»Der hat vielleicht Nerven«, wetterte Katrin und hielt sich mit beiden Händen an dem Kaffee fest, den Sophie ihr bereitet hatte. Sophie hatte ein Handtuch über die Schulter gelegt und lehnte an der Arbeitsplatte ihrer Küche. Das Holz müsste mal wieder geölt werden, dachte sie. Sie hatte Anton und Zottel stehen lassen und war zum nächsten Bus gerannt. Pitschnass war sie zu Hause angekommen, um dort vor der Tür auf Katrin zu treffen, die bei ihr vor dem Regen Unterschlupf suchen wollte und nun auch komplett durchnässt war.
»Und er wollte dich tatsächlich küssen?« Katrin trank einen Schluck. »Himmel, was ein Wolkenbruch. So nass war ich ewig nicht mehr. Wo ist denn Marlene?«
»Bei einer Freundin. Die Mutter hat sie mit dem Auto abgeholt.«
»Okay.«
Der Kaffee war weiter durchgelaufen, und Sophie schenkte sich auch einen Becher ein. Sie setzte sich Katrin gegenüber und rubbelte ihre Haare trocken. »Es war verdammt schwierig, ihn nicht zu küssen. Oder ihm eine runterzuhauen.«
»Oder beides vermutlich.« Katrin zog eine Schnute. »Ach, Süße, das ist echt nicht fair. Tut mir leid. Und immer diese Nummer mit dem Hund, das glaubt ihm doch keiner, oder?«
Sophie wiegte den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht, Zottel ist halt ausgebüxt. Dass er mich gefunden hat, war vielleicht wirklich Zufall.«
Katrin sah Sophie durchdringend an. »Du glaubst auch an den Weihnachtsmann, oder?«
Sophie zog eine Grimasse und verdrehte die Augen. »Nur manchmal.«
Katrin grinste. »Okay, hat ja gelegentlich auch was für sich. Trotzdem: Lass dich nicht von so einer Nummer in die Enge treiben. Außerdem magst du keine Hunde.« Katrin blieb streng. »Der soll dich einfach in Ruhe lassen.«
Sophie sah Katrin mit schief gelegtem Kopf an. »Sag mal, hast du mir kürzlich nicht noch geraten, mich mit ihm zu treffen und auszusprechen?«
Katrin hob lehrmeisterhaft den Zeigefinger. »Moment, das sind zwei verschiedene Dinge. Aussprechen ja, romantische Annäherung würde ich nicht empfehlen.«
Es fiel Sophie schwer, diesen Moment im Regen einfach wegzuwischen, als jener schlimme Tag aus ihrer Kindheit in die Gegenwart gespült worden war und die Angst um Zottel sich in Erleichterung verwandelt hatte. Als ihre Gesichter sich berührt hatten – liebend gern wäre sie Anton um den Hals gefallen, hätte ihn geküsst, den Regen auf seiner Haut geschmeckt.
»Wie geht es nun weiter?«, fragte Katrin.
Sophie zuckte die Schultern. »Die heiraten, und ich versteck mich.«
Katrin starrte sie mit offenem Mund an. »Weshalb solltest du dich verstecken?«
Sophie versenkte ihren Blick in dem schwarzen Kaffee vor sich. »Ich hab mich komplett blamiert.«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Katrin verwundert. »Er hat sich wie ein Idiot benommen. Weshalb solltest du dich blamiert haben?«
»Ich hab da einfach zu viel reininterpretiert. Das mache ich immer.«
»Ich denke nicht, dass du dich sehr geirrt hast. Manchmal sind die Lebensumstände einfach gegen einen.« Katrin atmete tief ein und aus. Anschließend strich sie Sophie behutsam eine nasse Strähne aus dem Gesicht. »Wirst sehen, es kommt alles in Ordnung.«
»Ich dachte, er wäre was Besonderes.«
Katrin lachte. »Er war ja auch was Besonderes.«
»Bitte?«
»Na, besonders unverfroren!«
Sophie musste nun doch auch lachen. Pitschnass wie ein begossener Pudel saß sie in ihrer Küche, sah die Tropfen über Katrins Gesicht laufen, zwei Wasserflecke, die sich auf dem Boden sammelten, und zwei dampfende Tassen zwischen ihnen auf dem Tisch – sie gaben bestimmt ein hoffnungsloses Bild ab. Aber Lachen tat gut, und so lachten sie beide, Sophie über ihren Kummer mit Anton und Katrin wohl wie immer über ihren grundsätzlichen.
