Die Bäume boten wenig Schutz vor dem Regen. Bei der geringsten Erschütterung ergossen sich Wassermassen auf die Paviane. Dorn, der mit den anderen Starkzweigen die Vorhut des Trupps bildete, stippte prüfend seine Pfote in einen schlammigen Tümpel. Nein, er war zu tief. Er probierte stattdessen, ob er ihn umrunden konnte. Natürlich würden sie alle nass werden, die Frage war nur, wie nass. Manche dieser Tümpel waren heimtückischer, als sie aussahen, und sie konnten von Glück reden, wenn auf diesem trostlosen Marsch keine Babys oder Alten ertranken.
Nur vier der sechs Starkzweige erkundeten das sumpfige Waldgebiet. Gras und Fliege Mittelblatt suchten nach Beutetieren, die nicht vor dem Regen geflüchtet waren. Der Lichtwald-Trupp brauchte viel zu fressen für die nächsten Tage, denn die Suche nach einem neuen Lager würde lang werden.
»Autsch«, klagte Wurm Starkzweig, der etwas humpelte.
»Du Arme«, bemitleidete ihn Frosch Starkzweig. Sie war größer als die anderen und blickte besorgt auf Wurm hinab. »Schmerzt der Tarantelbiss noch sehr?«
»Ja«, brummte Wurm, »hätte sie doch nur meine Schwester gebissen. Würde ihr recht geschehen.«
»Na ja, wenigstens hast du deine Starktat bestanden«, maulte Fangzahn Starkzweig. »Wann machst du deine endlich, Dorn Mittelblatt?«
Sobald Stachel sich etwas Schreckliches für mich ausgedacht hat, dachte Dorn. Er knirschte mit den Zähnen. »Stachel hat doch gesagt, ich muss zuerst eine Probezeit bestehen.«
»Weil er glaubt, dass du durchfällst«, lästerte Fangzahn.
»Vielleicht«, sagte Dorn. »Aber Stachel weiß, was er tut. Solange er nicht anders entscheidet, bin ich ein Starkzweig genau wie ihr. Wurm, du solltest lieber herausfinden, ob es einen Weg durch dieses dornige Gebüsch gibt.«
»Schau doch selber nach, Mittelblatt«, höhnte Wurm. »Wir lassen uns von dir nichts sagen, solange du deine Starktat nicht bestanden hast.«
»Meine war am schwierigsten«, prahlte Fangzahn und riss an ein paar Schlingpflanzen, die ihm im Weg waren. »Ich musste einen Stein anheben, der größer als der Kronstein war.«
»Lügner«, murmelte Wurm kaum hörbar.
Frosch sah sie ängstlich an und sagte betont laut: »Stimmt das wirklich, Fangzahn?«
»Na klar!« Fangzahn sah sie böse an. »Und obendrauf saß sogar noch ein Pavian, sodass er noch schwerer war.«
Frosch biss sich auf die Lippen, aber sie half Fangzahn schweigend mit den Schlingpflanzen. Ihr freundliches Gesicht zuckte nervös. Bevor sie ein Starkzweig wurde, war sie ein Tiefwurz gewesen. Dorn vermutete, dass sie sich ebenso fehl am Platz fühlte wie er. Er sah nach hinten, wo Matsch Beere über einen gefährlich glitschigen Baumstamm half. Ich würde viel lieber mit Matsch zusammenarbeiten als mit diesem Pack.
»Wir müssen eine Pause machen«, ertönte Käfers kratzige Stimme etwas kurzatmig. »Viele von uns sind müde.«
Die Paviane plumpsten froh auf den Boden und schüttelten sich das Wasser vom Fell. Mütter begannen, ihre Babys zu stillen und zu trösten. Dorn musste wohl oder übel ebenfalls stehen bleiben, obwohl er ungeduldig und gereizt war. Er wollte gerade anfangen, Beeren zu suchen, als Gras und Fliege aus dem Unterholz auftauchten.
