatte einen der ersten Heimcomputer besessen, auf dem nur Spiele möglich waren. Aber vielleicht hatte Gary ja etwas Anspruchsvolleres für Robbie besorgt. Und vielleicht stand dieser Rechner ja noch in Robbies Zimmer, eine Schatztruhe voller Informationen über Marshalls Reisen und Finanzen, über seine Geschäfte mit der Viererbande und Gus Sinclair. Joe griff nach Jacke und Autoschlüsseln und machte sich auf den Weg gen Süden, in Richtung Tyne.
Bei seiner Ankunft stellte er überrascht fest, dass Eleanor Besuch hatte. Er hatte sich ausgemalt, sie würde ein zurückgezogenes Leben führen und einsame Mahnwache für ihren Sohn halten, doch nun parkte vor dem Haus der Marshalls ein kleiner Wagen, und eine Frau, die er nicht kannte, machte ihm die Tür auf. Sie war klein und emsig, ein Mitglied von Eleanors Kirchengemeinde, die gekommen war, um die ältere Dame in dieser schweren Zeit zu unterstützen. Das erklärte sie ihm schon, während er noch in der Tür stand. Als Joe sich vorstellte, erkannte Eleanor seine Stimme und rief aus dem Wohnzimmer: «Kommen Sie nur herein, Sergeant. Doreen wollte sowieso gerade gehen.»
Zu gehen war ganz offensichtlich das Letzte, was Doreen im Sinn hatte; sie war neugierig und wäre nur zu gern noch ein Weilchen geblieben. Eleanors Tonfall jedoch ließ keine Widerworte zu, und Doreen blieb nichts anderes übrig, als ihre Sachen zusammenzusuchen und zu gehen. Joe sah dem kleinen Wagen nach, als sie davonfuhr.
«Es tut mir leid, dass ich so hereingeplatzt bin.» Er setzte sich auf das winzige Sofa, das Vera bei ihrem ersten Besuch okkupiert hatte.
«Das muss es nicht.» Eleanor lächelte. «Doreen ist ein herzensguter Mensch, aber sie will auch immer bestätigt bekommen, wie gut sie ist. Und im Moment habe ich einfach nicht die Geduld für sie oder sonst eine von den Frauen, die in den letzten Tagen hier aufgekreuzt sind. Aber immerhin bringen sie Kuchen mit – wenn Sie zum Tee ein Stück haben möchten, Sergeant.»
«Wissen Sie, ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht noch ein paar von Roberts Sachen haben.»
«Natürlich. Seit er verschwunden ist, war ich nicht mehr in seinem Zimmer. Nicht mal um sauberzumachen. Darauf hat er immer bestanden. Auf seiner Privatsphäre. Er blieb gern bei mir wohnen, aber jeder von uns musste einen Bereich für sich allein haben.» Sie zögerte. «Als Inspector Stanhope mir sagte, dass er tot ist, war ich versucht hineinzugehen. Schließlich gilt diese Vereinbarung jetzt ja nicht mehr, und Robert wird es nie erfahren, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Nicht allein.»
«Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich ein wenig in dem Zimmer umsehe?» Er überlegte. Was konnte er sagen, damit sie es ihm gestattete? Auf keinen Fall: Dort liegen vielleicht Beweise dafür, dass er mit Frauen und Drogen handelte. «Dort liegt vielleicht etwas, das uns hilft, seinem Mörder auf die Spur zu kommen.»
«Das wäre wunderbar.» Dann zögerte sie wieder. «Allein dass die Tür geöffnet wird, würde mir, glaube ich, schon guttun. Sie war so viele Jahre lang verschlossen.»
«Hat Robert die Tür abgeschlossen?»
«Aber nein! Er bat mich, nicht hineinzugehen, und vertraute darauf, dass ich mich daran halte.»
«Möchten Sie mich vielleicht begleiten? Ich müsste Sie nur bitten, nichts anzufassen. Noch nicht. Aber vielleicht möchten Sie ja einen Blick hineinwerfen.»
Die Stille, die nun entstand, dehnte sich immer länger. «Ich glaube, es wäre mir lieber, wenn Sie zuerst allein hineingehen, Sergeant», sagte sie schließlich. «Ich brauche noch ein Weilchen, um mich zu wappnen. Der Gedanke, seine ganzen Sachen wieder zu sehen, ist doch sehr aufwühlend.»
«Aber als Robbie verschwand, müssen Sie doch auch hineingeschaut haben», meinte Joe. «Bestimmt haben Sie sich Sorgen gemacht, dass er krank im Bett liegt.»
