KAPITEL 13
Zoe betrachtete desinteressiert ihren Geflügelsalat. Abgesehen von dem Parkplatz, den sie in der Nähe gefunden hatten, sprach so gut wie nichts für das Restaurant, in dem sie zu Mittag aßen. Die Kellnerin, eine barsche, unfreundliche Frau mit einem Ausschlag am Hals, hatte den Geflügelsalat empfohlen. Angeblich war das ihr Lieblingsgericht, was Zoe jedoch stark bezweifelte. Das Hühnchen war trocken und mit einem nicht zu identifizierenden grünen Kraut gewürzt, und die Gemüsestücke waren so oft aufgetaut und wieder eingefroren worden, dass sie die Konsistenz einer Serviette besaßen.
Auch ihre Begleitung ließ zu wünschen übrig. Tatum war mürrisch und kochte schweigend vor Zorn. Er aß einen Hamburger, biss riesige Stücke davon ab und schluckte sie nach wenigem Kauen hinunter. Ganz offensichtlich wollte er diese Mahlzeit einfach nur hinter sich bringen.
Schließlich legte er den Rest des halb gegessenen Hamburgers auf den Tisch und sagte: »Sie hätten mir ruhig Rückendeckung geben können. Die Beobachtung der Tatorte ist ein guter Ansatz, aber jetzt will Martinez erst recht nichts mehr davon wissen.«
»Es hätte nichts gebracht«, erwiderte Zoe und versuchte, geduldig zu bleiben. Am letzten Tatort hatte Tatum sie dazu gebracht, ihre Schlussfolgerungen infrage zu stellen, und sie hatte Martinez nicht über ihre Theorie informiert, dass es sich bei dem Opfer wahrscheinlich um eine Prostituierte handelte. Inzwischen bereute sie es. »Der Mörder wird nicht dorthin zurückkehren.«
»Das wissen Sie doch gar nicht. Sie stellen bloß Vermutungen an.«
»Ich stelle keine Vermutungen an«, fauchte Zoe. »Ich ziehe Schlussfolgerungen aus früheren Fällen und den verfügbaren Beweisen. Das ist meine Aufgabe. Genau darin besteht mein Job.«
»Wo wir gerade von Ihrem Job reden: Hätten Sie mit Bernstein nicht etwas behutsamer umgehen können? Ich habe Sie hergeholt, um das Vertrauen der Beamten in ihn zu erschüttern, und nicht, um ihn zu erniedrigen.«
»Sie haben mich nicht hergeholt, Mancuso hat mich geschickt. Und sie sagte, ich soll die Chicagoer Polizei beraten. Genau das habe ich getan, und genau das tue ich auch jetzt.«
»Beraten? Worin unterscheiden Sie sich denn von Dr. Bernstein? Sie beide sind doch nichts anderes als Hellseher. Sie erfinden Geschichten für die Detectives und mischen sich in die Ermittlungen ein, nur um eine Rechtfertigung dafür zu haben, dass man sie bezahlt.«
Ihr schoss das Blut in die Wangen, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Am liebsten hätte sie ihm den Geflügelsalat ins Gesicht geschleudert. »Verdammt noch mal! Wissen Sie was, Tatum? Ich habe keine Ahnung, was Sie für ein Problem mit mir haben. Der Grund dafür, dass ich Ihren Vorschlag nicht unterstützt habe, ist schlichtweg, dass er bescheuert ist. Jeder, der nur ein bisschen Erfahrung mit Serienmördern hat, hätte das sofort erkannt. Aber Sie haben natürlich keine Erfahrung. Sie sind nur bei der BAU, weil man Sie nirgendwo anders haben wollte. Also vergessen Sie Ihren winzigen Penis, Ihr Bettnässerproblem oder was auch immer Sie kompensieren müssen, und benehmen Sie sich wie ein Mann. Wenn Sie meine Rückendeckung wollen, dann müssen Sie schon mit mir mithalten. Und ich bin schnell.«
Sie stand auf und stürmte aus dem Restaurant. Er konnte den geschmacklosen Geflügelsalat ruhig bezahlen.
Als sie über den Bürgersteig marschierte, hatte sie das Gefühl, wieder vierzehn Jahre alt zu sein und dem Polizisten gegenüberzustehen, der gönnerhaft auf sie herabblickte.
Überlass die Polizeiarbeit den Erwachsenen, verstanden, Kleine?
Zoe fluchte auf Tatum und auf diesen Polizisten von vor neunzehn Jahren, dessen Namen sie mit Absicht vergessen hatte. Sie fluchte auf alle FBI-Agenten, die es ihr verübelten, dass sie den Job eines »echten Agenten« machte. Sie fluchte auf die Herablassung, mit der man sie trotz ihrer Erfolge noch immer behandelte. Würde jemals der Zeitpunkt kommen, an dem sie die Anerkennung erhielt, die sie verdiente?
Ihr standen vor Wut Tränen in den Augen, und sie wischte sie rasch mit dem Handrücken weg und schluckte schwer, während sie sich zwang, ruhiger zu werden. Zoe stand ganz still und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Ein tiefer Atemzug brachte einen winzigen Hickser mit sich, aber der nächste war schon völlig ruhig und stetig. Ihr Herz schlug wieder langsamer. Die Wut war noch immer da, aber sie hatte sich wieder unter Kontrolle.
Tatum rief hinter ihr ihren Namen. Verdammt! Sie ging weiter.
»Zoe! Bleiben Sie stehen, verdammt noch mal!«
»Lassen Sie mich in Ruhe.«
»Klar, wie Sie wollen«, rief er ihr verächtlich zu. »Aber ich dachte, Sie würden wissen wollen, dass sie das Mädchen identifiziert haben. Es gibt eine Übereinstimmung mit einer Vermisstenmeldung. Ihr Name ist Krista Barker, und sie war ein Straßenmädchen.«
Sie war ein Straßenmädchen. Das war Tatums Art, ihr zu sagen, dass die Tote Prostituierte gewesen war, ohne dieses Wort zu benutzen. Ohne einzugestehen, dass sie recht gehabt hatte. Sie hätte es Martinez sofort sagen sollen, dann hätte er ihre Qualitäten noch besser zu schätzen gewusst.
»Sie sind unterwegs, um mit ihrer Mitbewohnerin Crystal zu sprechen. Martinez wollte wissen, ob wir dabei sein wollen. Soll ich ihm sagen, dass Sie nicht interessiert sind?«
Sie wirbelte wutentbrannt herum. Tatum sah sie mit ausdrucksloser Miene an.
»Nein«, erwiderte sie frostig. Und kontrolliert. »Ich möchte hören, was die Prostituierte zu sagen hat.«