DIE VEREINBARUNG mit Mohamed enthielt folgende Punkte:
Sechshundert Euro in bar.
Weder Namen noch Vornamen, nur die Schilderung dessen, was er an jenem Abend getan hatte.
Ein Gespräch von höchstens fünf Minuten an einem Ort, den er eine halbe Stunde vorher bestimmen würde.
Doni schaute auf den Kalender, der am Schrank hing, vor der juristischen Fachliteratur und dem Santarelli-Urteil – drei Bände, die ihn anderthalb Jahre lang beschäftigt hatten. Khaleds Berufungsverhandlung sollte in zehn Tagen stattfinden.
Aus reinem Pflichtgefühl, das auf seine Zeit als Staatsanwalt beim Landgericht zurückging, sagte er im Sekretariat Bescheid, dass er zwischen drei und fünf Uhr außer Haus sein werde. Als Reaktion erhielt er nur ein Achselzucken.
Zwanzig vor drei verließ Doni den Justizpalast.
Er war mit Mohamed und Elena in einem Lokal hinter dem Piazzale Corvetto verabredet, im Pacheco. Doni nahm ein Taxi und ließ sich an der Ecke zum Corso Lodi absetzen. Er fragte einen jungen Mann nach dem Weg und fand das Lokal sofort.
Elena stand schon vor der Tür. Sie umklammerte ihre Handtasche und hatte eine Mütze auf dem Kopf. Sie sah sehr hübsch aus. Doni bemerkte, dass er nie genauer auf das Äußere der jungen Frau geachtet hatte: kurzes Haar, etwas linkische Umgangsformen, ein ebenmäßiges Gesicht.
Er winkte ihr zu. Sie erwiderte seinen Gruß und kam ihm lächelnd entgegen.
«Guten Tag», sagte sie.
«Guten Tag.»
«Ich freue mich, dass Sie gekommen sind.»
«Na, ich konnte dich in dieser Situation ja schlecht alleinlassen.» Er warf einen Blick in die Runde und schlug einen härteren Ton an. «Zumal das die blödeste Situation ist, in die du dich bringen konntest. Du weißt so gut wie ich, dass Mohamed nicht kommen wird.»
«Dreihundert gleich und dreihundert danach. Und ob er kommt, er hat es mir versprochen.»
Doni schüttelte den Kopf.
«Hast du ihm etwa schon Geld gegeben?»
«Wie gesagt, ich habe ihn bezahlt. Dreihundert gleich und dreihundert danach.»
«Du hast ihn also schon getroffen?»
«Nein. Khaleds Schwester hat es ihm in meinem Auftrag gegeben.»
Wieder schüttelte Doni den Kopf.
«Ich fasse es nicht.»
«Es ist ja wohl mein Geld, Dottore. Mit diesen Händen erarbeitet.» Sie zeigte ihm ihre Handflächen. «Extraschichten in der Buchhandlung, Artikel für fünf Euro das Stück, zwei Wochen nur Brot und Schinken. Ich lege immer etwas für Notfälle auf die hohe Kante.»
«Und das hier hältst du für einen Notfall?»
«Na und ob!»
Doni war außer sich.
«Elena, ich bitte dich, komm zu dir! Das war eine Riesendummheit.»
«Er wird kommen.»
«Aber du hast ihm schon Geld gegeben. Dreihundert Euro. Du kannst ihm doch nicht trauen.»
«Und warum nicht? Weil er ein Ausländer ist?»
«Was hat das denn damit zu tun.»
«Dann erklären Sie mir, warum nicht.»
Doni schüttelte den Kopf.
«Ich habe es dir schon gesagt. Weil kein Mensch uns garantiert, dass Mohamed was mit dieser Sache zu tun hat, und weil kein Mensch uns garantiert, dass Khaled wirklich seinetwegen sitzt.»
«Und, was haben Sie getan? Die Carabinieri mitgebracht?»
«Nein. Ich bin allein da, und in einer Viertelstunde gehen wir beide zusammen von hier weg, denn es wird niemand kommen.»
