Kapitel 1
Mikalina
D u bist verrückt.“
„Das ist lächerlich.“
„Machst du gerade eine Art Krise durch?“
Ich schloss die Augen, als die Worte meiner Eltern in meinem Kopf widerhallten. Nach einem Moment öffnete ich sie wieder und starrte aus dem kleinen Flugzeugfenster.
Scheinbar wurde man als geistig instabil eingestuft, wenn man seinen beschissenen Job kündigte, seine Sachen packte, auf unbestimmte Zeit verschwinden wollte und über den Ozean flog, um erst einen anderen Kontinent zu erkunden, bevor man sich in einem winzigen osteuropäischen Dorf mitten im Nirgendwo niederließ. Zumindest in den Augen meiner Eltern.
Gott, ich hasse den Fensterplatz, dachte ich müßig und beschwerte mich damit bei niemandem. Allerdings fühlte ich mich doch wie der Idiot, den meine Mutter mich kurz vor der Abreise zum Flughafen genannt hatte.
Aber wenn man etwas spontan machte, wie zum Beispiel – oh, ich weiß nicht – seine Ersparnisse zu plündern, seinen Job zu kündigen und für ein kleines Abenteuer um die Welt zu fliegen, durfte man nicht wählerisch sein.
Ich rieb mir die Augen, ließ die Hände in den Schoß fallen und sah, wie die Flugbegleiterin sich näherte. Nachdem ich sie herbeigerufen hatte, schenkte ich der Person auf dem Mittelsitz ein unbeholfenes Lächeln, da ich mich über sie lehnen musste, um gehört zu werden.
„Kann ich einen Schnaps bekommen?“ Gott, ja, das habe ich tatsächlich gesagt. „I… ich meine, könnte ich eine Bloody Mary bekommen?“
Die Flugbegleiterin lächelte und nickte, bevor sie ging. Nachdem ich meinem Mittelsitznachbarn ein weiteres gezwungenes Lächeln geschenkt hatte, was mir eine ebenso angespannte – und sehr genervte – Grimasse einbrachte, konzentrierte ich mich wieder auf das Fenster.
Es dauerte nicht lange, bis die Flugbegleiterin mit meiner Bloody Mary zurückkam. Ich mochte Alkohol nicht besonders und Tomatensaft auch nicht, aber da ich in letzter Zeit in der Stimmung war, Dinge zu wagen, die nicht meinem Charakter entsprachen, hatte ich es einfach getan.
Der erste Halt war der Zwischenstopp in London. Ich hatte vor, ein paar Tage Sightseeing zu machen, bevor ich mit dem Eurostar nach Paris fuhr und die Katakomben besichtigte. Danach ein paar weitere Stationen – Deutschland, Ungarn, Polen. Dann würde ich meinen kleinen „Urlaub“ beenden, indem ich nach Osten fuhr und mich in einem winzigen rumänischen Dorf in den Karpaten niederließ.
Und obwohl ich so tat, als wäre das die beste Idee der Welt … hatte ich unglaubliche Angst.
Ich kannte das Land nicht. Ich beherrschte die Sprache nicht. Und diese Reise zu unternehmen war, als würde man Pudding gegen einen Baum werfen und hoffen, dass er kleben blieb.
Aber ich war an einem Punkt in meinem Leben, an dem alles andere verloren schien. Es fühlte sich an, als würde ich im Kreis herumlaufen, viermal links abbiegen und immer an der gleichen Stelle landen.
Wenn alles andere fehlschlug und sich diese Reise als die schlechteste Idee aller Zeiten herausstellte, hätte ich wenigstens ein bisschen mehr in meinem Leben erlebt.
Und das konnte doch gar nicht so falsch sein, oder?