KAPITEL 23
Der Frau liefen die Tränen über die Wangen, als er einen Schritt zurücktrat, um sein Werk zu begutachten. Er hatte ihr die Hände auf dem Rücken gefesselt und die Handschellen an einem in die Wand eingelassenen Haken befestigt. So brauchte er keinen Stuhl mehr, den sie umwerfen und zerbrechen konnte. Sie saß auf einer dicken Decke, damit sie sich auf dem rauen Boden nicht die Haut aufschürfte, und zitterte am ganzen Körper, vermutlich ebenso aus Angst wie vor Kälte. Das T-Shirt und den Rock hatte sie von sich aus ausgezogen, um kurz darauf das Messer an der Kehle zu spüren. Er überlegte, ob er ihr etwas zum Anziehen geben sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Es war nicht so kalt, dass sie Frostbeulen bekommen konnte, und wenn sie fror, wurde sie nur schwächer und lethargischer, was ihm zugutekommen würde, sobald er alles vorbereitet hatte.
Er hatte ihre Handtasche und ihre Kleidung auf den Boden geworfen. Wenn er mit ihr fertig war, würde er wie immer alles verbrennen. Jetzt griff er nach ihrer Handtasche und kramte darin herum, bis er auf ihr Handy stieß. Er holte es heraus und schaltete es aus. Bei einem seiner letzten Versuche hatte das Handy der Frau geklingelt, als er gerade mit dem Einbalsamieren beginnen wollte, und ihn fast zu Tode erschreckt. Er steckte sich ihr ausgeschaltetes Handy in die Hosentasche und warf die Handtasche auf die am Boden liegende Kleidung.
Dann ging er hinaus und schloss die Tür hinter sich, ohne ihre gedämpften Proteste zur Kenntnis zu nehmen. Er hatte zu arbeiten, und je eher er fertig wurde, desto schneller würde sie endlich still sein.
Vor Aufregung wurde ihm leicht schwindlig. Sie war absolut perfekt. Eine Traumfrau, wie er sie auf der Straße niemals zu finden gehofft hätte. Es schien ihm beinahe Schicksal zu sein.
Dieser Gedanke bewirkte, dass er vor dem Zusammenrühren der Balsamierflüssigkeit zögerte. Nach der letzten hatte er nur noch wenig Formaldehyd übrig. Für das, was er ursprünglich vorgehabt hatte, hätte es ausgereicht … aber würde es auch für sie reichen?
Das war ein heikler Drahtseilakt. Zu viel Formaldehyd und ihr Körper wurde stocksteif und ließ sich nicht mehr bewegen. Nahm er zu wenig, würde sie innerhalb weniger Jahre verwesen.
Er wollte den Rest seines Lebens mit ihr verbringen. Konnte er es sich da wirklich leisten, am Formaldehyd zu sparen? War ein wenig Steifheit denn nicht zu verkraften, wenn er dafür zehn weitere Jahre in ihrer Gesellschaft verbringen konnte?
Lächelnd malte er sich aus, wie er mit ihr an seiner Seite alt wurde. Wie sie in kalten Wintern unter einer Decke auf dem Sofa kuschelten und fernsahen. Wie sie im Bett lagen, ihr Kopf auf seiner Brust, ein Buch in ihrer Hand, während er ihr einen Arm um die Taille gelegt hatte. Wie sie am Esstisch saßen und er ihr von seinem Tag erzählte, während sie ihn voller Zuneigung ansah. Überrascht stellte er fest, dass er eine Träne im Auge hatte. Er war so glücklich.
Und er brauchte unbedingt mehr Formaldehyd.
Er sah auf die Uhr. Heute war es schon zu spät. Er würde morgen einkaufen müssen.
Doch er war derart ungeduldig, dass er sich beinahe anders entschieden hätte. Er betrachtete die Schlinge auf dem Tisch und malte sich aus, wie er sie um ihren Hals zuzog. Wie ihr Körper ein letztes Mal zuckte, bevor das Leben aus ihm entwich. Bei dem Gedanken an ihren reglosen Körper, der seiner Gnade ausgeliefert war, regte sich etwas in seiner Hose. Er drehte sich wieder zu der Formaldehydflasche um. Das musste doch reichen. Als er die Flasche hochhob, zitterte seine Hand vor Aufregung.
Nein. Er wollte die nächsten Jahrzehnte mit dieser Frau verbringen, da konnte er auch noch einen Tag warten. Daher stellte er die Flasche wieder auf den Tisch und holte tief Luft. Morgen. Morgen würde er es tun.
Er überlegte, ob er die Tür öffnen und sich für die Verzögerung entschuldigen sollte, aber er bezweifelte, dass sie es verstehen würde. Vor der Prozedur waren sie alle so uneinsichtig.
Stattdessen verließ er die Werkstatt und verriegelte die Tür hinter sich. Erleichtert stellte er fest, dass man ihre leisen Schreie außerhalb der Wände nicht mehr hören konnte.