28. Kapitel

Amelsbüren, obwohl schon lange eingemeindet, weigerte sich immer noch, ein Stadtteil zu sein. Stolz klammerte es sich an seinen Dorfstatus. Offiziell mochte es sich im einundzwanzigsten Jahrhundert befinden, aber insgeheim träumte es davon, ein Ort zu sein, an dem die Uhren noch anders gingen, wenn nicht sogar stehen geblieben waren, und an dem man die gute alte Zeit schätzte, in der man die Kirche noch im Dorf ließ.

Hier und da allerdings hatte die moderne Zeit Einzug gehalten, sich unbemerkt durch die Hintertür eingeschlichen, ohne dabei viel Aufhebens von sich zu machen. Am nördlichen Rand des beschaulichen Dörfchens beispielsweise, wo Tag und Nacht der Fernverkehr auf der A43 vorüberdonnerte, hatte sich das größte Labor für Tierversuche in ganz Europa breitgemacht – ein beachtlicher Superlativ, den man dem stillen Örtchen gar nicht zugetraut hätte, den man dort allerdings auch nicht allzu gern an die große Glocke hängte. Aber das war noch nicht alles: Amelsbüren beherbergte ein weiteres obskures Institut, auf das diskrete, wenn auch selbstgedruckte Schilder im Ortskern hinwiesen: das WINPAK – Westfälisches Institut für Parakosmologie.

De Jong folgte den Schildern und wurde durch den Ortskern hindurch, wieder hinaus und dann Richtung Südwesten geleitet. Er überquerte eine Bahnlinie und fuhr eine Weile über plattes Land. Wollte schon aufgeben und wieder umkehren, als er ein weiteres selbstgedrucktes Schild bemerkte: WINPAK 200 m. rechts.

Kurz darauf bog er im Schritttempo in eine Zufahrt aus festgestampftem Lehm und groben Steinen, die ihn um eine leere Pferdekoppel herumführte. Hinter einem windschiefen Gebäude, das ein Schuppen oder auch eine Garage sein konnte, wies ihn ein weiteres Pappschild in einen Innenhof, der von zwei lang gestreckten Fachwerkhäusern gesäumt wurde. De Jong stoppte. Das alles hier war mal ein Bauernhof gewesen. Aber der Geruch nach Landwirtschaft im Allgemeinen und Kühen und Schweinen im Besonderen war verschwunden; die Gebäude waren renoviert, und neben der Haustür zur Linken prankte ein Schild, dieses Mal keins aus Pappe, sondern aus Plexiglas mit schwarzer Druckschrift: Westfälisches Institut für Parakosmologie. Anmeldung.

De Jong stieg aus und rüttelte an der Tür. Abgeschlossen. Er klopfte. Niemand zu Hause. Auch im anderen Gebäude – vermutlich Waldemars Privatbereich – regte sich nichts. Der Exkommissar zog sein Handy hervor und überlegte, den Guru anzurufen, aber dazu müsste er im Hülsbrock-Kolleg um die Nummer bitten. Schließlich ließ er es sein, vor allem, weil er den Überraschungseffekt brauchte.

Inzwischen war es kurz nach siebzehn Uhr. De Jong beschloss, zurück ins Dorf zu fahren und sich Pommes zu leisten.

Eine gute Viertelstunde später lungerte er an einem Plastiktisch draußen vor einer Pommesbude mitten in Amelsbüren herum und fingerte frittierte Kartoffelstäbchen aus einer Plastikschale, die unter einem Riesenklecks Majo erstickt waren. Er sah gestressten Eltern dabei zu, wie sie nach dem Einkaufsbummel ihre Kinder zum geparkten Auto schleiften, Hundebesitzern, die ihren Vierbeinern mit erhobenem Zeigefinger Befehle erteilten und sie anschließend mit einem Leckerchen bestachen. Eine junge Frau, die mit einem Headset minutenlang an einer Fußgängerampel verharrte, die Straße aber nicht überquerte, weil sie erregt telefonierte.

Sein Smartphone meldete eine eingegangene Nachricht. De Jong sah nach: Sie stammte von Wanda und bestand aus einem Link, den er neugierig anklickte.

