Tag 3

Mittwoch, 21. August

»Ich war beim Bäcker«, verkündete Marieluise und legte verführerisch duftende Croissants auf einen Teller. Heute trug sie ein Top, das besser an den Strand gepasst hätte als ins Kommissariat, und Amar konnte wieder mal nicht die Augen von ihr lassen.

»Wie geil ist denn das?«, rief er aus, meinte jedoch die leckeren Gebäckteilchen, von denen er sich sofort eines griff.

»Bröselt mir bloß nicht meinen Tisch voll«, warnte uns Müller.

»Ah, du frühstückst ja nicht mehr«, bemerkte Marieluise, »armer Kerl.«

»Wieso frühstückst du nicht mehr?«, fragte Amar mit vollem Mund.

Müller klopfte auf sein Bäuchlein. »Ach, ich will mal ein bisschen weniger essen. Und auf das Frühstück zu verzichten, fällt mir am leichtesten.«

»Das wäre nichts für mich«, war Amars Kommentar.

Müller winkte ab. »Also, was haben wir? Am besten, ich fange an, da ihr alle am Kauen seid. Aber wo ist eigentlich Jan?«

In dem Moment kam dieser gerade etwas atemlos herein und sagte: »Sorry, wir hatten Koliken.«

Tja, der moderne Mann.

Ohne darauf einzugehen, begann Müller: »Ich habe gestern schon mal etwas Interessantes erfahren. Der Sohn unserer Richterin war letztes Wochenende sehr wohl in Kampen. Er war Freitagnacht im Red, mit zwei Frauen. Die Kellner kennen ihn alle, da er schon seit Jahren dort Stammgast ist. Die Frauen haben sie auch schon vorher mit ihm gesehen, allerdings wussten sie nichts über diese. Eins war jedenfalls klar: Keine der beiden war Sandra Keller.«

»Sieh an, der Sohn unserer Richterin«, feixte ich, »und sie bezeugte, dass er die ganze Zeit zu Hause war.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns bewusst angelogen hat«, meinte Müller. »Wahrscheinlich weiß sie nicht, dass er auf Sylt war.«

»Auf alle Fälle müssen wir uns das Bürschchen vorknöpfen …«

»Das mache ich«, unterbrach mich Müller, »ich habe zwar gleich einen Termin bei der Sparkasse wegen Sandra Kellers Konto, aber danach rufe ich ihn direkt an. Ansonsten gab es nichts Besonderes in Kampen. Wie sieht es bei euch aus?« Er blickte zu Marieluise und Amar.

Amar wollte etwas sagen, doch Marieluise fiel ihm ins Wort.

»Wir haben doch die Kennzeichen aller Kunden der Toten am Autozug überprüft, und zwar in der Zeit von Freitag bis Sonntag.« Sie blickte triumphierend in die Runde. »Wir haben einen Treffer!«

»Und?«, fragte ich.

»Sag schon!«, stieß Müller gespannt hervor.

»Ein weißer Porsche Cayenne mit Husumer Kennzeichen, zugelassen auf die Baufirma von Freudenberg. Mit dem Sylt Shuttle Freitagfrüh auf die Insel und Sonntagabend zurück.«

»Sieh an!« Schwungvoll haute Müller mit der flachen Hand auf den Tisch. »Und um wie viel Uhr zurück?«

»Um neunzehn Uhr.«

»Zwischen elf und dreizehn war der Todeszeitpunkt, und dann wurde das Auto nach List weggebracht, das würde passen. Habt ihr auch Kameraaufnahmen? Wer saß in dem Auto?«, fragte Müller aufgeregt.

Die Kollegen schüttelten beide den Kopf.

»Die Kamera erfasst nur das Kennzeichen. Und die Webcam kann man nicht so nahe heranzoomen, dass man die Insassen erkennt, leider«, entgegnete Marieluise.

»Schade. Das sieht dennoch nicht gut aus für die Freudenberg. Wir müssen uns dringend mit ihr unterhalten. Verdammt, das heißt, wieder aufs Festland fahren.« Das schien ihm einen kleinen Dämpfer zu geben.

»Können die nicht herkommen?«, äußerte sich zum ersten Mal Jan Hagen.

»Kannst du vergessen«, erwiderte Amar. »Ich glaube nicht, dass der Oberstaatsanwalt sie zu einer Vernehmung zitiert. Schließlich können wir noch nicht nachweisen, wo Sandra Keller getötet wurde. Und wenn wir sie vorladen, wird sie es einfach ignorieren. Dazu hat sie ja leider das Recht.«

»Was ist mit einer Hausdurchsuchung im Kampener Haus der von Freudenbergs? Vielleicht finden wir Blutspuren«, schlug Marieluise vor.