»Du hast es doch gut, Sophie. Irgendwann wirst du dich wieder verlieben.«
»Du doch bestimmt auch. Immerhin gibt es bei dir immer Bewerber«, meinte Sophie heiter, aber ihre Freundin war wieder ernst geworden.
»Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass ich es nicht mehr will, du schon. Ich hab einfach keinen Platz mehr in meinem Herzen.« Sie zwinkerte. »Außer natürlich für deinen Bruder irgendwann.«
In der Weinstube herrschte Tumult. Sophie hörte es schon, als sie die Treppe vom Keller nach oben kam, konnte das Stimmengewirr aber nicht so richtig zuordnen. Ihr Koch stand im Flur und blickte ebenfalls in den Gästeraum.
»Was ist denn los?«, raunte Sophie ihm zu.
»Sieht nach Party aus«, erwiderte er und lief zurück in die Küche.
Sophie sah, dass etliche Leute standen und ihre Gläser hochhoben. Sie stimmten ein Trinklied an und schmetterten dann noch ein dreifaches Hoch auf den Jubilar, der an der Stirnseite des Tisches saß, ein Mann, ungefähr Mitte fünfzig, der jetzt mit den Händen beschwichtigende Zeichen gab.
Die anderen Gäste hatten teilweise mit eingestimmt und nickten jetzt dem Geburtstagskind zu.
»Frau Sonnbach, setzen Sie sich doch zu uns«, forderte der Mann sie auf. »Wir singen ab sofort auch nicht mehr, versprochen.« Er lächelte sie entwaffnend an. Durchaus sympathisch.
»Was feiern Sie denn? Also, ich meine, welchen Geburtstag?«
»Nicht doch. Ich fürchte, ich sehe älter …«, er schlug sich mit der Hand gegen die Stirn, »nein, so ist es falsch herum. Ich fürchte, ich bin älter, als ich aussehe.«
»Dann ist es ja kein Problem.« Sophie hielt die beiden Weinflaschen in die Höhe, die sie aus dem Keller geholt hatte. »Ich muss mal weiterarbeiten.«
»Kommen Sie noch auf ein Glas zu uns an den Tisch? Ich werde meine Freunde auch mäßigen, ehrlich. Sie sind natürlich eingeladen.«
Sophie legte den Kopf schief. »Mal sehen. Es ist einiges los. Aber ein Glas geht bestimmt.«
Der Mann nickte. Er hatte grau melierte Haare und glatt rasierte Haut. Er roch gut nach einer Meeresbrise und trug ein helles Jackett über einer Jeans.
Sophie sah während des ganzen Abends immer wieder zu ihm hin, und er prostete ihr zu. Noch zweimal wiederholte er seine Einladung, beim dritten Mal gab sie nach und setzte sich mit einem Glas dazu. Es war halb elf, und das Lokal leerte sich allmählich. Er hieß Holger, war bei einer Bank beschäftigt, sagte aber, dass er auf gar keinen Fall als langweiliger Banker rüberkommen wolle. Er war lustig, unterhaltsam, hatte nette Freunde, wenngleich ein wenig zu laut. Er sah gut aus, war nicht aufdringlich, aber eindeutig. Sophie ließ sich hinreißen und flirtete mit Holger, trank noch ein Glas Wein, verabschiedete einen Freund von Holger nach dem anderen und saß zu guter Letzt mit ihm allein unter der Kastanie im Garten.
»Wer hätte das gedacht, dass mein Geburtstag doch so schön endet?«
»Glückwunsch übrigens.«
Er grinste breit. »Zu spät, Sophie, der Tag ist schon vorbei.«
»Nein, Glückwunsch zur guten Restaurantwahl«, sagte Sophie lachend und trank noch einen Schluck. Sie war angeheitert genug, um souverän zu sein.
»Am liebsten würde ich dich jetzt küssen«, sagte Holger.