Auf dem Display erschien ein YouTube-Video: zwei Männer in dunklen, altertümlich wirkenden Anzügen auf einer Bühne. Einer groß und etwas rundlich, der andere gertenschlank. Janwillem. Ja, das war er in der Rolle des Stan Laurel. De Jong sah die beiden auf der eher schäbigen Bühne agieren und fand, dass sie ihre Sache nicht schlecht machten. Nicht schlecht für einen, dem geweissagt worden war, dass er einst der neue Keith Jarrett sein würde. Wie tief konnte man sinken: Jetzt war es nicht die Carnegiehall geworden, stattdessen hüpfte Janwillem auf einer Provinzbühne und blödelte herum, zum Gekicher alter, alleinstehender Damen …

Er beendete das Video.

Inzwischen stand die Sonne schon deutlich tiefer. De Jong zahlte die Pommes, kehrte zum Auto zurück und fuhr zum parakosmologischen Institut. Dort wartete er und sah der Sonne beim Untergehen zu. Währenddessen lud er noch einmal das Video und sah es bis zum Ende an. Und ihm wurde klar: dass man nicht tiefer sinken könne, als alte Damen zum Kichern zu bringen – das war gar nicht er, de Jong, der das dachte. Wenn überhaupt, dann war es sein Vater oder seinetwegen auch Herr Rodes. Denn es war nicht zu übersehen, dass die beiden auf der Provinzbühne ihre Sache nicht nur nicht schlecht machten; sie waren brillant! Janwillem wirkte wie in seinem Element. Seine Gesten und Bewegungen, die Grimassen, die er schnitt – sie wirkten lässig und entspannt. Und sie passten perfekt zu denen seines Kollegen. Die beiden waren ein eingespieltes Team.

Endlich näherte sich ein Wagen im Schritttempo über den Feldweg, bog in den Hof ein und kam hinter seinem zum Stehen. Jemand stieg aus. De Jong verlor keine Zeit. Er steckte sein Handy wieder ein, verließ Bühlows Wagen und trat dem Mann mit dem langen Gesicht entgegen. »Kripo Münster«, sagte er.

Waldemars Mund verzog sich wie in Zeitlupe zu einem gehässigen Na-wen-haben-wir-denn-da-Grinsen.

Aber de Jong wartete nicht, bis sich das Grinsen entfaltet hatte. Seine neue Taktik war die Überrumpelung. »Ich nehme Sie fest wegen vorsätzlichen Mordes«, erklärte er, packte den Guru am Arm und verfrachtete ihn, während dessen Lächeln in perplexer Begriffsstutzigkeit erstarrte, ins Auto. Mit der emotionslosen Stimme eines Flugbegleiters, der die Sicherheitsbestimmungen herunterleiert, belehrte er seinen Fahrgast über dessen Rechte. Dann legte er den Rückwärtsgang ein und wendete. Waldemar leistete keinen Widerstand, so überrascht war er.

Und de Jong war’s zufrieden: Der erste Punkt ging schon mal an ihn. Zum ersten Mal erlebte er den egomanen Guru fassungslos. Kopfschüttelnd saß der Parakosmologe auf dem Rücksitz und sagte nichts. Kein überhebliches Grinsen. Nur irritiertes Kopfschütteln. De Jong sauste los, nahm nicht Kurs auf Münster, sondern fuhr in die Gegenrichtung, weiter Richtung Süden. Niemand kam ihm entgegen. Er schaltete das Fernlicht ein.

»Wohin reisen wir, wenn man fragen darf?«, erkundigte sich Waldemar, als er sich wieder gefangen hatte.

De Jong beschloss, nicht zu antworten.

»Sie können gar nichts beweisen«, kam es von hinten – es klang fast wie eine Frage, so als wäre Waldemar sich nicht ganz sicher.

»Brauchen wir auch erst mal nicht«, sagte de Jong. »Wir haben ja Ihr Geständnis. Oder wollen Sie das jetzt doch wieder zurücknehmen?«

Ein schnaufendes, ungläubiges Lachen. »Das reicht nie und nimmer.«

»Heißt das, Sie plädieren auf nicht schuldig? Jetzt auf einmal?«

Der andere schwieg verbissen. Inzwischen hatten sie Ascheberg erreicht. De Jong fuhr auf die A1 in Richtung Münster. Es blieb nicht mehr viel Zeit. Lange würde Waldemar ihm die Show nicht abkaufen. »Sie haben drei Menschen auf dem Gewissen«, sagte de Jong. »Glauben Sie, Sie kämen damit durch?«

Keine Antwort. Der ehemalige Kommissar setzte den Blinker, zog auf die linke Spur und überholte zwei Trucks.

