Der Südwesten steht für kantige Individualität – die Realität ist jedoch etwas komplexer. Die Identität der Region ist hauptsächlich von drei ethnischen Gruppen geprägt – Angloamerikanern, Hispanics und Indianer –, dabei jedoch so facettenreich wie das Land, aus dem sie hervorging. Hier glauben die Menschen wahlweise an Aliens, Kunst, Atomenergie, Glücksspielautomaten, Peyote oder Joseph Smith – das wunderschöne, kaum gezähmte Stück Amerika lässt viel Platz für eigene Überzeugungen.
Obwohl Psychologie, Mythologie und Spiritualität der schroffen, trockenen Wüstenlandschaft die Kultur der Region einen, sind die unterschiedlichen Bewohner nicht so leicht auf einen Nenner zu bringen. Der Südwesten zieht traditionell beherzte Pioniere an, die sich vom Durchschnittsamerikaner unterscheiden.
Mitte des 19. Jhs. suchten Mormonen hier Glaubensfreiheit. Rinderbarone behaupteten ihre abgelegenen Ranches mit Stacheldraht und lockten Cowboys an. Eingefleischte Individualisten – Goldsucher, Betreiber von Minengesellschaften, Glücksspieler, Ladenbesitzer und Puffmütter – gründeten alte Minenstädte.
Als die Bergbauindustrie im 20. Jh. bankrott ging, verwandelten sich Boomtowns zeitweilig in Geisterstädte, bis sie von einer neuen Generation idealistischer Unternehmer in Kunst-Enklaven des New Age und in Wild-West-Touristenstädte verwandelt wurden. Wissenschaftler nutzten die freien Flächen, um Atombomben und Raketen zu entwickeln und zu testen.
Bis heute zieht die Region Menschen an, die dem ursprünglichen weißen Siedlertypus des zielstrebigen, selbstbewussten Einzelgängers ähneln. Künstler lockt der Südwesten mit seinem klaren Licht, den günstigen Immobilien und der großen Weite, was zu einer Gentrifizierung von Städten wie Santa Fe und Taos in New Mexico, Prescott in Arizona und Durango in Colorado führt. In der Nähe von Truth or Consequences, NM, entwickelt der global agierende Unternehmer Richard Branson von Virgin Galactic ein Raumschiff, das zahlende Kunden von der mit Büschen bewachsenen Wüste aus ins Weltall transportieren soll.
Unter den Neuankömmlingen sind jedoch auch normale Durchschnittsbürger, und manch einer möchte im Südwesten einfach der modernen Hektik entkommen. Lange verlief dieses bunte Zusammenleben recht reibungslos. In den letzten Jahren zeigten sich bundesstaatliche und Gemeinderegierungen sowie engagierte Bürger, vor allem in Arizona und Nevada, jedoch unzufrieden mit politischen Entscheidungen in Washington.
Arizonas Vorgehen gegen illegale Einwanderer hat dem gesellschaftlichen Klima geschadet und machte im ganzen Land Schlagzeilen. Zu den Maßnahmen gehören das umstrittene Gesetz SB 1070, das es Polizeibeamten erlaubt, jede Person zu kontrollieren, die sie des illegalen Aufenthalts verdächtigen, und eine Verstärkung des nationalen Grenzschutzes und der Kontrollpunkte.
Die Anti-Einwanderer-Rhetorik schlägt sich noch nicht in Alltagsgesprächen nieder, allerdings werfen die vermehrte Berichterstattung, die sich vor allem auf die radikalsten Äußerungen konzentriert, sowie die Checkpoints und omnipräsenten Grenzschutzfahrzeuge einen Schatten auf die sonnige Region.
Auch wenn im Südwesten Klischees über ethnische Zugehörigkeit kaum eine Rolle spielen, ist es noch immer eine Herausforderung, den genauesten (und politisch korrekten) Begriff für die verschiedenen Gruppen zu finden. Hier eine kurze Erklärung unserer Terminologie:
„Leben und leben lassen“ heißt hingegen in anderen Regionen im Südwesten auch weiterhin das Motto. Die Bevölkerung gilt als entspannter und oftmals freundlicher als an der Ost- und Westküste. Sogar in schicken Restaurants in den größeren Städten (mit Ausnahme von Las Vegas) sieht man eher Jeans und Cowboystiefel als Haute Couture.