Sie waren gut gelaunt, obwohl ihr Fell vollkommen durchnässt war. »Schau, was wir hier haben!«, verkündete Fliege. Beide streckten ihre Pfoten aus, die voll von vergorenem Süßmark waren.
»Oh!«, rief Wurm erfreut. »Wo habt ihr das gefunden?«
Sie sahen sich verschmitzt an. »Nun, gefunden haben wir es nicht direkt«, gestand Fliege und lächelte durchtrieben.
»Der alte Käfer hat sich in einem hohlen Baum beim Langbaumlager einen Vorrat angelegt«, sagte Gras. Er steckte sich eine Portion in den Mund und kaute genüsslich. »Wir haben seinen Vorrat geplündert.«
»Das ist eigentlich nicht recht …«, setzte Frosch an.
»Wieso, es wäre doch sowieso verdorben?«, entgegnete Gras. »Er brauchte es doch gar nicht mehr.«
»Wir haben es gerettet«, sagte Fliege. »Hier, nimm etwas. Das beruhigt dein Gewissen.«
»Nein, danke«, sagte Frosch und wandte sich ab. »Ich glaube nicht, dass der Große Geist das gutheißen würde.«
»Hm.« Fliege zuckte die Achseln. »Der Große Geist hat noch keine Blitze auf mich herabgeschleudert.«
»Warum sollte er auch?« Wurm kicherte. »Du bist so langweilig, Frosch.«
»Wahrscheinlich fürchtet sie sich vor dem Süßmark«, prustete Gras. »Vielleicht verträgt sie es nicht.«
»Wenn sie nichts möchte, ist das ihre Sache«, mischte sich Dorn zornig ein. Frosch sah ihn dankbar an. »Lasst sie in Ruhe.«
»Na gut.« Gras zuckte die Achseln. »Mir soll es recht sein, wenn sie nichts will. Sonst noch jemand?«
Wurm und Fangzahn hatten keine solchen Skrupel. Gierig griffen sie sich eine Portion und schlangen sie hinunter. Dorn biss sich auf die Lippen, auch er war in Versuchung. »Wie schmeckt es denn?«
»Hast du das noch nie probiert?« Fliege sah ihn verächtlich an. »Komm schon, das magst du bestimmt.«
Dorn hatte keine Lust, ihnen etwas schuldig zu sein, konnte seine Neugier aber nicht bezwingen. Er nahm eine Pfote von dem breiigen Süßmark und schnupperte daran. Es roch so streng und stechend, dass er blinzeln musste. Zögernd stopfte er es sich ins Maul.
Es schmeckte nicht schlecht. Er kaute langsam. Der Saft, der durch seine Kehle rann, war scharf, und sein Kopf wurde leicht. Ein dösiges Wohlgefühl kroch durch sein Gehirn. Sie hatten recht, es schmeckte gut. Er war plötzlich viel gelassener, wenn er an die vor ihnen liegende Wanderung dachte.
Nein!, dachte er beunruhigt. Er durfte die Suche nach einem neuen Zuhause nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es würde ein beschwerlicher und gefährlicher Weg werden und sie mussten alle bei klarem Verstand bleiben. Gras, Fangzahn, Wurm und Fliege lehnten an ein paar Baumstämmen, grinsten vor sich hin und erzählten sich Witze, die kaum mehr als ein dummes Geplapper waren. Von ihm nahmen sie keine Notiz. Dorn drehte sich rasch um, tat, als müsste er husten, und spuckte das Süßmark unter den nächsten Busch.
Er wischte sich das Maul ab und räusperte sich. Frosch war die Einzige, die es gesehen hatte. Sie lächelte ihn schüchtern und anerkennend an.
»Hat es nicht geschmeckt?«, murmelte sie.
»Ich muss einen klaren Kopf behalten«, flüsterte er zurück.