Sophie drehte sich zur Seite, fühlte noch dem letzten Schluck Wein nach und hob kurz die Augenbrauen. »Und was hält dich davon ab?«
Der schöne Mann mit den grauen Schläfen beugte sich nach vorne und küsste Sophie auf den Mund. Gerade als sie zurückküssen wollte, hörte sie ihren Namen durch den Garten hallen.
»Sophie!«
Sophie zuckte zusammen und fuhr herum. Sie kannte die Stimme, aber sie konnte es nicht glauben.
»Was machst du hier?«, fragte sie.
»Das könnte ich dich fragen.« Anton bändigte Zottel, der schon wieder losrennen wollte.
»Moment, ist das hier dein Freund?«, fragte Holger.
Sophie sah zu ihm und schüttelte vehement den Kopf.
»Hau ab, Anton. Das geht dich nichts an.« Sie drehte sich wieder zu Holger. »Vergiss ihn.« Dann beugte sie sich vor und küsste Holger, doch Anton kam zu ihnen herüber und baute sich vor ihnen auf. Zottel knurrte, und Holger nahm Abstand.
»Sei mir nicht böse«, sagte er, »aber was auch immer das hier ist«, er wedelte mit der Hand zwischen Sophie und Anton hin und her, »ich will da keinen Stress. Ich komm einfach mal wieder vorbei, okay?«
Sophie dachte, sie müsste explodieren. »Anton, kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Und Holger, bitte bleib hier.«
Doch Holger stand bereits, hängte sich sein Jackett über die Schulter und warf Sophie eine Kusshand zu. Als er draußen war, breitete Sophie die Arme aus. »Was soll das, Anton? Spinnst du?«
»Du willst die Weinstube verkaufen und angelst dir einen x-beliebigen Typen?«
»Ich glaube, ich bin im falschen Film. Du hast mir deine Verlobte verschwiegen. Und jetzt kauft diese Verlobte meine Weinstube. Und du vermasselst mir ein Date.«
»Ein Date? Dass ich nicht lache. Der Typ hat hier Geburtstag …« Anton biss sich auf die Lippen.
Sophie stutzte. »Woher weißt du das denn?«
Er winkte ab. »Hab ich eben gesehen.«
»Du lungerst vor meiner Tür herum?«
»Himmel, Sophie, ich muss unbedingt mit dir reden, und ans Telefon gehst du ja nicht mehr.«
»Dann überleg mal, weshalb.«
Er ließ den Kopf hängen. Dann löste er Zottel von der Leine, der sofort zu Sophie sprang und sich an ihre Beine warf. »Er wollte sich bedanken für heute Nachmittag. Und ich auch. Können wir jetzt einfach mal miteinander reden? Bitte.«
»Prima. Kommt Janette auch noch? Oder ist die Schminke ausgegangen?«
Anton zog eine Schnute, dann musste er lauthals loslachen. Auch Sophie musste lachen. Sie war eigentlich nicht so, sie flippte nicht aus, sie war nicht streitsüchtig, nicht zickig und schon gar nicht bösartig.
»Bekomme ich einen Wein?«, fragte er.
Sophie holte tief Luft. »Lässt du mich dann in Ruhe?«
Anton und Janette waren seit einer gefühlten Ewigkeit ein Paar. Im Studium hatten sie sich auf einer Party kennengelernt und ineinander verliebt, doch Anton hatte ein Geheimnis, von dem er auch Sophie nicht erzählt hatte. Er litt an einer Erbkrankheit, die von Geburt an seine Nieren schädigte, sodass er schon in jungen Jahren zunächst an die Dialyse musste und dann auf ein Spenderorgan angewiesen war. Durch die Medikamente, die er fortan nehmen musste, war ausgeschlossen, dass er und Janette Kinder haben würden. Janette blieb dennoch bei ihm. Sie blieb auch, als das Spenderorgan seinen Dienst versagte und Anton erneut auf die Dialyse angewiesen war. Zwei lange Jahre begleitete sie ihn, erlebte die dunklen Seiten der Dialysezeit, die vor allem eine Abhängigkeit schuf, an der Anton beinahe gescheitert wäre.