»Okay«, kam es schließlich von hinten, »dann zeigen Sie doch mal den Haftbefehl.«

»Hatte ich das nicht gerade eben?«

»Nein, hatten Sie nicht, Herr Kommissar.«

»Exkommissar«, sagte de Jong.

Der Mann auf dem Rücksitz räusperte sich. »Was war das bitte?«

»Deshalb gibt’s auch keinen Haftbefehl.«

Waldemar ließ das eine Weile sacken. Schließlich passierten sie ein Schild. Rasthof Münsterland Ost 500 Meter.

»Also warum sind wir dann hier? Was soll dieses absurde Theater? Was erlauben Sie sich? Wenn Sie gar kein Bulle sind …«

In Waldemars Stimme tönte die alte Selbstsicherheit. Gleichzeitig aber schien er auch zusehends nervös zu werden, da er sich immer noch keinen Reim auf die Situation machen konnte.

De Jong blinkte dieses Mal nach rechts. »Ich dachte mir, wo Sie doch gar kein Mörder sind, ist einer wie ich für Sie genau die richtige Art Bulle.«

»Das ist lächerlich, Herr Exkommissar, und das wissen Sie. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass das keine Folgen für Sie hat.«

De Jong glaubte das tatsächlich nicht. Er kurvte eine Weile auf dem Rasthof Münsterland herum. Inzwischen war es fast zehn Uhr abends. Draußen war jeder freie Platz einschließlich des Seitenstreifens von parkenden LKWs belegt. Schließlich fand er doch noch eine Parkmöglichkeit, auf der Rückseite, direkt bei den Toiletten. Er schaltete den Motor aus.

»Was wollen Sie von mir?«, verlangte Waldemar zu wissen.

»Wir spielen Theater«, sagte de Jong. »Sie übernehmen die Rolle des Mörders, und ich spiele den Mann von der Kripo, der Sie verhaftet.«

»Das vergessen Sie mal.«

De Jong öffnete die Tür. Wenn er ehrlich war, war auch ihm die Lust am Theaterspielen vergangen. Stattdessen ließ er seinen Fahrgast noch ein paar Minuten schmoren. »Also gut«, sagte er schließlich. »Kommen Sie, Waldmar. Was halten Sie von Currywurst mit Pommes? Nur wir beide? Ich lade Sie ein.«

Im stickigen Glaspavillon, der die ambitionierte Bezeichnung Restaurant trug, waren sie fast unter sich. Bis auf ein junges Pärchen an einem der Plastiktische, das offensichtlich Stress hatte. Der Mann zischte etwas, die Frau machte einen Schmollmund und zog die Augenbrauen hoch.

De Jong sah Waldemar zu, der eine aufgeschlitzte Currywurst wie ein verendetes Tier in einem See aus Ketchup hin und her schob. Ein Schlitz wie eine Wunde, eitergelb das Currypuder, blutig rot der süße Ketchup. »Also, nehmen wir mal an, ich würde Ihnen glauben«, sagte de Jong. »Sie hätten diese Menschen ermordet. Ganz egal eigentlich, denn letztlich ist nicht die Tat entscheidend. Sondern das Motiv.«

»Das sehe ich aber anders«, widersprach Waldemar und schob sich ein Stück Wurst in den Mund. »Einzig wichtig ist immer, was passiert. Wen interessiert schon, was man sich dabei gedacht hat? Abgesehen davon habe ich ja ein Motiv.«

»Genau. Und moralisch gesehen macht es gar keinen Unterschied, ob man ein Mörder ist oder nur behauptet, einer zu sein, oder? In jedem Fall ist man ein schlechter Mensch.«

Sein Gegenüber gab ein spöttisches Schnaufen von sich. »Nehmen Sie es mir nicht übel, de Jong, aber Sie spielen keinen Kommissar«, sagte Waldemar, stach mit der Gabel zu und rührte mit einem weiteren Wurststück in der Soße. »Sondern einen Pfarrer.«

»Menschen in seiner Umgebung aus welchem Grund auch immer den Tod zu wünschen und sich damit zu brüsten, ist doch mindestens so schlimm, wie sie eigenhändig abzumurksen.«