«Ich glaub’s einfach nicht. Sie haben immer noch kein Vertrauen!»
«Elena, überleg doch bitte mal. Ich habe keinerlei Veranlassung, Vertrauen zu einem Nordafrikaner zu haben, den ich nicht kenne. Ich habe keinerlei Veranlassung zu der Annahme, dass es hier irgendetwas gibt, weshalb es sich lohnt herzukommen.»
«Ich glaub’s einfach nicht», wiederholte sie.
«Ich meine doch nur, dass …»
«Ich habe Sie also ganz umsonst herumgeführt?»
«Nein. Du liebe Güte. Aber bist nicht du die Journalistin? Musst du dich nicht eigentlich auf Tatsachen stützen?»
«Tatsachen helfen nur bis zu einem bestimmten Punkt.»
«Ach ja? Und was kommt dann?»
«Das Wesentliche.»
«Das sind bloß leere Worte.»
Eine Stimme unterbrach sie, mit einem einfachen Satz: «Ihr seid es, stimmt’s?»
Sie drehten sich um. Der Mann, mit dem sie verabredet waren, stand vor ihnen.
«Gehen wir», sagte er.
Doni und Elena nahmen ihn in die Mitte, blieben jedoch einen Schritt hinter ihm. Mohamed ging zwar schnell, aber seine Miene war ruhig. Er bog in eine Querstraße der Via Marochetti. Doni versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen, doch es war, als würde es sich entziehen. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein, er hatte einen Schnauzbart und dünne Haare, von denen einige weiß waren. Seine Hautfarbe war dunkel, und er trug eine Jeansjacke und helle Hosen.
Sie kreuzten zwei Straßen und gingen in eine Sackgasse, die an einem großen, verlassenen Wohnblock endete. Doni kannte sich in dieser Gegend nicht aus und hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden. Auf jeden Fall waren sie nicht länger als zehn Minuten unterwegs gewesen. Unwillkürlich warf er einen Blick in die Runde, um zu prüfen, ob er Angst haben sollte, doch von der Düsterheit abgesehen wirkte der Ort friedlich. Kein Mensch war auf der Straße. Hier und da ein alter Mann am Fenster.
Mohamed blieb stehen.
«Ist das der Richter, von dem du mir erzählt hast?», fragte er Elena.
«Ja.»
Mohamed musterte Doni.
«Ich sollte das hier eigentlich nicht tun. Kann ich dir vertrauen?»
«Und kann ich dir vertrauen?», fragte Doni zurück.
Sie schauten sich an. Doni nahm seinen Ausweis aus der Brieftasche und gab ihn dem Mann. Er nahm ihn, sah ihn sich an und gab ihn Doni zurück.
«Fünf Minuten», sagte Mohamed. Dann verschränkte er die Arme. Elena warf Doni einen Blick zu. Los. Das ist doch dein Beruf. Frag, ermittle, finde. Tu, was du am besten kannst, tu es noch einmal, du hast nun keine andere Wahl mehr.
«Du bist mit Khaled befreundet?», fragte er.
«Ja.»
«Seit wann bist du in Italien?»
«Seit fünfzehn Jahren.»
«Was arbeitest du?»
«Ich verkaufe Pizza.»
«War Khaled an dem Abend, als Elisabetta angeschossen wurde, mit dir zusammen?»
«Ja, an dem Abend war Khaled mit mir zusammen. Ich weiß nicht, wie das Mädchen heißt, doch er war mit mir zusammen. Er hat nichts getan.»
Elena fuhr sich mit der Hand über den Mund. Doni war, als explodierte etwas in seiner Brust, doch er fuhr fort.
«Wohin seid ihr an jenem Abend gegangen?»
«Zu mir nach Hause.»
«Was habt ihr da gemacht?»
«Tee getrunken. Geredet. Wir haben überlegt, ob wir zusammen eine Pizzeria aufmachen, nur wir zwei und noch ein Freund.»