Frosch nickte und strahlte ihn an. »Ich glaube, du bist sehr klug, Dorn.«
»Danke«, knurrte er. »Komm, wir machen diesen Idioten Beine, damit der Trupp endlich weiterkommt. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Frosch nickte eifrig und mit einigem Geschimpfe von ihrer Seite wurden die vier anderen Starkzweige wieder durch den Wald gescheucht. Die übrigen Paviane des Lichtwald-Trupps folgten widerwillig.
»Ich kenne diese Gegend«, sagte Frosch, als sie ein Hindernis aus dornigem Gestrüpp aus dem Weg räumten. »Du bestimmt auch. Weiter oben gibt es einen Bach, erinnerst du dich?«
»Ich glaube schon.« Dorn begriff allmählich, wie klug und stark dieses große Pavianweibchen war – kein Wunder, dass Stachel sie für die Starkzweige ausgewählt hatte. Er sah bewundernd zu, wie sie ein Gewirr aus kleinen Zweigen niederriss.
»Aber das dürfte kein Problem sein«, fuhr sie fort. »Wir sind sowieso alle nass – oh!« Sie riss erschrocken die Augen auf und starrte durch die entstandene Lücke. Dorn folgte ihrem Blick.
Natürlich. Das hätten sie sich denken können, dachte er düster. Durch den Regen war der Bach extrem angeschwollen und über seine Ufer getreten. Das Wasser bedeckte bereits den unteren Teil der Baumstämme. Das einstmals träge Rinnsal war zu einem schäumenden, braunen Strom geworden, in dem Zweige, Blätter und kleine, tote Tiere schwammen.
»Hier können wir nicht rüber!«, rief Moos, der Frosch und Dorn gefolgt war.
»Ich gehe mit meinem Baby nicht da hinein!«, rief eine Mutter und drückte ihr Kind beschützend an sich.
Die Paviane drängten sich jetzt nacheinander durch die Lücke im Gestrüpp und versammelten sich um Frosch und Dorn. Die erschrockenen Rufe wurden immer lauter.
»Halt! Halt!« Stachel kletterte durch das Gestrüpp und sah böse in die Runde. »Diese Panikmache und Untergangsstimmung dulde ich nicht. Wir haben jetzt ein starkes Team, das uns hilft! Es wird uns sicher über den Fluss bringen.« Er sah die sechs Starkzweige auffordernd an.
Dorn und die anderen tauschten unsichere Blicke. Nach einer kurzen Pause sagte Dorn: »Wir sollten uns in Zweiergruppen aufteilen und nach einem Übergang suchen. Los, Frosch, du kommst mit mir.«
Die vier anderen Starkzweige gingen flussabwärts und stocherten halbherzig nach zerbrochenen Zweigen und Treibgut, während Dorn und Frosch flussaufwärts wanderten. »Ehrlich gesagt weiß ich wirklich nicht, wie wir das schaffen sollen«, bemerkte Frosch und seufzte.
Er nickte. »Es dauert bestimmt eine Ewigkeit, bis wir einen Überweg gefunden haben, wenn überhaupt. Pass auf!« Er wich rasch einem verrotteten Ast aus, der an das Ufer geschleudert wurde und direkt vor ihren Pfoten landete. Dann wurde er wieder zurückgesogen und hüpfte in einem kleinen Seitenarm auf und ab. Dorn sagte missmutig: »Ich hatte gehofft, wir könnten so einen Ast nehmen, um hinüberzukommen. Aber hast du gesehen, was passiert ist?«
Frosch nickte. »Der Fluss spielt damit wie mit einem dünnen Zweiglein. Wir brauchen etwas viel Dickeres. Aber was nur?«
»Etwas Dickeres«, überlegte Dorn laut. Dann hellte sich sein Gesicht auf. »So etwas, zum Beispiel!«
An der nächsten Flussbiegung stand eine kräftige Süßdornakazie, deren Wurzeln nun unter Wasser waren. Einer ihrer Äste war geknickt, aber nicht vollständig abgebrochen. Er reichte fast bis zur Hälfte über den Fluss.
