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In der Nacht machte ich mir Gedanken über Iris, das heißt weniger über Iris als über mein Verhalten zu ihr. Es war, als hätte sich eine fremde Kraft meines Glieds bemächtigt, eine Kraft, über die ich keine Kontrolle hatte. Im Zuchthaus gibt es keine Möglichkeit, sich abzureagieren. Ja, abstellen konnte man sich. In der Küche ging man recht großzügig mit Kaliumnitrat um. Aber wenn man sich abreagieren wollte, hatte man nur die Wahl zwischen Homosexualität – falls man in dieser Richtung veranlagt war – und dem Do-it-yourself-Verfahren.

Als Schulkinder waren wir von Mr. Glendale, unserem Biologielehrer, davor gewarnt worden. Das Masturbieren würde unserer Männlichkeit schaden, hatte er uns gesagt, und wir hatten uns totgelacht und seine Warnung als Albernheit abgetan. Immerhin sah es jetzt so aus, als hätte Mr. Glendale wenigstens im Hinblick auf einen seiner Schüler recht gehabt. In manchen Nächten hatte ich einen immer wiederkehrenden Alptraum um mein Erlebnis mit Iris: Mein Penis war verschwunden, ich suchte ihn wie verrückt, oder es hing ein anderer Gegenstand zwischen meinen Beinen, ein Buch zum Beispiel – ausgerechnet ein Buch! In diesen Träumen reagierte Iris immer belustigt, sie lächelte kühl, stand manchmal mit ihren Synchron-Leuten da und kicherte, und ich erwachte jedesmal in Schweiß gebadet.

Einige der Strafgefangenen onanierten so regelmäßig, als hätten sie eine Frau im Zuchthaus, ich aber suchte diese Erleichterung nur, wenn die sexuelle Spannung in meinem Körper unerträglich wurde. Seltsamerweise schlief ich in meinen Onaniephantasien niemals mit einer Frau, mit der ich tatsächlich geschlafen hatte. Vermutlich fühlte ich mich von der Notwendigkeit des Onanierens so sehr gedemütigt, daß ich das Ganze so irreal wie nur möglich gestalten wollte und deshalb auf Mädchen zurückgriff, die lediglich Einbildung einer frustrierten Erinnerung waren.

Iris traf ich noch ein einziges Mal. Dan gab eine Party, um seinen Sieg über die finsteren Mächte von Recht und Gesetz zu feiern, und ich stellte zu meiner Verlegenheit fest, daß ich aufgrund meiner spontanen Theatervorstellung bei Gericht in den Augen von Dans Freunden ein Held geworden war. Als Iris eintraf, in gelbem Kleid, gelben Schuhen und wunderschön, brachte sie mir ein Päckchen mit. Es enthielt meinen tausendjährigen Ablaßzettel, goldgerahmt und unter Glas. Sie war sehr liebenswürdig und aufgeschlossen, und während ich mit ihr sprach, begann Hoffnung in mir zu keimen. Durch ihr Parfüm erhielt unser Gespräch eine noch intimere Note. Doch dann wurde sie von einem jungen Mann mit langen Koteletten und Schiwago-Jackett abgeholt. Sowie er kam, wandte sie sich von mir ab, ging auf ihn zu und küßte ihn voll auf den Mund. Man sah sofort, daß zwischen den beiden alles stimmte. Er blieb nur kurz, dann gingen sie.

Und diesmal suchte Iris mich nicht erst lange, um mir auf Wiedersehen zu sagen.

Gibio verlor keine Zeit. Was ich anforderte, wurde gekauft, sobald meine Listen eintrafen. Ich schickte sie nicht an Gibio selbst – mit ihm persönlich hatte ich keinen weiteren Kontakt sondern an einen gewissen Federico Amatelli, der eine Firma namens ›International, Ltd.‹ leitete – ein zweifelsohne passender Name für ein fiktives, anonymes Unternehmen.