Das Leben war eingeteilt in Dialysezeiten, drei Tage der Woche fielen einfach komplett aus. Verreisen war nur möglich, wenn auch eine Dialysestation am Urlaubsort war. Alles war kompliziert. Janette bot irgendwann sogar an, ihm eine Niere zu spenden. Anton wollte das nicht, wollte nicht in diese weitere Abhängigkeit geraten, denn sein Leben war ohnehin schon zu einer Belastungsprobe für ihn und sie geworden.
Dann endlich der rettende Anruf, ein Organ war gefunden. Janette begleitete ihn, wachte an seinem Krankenbett, spendete Trost und Zuversicht, als der Körper sich zunächst heftig wehrte, und kehrte schließlich mit ihm in ein normales Leben zurück – nach zwei Jahren. Das war mittlerweile ein Jahr her.
Sophie hörte still zu, nippte zwischendurch an ihrem Weinglas und widerstand nur schwer dem Impuls, nach Antons Hand zu greifen.
»Wir waren getrennt, als ich mich in Konstanz nach einer neuen Wohnung umgesehen habe. Wir haben einfach gemerkt, dass wir vor allem in der schwierigen Zeit funktioniert haben. Wir hatten ein gemeinsames Ziel.«
»Dich wieder auf die Beine zu bekommen?«, fragte Sophie leise.
»Zu überleben, ja.«
Sophie senkte den Blick. Sie hatte keine Ahnung von Dialyse und Transplantationen, sie hatte mal einen Spielfilm über einen Mann gesehen, dem ein Herz transplantiert worden war, aber an viel konnte sie sich nicht erinnern. »Das ist bestimmt nicht leicht, wenn man darauf warten muss, dass ein anderer Mensch stirbt.«
Anton sah ihr tief in die Augen, dann schüttelte er sacht den Kopf. »Nein, wahrlich nicht. Es ist auch weit entfernt von Freude, so erleichtert man auch ist, wenn man dann ein neues Organ erhält. Jedes Jahr habe ich dreimal Geburtstag, doch zweimal trauert eine andere Familie.«
»Das verstehe ich«, sagte Sophie und spürte, wie das Blut durch ihren Körper jagte. Es war eine unerwartete Wendung, eine, die sie kalt erwischt hatte. »Ihr habt also gemeinsam für deine Gesundheit gekämpft? Aber –«
»Weshalb sie jetzt hier ist, wenn wir uns doch getrennt haben?«
Sophie zuckte die Schultern. »Na ja, ich …« Sie hielt den Gedanken zurück, entschied dann aber, dass sie mutig sein sollte. »Ich habe mich in dich verliebt, Anton. Und das ist mir schon sehr lange nicht mehr passiert. Und ich dachte, dass … Weshalb bist du zurück zu ihr?«
Anton ließ den Kopf hängen. »Ich weiß auch nicht.«
»Du weißt auch nicht?«
»Ich hab mich auch in dich verliebt, Sophie. Ich hab mich in dich und deine Tochter verliebt. Wie Zottel. Als wir dort in der Schweiz bei der Kapelle auf der Picknickdecke lagen und Marlene und Zottel nebeneinandersaßen, da meinte ich, was ich gesagt habe.«
»Wie eine Familie«, zitierte Sophie.
»Genau, wie eine Familie. Das fühlte sich so richtig, so echt an. Ich dachte in diesem Moment, dass ich mir nichts anderes wünsche.«
Sophie meinte mit einem Mal zu wissen, dass dies kein gutes Ende nehmen würde. Er war so nah, zum Greifen nah, der Mann, den sie liebte, und dabei so verletzlich. Die gemeinsame Zukunft war so naheliegend und gleichzeitig so unerreichbar. Sophie wusste, worauf das Gespräch hinauslief, sie konnte es an Antons wehmütigem und verzweifeltem Ton hören. »Und dann? Was ist dann passiert, Anton?«
»Wir haben uns getroffen, um die gemeinsame Wohnung in Düsseldorf aufzulösen. Wir haben da schon eine Weile nicht gewohnt, also ich nicht. Alles war eigentlich klar, es musste nur noch abschließend geregelt werden. Wir standen dort inmitten der Kartons und entdeckten, dass die Fotowand noch so hing wie immer. Keiner von uns hatte die Fotos abgenommen und eingepackt.« Anton ließ wieder den Kopf hängen und atmete tief ein und aus. »Ich verstehe es selbst nicht, Sophie. Es war wie eine Welle, von der wir mitgerissen wurden. Zuletzt haben wir ein Bild abgenommen, das uns zusammen zeigte vor meiner zweiten Transplantation. Ich sah schlimm aus, verzweifelt, erschöpft, und doch hatte ich Janette im Arm, die mich liebevoll anlächelte.«
Sophie nickte. »Du fühlst dich verpflichtet?«, fragte sie matt.