«War dieser Freund auch dabei?»
«Nein, wir waren nur zu zweit.»
«Hatte Khaled Ärger mit den Typen, die auf das Pärchen geschossen haben?»
«Nein.»
«Kennst du einen von ihnen?»
Mohamed fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
«Bitte», sagte er nur.
«Kennst du sie?»
«Ja. Ja, aber bitte, fragt nichts weiter dazu.»
Doni nickte. Er ging zur nächsten Frage über. «Hattest du schon mal Ärger mit der Polizei?»
«Ein bisschen, aber nichts Ernstes.»
«Worum ging es?»
«Nichts Ernstes. Ganz am Anfang, Widerstand gegen die Polizei. Dann nichts mehr, ich schwöre.»
Doni sah zu Elena. Sie stand reglos da, leicht vornübergebeugt, als wollte sie gleich zum Ende der Straße sprinten.
«Wirst du als Zeuge aussagen?»
Mohamed schaute zu Boden.
«Ich halte es nicht mehr aus, dass Khaled im Gefängnis ist. Ich kann seit sechs Monaten nicht mehr schlafen.»
«Wirst du aussagen?»
Er sah die beiden an.
«Ich brauche Schutz.»
«Gegebenenfalls bekommst du jeden Schutz, den du brauchst.»
«Ich kann seit sechs Monaten nicht mehr schlafen. Khaled ist mein Freund. Versteht ihr, was er da tut?»
«Du hast die Möglichkeit, ihn zu retten.»
«Er will ja nicht! Als ich ihn besucht habe, bat er mich, zu schweigen, zu schweigen und nochmals zu schweigen. Ich wollte nicht. Es ist nicht richtig, es ist verrückt. Doch er weiß, wie gefährlich alles ist, und hat gesagt, ich soll den Mund halten. Seine Schwester Yasmina ruft mich jeden Tag an, aber ich muss Khaleds Wunsch respektieren. Doch ich habe schlaflose Nächte! Ich finde keine Ruhe mehr. Es ist entsetzlich. Entsetzlich.»
«Und warum hast du dann Geld genommen, um doch zu reden?»
Mohamed zögerte nur eine Sekunde.
«Das war nicht für mich. Ich habe es Yasmina gegeben.» Er sah Elena an. «Den Rest kannst du ihr direkt geben. Wir werden uns nicht wiedersehen.»
Die Journalistin fuhr sich erneut mit der Hand über den Mund und warf Doni einen Blick zu. Der presste die Lippen zusammen.
So groß konnte Anständigkeit auf dieser Welt sein und so unnütz. Zwei arme Teufel, die sich gegenseitig einen Gefallen taten und sich damit gegenseitig in Schwierigkeiten brachten. Es war absurd.
«Also, wirst du aussagen?»
Er antwortete nicht. Er schaute nach rechts und dann nach links.
«Wenn du dich entschließt, als Zeuge auszusagen, können wir dir helfen», sagte Elena. «Das habe ich dir schon gesagt.»
«Ich muss jetzt los», sagte Mohamed.
«Warte. Wovor genau hast du Angst? Kannst du uns das sagen?»
Er antwortete nicht.
«Haben dich die Männer bedroht, die auf die beiden geschossen haben? Wissen sie von dir?»
Er antwortete wieder nicht. Er tippte nur auf sein Handgelenk, wie um zu wiederholen, dass die Zeit um sei.
Doni wusste nicht, was er noch fragen könnte, daher sagte er noch einmal: «Kannst du uns versichern, auch wenn du dich nicht an Khaleds Anwalt wenden möchtest – und ich gebe dir mein Wort, dass wir dich nicht mehr kontaktieren, sobald wir diesen Ort hier verlassen haben –, kannst du uns also versichern, dass Khaled mit dir zusammen war und folglich unschuldig ist?»
Mohamed schaute die beiden an. Schaute Doni und Elena an.
«Ja. Er war mit mir zusammen. Holt ihn da raus, aber zieht mich nicht mit hinein, bitte nicht.»