Kommt man in einer hiesigen Kneipe in Arizona ins Gespräch, stellt sich oft heraus, dass das Gegenüber ein Zugezogener ist, den die Landschaft, die saubere Luft und der gemächliche Lebensrhythmus lockten. Umweltschutz ist in der Region ein wichtiges Thema, ebenso wie ein gesunder Lebensstil: Viele Bewohner gehen gerne wandern, mountainbiken, Ski fahren oder raften. Wer Geld hat, zeigt es nicht, denn das Zurschaustellen von Reichtum ist verpönt.
In Las Vegas ticken die Uhren anders, schließlich muss eine Stadt, in der man in unter zehn Minuten von Paris nach Ägypten kommt, aus der Reihe tanzen. Vegas ist sexy und sich dessen bewusst. Der Blockbuster Hangover stärkte das Image der Stadt als Partyzentrale, und die Lebensart von Sin City ist von einer Energie geprägt, die für die Region einzigartig ist. Die Bewohner der Stadt sagen nicht, dass sie aus dem Südwesten oder Nevada kommen – natürlich sind sie aus Vegas, dass das klar ist!
Steht Vegas für Glanz, Jugend und Schönheit, repräsentiert Arizona wohl das genaue Gegenteil. Im letzten Jahrzehnt machte der Bundesstaat Florida als Rentnerparadies Konkurrenz. Das warme Wetter, die trockene Luft, viel Sonnenschein und jede Menge Platz ziehen jedes Jahr mehr Pensionäre an. Rund um Phoenix und Tucson sieht man weitläufige Wohnmobilsiedlungen, und viele Restaurants servieren das Abendessen zu seniorenfreundlichen Zeiten.
In Arizona und New Mexico gibt es große Gemeinden von Indianerstämmen und Hispanos. Beide Bevölkerungsgruppen sind stolz auf ihre kulturelle Identität und erhalten diese durch Traditionen und mündliche Überlieferung.
Von Beginn an war Utah ein von den Mormonen geprägter Bundesstaat. Heute sind über 60 % der Bevölkerung Mitglieder dieser Kirche, doch wie ihr mittlerweile verstorbener Präsident Gordon Hinckley gern betonte, hat die Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage; LDS, so die moderne Bezeichnung für den mormonischen Glauben) nichts mit denen zu tun, die bis heute Polygamie praktizieren.
Für LDS-Mitglieder ist die Bibel das Wort Gottes und das Buch Mormon ein weiteres Testament Jesu Christi – so wurde es dem Kirchengründer Joseph Smith offenbart. In den 1820er-Jahren soll ein Engel namens Moroni Smith zu den goldenen Platten geführt haben, die vom Exodus einer Familie im Jahr 600 v. Chr. aus Jerusalem und von deren Leben, Prophezeiungen, Proben, Kriegen und Erscheinungen Jesu Christi in der neuen Welt (Zentralamerika) erzählen. Angeblich ist ihm während seines Lebens Gott mehrere Male erschienen, u. a. 1843, als dem Propheten die Vielehe als richtiger Weg offenbart wurde. 1852 erkannte der zweite Präsident Brigham Young Polygamie offiziell als Kirchendoktrin an.
Angesichts der großen Aufmerksamkeit, die das Thema erhält, mag es überraschen, dass die Vielehe nicht mal 40 Jahre offiziell praktiziert wurde. In den 1880er-Jahren erklärten die USA Polygamie für gesetzeswidrig. Die Androhung, Kirchenvermögen einzuziehen, bewirkte bei Präsident Wilford Woodruff eine spirituelle Umorientierung: 1880 schaffte er die Vielehe ab.
Heute hat die LDS über 15 Mio. Mitglieder und ist auf der ganzen Welt missionarisch tätig. Doch welche Rolle spielt die Polygamie? Schnell haben sich von der Mutterkirche fundamentalistische Sekten abgespalten, die bis heute ihren Glauben praktizieren. Die offizielle Mormonenkirche distanziert sich von diesen Gemeinschaften und blickt eher beschämt auf ihre Vergangenheit zurück.
