KAPITEL 67
Tatum saß vor der Konsole, da ihm der Wachmann des Geschäfts seinen Platz überlassen hatte. Der Stuhl war sehr bequem, und an jedem anderen Tag wäre Tatum versucht gewesen, sich darin zu drehen und herauszufinden, wie viele Drehungen er wohl schaffte, ohne erneut Schwung zu holen. Aber heute schlug sein Herz auch so schneller, und seine Gedanken drehten sich allein um die Jagd nach dem Mörder.
Vor ihm befanden sich mehrere Bildschirme. Fünf davon zeigten Innenansichten des Ladens an; auf einem war die Ladenfront zu sehen und wie die Kunden das Geschäft betraten oder verließen. Der Wachmann zeigte ihm, wie er die verschiedenen Aufzeichnungen aufrufen und zwischen den unterschiedlichen Kameras wechseln konnte. Das Vorgehen war zwar unnötig kompliziert, aber nach einiger Zeit hatte Tatum den Dreh raus.
Die Geschäftsführerin stand schwer atmend neben ihm. Zoe hatte der Frau eine Heidenangst eingejagt. Obwohl sie dadurch Erfolg gehabt hatte, war Tatum davon überzeugt, dass sie ihr Ziel auch auf anderem Weg erreicht hätten. Nun würde sich diese Frau über Monate nicht sicher fühlen. Tatum nahm sich vor, ihr auf jeden Fall Bescheid zu sagen, sobald dieser Killer verhaftet worden war.
Er spulte das Video schnell vor. Auf der Zeitanzeige stand 28.07. 14:47:32. Während er spulte, warf er der Geschäftsführerin hin und wieder einen Blick zu.
»Sehen Sie ihn?«, erkundigte er sich.
Sie schüttelte den Kopf. »Versuchen Sie es mit der Kamera.« Sie deutete auf einen der Live-Monitore. »Sie ist näher an den Schaufensterpuppen, die er mag.«
Tatum wechselte den Feed, gab als Zeit 28.07. 14:30:00 ein und spulte abermals vor.
Bei 15:07:06 sagte die Geschäftsführerin plötzlich: »Da.«
Er hielt die Aufnahme an. Die Frau deutete auf eine Person, die am Bildrand stand und deren Gesicht kaum zu erkennen war.
»Sind Sie sicher, dass er es ist?«
»Ja, sehen Sie, wie er sich vor die Schaufensterpuppe stellt? Spulen Sie ein Stück vor, dann können Sie erkennen, dass er sich nicht bewegt.«
Tatum ließ die Aufnahme schnell weiterlaufen und stellte fest, dass die Frau recht hatte. Der Mann rührte sich über sechs Minuten lang so gut wie gar nicht. Dann trat er zur Seite und verschwand aus dem Bild.
»Haben Sie das gesehen?«, wandte sich Tatum an Zoe.
»Ja«, antwortete sie leise und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sie erlebten diesen aufregenden Moment gemeinsam und hatten soeben den unsichtbaren Killer gesehen, hinter dem sie seit zwei Wochen her waren.
»Können wir sehen, wo er hingegangen ist?«, wollte Tatum vom Wachmann wissen.
»Für mich sah es so aus, als wäre er zum Eingang gegangen«, meinte der Mann. »Da haben wir allerdings nur die Bilder der Außenkamera.«
»Aus der Richtung ist er auch gekommen.« Tatum spulte zurück und sah sich erneut an, wie der Mann im Bild auftauchte und sich vor die Schaufensterpuppe stellte.
Zoe räusperte sich. »Er hat das Geschäft betreten, ist direkt zur Schaufensterpuppe gegangen, hat sie minutenlang angestarrt und ist wieder rausgegangen.«
»Okay«, sagte Tatum. »Sehen wir uns mal die Aufnahmen des Eingangs an.«
Der Mann tauchte bei Zeitstempel 15:06:42 auf. Tatum wechselte die Kamera, stellte die Zeit auf 15:04:00 und ließ die Aufnahme im Normaltempo laufen.
»Da ist er«, rief Zoe, sobald der Mann auftauchte. Er blickte zu Boden, sodass sie sein Gesicht nicht deutlich erkennen konnten. Tatum spulte noch weiter zurück.
»Sehen Sie«, hauchte er atemlos. »Wir können seinen Wagen sehen.«
Auf der Aufnahme waren gut ein Dutzend Fahrzeuge zu erkennen, die auf dem Parkplatz standen. Der Mann schloss die Tür eines Wagens und näherte sich dem Eingang. Als Tatum noch weiter zurückspulte, sahen sie, wie der Wagen parkte und der Mann ausstieg.
»Das Nummernschild ist nicht zu erkennen«, stellte Zoe fest.
»Ich kenne jemanden, dem wir die Aufnahme schicken können, damit er uns das Kennzeichen besorgen kann«, erklärte Tatum grinsend. »Wir haben den Mistkerl.«
Er spulte wieder vor. Der Mann verschwand im Laden. Einige Minuten später kam er wieder heraus, ging jedoch nicht zu seinem Wagen, sondern wandte sich nach rechts und verschwand aus dem Bild.
»Vielleicht musste er noch Milch kaufen«, murmelte Tatum und spulte abermals vor. Bei 15:32:11 fuhr der Wagen weg. Er hielt die Aufnahme an und spulte ein Stück zurück. Sie konnten sehen, wie der Mann das Gebäude verließ. Er hatte eine Tüte in der Hand.
»Ja, er war einkaufen«, stellte Tatum fest. »Auch er muss mal was essen.«
»Das ist keine Supermarkttüte«, wandte die Geschäftsführerin ein, »sondern aus dem Spielzeuggeschäft nebenan.«
»Aus dem Spielzeuggeschäft?« Tatum runzelte die Stirn. »Dann hat der Kerl ein Kind?«
»Das hoffe ich«, sagte Zoe angespannt.
»Sie hoffen es? Wieso denn das?«
»Wenn er kein Kind hat, könnte er festgestellt haben, dass ihm in seinem Leben mehr fehlt als nur eine Frau. Vielleicht hat er beschlossen, dass er auch Kinder braucht.«