Vorwort

Als ich Ende 2018 den Plan fasste, ein Buch über die Polarisierung der amerikanischen Politik und Gesellschaft zu schreiben, erwartete ich nicht, dass ich gut fünf Jahre an diesem Buch arbeiten würde. Doch entwickelte das Projekt rasch seine eigene Dynamik. Zum einen wurde mir bald klar, dass die Polarisierung in den USA als »lange Geschichte« erzählt werden muss, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzt, als die Amerikaner ihre politische Ordnung und ihr Gesellschaftsmodell als Vorbild einer konsensorientierten Staatsbürgerkultur betrachteten. Der Grund dafür ist nicht, dass die beiden ersten Nachkriegsjahrzehnte tatsächlich ein »goldenes Zeitalter« waren, sondern dass sich viele der Konflikte, die Amerika in der Gegenwart spalten, nur verstehen lassen, wenn man ihre Wurzeln freilegt, die bis in die 1950er- und 1960er-Jahre zurückreichen. Zum anderen will ich nicht verhehlen, dass ich nach fast fünfunddreißig Jahren der Beschäftigung mit der US-amerikanischen Zeitgeschichte das Bedürfnis verspürte, eine große Synthese zu schreiben. Dem Verlag Klett-Cotta und meinem Lektor Dr. Christoph Selzer danke ich dafür, dass sie diesen Weg mitgegangen sind. Ob mein Vorhaben gelungen ist, müssen meine Leserinnen und Leser beurteilen.

Das vorliegende Buch spiegelt selbstverständlich auch meine eigene Zeitgenossenschaft. Die Fernsehbilder aus dem Vietnamkrieg(1) gehören zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen. Als Richard Nixon(1) 1974 zurücktrat, war ich bereits ein politisch interessierter Jugendlicher, seit Mitte der 1980er-Jahre habe ich regelmäßig die USA zu Forschungszwecken und als Gastwissenschaftler besucht. Zwischen 1992 und 1997 arbeitete ich als Historiker am Deutschen Historischen Institut in Washington, D. C. Damals beeindruckte mich, wie sich die amerikanische Gesellschaft trotz ihrer offenkundigen Widersprüche und Konflikte gleichwohl als eine Nation verstand, die ein gemeinsames Haus bewohnte. Doch seit der Jahrhundertwende ließ sich kaum noch übersehen, wie gespalten und zerstritten dieses gemeinsame Haus inzwischen war. Dass der demokratische Grundkonsens selbst gefährdet sein könnte, blieb auch für mich lange unvorstellbar. Schließlich sind die USA, bei aller berechtigten Kritik an der Verfassungswirklichkeit, die älteste Demokratie der modernen Welt. Inzwischen ist jedoch unübersehbar, dass das amerikanische Selbstbild von der gefestigten, reifen Demokratie nachhaltig erschüttert ist.

Wer als Zeitgenosse über politische Polarisierung schreibt, muss sich der Gefahr der Parteilichkeit bewusst sein. Wo es um die Grundwerte der liberalen, pluralistischen Demokratie geht, bin ich nicht neutral. Diese sind vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart auch für die politische Kultur der Vereinigten Staaten prägend gewesen. Die Radikalisierung des amerikanischen Konservatismus und der Republikanischen Partei, eines der zentralen Themen dieses Buches, ist aus meiner Sicht ein Unglück, weil die Demokratie eine verfassungstreue und regierungsfähige konservative Partei braucht. Zugleich halte ich kritische Distanz zu der in der US-Geschichtsschreibung so einflussreichen »Meistererzählung«, der zufolge die amerikanische Geschichte – besonders seit den 1960er-Jahren – ein epischer Kampf zwischen Fortschritt und Rückschritt – dem sogenannten »Backlash« – ist, in dem die moralischen Rollen klar verteilt sind. Mein Anliegen ist es, zu erzählen und zu erklären, wie und warum die amerikanische Demokratie in die schwerste Krise seit dem Bürgerkrieg geraten ist. Dabei habe ich mich bemüht, die Perspektiven der handelnden Personen und der zeitgenössischen Beobachter in den Vordergrund zu stellen und mein eigenes Urteil nicht zu sehr zu betonen. Manche Leser mögen überrascht sein, dass ich keine Lösungsvorschläge für die Krise der amerikanischen Demokratie anbiete, doch halte ich weder rück- noch vorausschauenden Problemlösungsoptimismus für eine Pflicht des Historikers. Bis auf Weiteres müssen wir uns wohl mit Winston Churchills Aphorismus bescheiden, dass die Amerikaner am Ende immer das Richtige tun, nachdem sie zuvor alle übrigen Möglichkeiten ausprobiert haben.

Das vorliegende Werk schöpft aus einer Fülle an Quellen, wissenschaftlicher Literatur und medialen Veröffentlichungen. Je näher die Darstellung an die Gegenwart rückt, umso häufiger habe ich mich dabei des Internets bedient. Alle Onlinequellen mit dem vollständigen Link nachzuweisen hätte die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis stark aufgebläht, zumal sich die zitierten Publikationen mühelos durch Eingabe des Titels in eine Suchmaschine finden lassen. Daher verweise ich nur allgemein darauf, wo ich auf eine Quelle online zugegriffen habe. Dafür ist die wissenschaftliche Literatur ausführlich dokumentiert, um die Herkunft von Argumenten, Fakten und Daten durchschaubar zu machen und interessierten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu weiteren Recherchen zu geben. Da sich dieses Buch an eine deutsche Leserschaft richtet, habe ich Zitate übersetzt und so wenige englische Fachbegriffe wie möglich verwendet bzw. diese kurz erläutert. Auch im Zusammenhang mit den Rassenbeziehungen bleibe ich bei den deutschen Begriffen, die selbstverständlich nicht als »biologische«, sondern als soziale und kulturelle Kategorien zu verstehen sind.

Bei der Arbeit an diesem Buch habe ich von der tatkräftigen Hilfe, vom Rat und der Kritik vieler Menschen profitiert. An erster Stelle zu nennen sind hier meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg Lara Track, Manuel Franz, Georg Wolff, Nicole Colaianni, Amaya Gandy, Fabio Fidone, Alina Marotta und Richard Lange. Wichtige kritische Kommentare verdanke ich Thomas Maissen, Kilian Schultes, Romedio Schmitz-Esser und Welf Werner. Prägend waren auch die vielfältigen intellektuellen Anregungen, die ich im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs »Autorität und Vertrauen in der amerikanischen Kultur« am Heidelberg Center for American Studies (HCA) erhalten habe. Allen Mitgliedern des Kollegs sei hier kollektiv gedankt. Einen ganz besonderen Dank schulde ich meinem Lektor Christoph Selzer für die sprachsensible Verbesserung meiner Texte und die Empathie, mit der er die Entstehung dieses Buches begleitet hat. Auch Frau Gudrun Bernhardt hat wertvolle Hinweise zur Verbesserung des Manuskriptes gegeben und mit großer Sorgfalt das Register erstellt.

Meine Frau Anja Schüler, die als Historikerin meine Leidenschaft für die Geschichte teilt, hat in vielen Gesprächen viel mehr zu diesem Buch beigetragen, als ihr selbst bewusst sein dürfte. Sie erträgt seit nunmehr dreißig Jahren, dass ich mich immer wieder in Buchprojekte stürze, die zu viel unserer gemeinsamen Lebenszeit beanspruchen. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar.

Heidelberg, im März 2024