Skeptisch schaute ich sie an. »Ich denke, wir müssen der Freudenberg vorher die Chance geben, zu klären, ob sie es war, die im Auto saß, und wenn ja, was sie auf Sylt gemacht hat. Dann stehen unsere Chancen für einen Durchsuchungsbeschluss besser. Erst mal sollten wir wieder nach Husum fahren. Jetzt haben wir genug Material, um die Freudenberg in die Enge zu treiben. Außerdem wäre es interessant, zu erfahren, wie ihr Mann reagiert, wenn er erfährt, dass sie heimlich auf Sylt war.«

»Sehe ich auch so«, bestätigte Müller, »also machen wir morgen wieder einen kleinen Ausflug nach Deutschland.«

»Nach Deutschland?«, wunderte sich Amar, »und wo sind wir jetzt bitte?«

»Die alten Sylter haben früher immer gesagt: ›Wir fahren nach Deutschland‹, wenn sie mal aufs Festland gereist sind«, erklärte ich dem Kollegen.

Daraufhin meinte er nur: »Schräge Typen, diese Insulaner.«

Dass wir jetzt eine Hauptverdächtige hatten, brachte Schwung in unsere Ermittlungen. Die Stimmung im Präsidium hatte sich merklich verändert, alle waren angespannt, im positiven Sinn. Selbst Jan Hagen, die Schlaftablette, wie ich ihn heimlich getauft hatte, kam in Schwung.

Wir verteilten in Windeseile die Aufgaben. Müller, der sich zum Glück bereit erklärte, die anstehende Pressekonferenz zu übernehmen, blieb im Büro, während ich mit Amar nach Kampen fuhr, um den Gast von Thomin und den Juwelier zu befragen. Selbst wenn wir eine vielversprechende Spur hatten, mussten wir unsere Hausaufgaben machen und die anderen Verdächtigen so weit wie möglich ausschließen. Marieluise und Jan gingen mit dem Foto der Freudenberg in Kampen und List von Haus zu Haus, um zu checken, ob jemand sie am Wochenende gesehen hatte. Am Nachmittag würden dann Müller und ich zum zweiten Mal nach Husum fahren, zu den von Freudenbergs. Es war uns tatsächlich gelungen, am frühen Abend einen Termin zu fixieren – und zwar mit beiden. Nach einer kleinen Diskussion hatten wir beschlossen, ihren Mann zu involvieren, er würde ebenfalls ein Interesse haben, die Wahrheit von ihr zu erfahren, was uns vielleicht helfen könnte.

Amar und ich standen kurz vor der Eingangstür von Thomins Friesenhaus. Kein Licht im Innern, kein Name an der Türklingel. Mal sehen, ob der geheimnisvolle Gast da war. Als wir die Klingel betätigten, erklang ein Pfeifen.

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Das ist nicht das Pfeifen aus ›Kill Bill?‹«

»Doch, gut erkannt«, entgegnete Amar belustigt, »genau das ist es.«

In dem Moment wurde die Tür aufgerissen, und ich war fassungslos. Vor mir stand kein anderer als mein Ex-Lover vom Frühjahr: der Däne Mats. Der Typ, der mal so nebenbei eine Ehefrau und zwei Kleinkinder unterschlagen hatte.

»Du?«, fragte er mit dämlicher Miene.

Mir blieben buchstäblich die Worte im Hals stecken.

Ich starrte ihn an. Er sah erholt aus. Braun gebrannt und barfuß, in Shorts und T-Shirt stand er in der Tür und strich sein widerspenstiges, dunkles Haar aus der Stirn. Warum sah er nur so unverschämt gut aus?

»Ah, ihr kennt euch?«, sprang mein Kollege ein. »Herr Erikson, nicht wahr?«

Mats nickte, anscheinend ebenso sprachlos wie ich.

»Kommissar Amar Ghosh und Hauptkommissarin Neele Eriksson«, stellte er uns vor, dabei fiel ihm die Namensgleichheit auf, und er bemerkte erstaunt: »Sind Sie verwandt?«

Wir schüttelten beide den Kopf.

»Wir müssen mit Ihnen sprechen. Dürfen wir reinkommen?«

»Äh, ja, klar«, stammelte Mats und bat uns rein.

Inzwischen hatte ich mich wieder gefangen, dennoch überließ ich Amar die Befragung. Mats sei seit Montag auf der Insel, da er für mehrere Workshops in der Westerländer Musikschule gebucht war. Nein, er sei zum ersten Mal in dem Haus, und er habe Sandra Keller noch nie gesehen, sein Freund habe ihn zwar gefragt, ob er eine Putzfrau brauche, aber er habe abgelehnt, da er durchaus in der Lage sei, das Haus selbst sauber zu halten.

Amar wollte wissen, mit welchem Autozug er gekommen war.

»Ich bin nicht mit dem Autozug gekommen, ich bin mit der Fähre von Rømø nach List übergesetzt, vorgestern früh um acht.«

»Haben Sie dafür einen Beleg?«

Mats blickte ihn erstaunt an. »Moment, ich habe ihn in meiner Geldbörse.«

Er ging ins Innere des Hauses und zeigte kurz darauf die Fährquittung. »Hier ist sie.«

Dann fragten wir, wann sein Freund abgereist war.

»Vor ungefähr vier Wochen«, erwiderte er.

Wir erfuhren noch, dass das Haus seitdem leer gestanden habe, sein Freund habe ihm angeboten, zu kommen, wann er wolle, doch er habe früher keine Zeit gehabt.

Gut, mehr war dazu nicht zu sagen.

Als wir uns verabschiedeten, bat mich Mats um ein Wort. Amar verließ daraufhin sofort das Haus, daher blieb mir nichts anderes übrig, als Mats zuzuhören.