Sie nickte zustimmend. «Ja, ich habe die Tür aufgemacht, aber hineingegangen bin ich nicht. Ich konnte von der Schwelle aus sehen, dass er nicht im Zimmer war und auch nicht in seinem Bett geschlafen hatte. Aber ich fürchte, in der Zwischenzeit habe ich meiner Phantasie erlaubt, mit mir durchzugehen, und jetzt habe ich ein bisschen Angst, wie ich auf das Zimmer reagieren könnte. Sein Zimmer. Diese lange Warterei auf eine Nachricht von ihm hat mich, glaube ich, ein wenig schrullig werden lassen.»
«Ich denke, darüber würde jeder ein wenig schrullig», sagte Joe. «Mir jedenfalls kommen Sie ausgesprochen vernünftig vor. Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt hochgehe?»
«Ja, bitte, gehen Sie nur. Ich bleibe hier, denn ich komme die Treppen nur noch sehr langsam hoch.»
«Es könnte eine Weile dauern, bis ich mir das Zimmer gründlich angesehen habe.»
«Ich habe jede Menge Zeit, Sergeant, und wenn Sie fertig sind, trinken wir einen Tee zusammen und essen von dem Kuchen meiner Seelsorgerinnen.» Sie lächelte fein. «Und wenn Sie dann vielleicht so freundlich wären, mich nach oben und in Roberts Zimmer zu begleiten. Es ist das hintere Zimmer, gleich neben dem Bad.»
Flur und Treppe waren düster, in einer Nachahmung des Tudorstils mit Holz getäfelt. Joe hatte den Eindruck, dass sich seit dem Bau des Hauses in den dreißiger Jahren nicht mehr viel verändert hatte. Durch ein Buntglasfenster am Treppenabsatz fiel ein wenig Licht. Die Treppe machte eine Biegung, und er hatte keine Ahnung, wie der Grundriss oben aussehen mochte, bis er dort stand. Die Türen waren ebenfalls dunkel, bestimmt waren es Originale. Sechs Holztüren mit Knäufen aus Bakelit. Die Badezimmertür war nur angelehnt, und im Vorbeigehen erhaschte er einen Blick auf die schwarz-weiß gefliesten Wände und den Boden und auf die große Badewanne aus Emaille. Vor dem Zimmer, das Robbie Marshall seit seiner Kindheit bewohnt hatte, zögerte er kurz. Etwas an Eleanors Aberglauben hatte auch ihm Angst gemacht. Dann aber zog er die Latexhandschuhe an, die er mitgebracht hatte, drehte den Türknauf und schaute hinein.
Als Erstes fiel ihm die Helligkeit auf. Das Zimmer war geräumig, mit einem großen Erkerfenster, das auf den Garten und den dahinter liegenden Park hinausging. Sonnenlicht flutete herein. Joe machte einen Schritt nach vorn und schloss die Tür hinter sich. Abgesehen vom Staub, der überall lag, und einem stickigen, sauerstoffarmen Geruch, hätte Robbie Marshall auch erst an diesem Morgen aus dem Zimmer gegangen sein können. Obwohl er es von klein auf bewohnt hatte, erinnerte nichts mehr an seine Kindheit. Sämtliche Poster oder Flugzeugmodelle waren längst beseitigt worden. An einer Wand stand ein Doppelbett, und in dem großen Erkerfenster der Schreibtisch. Kein Computer. Falls Robbie einen benutzt hatte, musste das bei der Arbeit gewesen sein, und dass der schon lange, zusammen mit allen anderen Anlagegütern der Werft, verschwunden war, war Joe klar. In den Nischen auf beiden Seiten der Kaminummantelung standen Regale voller Landkarten und Notizbücher. Es gab Reise- und Wanderführer, Unterhaltungsliteratur konnte Joe jedoch keine entdecken. Ein kleiner eckiger Röhrenfernseher, der seltsam altmodisch aussah, stand auf einem der Regalbretter, und davor war ein Sessel gerückt worden. Joe überlegte, wie oft Robbie seiner Mutter wohl Gesellschaft geleistet und wie viel Zeit er allein in seinem Zimmer verbracht hatte. Er fragte sich, ob sie ihn zu seinen Lebzeiten auch schon so vergöttert hatte wie seit seinem Verschwinden.
Die Notizbücher waren chronologisch geordnet und begannen mit Robbies Schulzeit. In den ersten hatte er Vögel notiert, die er auf den Exkursionen des Gymnasiums in Bebington gesehen hatte. Dazu hatte er kleine Skizzen angefertigt, die Joe merkwürdig anrührend fand. Die späteren Bücher enthielten detaillierte Berichte von Robbies Auslandsreisen. Er hatte Länder in Afrika und Südamerika besucht, von denen Joe bislang nur aus den BBC-Nachrichten gehört hatte, schien aber regelmäßig vor allem nach Osteuropa, Thailand und Indonesien gereist zu sein. Joe stieß auf Abkürzungen und Symbole, die ihm nichts sagten. Vielleicht konnte Vera die ja entschlüsseln. Immerhin war sie bei einem Vogelbeobachter groß geworden. Er überlegte, wie er es wohl anstellen sollte, dieses ganze Zeug aufs Revier zu schaffen, und beschloss dann, ein paar von den späteren Notizbüchern mitzunehmen und die früheren an Ort und Stelle zu lassen. Er glaubte nicht, dass eine Bootsfahrt von Seahouses zu den Farne Islands im Jahr 1972 besondere Relevanz für die Ermittlungen hatte.