»Was Sie nicht sagen, Hochwürden.«

»Warum können Sie so gut damit leben, drei Menschen umgebracht zu haben, selbst wenn Sie es gar nicht waren?«

»Vier.«

»Vier?«

»Sie vergessen Michi Starnberg.«

»Richtig.« De Jong probierte sein Essen und war sich nicht mehr sicher, ob er eine Pizza erworben hatte oder nur einen dieser Pappkartons, in denen man sie transportierte. »Erzählen Sie mir doch mal von ihm.«

»Ich wüsste nicht warum.« Waldemars Nervosität hatte sich längst gelegt, und das gewohnte, spöttische Grinsen verharrte in seinem Gesicht, sogar während des Kauens und Hinunterschluckens. Er drohte nicht mehr mit den Folgen oder einem Nachspiel, das die Aktion für de Jong haben würde; das Ganze schien ihn vielmehr zu amüsieren. »Michi Starnberg war in meiner Klasse«, erklärte er, während er eine Pommes nach der anderen in den See tauchte, bis sie weich waren und vor Soße trieften. »Wir beide waren wie Pech und Schwefel. So wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn, kann man sagen. Als ich aus den Staaten zurückkam, hab ich ihn als Erstes in München besucht. War doch klar. Und dann: Was hat er über mein Lebenswerk gesagt?« Waldemar sah de Jong an, als hätte er die Frage an ihn gerichtet.

»Lassen Sie mich raten«, überlegte de Jong. »Er war sich nicht sicher, ob er es putzig oder besorgniserregend fand, dass ein intelligenter Mensch wie Sie davon besessen ist, hanebüchenen Unsinn zur seriösen Wissenschaft umzudekorieren?«

»Er sagte gar nichts. Dass Kretins wie Sie darüber spotten, ist mir klar, da erwarte ich auch nichts anderes, aber der beste Freund? Michi hat nur spöttisch gegrinst.«

»Verstehe. Und deshalb haben Sie ihn umgebracht?« Angewidert schüttelte de Jong den Kopf. »Mit bösen Gedanken in den Selbstmord getrieben?«

»Wollen Sie die Wahrheit wissen?« Der Mann mit dem Riesenschädel zuckte mit den Achseln. »Als es passierte, habe ich es zuerst selbst nicht glauben können. Es war ein Meilenstein.«

»So wie die Landung der Mondfähre.«

»Richtig. Ich handelte wie ein Pionier, der absolutes Neuland betritt. Wenn nicht jetzt, wann dann?, habe ich mir gesagt. Ich habe energetische Übungen gemacht und alle Energieströme aus der Gruppe auf ihn fokussiert – tja, und dann stand in der Zeitung, dass er im Gasometer gefunden worden war.«

»Zufall«, sagte der Exkommissar, betont unbeeindruckt.

Waldemar schien mit diesem Wort Probleme zu haben. Er schüttelte auf eine Art den Kopf, als könnte er damit alle kleinlichen Bedenklichkeiten und Anfeindungen hinwegschütteln. »Unsinn. Sie und ich wissen, dass es Unsinn ist.« Der Kosmologe hatte inzwischen sowohl Wurst als auch Pommes verzehrt. Er schob den Teller mit der Ketchup-Pfütze von sich weg, legte Messer und Gabel hinein und wischte sich mit der roten Papierserviette den Mund ab. »Ich habe mich mein Leben lang mit dunkler Energie beschäftigt. Mit schwarzen Löchern. Aber nicht astronomisch. Sondern psychologisch. Parakosmologisch. Da bin ich hierzulande der Einzige. In den USA, wo ich in der Forschung tätig war, sind sie uns in diesem Punkt meilenweit voraus. Bei der dunklen haben wir es mit einer Energie zu tun, die die helle um Längen schlägt. Die das weltweite Energieproblem lösen kann. Vor allem aber Macht verleiht. Man hat inzwischen herausgefunden, dass über siebzig Prozent der im Universum vorhandenen Energie dunkle ist. Ein gewaltiges Potenzial. Und was die Psychologie angeht: In uns allen schlummern schlechte Gedanken.« Waldemar beugte sich vor. »Tja, wir sind alle schlechte Menschen, um es mit Ihren Worten auszudrücken. Und Tag für Tag, Jahr für Jahr werden wir mehr. Sie, de Jong, denken noch in den alten Parametern: Es geschieht ein Mord. Jemand muss der Täter sein. Ich sage Ihnen, der Täter sitzt hier vor Ihnen. Aber in Wirklichkeit bin ich nur ein Werkzeug, verstehen Sie? Ein Tool, mehr nicht. Derjenige, durch den sich das Walten der kosmischen Energie vollzieht …«

