Marlene war allmählich genervt von der guten Laune ihrer Mutter, die nur noch grinsend und mit federndem Gang durch die Gegend wanderte.
»Mama, du singst inzwischen schon mehr als ich.«
»Und? Schlimm?«
»Na ja, frag mal meine Ohren.«
Sophie schnappte sich ihre Tochter, nahm sie auf den Arm und tanzte weiter. »Das Leben ist viel zu schön, um sich über so gemeine kleine Mädchen zu ärgern.« Sie küsste Marlene, die das Gesicht verzog.
»Lass mich sofort runter, Mama, mir wird schwindelig.«
»Hör auf zu jammern, Kind. Jetzt wird getanzt.« Sophie drehte sich erbarmungslos und sang dazu lauthals. Sie lachte, und Marlene konnte offenbar nicht anders, als mitzulachen.
Schließlich setzte Sophie ihre Tochter wieder auf den Boden, tanzte aber munter trällernd weiter durch die Wohnung. Marlene nutzte die gute Laune und hüpfte mit ihrem Pferdchen im Arm auf dem rosafarbenen Sofa herum. Sophie schimpfte nicht, wenngleich ein Sofa kein Trampolin war. Bei den Sonnbachs darf es ruhig sonnig und kunterbunt zugehen, sagte sie sich und setzte sich an ihren Küchentisch, um weiter an ihren To-do-Listen zu schreiben.
Anton hatte noch nicht geantwortet, aber sie wusste ja, dass er viel zu tun hatte in Düsseldorf. Allein ein Blick auf sein Profilfoto reichte, dass Sophies Herz hüpfte, und sogleich fielen ihr noch mehr Ideen für die Weinstube ein. Ach, dachte sie, wie schön das Leben doch ist. Die Weinstube, ihre Freundinnen, Anton. Ihr Leben hatte sich wunderbar entwickelt, und sie lebte an dem schönsten Platz auf der Erde! Am Sonntag würde sie beim Familienbrunch dem Großvater von all ihren Plänen erzählen, vielleicht konnte sie Anton sogar mitbringen. Oh ja, das Leben war großartig.
Marlene verließ ihre Hüpfburg, überall lagen die Kissen verstreut. »Mama, könnten wir nicht schon zum Frühstück Pfannkuchen machen, wenn du schon so gute Laune hast?«
»Ich mach doch auch Pfannkuchen, wenn ich keine gute Laune habe.« Sophie deutete mit dem Stift auf die Sofakissen. »Die hätten gern wieder ihren alten Platz.«
Marlene rümpfte die Nase. »Die schmecken dann aber nur halb so gut, die Pfannkuchen. Sofakissen schmecken gar nicht. Glaub ich. Und Pfannkuchen sind ein Gute-Laune-Essen.«
Also machten die Sonnbachs Gute-Laune-Pfannkuchen mit roter Marmelade zum Frühstück und dabei drei Fotos für Anton.
Für den nächsten Abend hatte sich Katrin mit ihrer romantischen Stadtführung angekündigt, das hieß für Sophie auf jeden Fall ein volles Haus. Außerdem hatte sie versprochen, für die Gruppe schon einmal ein paar Rezepte auszuprobieren. Sophie war aufgeregt, aber auch zuversichtlich. Überhaupt war sie so motiviert wie vielleicht seit Jahren nicht mehr. So brachte sie Marlene in den Kindergarten und schlenderte hinüber zum Markt auf dem Stephansplatz, auf dem vor Kurzem noch mehrere tausend Menschen das Weinfest gefeiert hatten. Jetzt herrschte wieder Alltag, und Sophie genoss die Marktatmosphäre. Sie kaufte Zucchini und frische Kräuter, Pfirsiche und Tomaten. Frühlingszwiebeln, Radieschen, Honig und Ziegenkäse sowie Oliven, und bei allem dachte sie an Anton, wie er ihre Speisen probieren würde. Gut, es hatte auch alles mit Küssen zu tun, Träumen war ja erlaubt.
Sie spürte, dass man ihr nachsah. Es war eben doch etwas an dem Spruch: Lächle in die Welt, und sie lächelt zurück.
Dann war es endlich so weit, Sophie hatte einen Tisch für einundzwanzig Personen eingedeckt und alle Gläser mehrmals überprüft. Alles sah sehr schön aus, in der Mitte des Tisches stand ein großer Blumenstrauß aus Hortensien, Frauenmantel und Flieder in Lila, Weiß und Blau. Weinkühler standen auf Beistelltischen bereit. Sophie war sehr zufrieden mit sich. Barbara war zur Unterstützung gekommen, und auch der Großvater hatte versprochen, sich den Abend einmal anzusehen, ob das vielleicht eine gute Idee war, mit der Stadt bei Führungen zu kooperieren.