An den Wänden zu beiden Seiten des Erkerfensters stand je ein stabiler weiß gestrichener Schrank. In dem einen hatte Robbie seine Kleider aufbewahrt: zwei Anzüge und einige gute Hemden auf Bügeln, ansonsten hauptsächlich Outdoor-Kleidung, die er wahrscheinlich auf seinen Streifzügen mit Hector in den Bergen getragen hatte. Im zweiten Schrank waren Bretter eingezogen, vollgestellt mit Ordnern. Hier also hatte Robbie sein Privatbüro gehabt, und Joe verspürte ein Gefühl des Triumphs. Irgendwo in diesen ganzen Unterlagen sollte es doch möglich sein, mehr über Marshalls Geheimgeschäfte zu finden. Joe ging die Ordner durch, überflog die Titel auf den Papprücken und stieß sofort auf einen, auf dem «Seagull» stand. Er zog den Ordner heraus, merkte aber gleich, dass er Zeit brauchte, wenn er den gründlich lesen und den Inhalt überprüfen wollte. Da waren Aufträge, Zettel, die als Quittungen gedient hatten, etwas, das nach einem offiziellen Gesellschaftervertrag aussah. Wie sehr Vera sich über seinen Fund freuen würde, dachte er, und wie sauer sie sein würde, dass sie nicht selbst auf den Gedanken gekommen war, dass Eleanor Robbies Zimmer bestimmt unverändert gelassen hatte.
Joe zog die Ordner einen nach dem anderen aus dem Schrank und stapelte sie auf dem Bett. Die würde er alle mit aufs Revier nehmen, damit das Team sie durcharbeiten konnte, zusammen mit den jüngsten Notizbüchern. Im letzten Ordner befanden sich Marshalls Kontoauszüge sowie Unterlagen über einen Bausparvertrag. Dort wurden fünfzigtausend Pfund bei der Northumbria Building Society ausgewiesen. Joe glaubte, dass das Mitte der neunziger Jahre ein Vermögen gewesen sein musste. Jedenfalls sicher mehr, als man als Leiter der Beschaffungsstelle einer Werft hatte ansparen können, selbst wenn man nebenher mit ein paar gestohlenen Vogeleiern gehandelt hatte. Joe hoffte, dass irgendwo in dem Berg aus Papieren auf dem Bett eine Erklärung dafür zu finden war, und dann überlegte er, wie viel Zinsen wohl schon aufgelaufen sein mussten. Er nahm an, dass das Geld nunmehr Eleanor gehörte und sie ihre restlichen Jahre jetzt wenigstens in einem gewissen Komfort verbringen konnte.
Die Kontoauszüge steckten gesondert im Pappordner, in einer Plastikhülle. Wie in Gary Keanes Büro war auch hier alles übersichtlich sortiert, und Joe fragte sich, ob Marshall wohl so eine Art Mentor für den jungen Keane gewesen war. Bei Joe zu Hause kümmerte Sally sich um die Finanzen, und sie war ziemlich gut darin, den Überblick über alles zu behalten, doch ihr System hatte mit dem hier nicht das Geringste zu tun. Sally bewahrte sämtliche Quittungen und Rechnungen in einem alten Schuhkarton auf. Joe überflog die letzten Auszüge. Die ganze Zeit über war ihm bewusst, dass Eleanor unten auf ihn wartete, dass sie versuchte, den Mut aufzubringen, dieses Zimmer zu betreten, das sie über zwanzig Jahre lang gemieden hatte, und er wollte sie nicht länger warten lassen als unbedingt nötig.
Dem letzten Kontoauszug zufolge bestanden Robbies laufende Einkünfte aus den Gehaltszahlungen der Insolvenzverwaltung von Swan Hunter’s sowie einer beträchtlichen monatlichen Einzahlung, die nur mit einer Referenznummer versehen war. Da mussten sich später die Finanzexperten drum kümmern. Joe überlegte, ob diese Einzahlungen wohl von Gus Sinclair stammten und welche Dienste Marshall dem Mann erbracht haben könnte, um eine solche Belohnung verdient zu haben. Das Einzige, was ihm sonst noch auffiel, war eine Zahlung, die Marshall an Hector Stanhope geleistet hatte, per Scheck. Über fünfhundert Pfund. Als er sich den Auszug davor ansah, entdeckte Joe, dass Robbie im Vormonat dieselbe Summe an dieselbe Adresse gezahlt hatte. Und im Monat davor. Nicht per Dauerauftrag, sondern als regelmäßige Auszahlung. Warum hätte Robbie seinem alten Freund eine solche Summe zahlen sollen? Was könnte Hector im Gegenzug für ihn getan haben? Unter anderen Umständen hätte Joe Erpressung vermutet. Aber die beiden waren doch miteinander befreundet gewesen, oder nicht? Und Hector wäre sicher nie so weit gesunken, dass er einen Freund erpresst hätte.