Mein Auftritt vor dem Kollegium für Schöne Künste war kurz. Die Mitglieder waren eindeutig zugunsten meines Antrags beeinflußt worden. Nachdem ich zusammenfassend erklärt hatte, warum das Zonico-Ufer ein zweites Sirmione zu werden verspräche, stellte der Vorsitzende mir ein paar nichtssagende Fragen, und damit war der Fall erledigt. Ich sollte nur noch bestimmte Formulare ausfüllen und gewisse Dokumente vorlegen. Bedingung war allerdings, daß das Kollegium das Vorkaufsrecht auf alle Ausgrabungen bekam. Im allgemeinen war vorgesehen, daß sich die italienische Regierung und mein Archäologenteam, die ›Associated Colleges Expedition‹ (ACE), Ertrag oder Objekte jeweils zur Hälfte teilen sollten. Natürlich war dabei die Rede von römischen Schätzen und nicht von denen Mussolinis.

Der einzige Vorteil, der mir persönlich aus Gibios Finanzierung erwuchs, war der, daß ich ins Inghilterra zurückkehren konnte, mit der Begründung, daß ich ein Telefon in meinem Zimmer – diesmal mit Bad – benötigte.

Dan wurden, wie zu erwarten war, ziemliche Schwierigkeiten gemacht, als er mir das Viermonatsvisum besorgen wollte, und selbst der hohe Lirebetrag, den Gibio dafür zur Verfügung stellte, schien kaum zu helfen. Doch Dan war durch jahrelange Erfahrung ein Meister der römischen Verhandlungstaktik geworden und gab nicht nach. Er spielte kreuz und quer den einen Beamten gegen den anderen aus, bis es ihm schließlich gelungen war, den Korken aus dem bürokratischen Flaschenhals zu ziehen.

Doch andere, unerreichbare Dokumente wurden gebraucht, und die mußten einfach ›kreiert‹ werden. Ich betete, daß Giorgio noch unter der Adresse in Neapel zu finden sein möge, die er mir gegeben hatte, als er Santo Stefano verließ. Dan sagte zwar, er kenne einen recht guten Fälscher, der als Keramiker getarnt in der Via Margutta lebe, doch Giorgio war nicht nur ein großer Künstler in seinem Fach, sondern darüber hinaus auch noch hundertprozentig zuverlässig, und das ist bei Romanen ein äußerst selten zu findender Prozentsatz. Außerdem war er herzlich und amüsant und mein Freund – ein Mensch, vor dem ich mich nicht zu verstellen brauchte, ein Verbündeter, ein Kommilitone der Alma Mater Santo Stefano. Und Giorgios Geschicklichkeit als Fälscher kam nicht nur dem Zeichenbrett, sondern auch seiner Persönlichkeit zugute.

Seine Phantasie, sein Talent, seine fröhliche Unverschämtheit befähigten ihn, fast jede Maskerade durchzuhalten, und sein flinker Verstand arbeitete ebenso gut, wenn Ungesetzliches gesetzlich erscheinen sollte, wie seine Hände bei Taschenspieler- und Kartentricks.

Das Gefühl, daß die Dinge endlich ins Rollen kamen, wirkte ermutigend. Eines Tages bekam ich sogar einen Anruf von der Dabbers' Association mit dem Angebot, einen französischen Schauspieler namens Belmondo zu synchronisieren, der mir völlig unbekannt war, da keiner seiner Filme jemals in Santo Stefano gezeigt worden war, und der in einem italienischen Film italienisch gesprochen hatte.

Ich gab zu bedenken, daß sich meine Leierstimme noch nicht gebessert habe, aber die Leute meinten, das sei nicht so wichtig, sie brauchten mich dringend. Es war mir unangenehm, absagen zu müssen.

Tagsüber war ich also ununterbrochen beschäftigt, des Abends jedoch sehr einsam. Es ist bedrückend, in einem italienischen Restaurant, vor allem in einer Trattoria, allein zu essen. Die italienische Küche verlangt die Würze der Konversation – zwischen den Speisenden, zwischen den Kellnern, mit Gästen an anderen Tischen, mit den Besitzern. Gespräche, Lachen und ein Schuß Musik wirken ebenso anregend auf die Sinne wie eine schöne, saftige Pasta. Allein in einer von Leben erfüllten Trattoria in Trastevere zu essen, wo die Atmosphäre von Geräuschen und der Geschäftigkeit der camerieri erfüllt ist, ruft immer, auch wenn die Pasta noch so al dente ist, ein schreckliches Gefühl der Einsamkeit hervor, so daß ich manchmal, wenn ich dort saß und die fröhlichen Menschen um mich herum beneidete, zu überlegen begann, ob ich wohl jemals aus meiner Einzelhaft wieder herauskommen würde.