»Du hast nie auf meine Nachrichten geantwortet«, fing er mit eindringlicher Stimme an.

»Wundert dich das?«, fragte ich kalt.

»Bitte, gib mir die Chance, alles zu erklären.«

»Da gibt es nichts zu erklären«, entgegnete ich und ging hastig weg.

Innerlich zitterte ich. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Dabei hatte es mich viel Mühe gekostet, die Geschichte mit Mats in die hinterletzte Ecke meines Gehirns zu packen und wegzuschließen. Und jetzt stand er vor mir und lächelte mich an, als könnte er kein Wässerchen trüben. Dieser Scheißtyp! Okay, er hatte mir nie was versprochen, so weit waren wir gar nicht gekommen. Aber die Male, die wir zusammen verbrachten, waren ausnehmend intensiv und schön gewesen und hatten sich nach mehr angefühlt. Er hatte mich nicht belogen, oh nein, er hatte nur verschwiegen, dass er gebunden war. Könnte man natürlich auch als eine Art Lüge bezeichnen. Jedenfalls war er für mich gestorben, auch wenn mir sein Anblick wieder durch Mark und Bein fuhr.

Schluss jetzt! Reiß dich zusammen, Neele, sagte ich zu mir, als ich mich zu Amar in den Dienstwagen setzte.

»War da etwa dicke Luft zwischen dir und dem Typen?«, empfing er mich.

Betont cool winkte ich ab. »Ach, ich war nur etwas überrascht. Ich kenne ihn flüchtig.«

»So, flüchtig?«, meinte er, wobei er das »so« süffisant betonte.

Als er einen scharfen Blick von mir erntete, setzte er schnell fort: »Geht mich ja auch nichts an.«

»Du hast es erfasst! Auf alle Fälle können wir Mats Erikson abhaken, wenn er erst seit Montag hier ist.«

»Denke ich auch. Jetzt zu dem Juwelier? Mal sehen, ob er heute da ist.«

Schon der Vorgarten des Mannes erfüllte alle Klischees, die man einem schwulen, exzentrischen Juwelier und Designer zuschreiben konnte. Wir gingen durch eine schmiedeeiserne Pforte mit Spitzen aus vergoldeten Lilien. Ein gepflegter Weg führte zur Haustür, die von zwei in Hundeform zurechtgestutzten Buchsbäumen gesäumt war. Oder waren das Löwen? Die Klingel spielte den Triumphmarsch von Verdi. Kopfschüttelnd schauten Amar und ich uns an. Hatten die Sylter ein neues Hobby, das mir bisher entgangen war, das Soundlogo an der Haustür?

Diese wurde gerade mit Schwung von einem älteren Herrn geöffnet, der begeistert rief: »Hallöchen, da seid …« Als er jedoch registrierte, wen er vor sich hatte, verstummte er abrupt und starrte uns an. »Hallo, ich dachte, es ist unsere Hundesitterin, die unsere beiden Schätzchen bringt.«

Wir stellten uns vor, und er bat uns sofort herein.

Vor ein paar Jahren hatte ich mal für unfassbare vierzig Dollar das Haus des verstorbenen Armani in Miami besichtigt und konnte nur sagen: Hier sah ich das Gleiche, völlig kostenlos. Die vergoldeten Lilien waren nur eine kleine Warnung vor dem, was uns hier erwartete. So viel Gold, Plüsch und Nippes, dass man gar nicht wusste, wo man seine Augen lassen sollte.

Der Hausherr im seidenen Morgenrock – ja, so etwas gab es auch heute noch – führte uns zum Esstisch, der in einem lichten Erker stand und einen Blick auf die beiden Kupferhirsche im Garten bot.

Hier saß er gerade mit seinem Mann beim Frühstück. Sein Mann, ich wusste, dass er Sven Birger hieß, war eine Art jüngerer Klon von ihm. Nachdem dieser uns mit Kaffee versorgt hatte, erklärte Schäfer, dass sie erst gestern mit dem letzten Autozug angekommen seien und noch nicht mal ausgepackt hätten.

Die beiden Männer waren außerordentlich freundlich und zeigten ehrliches Mitgefühl für den Tod von Sandra Keller.

»Wir können es gar nicht fassen, dass man sie umgebracht hat, das ist so furchtbar. Sie war nicht nur eine Haushaltshilfe, sie war eine Freundin von uns«, beteuerten sie immer wieder. »Wie oft saßen wir hier zusammen, wenn sie mit der Arbeit fertig war. Es ist alles so schrecklich.«

Als wir wissen wollten, ob sie sich vorstellen könnten, dass Sandra Keller in ihrem Haus mal heimlich übernachtet hat, waren sie entsetzt.

»Wieso sollte sie so etwas machen?«, fragten sie entgeistert. »Sie bräuchte uns doch bloß darauf anzusprechen.«

»Was wissen Sie über ihr Verhältnis zu Olaf Paulsen?«

»Wir wissen, dass er eine schreckliche Mutter hatte und dass sie sich getrennt hat. Wir dachten, sie wohnt bei ihrer Freundin.«

»Das war leider nicht möglich«, klärte ich sie auf, »sie hat daher heimlich in den leeren Häusern ihrer Kunden übernachtet.«

»O Göttchen, die Arme«, seufzte Schäfer, »wenn wir das gewusst hätten, sie hätte doch hier schlafen können.«

»Na ja, vielleicht mal ein, zwei Nächte, aber doch nicht über Wochen«, widersprach sein Mann.