Die beiden Paviane sahen sich an. »Das ist die Lösung!«, rief Frosch aufgeregt. »Er reicht zwar nicht vollständig hinüber, aber –«
»Aber auf der anderen Seite stehen ein paar Würgefeigen«, sagte Dorn. »Schau nur, die Äste reichen fast bis zu dem abgeknickten Ast. Ich glaube, selbst ein alter Pavian schafft es dort hinüber.«
»Und die Kleinsten werden von ihren Müttern getragen«, ergänzte Frosch. »Wir haben es, Dorn!«
Sie umarmte ihn kurz vor Freude. Dorn war so überrascht, dass er nicht reagierte, und bevor er sich rührte, hatte sie ihn schon wieder losgelassen. Sie hüpfte am Ufer entlang zurück und er sprang hinterher.
Als sie beim Trupp ankamen, wandte sich Stachel gerade verärgert und enttäuscht von den anderen Starkzweigen ab. Als er von Froschs und Dorns Entdeckung erfuhr, wurde er sofort wieder munter.
»Gut gemacht, meine Starkzweige!«, rief er und klatschte in die Pfoten, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen. »Ich habe euch gut ausgewählt! Lichtwald-Trupp – folgt Frosch und Dorn. Unser Trupp muss sich einer neuen Herausforderung stellen und er wird sie bewältigen!«
Der Plan funktionierte genau, wie Dorn gehofft hatte. Gras und Wurm sollten auf Stachels ausdrücklichen Wunsch als Erste hinüberklettern. Mit angespannter Miene tasteten sie sich über den brüchigen, gelben Stamm und verzogen ihre Gesichter, als ihre Pfoten die Stacheln berührten. Aber sie hüpften mit Leichtigkeit auf die Feigenbäume hinüber, machten es sich dort bequem und brachen in erleichtertes Siegesgeheul aus.
Stachel nickte zufrieden. »Fliege und Fangzahn, ihr seid die Nächsten. Dorn und Frosch, ihr bleibt hier und seid den anderen behilflich. Und dann seid ihr an der Reihe, mein Trupp.«
Unter den Pavianen machte sich trotz des peitschenden Regens neue Zuversicht breit. Frosch begleitete sie zu der Süßdornakazie und Dorn half jedem Einzelnen auf den Ast hinauf. Es dauerte nicht lange, da saßen die meisten Paviane auf den verschlungenen Zweigen der Würgefeigen am gegenüberliegenden Ufer und riefen aufmunternd den Freunden zu, die es noch nicht hinübergeschafft hatten.
Dorn drehte sich um, als Matsch ihn an der Schulter berührte. Dieser lächelte ihn nervös an.
»Wie ist es?«, flüsterte er. »Ich meine, als Starkzweig?«
Dorn sah sich sicherheitshalber um, ob jemand ihn hören konnte, dann runzelte er die Stirn. »Abgesehen von Frosch machen mich alle verrückt«, gestand er leise.
Matsch grinste. »Da bin ich aber froh«, murmelte er. »Ich mag sie eigentlich alle nicht. Frosch ist in Ordnung, aber ein bisschen seltsam.«
»Sie ist dem Großen Geist sehr zugewandt«, erzählte Dorn halb im Scherz. »So, jetzt bist du an der Reihe, Matsch.«
Er sah besorgt zu, wie sein Freund an dem Ast entlangrobbte, aber er schaffte es ohne Probleme ans andere Ufer. Dorn drehte sich zum nächsten Pavian um.
»Ich muss mein Baby tragen.« Das sagte Lilly, eine junge Mutter, und sah ihn dabei flehend an. »Dorn, kümmerst du dich bitte darum, dass Schnecke sicher hinüberkommt? Sie ist noch so klein …«
Dorn betrachtete Lillys ältere Tochter, die sich stolz auf ihre Hinterbeine erhob. »Das schaffe ich schon, Mutter«, sagte sie. »Ich bin schon groß.«
»Ich werde auf sie aufpassen«, beruhigte Dorn die Mutter und unterdrückte ein Lächeln. Dann half er der Mutter auf den Ast hinauf. Nach einem letzten ängstlichen Blick auf Schnecke wagte Lilly sich auf den überhängenden Ast, eine Pfote schützend um das Baby gelegt, das sich an ihr festklammerte.