»Das hast du wirklich gut gemacht«, lobte Barbara. »Sieht sehr schön aus.«
»Zu edel, wenn ihr mich fragt«, brummte der Großvater. Er stand etwas abseits und musterte skeptisch den Tisch mit der weißen Tischdecke und den Blumen. »Wie eine Hochzeit.«
»Ach komm, Vater, sei nicht so missmutig. Das hat Sophie doch toll gemacht.« Barbara legte einen Arm um Sophie. »Wird sicher ein Erfolg.«
Das Lokal füllte sich, das normale Geschäft startete schon früher als sonst, und Sophie hatte ordentlich zu tun. Die Angestellten in der Küche jedoch wussten Bescheid, sodass es keine Probleme im Ablauf geben würde. Ab einundzwanzig Uhr konnte sich Sophie um den Tisch im Garten kümmern, an dem sie lauter glückliche Paare erwartete.
Später würde Sophie diesen Abend noch oft Revue passieren lassen und sich fragen, weshalb sie nicht auf ihr Handy gesehen hatte. Doch so passierte alles in einer bitteren und kompromisslosen Genauigkeit, die ihr den Boden unter den Füßen wegziehen sollte und auch Katrin zwei harte Stunden bescherte.
Vorerst aber stand Sophie voller Tatendrang am Eingang ihrer Weinstube und hielt Ausschau nach ihrer Freundin. Um kurz vor einundzwanzig Uhr ging dann endlich die Tür auf, und die zwanzigköpfige Gruppe kam in die Weinstube. Als Erstes sah Sophie Katrin, die ihr winkte, aber nicht glücklich aussah. Sophie deutete ein fragendes Schulterzucken an und begann mit der Begrüßung der Gäste. Sie strahlte, lachte und schickte die Ersten bereits in den Garten, und dann, gerade als sie Katrins Gesicht vergessen hatte, sah sie den Grund: Dieser stand vor ihr, war groß und schlank und trug ein eng anliegendes Etuikleid mit einem großen Blumenmuster. Die Haare in einer schicken dauergewellten Frisur, dunkelblond, eine Sonnenbrille im Haar, geschminkt, aber nicht zu viel. Ein schönes Lachen und ebensolche Zähne, eingehüllt in ein teures Parfüm, rundum perfekt. Und diese so stimmig gestylte Frau stand eingehakt mit Anton, der nicht wusste, wohin er blicken sollte, und streckte Sophie ihre Hand entgegen.
»Hallo. Sie müssen Sophie sein. Ich bin Janette. Ich hab schon so viel von Ihnen gehört.«
Anton sackte buchstäblich in sich zusammen. Er wand sich wie ein Aal, doch Janette hatte ihn fest im Griff.
Im Hintergrund konnte Sophie sehen, dass Katrin sich die Hand auf den Mund presste.
»Das kann ich im Gegenzug nicht behaupten«, sagte Sophie gepresst.
Janette sah zu Anton, anschließend zu Sophie und lachte. Sophie wusste nicht, ob es Verlegenheit war, weil sie Sophies Spruch und ihren entsetzten Gesichtsausdruck richtig deutete.
»Nun ja, also, er ist ja eher ein wenig redefaul.«
»Tatsächlich«, murmelte Sophie und starrte Anton an. Und es kam noch schlimmer.
»Mein Verlobter hat mir so viel von Ihnen und dieser Weinstube erzählt, da dachte ich, das muss ich mir ansehen. Und dann noch diese wunderbare Führung. Herrlich!«
»Verlobter«, flüsterte Sophie. Ihr schwindelte, und sie hatte keine Ahnung, wie sie den Abend überstehen sollte.
»Ja. Und wir werden demnächst hier heiraten. Im Standesamt von Konstanz. Es ist so schön dort. Ich freu mich sehr, bald hier zu leben.«
Sophie sah, dass Chrissi ins Lokal gestürmt kam und sich zu Katrin stellte. Gewiss hatte die sie angerufen und gebeten zu kommen, um Sophie zu unterstützen. Die Freundinnen wussten, was das eben für Sophie bedeutet hatte. Sie konnte es in ihren Gesichtern lesen.
»Wir sehen uns bestimmt noch und haben Gelegenheit zu sprechen, nicht wahr, meine Liebe?« Janette legte Sophie eine Hand auf den Arm und ging dann mit Anton in den Garten. Er drehte sich um und suchte Sophies Augen, doch sie sah schnell weg und rannte ins Bad.