»Kennen Sie die anderen Kunden von Frau Keller?«, hakte ich nach.

»Diese Schauspielerin, Kristina Kruse, wurde uns mal auf einem Fest vorgestellt, unangenehme Frau. Die von Freudenbergs dagegen sind gute Kunden. Er hat schon zwei Uhren bei uns gekauft …«

»Vergiss nicht den Verlobungsring«, warf sein Mann ein.

»Ja, natürlich, der Ring, ich habe ihn selbst gefertigt, ein schönes Stück.«

»Waren Sie mit der Familie von Freudenberg befreundet?«

»Leider kann ich Ihnen da nicht helfen, sie sind nur Kunden. Sie glauben doch nicht, dass die von Freudenbergs etwas mit dem Tod von Sandra zu tun haben. Also auf keinen Fall! Sie sind so reizend.«

Dann erfuhr ich, dass während ihrer Abwesenheit in dem Haus nicht eingebrochen worden sei, sie hätten nichts bemerkt und vermissten nichts, erklärten sie auf meine Nachfrage, allerdings seien sie noch nicht im Keller gewesen.

»Was befindet sich im Keller?«, wollte ich wissen.

»Das ist unser Fahrzeugpark, wir haben eine kleine Leidenschaft für wunderschöne Autos«, erklärte Schäfer geziert, »deshalb nutzen wir den gesamten Keller als Garage, zwei Stockwerke.«

Ich war etwas verblüfft, denn mir war nur der SUV aufgefallen, der auf einem Parkplatz rechts auf dem Grundstück stand. Eine Garageneinfahrt hatte ich nicht gesehen, die befand sich wohl auf der anderen Seite.

»Ja«, bestätigte Schäfer, »wir sind gestern Abend mit dem SUV angekommen und haben ihn einfach draußen abgestellt, weil wir so verdammt müde waren. Die Messe, die Hitze in Indien und der lange Flug, das war ja alles so anstrengend«, stöhnte er.

»Lassen Sie uns doch mal den Keller überprüfen«, bat ich sie.

Die beiden Herren führten uns zu einer Treppe, die nichts mit den Kellertreppen gemein hatte, die ich so kannte, denn sie war breit, geschwungen und aus glänzend weißem Marmor, genau wie der Bodenbelag der großen Garage.

Amar pfiff anerkennend durch die Zähne, als er die Fahrzeuge erblickte, von denen sicher keines weniger als Hunderttausend gekostet hatte.

Dann ein Aufschrei der beiden Männer.

»Wo ist der Roadster? O Gott, mein Herz!«

Schäfer fasste sich an die Brust, und sein Mann legte ihm die Hand auf den Arm. »Beruhige dich«, beschwor er ihn, »vielleicht gibt es eine Erklärung.«

»Ruf bitte sofort Sigi an und frag ihn, ob das Auto in der Werkstatt ist. Aber das kann ja nicht sein, er war doch gerade in der Inspektion, o Gott«, jammerte der Juwelier, »das kann doch nicht wahr sein.«

Sven Birger war schon am Telefon und sprach hastig in den Hörer.

Als er das Handy wegsteckte, wandte er sich zu seinem Mann: »Sigi weiß von nichts, er war gar nicht hier unten. Er hat nur im Garten gearbeitet.«

Er erklärte uns, dass Sigi Sörensen ihr Gärtner sei und sich auch um die Pflege der Fahrzeuge kümmere.

»Das ist unmöglich«, erregte sich Schäfer, »das Auto kann doch nicht einfach verschwinden. Mutti fährt den Wagen immer, wenn sie hier ist. Was wird sie jetzt sagen?«

»Ach Gott, das ist ja schrecklich«, stimmte Birger ein, »wissen Sie, Mutti ist öfter mal ein paar Wochen bei uns, und da braucht sie den Wagen. Wir haben das Auto nur für sie gekauft.« Er schüttelte bekümmert den Kopf.

Schäfer fuhr fort: »Normalerweise ist Mutti immer hier, wenn wir wegfahren, um auf Timo und Tati aufzupassen, das sind unsere Hündchen, nur dieses Mal konnte sie nicht kommen. Sie ist nämlich gerade zur Reha im Harz wegen ihrer Bandscheiben-OP, die Arme.«

»Was ist mit den Wagenschlüsseln?«, erkundigte sich Amar. »Wo bewahren Sie die auf?«

Die Männer gingen in die hintere Ecke der Garage, wo eine Art Werkstattwagen mit allerlei Werkzeug und Messgeräten stand. Birger schob ihn weg und stieß einen Schrei aus.

»Der Tresor, sehen Sie nur! Oh nein!«

»Vorsicht, nichts anfassen«, rief Amar, und Birger wich einen Schritt zurück.