»Deine Mutter und deine Schwester haben es geschafft«, sagte Dorn lächelnd zu Schnecke, als Lilly mit einem Sprung den Feigenbaum erreichte. »Jetzt bist du an der Reihe.«
Schnecke sah nicht mehr ganz so zuversichtlich aus, kletterte aber mutig auf den Ast. Kaum berührte ihre Pfote einen Stachel, zuckte sie zusammen. Dorn hielt sein Versprechen und ließ sie nicht aus den Augen, als sie über den aufgewühlten Fluss wackelte.
»Autsch«, schrie Schnecke unsicher, als sie wieder auf einen Stachel trat. Sie zog die Pfote schnell zurück und setzte sie weiter seitlich wieder auf.
Doch genau an dieser Stelle war die Rinde brüchig und blätterte unter dem Gewicht des kleinen Pavians ab. Schnecke schrie erschrocken auf und taumelte zur Seite. Sie verlor ihren Halt, rutschte ab und stürzte hinab in den Fluss.
Lillys Entsetzensschrei tönte über den donnernden Fluss, der ganze Trupp brach in Heulen und Schreien aus. Unterhalb von Dorn stürmte Stachel ans Ufer.
»Starkzweige!«, rief er. »Holt sie raus!«
Mit einem Blick registrierte Dorn, dass Gras, Fliege, Wurm und Fangzahn am anderen Ufer mit glasigen Augen vor sich hin wankten. Das Süßmark.
»Die können wir vergessen«, fauchte er. »Los, komm, Frosch!«
Er hüpfte vom Baum hinab und raste flussabwärts am Ufer entlang, Frosch dicht hinter ihm. Hinter sich hörte er tapsige Schritte, die das Laub niedertrampelten, woraus er schloss, dass die anderen Starkzweige ihnen folgten, aber weit hinter ihm waren. Er biss wütend die Zähne zusammen und rannte noch schneller. Es hängt alles an mir und Frosch.
Mitten im Fluss entdeckte er den kleinen, nassen Kopf von Schnecke, der auf den wogenden Wellen auf und ab hüpfte. Sie wurde hin und her geworfen, in einem Moment nach unten gezogen, im nächsten nach Luft schnappend wieder nach oben geschleudert. Er und Frosch rannten jetzt auf gleicher Höhe mit ihr. Verzweifelt suchte er den Fluss nach irgendeiner Möglichkeit ab, sie zu retten.
»Hier!«, schrie er. Nicht weit entfernt ragte ein Fels aus dem Wasser. »Wenn sie dorthin getrieben wird, könnten wir sie erwischen!« Er rannte an den Rand des schäumenden Flusses und setzte zum Sprung an.
»Nein!« Frosch packte ihn an der Schulter und drängte sich an ihm vorbei. »Lass mich das machen. Ich bin größer!«
Bevor er widersprechen konnte, war Frosch schon abgesprungen. Ihre Hinterpfoten platschten ins Wasser, aber mit den Vorderpfoten zog sie sich auf den Fels hinauf, wo sie, einen festen Stand suchend, stets den kleinen, hüpfenden Kopf beobachtete, der auf sie zuwirbelte. Frosch richtete sich halb auf und streckte mit angespanntem Gesicht ihre Arme aus.
Schnecke trieb mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Als sie dicht vor dem Felsen trudelte, griff Frosch mit beiden Armen ins Wasser und versuchte, sie zu packen. Sie erwischte den kleinen Pavian mit einer Pfote am Genick und zog den tropfnassen, schlaffen Körper heraus.
Dorns Puls raste, als Frosch das triefende Wesen unter den Arm klemmte und zurück zum Ufer sprang. Als sie sich über sie beugten, hechelten endlich die anderen Starkzweige heran.