Die Zahl der Menschen, die noch immer die Vielehe praktizieren oder anerkennen, wird auf rund 38 000 geschätzt. Die meisten leben in Utah und Umgebung, wobei manchen ihre Lebensweise nicht anzusehen ist – sie wirken einfach wie Großfamilien. Andere gehören zu isolierten, kultähnlichen Gruppen wie der FLDS in Hildale-Colorado City an der Grenze zwischen Utah und Arizona, deren Mitglieder an Kleidung und Frisur zu erkennen sind. Einige dieser Sekten gerieten durch Verbrechen von Mitgliedern in die Schlagzeilen.
Obwohl Polygamie gesetzeswidrig ist, wird sie kaum strafrechtlich verfolgt. Ohne ein Geständnis oder Videobeweise sind Verdächtige nur schwer zu überführen. Männer heiraten in der Regel lediglich ihre erste Frau offiziell; weitere Frauen gelten vor dem Staat als alleinstehende Mütter und erhalten somit mehr finanzielle Unterstützung. Weite Teile der Bevölkerung Utahs haben ein gespaltenes Verhältnis zur Polygamie. Zehn- oder sogar Hunderttausende Einwohner würden ohne die historische Praxis gar nicht existieren.
In einer so großen und vielfältigen Region ist es unmöglich, eine typisch südwestliche Lebensart auszumachen. Die New-Age-Mystik Sedonas, die Geschäftsleute, Lounge-Sänger und Kasinoangestellten in Las Vegas und die gläubigen Mormonen in Salt Lake City haben tatsächlich wenig gemeinsam. Eine Tour durch den Südwesten ist auch deswegen so spannend, weil man diese verschiedenen Identitäten vergleichen und erleben kann.
Für Utahs mormonisch geprägte Bevölkerung sind die traditionellen Werte der Familie wichtig. Alkohol, Zigaretten und vorehelicher Sex sind verpönt. Die neueste Mode und fluchende Menschen wird man hier selten sehen.
Familie und Religion sind auch für die Indianer und Hispanoamerikaner in der Region von zentraler Bedeutung. Die Stammestänze der Hopi gelten als heilige Rituale, deswegen dürfen ihnen Außenstehende meist nicht beiwohnen. Obwohl viele Indianer und Hispanics mittlerweile in Städten leben und arbeiten, sind große Familienzusammenkünfte und traditionelle Gebräuche noch immer wichtige Facetten des Alltags.
Wegen des günstigen Wetters und des riesigen Angebots an Outdoor-Aktivitäten sind große Teile des Südwestens für Leute von der Ost- und Westküste attraktiv. Städte wie Santa Fe, Telluride, Las Vegas, Tucson und Flagstaff sind von einem Mix aus Studenten, Künstlern, wohlhabenden Rentnern, Möchtegern-Stars und Abenteuer-Junkies geprägt.
In urbanen Zentren in der ganzen Region (mit Ausnahme von Utah) legen viele eher Wert auf Spiritualität als auf Religion und tauschen den Kirchgang gegen den Sonntags-Brunch ein. Frauen arbeiten genauso viel wie Männer, und viele Kinder besuchen Tagesstätten.
Mit Ausnahme des Mormonenstaates Utah zeigt sich der Südwesten Homosexuellen gegenüber größtenteils tolerant, insbesondere in den großen Städten wie Las Vegas, Santa Fe und Phoenix.
Professionelle Sportteams gibt es in Phoenix und Salt Lake City. Die Baseballmannschaft Arizona Diamondbacks aus Phoenix spielt von April bis September in der Major League. Die Saison des einzigen Footballteams im Südwesten, das in der Major League vertreten ist, dauert von September bis Dezember.
Beim Basketball ist die Konkurrenz größer, so kann man sich Spiele der Männerteams Utah Jazz aus Salt Lake City oder der Phoenix Suns ansehen, die von November bis April spielen. Das professionelle Basketballteam der Frauen, Phoenix Mercury, spielt von Juni bis August.
Tickets für Spiele der Profiligen sind schwer zu bekommen, besser stehen die Chancen hingegen beim Collegesport. Durch die Bank weg beliebt sind Matches der Teams aus Albuquerque. Die University of Arizona Wildcats zählen zu den besten Basketballmannschaften des Landes.
Viele Baseballteams der Major League, u. a. die Chicago White Sox, entfliehen dem kalten, winterlichen Norden, trainieren von Ende Februar bis März im wärmeren Arizona und spielen dort in der Cactus League – passender Name!