Der Tresor war aufgebrochen, anscheinend hatte man die Tür aufgebohrt. Amar nahm ein sauberes Papiertaschentuch und öffnete die Tresortür so weit wie möglich. In dem Innenfach lagen mehrere Briefumschläge in verschiedenen Farben.

»Sind die Wagenschlüssel in den Umschlägen?«, fragte ich weiter.

»In jedem Umschlag ist ein Autoschlüssel und eine Fernbedienung, um die Garage zu öffnen«, erklärte Birger, dann rief er aus: »Der rote Umschlag fehlt, das ist der Schlüssel vom Roadster, oh nein.«

»Sind auch die Fahrzeugpapiere dabei?«

Birger verneinte. Die Papiere und die Zweitschlüssel waren in einem zweiten Tresor untergebracht, im Arbeitszimmer der Männer.

»Ich kann nicht verstehen, wieso die gerade den Roadster geklaut haben«, stöhnte Schäfer. Plötzlich japste er nach Luft und fasste sich wieder ans Herz, so dass Birger besorgt einen Stuhl aus der Ecke holte, den er ihm unterschob.

»Zumindest wissen wir jetzt, wie die Autodiebe das Auto hinausfahren konnten«, sagte Amar.

»Aber wie können sie reingekommen sein?«, fragte ich die beiden Männer.

Beide zuckten ratlos die Schultern.

Wir schauten uns in der Garage um. Das Tor war unversehrt, ebenso die Tür, die sich daneben befand. Eines der Kellerfenster war jedoch zerbrochen. Es gab insgesamt sechs Fenster, vor denen sich Schächte befanden, so dass sie viel Licht durchließen, und eines davon war eingeschlagen. Wir hatten das anfangs nicht bemerkt, da sich vor dem Fenster eine Säule befand.

»Jetzt wissen wir auch, wie der oder die Täter reinkamen«, meinte Amar.

»Und sie müssen gewusst haben, dass hier ein Tresor ist, den kann man ja nicht sehen«, jammerte Schäfer.

»Wer könnte das wissen?«, erkundigte ich mich.

Birger zählte auf: »Eigentlich nur wir beide und Mutti und natürlich Sigi.«

»Sigi Sörensen?«

Schäfer nickte.

»Von ihm brauchen wir die Kontaktdaten.«

»Klar, die habe ich oben im Büro. Wir sollten jetzt hochgehen«, sagte Sven Birger dann mit Blick auf seinen Mann. »Thorsten muss sich dringend hinlegen.«

Birger schaute noch in der unteren Garage nach, ob etwas fehlte, doch da war alles in Ordnung. Daraufhin gingen wir nach oben, schlossen die Tür zur Garage ab und riefen Müller an, damit er ein paar Leute zur Spurensicherung herschickte. Das Ganze wurde immer komplizierter. Wir waren schließlich auf einer Insel, da wurden normalerweise keine Autos gestohlen. Schließlich musste man diese aufs Festland bringen. Und wieso wurde nur der Roadster gestohlen und nicht eines der wertvolleren Fahrzeuge, die hier herumstanden? Allein der Lotus war mehr als das Doppelte wert, so viel war selbst mir als absolute Autodilettantin klar.

Hatte Sandra doch hier geschlafen und die Autodiebe überrascht, so dass diese ihren Diebstahl nicht vollenden konnten? Wurde sie deshalb erschlagen?

Thorsten Schäfer war so mitgenommen, dass er eine Beruhigungspille nahm und zu Bett ging. Deshalb beantwortete Sven Birger unsere Fragen und schritt mit uns durch das Haus, um zu sehen, ob noch etwas fehlte. Offensichtlich war das nicht der Fall. Im Safe sei alles vorhanden, Bargeld, Papiere und Schmuck, alles da. Die Alarmanlage, so versicherte er uns, sei scharf geschaltet gewesen, als sie gestern Abend ankamen. Es sei alles wie immer gewesen.

Also hatte jemand den Alarm abgeschaltet und wieder eingeschaltet. Das sprach dafür, dass Sandra Keller in der Wohnung war, denn sie kannte den Code.

Dann ertönte der Klingelmarsch, und zwei kleine weiße Hündchen stürmten gleichzeitig mit der Spurensicherung ins Haus.

»Nehmen Sie die Hunde weg«, schrie einer der Kollegen, »das darf doch nicht wahr sein. Die müssen an die Leine und raus hier!«

Eine kleine mollige Frau wedelte mit den Leinen und rief aufgeregt: »Hierher, Timolein, hierher, Tatilein. Sitz!«, was die Hündchen nicht im Geringsten kümmerte. Mit einem Griff packte der Kollege einen der Hunde und beförderte ihn vor die Tür. Die Frau schrie, und Birger wurde ganz blass. Endlich bekam die Hundesitterin den anderen Hund zu fassen und nahm ihn an die Leine, bevor der Kollege wieder zugreifen konnte. Was für ein Tohuwabohu.

»Wie soll man seine Arbeit tun, wenn die Köter hier herumrennen?«, schimpfte der Kollege, der anscheinend den Einsatz leitete.

»Shit happens«, meinte Amar lakonisch und erntete dafür böse Blicke sowohl von den Kollegen als auch von Birger.

Ich beeilte mich, die Spurensicherung über den Diebstahl des Wagens zu informieren, und wir machten uns auf den Weg zurück zum Büro.