»Nein«, sagte Anton, ohne zu zögern. »Das ist es nicht allein, Sophie. Uns verbindet eine lange Zeit, und auf eine gewisse Art liebe ich sie auch.«
Und über uns ist ein Sternenhimmel, dachte Sophie traurig.
»Es tut mir leid, Sophie. Janette hat gesagt, sie will mich nicht verlieren, und sie will unbedingt auch die guten Zeiten so richtig genießen mit mir. Nach all den harten Jahren. Und ja, das bin ich ihr doch schuldig, oder nicht?«
Sophie starrte ihn an. »Schuldig«, wiederholte sie und spürte einen schweren, kalten Klumpen im Magen. Sie hatte das Gefühl, von diesem Wort verfolgt zu werden. Was war man anderen Menschen schuldig? War sie ihrem Großvater etwas schuldig? War Anton seiner zukünftigen Frau etwas schuldig?
»Sophie?«
Sophie hob die linke Schulter kurz an. Zu mehr fühlte sie sich gar nicht in der Lage.
»Sophie, es tut mir wirklich leid, aber ich wollte wenigstens, dass du weißt, dass alles ehrlich gemeint war, dass du dir nichts eingebildet hast und ich auch nicht mit dir gespielt habe.« Er legte seine Hände auf ihre Schulter und drehte sie so, dass sie ihn ansehen musste. »Sophie, alles war so, wie es sich angefühlt hat. Und ich werde das nie vergessen.«
Sophie blies die Luft hörbar aus. Die Trauer wollte sich in Wut verwandeln, Wut auf das Schicksal und diesen Moment hier.
»Bitte, sei mir nicht böse. Ich kann Janette nicht wegschicken.« Anton hielt kurz inne. »Nicht nach allem, was war.« Er griff nach Sophies Hand. »Hast du eine Vorstellung davon, was das alles für eine Beziehung bedeutet?«
»Nein, du hast ja nie etwas erzählt von dir.«
»Das stimmt, Sophie. Es ist auch nicht ganz leicht, jemanden kennenzulernen und erst einmal so ein schweres Thema anzuschneiden. Vor allem wenn ein Kind im Spiel ist. Ich bin alle drei Monate bei der Kontrolle. Eine Niere kann zwei Jahre halten oder eben sechzehn wie meine erste. Wenn sich die Werte verschlechtern, dann kann man mit einer Chemo dagegensteuern, um dann ein wenig später an der Dialyse zu landen. Das Leben, aber auch der ganze Körper verändert sich. Meine Medikamente, die das Immunsystem drosseln, sorgen für ein exponentiell höheres Krebsrisiko, also habe ich regelmäßig bösartige Tumore, und, zack, muss ich wieder operiert werden. Das ist kein Thema für die ersten Treffen.«
Sophie schluckte gegen die Tränen an, doch sie begannen dennoch, über ihre Wangen zu laufen.
»Ach, Sophie«, sagte Anton und nahm sie in die Arme.
Als Sophie sich wieder beruhigt hatte, zog Anton ein Taschentuch aus seiner Jackentasche und reichte es ihr. Zottel saß unschlüssig vor ihnen und sah sie abwechselnd an. Sophie beugte sich vor und streichelte ihm zaghaft über den Kopf. Zottel machte ein Gesicht, als hätte er den Hauptgewinn erhalten.
»Ach, Sophie«, sagte Anton noch einmal, dann fügte er hinzu: »Du musst mir etwas versprechen.«
»Was denn?«
»Finde heraus, was dich glücklich macht, und dann halte es fest.«