Natürlich seien wir keine Ritter und das hier sei auch keine Tafelrunde, erklärte unser Coach in seiner kleinen Rede zum Abschluss des Seminarprojekts.
Freilich sei das Ganze aber auch keine banale Maskerade gewesen. Keine alberne Show zum Zeitvertreib. Mit der Tafelrunde habe er uns einen Spiegel vorgehalten. Genau darum gehe es: um diesen Spiegel. Wobei ihm natürlich bewusst sei, dass das in dieser von eitlem Narzissmus geprägten Zeit geradezu üblich sei und man quasi an jeder Straßenecke einen Spiegel vorgehalten bekomme. Darüber hinaus aber gerate unsere elitäre Runde jedoch zu einem Gleichnis, wenn er zum Beispiel die Frage stelle: Wie ist es denn mit der Ritterlichkeit damals weitergegangen? Von wegen die Schwachen schützen, Minnelieder singen und den Gral suchen? Zur Wahrheit gehöre eben auch dies dazu: Ritter waren schwerfällig mit ihren Rüstungen, die abgesehen davon ein Vermögen kosteten. Man sparte ein halbes Leben auf so ein Ding, musste unzählige Leute berauben, und wenn man dann drinsteckte, kam man kaum noch vorwärts. Hatte schon gar keine Chance gegen die leichtfüßigen englischen Bogenschützen. Zu allem Überfluss wurde auch noch das Schießpulver erfunden. Damit ging das ganze schöne Rittertum mit all seiner Ehrenhaftigkeit den Bach runter, niedergewalzt vom eisernen und unerbittlichen Gesetz des Krieges: Wenn du nicht gefressen werden willst, friss. Ob wir zum Beispiel wüssten, was mit »ins Gras beißen« gemeint sei? Ritter in ihren tonnenschweren Rüstungen, man gab ihnen hinterrücks einen Schubs, dann lagen sie mit dem Gesicht im Gras und gingen elendig zu Grunde, weil sie sich ohne Hilfe ihrer Knappen nicht mehr umdrehen konnten. So viel zum Thema Ritterlichkeit.
Eine schöne Rede.
Für uns müsse das Lehre und Gleichnis zugleich sein. Wie wir heute, in Zeiten flacher Hierarchien und Teams, die vorgäben, an einem Strang zu ziehen, bestehen könnten. In diesem tagtäglichen Agieren und Projektieren auf Augenhöhe, das aber in Wirklichkeit ein Kampf bis aufs Messer sei. Unsere gesteckten Ziele erreichen, die Konkurrenz hinter uns lassen, während wir vorgäben, ihnen die Hand zu reichen. Also haben wir hier und in dieser Tafelrunde ein neues Spiel gelernt: das Spiel ohne Ball. Das Treten, ohne zu treten. Das Meucheln ohne Messer.
Meucheln ohne Messer. Genau das haben wir mit Zahnfee.de getan. Haben bewiesen, dass wir das können. Und der Sire war begeistert. Er habe selten eine so gelehrsame Truppe wie uns gehabt und es sei ein Spaß gewesen, mit uns zu arbeiten. So was hört man doch gern.
Was Rudows ehemals ruhmreiches Start-up anging, so strampelte er redlich und kämpfte ums Überleben. Schien fest entschlossen, sich so schnell nicht unterkriegen zu lassen. Aber der Negativtrend ließ sich nicht aufhalten. Wir ließen ihn jetzt zwar in Ruhe, aber für immer mehr User hatte seine Plattform etwas Schlüpfriges, Verrufenes, auch für die, die sich für aufgeschlossen und tolerant hielten, nur weil sie jung waren. Man hatte ja nichts Handfestes, keine wirklichen Fakten, die gegen Bettfertig.de sprachen, aber das war auch nicht nötig. Wer brauchte in einer Welt der flugs mit den Daumen getippten Bewertungen noch so etwas Sperriges wie Fakten?
Immerhin hielt sich Bettfertig.de eine Weile mit jämmerlichen zwei gelben Bewertungssternchen, geriet noch mehr ins Trudeln und ging dann endgültig den Bach runter.
Lesley verließ Rudow. Sie wollte nicht mit jemandem zusammen sein, der perversen sexuellen Neigungen frönte, hab ich gehört. Mein Eindruck war allerdings, dass sie ihre Prüderie nur vorschützte, im Grunde war sie eben nur eine Opportunistin. Ertrug es nicht, mit einem Loser das Bett zu teilen. Sie kam zu Lanzelot zurück und blieb mit ihm zusammen, auch nachdem ihr längst klar war, dass Zahnfee.de kein funkelnder Stern am Himmel der digitalen Dienstleistungen war. Sondern nur ein Projekt. Eine Übung in präventiver Notwehr.
Mit Galahad lief es zum Schluss leider nicht so gut. Dabei empfand ich sie als eine Schwester im Geiste, als Seelenverwandte sogar. Sie tickte wie ich, war clever und ohne Skrupel. Es fehlte ihr nur an echter Leidenschaft. Also gab ich mein Bestes, um an unser kleines sexuelles Abenteuer anzuknüpfen und mich auch nach Ende des Tafelrunden-Seminars mit ihr zu verabreden. Wir saßen in einer Pizzeria, und die Frau am Tisch neben uns gab seltsame stöhnende Geräusche von sich. Und als die Kellnerin kam, hab ich gesagt: »Ich will genau dasselbe, das diese Dame hatte.« Galahad verzog nicht mal das Gesicht. Das wird schon noch, dachte ich, lass ihr Zeit. Aber danach fand sie immer wieder Ausreden, weshalb sie nicht konnte. Also versuchte ich es immer seltener, hatte irgendwann genug und wünschte ihr noch ein schönes Leben.
Sie antwortete nicht mal.