Im Auto konnte mein Kollege immer noch nicht fassen, was er eben gesehen hatte. »Weißt du, was diese Karren kosten?«, fragte er ehrfürchtig.

»Keine Ahnung.« Autos waren für mich Fortbewegungsmittel, mehr nicht.

»Der Lotus sicher mehr als eine Viertelmillion, dann der Ferrari …«

So ging es weiter, bis wir unseren Wagen in Westerland auf dem Parkplatz des Präsidiums abstellten. In seiner Begeisterung schien ihm gar nicht aufzufallen, dass ich während der ganzen Zeit kein einziges Wort von mir gegeben hatte.

»Ich glaub es nicht«, seufzte Müller, »jetzt haben wir auch noch Autodiebstähle auf der Insel. Immer mal was Neues. Wenn es Profis waren, haben sie den Wagen in einen Lkw gepackt und von der Insel geschafft, und die Karre ist schon längst in einem Schiffscontainer auf dem Weg nach Asien oder Afrika.«

»Profis bringen niemanden um«, wandte ich ein.

»Meinst du wirklich, zwei Verbrechen ereignen sich gleichzeitig in einem Kaff wie Kampen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Man hat schon Pferde kotzen sehen. Bis eben war die Freudenberg im Fall Sandra Keller unsere Hauptverdächtige, da müssen wir dranbleiben.«

»Klar«, erwiderte er, »wir fahren ja gleich hin. Doch jetzt haben wir einen zweiten konkreten Verdachtsstrang. Wir müssen alle Kameras von letzter Woche checken. Vielleicht ist der Roadster ja doch von der Insel gefahren. Außerdem sollten wir die Lkw-Kennzeichen mit dem Fachdezernat abgleichen, möglicherweise ist ein alter Bekannter dabei.«

»Ich setze mich mit den Kollegen in Verbindung. Es sind ja immer die gleichen Banden, die Autos klauen«, meldete sich Amar.

»Gut.« Müller nickte. »Aber echt, dass die jetzt auch nach Sylt kommen, hat uns gerade noch gefehlt.«

»Könnte die Keller mit drinhängen?«

»Wer weiß?«, sagte Müller. »Sie hatte jedenfalls eine Menge Geld auf ihren Konten. Ich war doch vorhin drüben in der Sparkasse. Sie hat da ein Girokonto, ein Tagesgeldkonto und ein Sparkonto. Insgesamt waren über 80.000 Euro drauf.«

Marieluise kriegte große Augen. »Achtzigtausend? Das hat sie als Putzfrau und Kellnerin gespart?«

»Das hat sie in den vergangenen vier Jahren eingezahlt. Nicht in einer größeren Summe, sondern jeden Monat ein bisschen was.«

»Ihre Freundin und auch die Mutter ihres Ex haben sie beide als sparsam und sogar geizig beschrieben.«

»Vielleicht hat sie etwas von dem Diebstahl mitgekriegt und dann jemanden erpresst. Wenn sie so geldgierig war, würde das ja passen.«

»Das ist ihr jedenfalls nicht gut bekommen«, meinte Amar.

»Oder sie war von Anfang an am Diebstahl beteiligt«, spekulierte Müller, »schließlich haben die Diebe die Alarmanlage ausgeschaltet, und die Keller kannte den Code.«

»Oder sie haben die kurzgeschlossen, wenn sie technisch versiert waren«, wandte Amar ein, »das werden wir ja bald von der Spurensicherung erfahren. Doch warum sollten sie die Keller umbringen, wenn sie ihre Komplizin war?«

Fragen über Fragen.

»Wir müssen mehr über Frau Keller erfahren. Morgen kommt ihre Familie aus Hamm, vielleicht bringt uns das weiter. Aber jetzt brauchen wir vor allem Infos zu Sörensen. Der kannte auch den Code. Überprüfe den mal, und check auch im Internet, ob der Roadster da irgendwo auftaucht.«

»Klar, mach ich«, entgegnete Amar.

»Gut«, bestätigte Müller, »kümmerst du dich bitte mit Marieluise um die Kameras, Jan?«

»Okay«, brummte dieser. Begeisterung klang anders.

Es gab jetzt jede Menge zu tun, daher bestellten wir uns Pizzen, um keine Zeit mit einer Mittagspause zu verlieren.

Um drei Uhr nahmen Müller und ich den Autozug, so dass wir um siebzehn Uhr pünktlich vor der Freudenberg’schen Villa standen.

Diesmal war der Empfang merklich kühler. Bei Tanja von Freudenberg war das sehr verständlich, sie musste ja auf heißen Kohlen sitzen, wenn sie heimlich das Wochenende mit einem Lover auf Sylt verbracht hatte, selbst wenn sie nicht die Täterin war. Und der Hausherr war einfach sauer, weil er wieder von uns gestört wurde.

Müller und ich hatten die Befragung auf der Herfahrt geplant, so dass wir jetzt sofort loslegten. Wie meist bei den Befragungen war ich die Schärfere, während er mit seiner sanften, freundlichen Art versuchte, das Vertrauen der Leute zu gewinnen.

»Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, wir haben noch ein paar Fragen«, begann Müller. »Welche Autos fahren Sie?«

»Wieso wollen Sie das wissen?«, fragte von Freudenberg zurück.

»Routine, wir wollen Sie einfach ausschließen.«

Ich beobachtete die junge Frau, die sich ständig auf die Unterlippe biss und an ihren Fingernägeln zupfte. Da war jemand richtig nervös.

»Gut«, lenkte von Freudenberg ein, »wenn es Ihnen denn hilft. Ich fahre einen Mercedes und meine Frau einen Porsche Cayenne.«

»Werden die Fahrzeuge nur von Ihnen gefahren?«

»Selbstverständlich!«, erwiderte der Mann. »Es kann natürlich mal vorkommen, dass ich den Porsche nehme, wenn meine Frau ihn nicht braucht, aber das passiert selten.«

»Und Ihre Kinder?«

»Die haben eigene Autos.«

»Wo befanden sich Ihre Fahrzeuge letztes Wochenende?«

Langsam wurde von Freudenberg ungehalten. »Was soll das? Ich war mit meinem Wagen auf der Messe, und meine Frau war zu Hause, das wissen Sie doch.«

Ich zog die Ausdrucke der Quittungen vom Sylt Shuttle sowie die Fotos der Webcam aus meiner Tasche und erklärte scharf: »Hier Freitag, den 16. August, fuhr ein weißer Porsche Cayenne mit dem Kennzeichen NF-TF 222, zugelassen auf Ihre Firma, um elf Uhr dreißig nach Sylt und verließ die Insel zwei Tage später, am Sonntag, den 18. August um neunzehn Uhr. Auf der Hinfahrt wie auf der Rückfahrt befanden sich zwei Personen im Fahrzeug. Was haben Sie dazu zu sagen, Frau von Freudenberg?« Ich blickte sie an.

Tanjas Gesicht war knallrot, sie fasste sich in die Haare und stotterte: »Keine Ahnung, lassen Sie mich in Ruhe.« Sie stand auf und rannte aus dem Zimmer.

Reinhard von Freudenberg war blass geworden, griff sich die Ausdrucke und starrte darauf, ohne etwas zu sagen.

So saßen wir stumm da, bis sich von Freudenberg räusperte und sagte: »Das muss ein Missverständnis sein. Sie sollten jetzt gehen, mein Anwalt wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.«

»Wir müssen Ihre Frau befragen, Herr von Freudenberg«, stellte ich klar. »Sie hat uns belogen und verschwiegen, dass sie auf Sylt war. Sollte sie sich weigern, mit uns zu sprechen, erhält sie eine offizielle Vorladung. Damit tut sie sich keinen Gefallen. Vielleicht kann sie die Sache jetzt klären, dann ist sie aus der Welt.«

Er stand auf. »Einen Moment bitte. Warten Sie hier.«

»Der Ehe gebe ich keine Woche mehr«, flüsterte Müller mir zu, »ganz schön hart, vor allem, wenn sie nichts mit dem Tod von Sandra zu tun hat.«

Ich zuckte mit den Schultern. Kollateralschäden gab es immer wieder, das war nicht schön, doch wir mussten ja irgendwie unsere Arbeit tun.

Kurz darauf kam Freudenberg zurück – allein.

»Meine Frau hat eine Schlaftablette genommen, sie kann jetzt nicht mit Ihnen sprechen«, beschied er uns, »sie wird sich bei Ihnen melden.«

»Wenn sich Ihre Frau weigert, Auskunft über ihren Aufenthalt auf Sylt zu geben oder einen Zeugen zu nennen, macht sie sich äußerst verdächtig. Wir werden weitere Maßnahmen ergreifen.«

Mit den Worten standen wir auf und verabschiedeten uns.

Jetzt hieß es handeln. Wir brauchten Beschlüsse für die Durchsuchung des Sylter Hauses der von Freudenbergs und für die Auswertung von Tanjas Mobiltelefon. Müller setzte sich sofort mit dem Oberstaatsanwalt in Verbindung, der sich kooperativ zeigte.

Ihre Fingerabdrücke und ihre DNA hatten wir schon, denn während wir allein im Wohnraum der von Freudenbergs saßen, hatte ich Tanjas Wasserglas eingesteckt. Die von Freudenbergs waren so aufgewühlt, dass sie das bestimmt nicht bemerken würden. Auch wenn das offiziell nicht gültig war, würde es uns immens helfen. Und zum Glück hatte ich einige Kontakte im Labor, die mir ab und zu einen Gefallen taten und die Analyse machen würden, ohne es an die große Glocke zu hängen.

Da heute mit Sicherheit niemand im Ferienhaus der von Freudenbergs etwas verändern würde, planten wir die Hausdurchsuchung für den nächsten Morgen. Am Abend kamen die Kollegen sowieso nur in äußersten Notfällen vom Festland rüber auf die Insel.

Als ich endlich gegen neun mit einer Tüte vom Asia-Imbiss an meinem Häuschen ankam, lag ein Blumenstrauß vor der Haustür.

Ah, meine Schwester will sich entschuldigen, vermutete ich erfreut, das hatte ich ja noch nie erlebt. Vielleicht würde sich ja etwas ändern in unserer Beziehung.

