KAPITEL 35
Regentropfen fielen auf Officer Mikey Calhouns gelben Regenmantel und liefen ihm in den Nacken und den Rücken herunter. Der Regenmantel hatte diesen Namen nicht verdient, wie sich inzwischen herausgestellt hatte, denn das Stück Nylon taugte nicht viel. Als er an diesem Morgen zur Arbeit gefahren war, hatte es nicht nach Regen ausgesehen, außerdem hätte er sowieso die meiste Zeit im Wagen sitzen sollen. Seine unmittelbare Zukunft schien also eher im Trockenen stattzufinden. Und doch stand er jetzt hier und war an Stellen nass, über die er in der Öffentlichkeit beim besten Willen nicht reden würde. Der Regen und er, das war inzwischen was Intimes – und es war definitiv intimer als das, was Mikey und seine aktuelle Freundin in letzter Zeit so trieben.
Die Autofahrer hupten unaufhörlich. Er konnte sie ja verstehen. Keiner wurde gern aufgehalten. Verkehrsstaus waren unbeliebt und Straßensperren erst recht. Ihm gefiel das auch nicht, okay? Wenn er seine Tochter zur Schule brachte, freute er sich auch nicht über Baustellen oder Staus aufgrund von Unfällen. Aber er wusste, dass das zum Leben in einer Großstadt dazugehörte, ebenso wie die gute Jobsituation, die Bars und die gepflegten Straßen. Manchmal waren die Straßen eben gesperrt. Und wenn dem so war, dann konnte man gefälligst gute Miene zum bösen Spiel machen, anstatt ständig auf die verdammte Hupe zu drücken. Außerdem saßen sie im Auto ja wenigstens im Trockenen. Sie hatten es viel besser als Officer Mikey Calhoun, so sah die Sache doch wohl aus. Sie hatten immerhin Scheibenwischer, während Mikey nur seine Hand zu Hilfe nehmen konnte, die ebenso nass war wie der Rest seines Körpers, um sich gelegentlich über das Gesicht zu wischen.
Er bedeutete dem nächsten Wagen, näher zu kommen. Der Verkehr bewegte sich so schnell wie eine unterernährte Schnecke. Das Fahrzeug zuckelte näher und hielt direkt neben ihm. Ein dunkler Nissan-Lieferwagen. Ein Fahrer, keine Beifahrer. Laut Mikeys Anweisungen hatte er dieses Auto genau unter die Lupe zu nehmen.
»Guten Abend, Sir«, sagte er. »Wo soll es denn hingehen?«
»Ich fahre nach Hause, Officer«, antwortete der Mann. Er lächelte höflich, was Mikey als verständnisvoll interpretierte. Der Mann begriff, dass Mikey nur seinen Job machte. Vielleicht hatte er auch Mitleid mit Mikeys Lage, weil er bei diesem Wetter im Freien rumstehen musste.
»Ach ja?« Mikey ließ den Lichtstrahl seiner Taschenlampe über den Boden des Vans gleiten. Er war makellos sauber. Mikey sah davon ab, den Mann direkt anzuleuchten. Wenn jemand frech oder unhöflich wurde, dann richtete Mikey den Lichtstrahl direkt in die Augen. Das mochte kleinlich sein, aber manchmal war das die einzige Methode, wie er sich Respekt verschaffen konnte.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir die Ladefläche zu öffnen?«
»Warum?«, wollte der Mann wissen.
»Weil ich einen Blick reinwerfen möchte.«
»Brauchen Sie dafür nicht einen Durchsuchungsbefehl?«
Da hatte der Mann recht. Es sei denn, es gab Grund zu der Annahme, dass dieser Mann ein Verbrechen begangen hatte. Was nicht der Fall war. Mikey überlegte, dem Kerl in die Augen zu leuchten. Wurde er etwa frech? Nein, eigentlich hatte er das ganz sachlich gesagt. Wie ein besorgter Mensch, der auf seine Privatsphäre bedacht war.
»Ich muss Ihren Wagen überprüfen, Sir.«
»Die Sache ist die: Da hinten herrscht ein ziemliches Chaos.«
»Machen Sie bitte die Hecktür auf.«
Wenn er sich weiterhin weigerte, würde Mikey ihn bitten müssen, auszusteigen. Eigentlich wollte er das nicht tun. Dadurch würde er den Verkehr bloß noch mehr aufhalten. Und das Gehupe würde noch lauter werden. Aber das war nun mal sein Job; und er war stolz darauf.
Der Mann zögerte noch kurz, und Mikey fragte sich langsam, ob es einen guten Grund dafür gab. War es etwa der Mann, den sie suchten? Er richtete den Lichtstrahl auf den Mann und konnte dessen Kleidung nun besser erkennen. Auf seinem Hemd war ein Fleck, Barbecuesoße oder etwas in der Art. Mikey ließ den Strahl weiter nach oben zum Gesicht des Mannes wandern …
»Okay, Officer. Die Tür ist offen. Das Chaos da hinten ist mir wirklich peinlich.«
Mikey ging nach hinten, behielt den Fahrer jedoch im Auge, der mit beiden Händen am Lenkrad saß, so, wie es sein sollte. Dann öffnete er die Tür und warf im Licht der Taschenlampe einen Blick auf die Ladefläche. So schlimm sah es da gar nicht aus. Da waren nur ein paar Plastikbehälter. Einer war umgefallen, und es war anscheinend etwas ausgelaufen und hatte einen großen dunklen Fleck hinterlassen. Mikey schloss die Tür und trat wieder neben das Fahrerfenster.
»Danke, Sir.«
»Was ist hier eigentlich los?«
»Das ist bloß Routine.«
»Routine? Sie haben die ganze Gegend abgesperrt. Meine Freundin wohnt da. Muss ich mir Sorgen machen?«
Mikey seufzte. Der Fahrer des nächsten Wagens hupte. Er war völlig durchnässt. »Bitten Sie sie lieber, das Haus heute nicht mehr zu verlassen, Sir. Hier läuft eine gefährliche Person herum. Und jetzt fahren Sie bitte weiter. Sie halten den Verkehr auf.«
Der Wagen fuhr weg, und Mikey starrte den nächsten Fahrer, der weiterhin hupte, genervt an. Der Mann sah wütend und erbost auf. Dem würde er garantiert ins Gesicht leuchten müssen.