Joe trug die Ordner in zwei Ladungen vom Bett nach unten und sperrte sie direkt in den Kofferraum seines Wagens. Als er vorhin nach oben gegangen war, hatte er die Tür zum Wohnzimmer zugemacht, und Eleanor tat keinen Mucks, selbst wenn sie seine Schritte auf der Treppe gehört haben sollte. Er hätte sie gern um die Erlaubnis gebeten, die Akten mitnehmen zu dürfen, glaubte aber, dass es sie zu sehr aufgeregt hätte, wenn sie hätte mit ansehen müssen, wie er ganze Arme voll mit den Sachen ihres Sohnes aus dem Haus trug. Als er fertig war, klopfte er an die Wohnzimmertür.
«Sind Sie fertig, Sergeant? Haben Sie etwas gefunden, was Sie brauchen können?» Sie war bereits aufgestanden, mit Hilfe ihres Rollators.
«Ich habe ein paar Unterlagen mitgenommen. Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus.»
«Werden Sie sie mir wieder zurückbringen?»
«Selbstverständlich, doch das kann eine Weile dauern. Ich werde aber dafür sorgen, dass Sie das Sparbuch für den Bausparvertrag so schnell wie möglich zurückbekommen. Das brauchen Sie, um Zugriff auf Robbies Geld zu erhalten.»
«Robbie hatte Geld?» Sie wirkte überrascht. «Natürlich war er immer sehr großzügig, aber ich bezweifle, dass noch viel übrig ist. Er reiste ja so viel.» Sie hielt inne. «Er meinte immer, wenn er stirbt, kann er sowieso nichts mitnehmen.»
«Offenbar hatte er einige Ersparnisse. Sie wissen nicht zufällig, woher er die gehabt haben könnte?»
«Ach, er hat schon immer sehr auf sein Geld achtgegeben, schon als kleiner Junge.»
«Hat Ihr Mann ihm etwas hinterlassen, als er starb?» Obwohl Joe nicht glaubte, dass ein Metzger seinem Sohn fünfzig Riesen vererbt haben könnte. Selbst in den Neunzigern, als Robbie verschwand, war das noch eine gewaltige Summe gewesen.
Sie schüttelte den Kopf. «Da gab’s nicht viel zu hinterlassen, und das ging alles an mich.»
«Haben Sie mal jemanden namens Hector Stanhope kennengelernt?»
Darüber musste sie eine Weile nachdenken. «Den Namen kenne ich natürlich. Robert ist ja immer mit ihm losgezogen, um Vögel zu beobachten.» Pause. «Ja, der war einmal hier, so ungefähr ein Jahr bevor mein Sohn verschwand. Daran kann ich mich noch erinnern, weil Robert selten Freunde mit nach Hause brachte. Nicht mal als er noch klein war. Immer nur John Brace. Robert brauchte nicht viel Gesellschaft.»
«Aber Hector war einmal hier?»
«Nur ein einziges Mal, und er blieb auch nicht besonders lang. Ich bot ihm an, mit uns zu Abend zu essen, aber er meinte, er hätte es eilig, und Robert ging mit ihm hoch in sein Zimmer. Mir kam es eher wie ein geschäftliches Treffen vor. Als sie wieder runterkamen, gaben sie sich die Hand. Das sah ziemlich offiziell aus, als hätten sie gerade ein Geschäft abgeschlossen. Überhaupt nicht wie zwei Freunde, die miteinander geplaudert haben.» Nachdenklich blickte Eleanor Marshall die Treppe hoch.
Langsam, Stufe für Stufe, stieg Joe mit ihr nach oben, bis sie den Treppenabsatz erreicht hatten, dann nahm er ihren Arm, und sie gingen gemeinsam bis vor Robbies Tür. «Möchten Sie gern allein hineingehen?»
Eleanor straffte sich. Seit sie das letzte Mal dieses Zimmer betreten hatte, war sie älter geworden, und damals war sie noch agil und fit gewesen, glücklich, ihr Haus mit dem über alles geliebten Sohn zu teilen. «Wenn es Ihnen nichts ausmacht, hier auf mich zu warten?»
Und Joe blieb dort stehen, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, und sah zu, wie sie das Zimmer betrat.