Beschwingt nahm ich den Strauß, um ihn ins Wasser zu stellen. Bunte Sommerblumen, locker gebunden, er sah wirklich wunderschön aus.

Ich öffnete die Karte – und die Stimmung war hin. Sie war nicht von meiner Schwester, sondern von Mats, diesem Honk. Was glaubte der eigentlich? Mit ein paar Blumen würde er seine Familie und seine Lügen aus der Welt schaffen?

Liebe Neele, ich habe einen großen Fehler gemacht, denn ich hätte von Anfang an offen zu dir sein müssen. Leider habe ich zu lange damit gewartet. Aber ich bin nicht mehr mit meiner Frau zusammen, war es eigentlich schon damals nicht. Bitte gib mir die Chance, mit dir zu sprechen, eine halbe Stunde vielleicht, damit ich dir alles erklären kann. Mehr nicht. Wenn du mich danach nicht mehr sehen willst, werde ich dich nicht mehr belästigen. Nur eine halbe Stunde,

Mats

Oh wie dramatisch, dachte ich. Warum hatte er nicht einfach aufgeschrieben, was er mir erklären wollte?

In dem Moment klingelte mein Telefon. Beobachtete er mich etwa und hatte gesehen, wie ich mit dem Blumenstrauß ins Haus gegangen war? Dann fiel mir ein, dass er es gar nicht sein konnte, ich hatte seine Nummer ja gesperrt. Ich nahm mein Handy aus der Tasche. Es war die Nummer meiner Mutter.

»Hallo, Mama«, begrüßte ich sie, »du hast sicher schon gehört, dass ich hier bin.«

»Drei Tage.« Ihre Stimme klang beleidigt. »Und du hast dich immer noch nicht gemeldet.«

»Du weißt, dass wir einen Todesfall hier haben, ich hatte viel zu tun.«

»Für einen Anruf hätte deine Zeit gereicht, meinst du nicht?«

»Klar. Hast du übrigens mitgekriegt, was Stefanie gemacht hat?« Natürlich hatte sie davon gewusst, wahrscheinlich fand sie das sogar in Ordnung.

»Ach weißt du«, seufzte sie, »das ist alles nicht so einfach. Wir haben Hochsaison und nicht genug Leute, das ist ein Riesenproblem.« Wieder ein Seufzer. »Und das Haus steht ja immer leer.«

»Du findest das also in Ordnung, einfach Leute ohne mein Wissen in mein Haus zu setzen, wo meine persönlichen Sachen sind?«

»Bis vor Kurzem war es ja noch Omas Haus«, meinte sie spitz, »und Stefanie hat das nicht böse gemeint. Wenn sie gewusst hätte, dass du kommst, hätte sie vorher alles in Ordnung gebracht.«

Ich hatte keine Lust, das Gespräch auf diesem Niveau weiterzuführen, sonst würde ich früher oder später etwas sagen, was ich vielleicht bereuen würde, daher fragte ich: »Wie geht es Papa?«

Ein kurzes Zögern, sie konnte wohl nicht so schnell umschalten, dann sagte sie: »Wie immer. Es geht ihm gut, er ist den ganzen Tag auf dem Golfplatz.«

»Sag ihm Grüße von mir.«

»Das sagst du ihm besser selbst«, widersprach sie entrüstet, »du wirst ja wohl mal vorbeikommen, wenn du hier bist.«

»Ich habe keine Lust auf Streit mit Stefanie«, entgegnete ich. Stefanie wohnte in der anderen Hälfte des Doppelhauses meiner Eltern, und wenn sie mitbekam, dass ich bei meinen Eltern war, würde sie garantiert vorbeikommen.

Meine Mutter ignorierte das. »Also, was soll ich Papa sagen? Wann kommst du? Ich koche dann was Gutes. Wie ich dich kenne, ernährst du dich von Pizza und belegten Brötchen.«

Da hatte sie nicht ganz unrecht.

Ich zögerte mit der Antwort, und sie betonte: »Du weißt, dass Papa sich freut, wenn er dich sieht.«

Das bezweifelte ich, denn sein Interesse an der Familie war eher mäßig. Und er hatte mir immer noch nicht verziehen, dass ich Polizistin geworden war, statt mich um das Restaurant zu kümmern.

Doch ich murmelte: »Ich freue mich ja auch, wenn ich euch sehe, es ist bloß im Moment schwierig, einen Termin festzulegen, weil ich nicht weiß, was mit der Arbeit ist.«

»Was musstest du auch zur Polizei gehen?«, fragte sie anklagend.

Jetzt begann diese Litanei wieder, dachte ich, und bevor sie damit weitermachen konnte, sagte ich schnell: »Ich melde mich, sobald ich weiß, wann ich wegkann, versprochen, an einem der nächsten Tage.«

»Aha, wir müssen jetzt warten, bis du mal Zeit hast. Meinst du, wir haben nichts zu tun?«

»Doch, natürlich. Ich rufe morgen an, und wir machen was aus, okay?«

Damit gab sie sich schließlich zufrieden, und ich stellte meine inzwischen kalte kross gebratene Ente in die Mikrowelle. Mal sehen, wie kross sie danach noch sein würde.