Waldemar redete sich warm, dabei hatte de Jong längst mehr als genug gehört. Er beobachtete ein älteres Ehepaar, das sich, mit Tabletts in der Hand, nach einem geeigneten Tisch umsah, während beide auf ein winziges, wuscheliges, angeleintes Etwas einredeten. Dem Aussehen nach ein hundeähnliches Wesen, aber so winzig, dass es wohl am besten als Lebendfutter für Vogelspinnen diente.

De Jong wurde klar, dass er Waldemar falsch eingeschätzt hatte: Dieser Mann war kein Schwindler. Er war kein Hochstapler oder Scharlatan. Vielmehr war er ein zutiefst gläubiger Mensch. Und das einzige Ziel, das er verfolgte, war zu erreichen, dass die Welt endlich sah, dass das, was er ihr predigte, tatsächlich existierte. Diesem Ziel opferte er alles.

»Woher wussten Sie das von meinem Bruder?«, fragte er mitten in den pseudowissenschaftlichen Vortrag hinein.

Der Guru grinste und lehnte sich mit selbstzufriedenem Gehabe auf dem Plastikstuhl zurück. »Tja, das hat Sie ganz schön aus der Bahn geworfen, was?«

»Sagen Sie es mir einfach. Wer hat Ihnen das erzählt?«

»Keiner.«

»Glaub ich Ihnen nicht. Hören Sie, Waldemar, ich bin zwar kein Bulle mehr. Das heißt aber nicht, dass ich Ihnen keinen Ärger machen kann.«

Sein Gegenüber schwieg. Offenkundig genoss er es, de Jong auf die Folter zu spannen. Mit Wonne dabei zuzusehen, wie dem Exkommissar sein Vorhaben entglitt, den Waldemar-Spuk ein für alle Mal zu beenden. »Wollen Sie es wirklich wissen?«

De Jong wartete. »Was denken Sie denn, warum ich frage?«, sagte er dann.

»Es passt eben nicht in Ihr Weltbild, dass Leute über Fähigkeiten verfügen, deren Existenz auch nur anzunehmen schlichten Gemütern wie Ihnen die Fantasie fehlt.«

De Jong starrte auf den See aus Ketchup auf Waldemars Teller. Nein, dachte er, dieses Mal nicht. Wenn keiner sich was einbildet, passiert gar nichts, so einfach ist das. »Jetzt weiß ich’s«, sagte er. »Sie haben geraten, ganz einfach.«

»Geraten?« Das Grinsen geriet in Schieflage. »Kommen Sie, das ist lächerlich.«

»Überhaupt nicht. Ich würde tippen, Sie haben so was Ähnliches mal im Fernsehen gesehen. Und das war’s schon.«

»Ich hab was über Ihre Kindheit im Fernsehen gesehen? Herr Kommissar …«

»Exkommissar. Was haben Sie schon riskiert? Hätten Sie daneben gelegen, hätte ich einfach nur mit den Schultern gezuckt. Also haben Sie drauflos geplappert. Ein uralter Jahrmarkttrick. So war’s, oder?«

Sein Gegenüber sagte nichts. Zuckte mit den Schultern.

»So war’s doch?«, wollte de Jong wissen, dem die Pause zu lang dauerte.

»Wer weiß, vielleicht haben Sie mich da erwischt.« Waldemar hob die Hände wie jemand, der aufgab. »Wie auch immer, es ändert nichts daran, dass ich in Sie hineinsehen kann, Herr Exkommissar. Durch Sie hindurch geradezu. Sonst hätte ich wohl nicht ins Schwarze getroffen, was?«

De Jong schüttelte den Kopf. Er stand auf und wollte mit seiner leeren Kaffeetasse den Wagen für das gebrauchte Geschirr ansteuern, als Waldemar ihn am Arm festhielt: »Sie sollten Folgendes bedenken: Todbringendes wohnt in jedem von uns. Auch in Ihnen, de Jong. Und wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, dann hat es leichtes Spiel.« Er grinste breit. »Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.«