Der Kopf von Schnecke fiel schlaff nach hinten, als Dorn sie an der Schulter packte. Verzweifelt schüttelte er sie. Frosch stöhnte und schlug enttäuscht auf den Boden. Die übrigen Paviane des Lichtwald-Trupps – die, die den Fluss noch nicht überquert hatten – drängten sich um sie, und Dorn bemerkte, dass auch Lilly unter ihnen war. Sie war ohne ihr Baby noch einmal zurückgekommen und drängte sich jetzt, bekümmerte Klagelaute ausstoßend, durch die Umstehenden.
Wie furchtbar! Wieder schüttelte Dorn den kleinen Pavian, und da, mit einem Mal, ruckte ihr Kopf nach vorn, sie hustete Wasser aus und begann jämmerlich zu wimmern. Als Lilly sie erreichte, krächzte sie: »Mama …«
Dorn machte erleichtert etwas Platz. Lilly nahm ihre Tochter auf die Arme und wiegte sie hin und her. »Danke, Dorn Starkzweig! Danke dir, Frosch!«
Dorn grinste und schlug Frosch auf die Schulter. »Das ist dein Verdienst! Du hast sie herausgezogen!«
Frosch drehte sich zu ihm und umarmte ihn. »Wir haben das gemeinsam geschafft, Dorn!«
Hinter Lilly, die Schnecke leise summend im Arm wiegte, und hinter den anderen beschämten Starkzweigen erblickte Dorn Beere. Sie starrte ihn und Frosch mit unergründlichen Augen an.
Als ihre Blicke sich trafen, drehte sie sich weg.
*
»Wir Paviane sind die besten Planer in ganz Bravelands«, sagte Stachel zu den Starkzweigen, während sie über das offene Grasland wanderten. »Es ist also nur vernünftig, dass wir wieder Ordnung in Bravelands schaffen. Seit Große Mutter Tod ist, bricht hier alles auseinander.«
»Ich bin so froh, dass wir bei dir sind, mein Kronblatt«, sagte Gras eifrig. Seit dem Debakel mit Schnecke und dem Süßmark versuchte der große Pavian, sich bei seinem Anführer wieder einzuschmeicheln. »Es ist so ein Durcheinander. Was da nicht alles passieren kann.«
»Ich bin sehr froh, dass ich euch an meiner Seite habe, meine Starkzweige.« Stachel schüttelte traurig den Kopf. »Selbst ich brauche Leibwächter.«
Dorn hatte nicht diesen Eindruck, hütete sich aber, etwas zu sagen. Jedes Tier, mit dem Stachel gesprochen hatte, war bestenfalls misstrauisch, aber nie feindselig gewesen. Sie hatten die übrigen Mitglieder des Lichtwald-Trupps im Schutz einer Baumgruppe zurückgelassen und steuerten jetzt auf den Teil der Savanne zu, in dem die Zebras grasten. Der Boden unter ihren Pfoten war völlig aufgeweicht, und es hatten sich kleine Rinnsale gebildet, doch es gab keine Anzeichen, dass der Regen aufhören würde. Am Himmel türmten sich immer noch Berge schwarzer Wolken.
Stachel hatte bereits mit dem Anführer einer Gazellenherde und mit einer Gruppe von Geparden gesprochen, aber er wollte noch viele andere Tiere treffen. Dorn war müde und durstig von dem langen Marsch durch Bravelands und leckte sich beständig das Wasser von der Schnauze. Stachel wollte von einer Pause nichts wissen. Als der Regen stärker wurde, hielt Dorn sein Gesicht nach oben und ließ ihn in sein Maul fließen.
In einem Baum hockte ein Schwarm von Bienenfressern. Ihr rotes und leuchtend blaues Gefieder sah im Regen stumpf und leblos aus. Eine einsame Hyäne kauerte unter demselben Baum, zuckte aber nicht einmal mit dem Ohr, als die Paviane vorbeizogen. Stachel, der mit hoch aufgerecktem Schwanz einherschritt, schien in Bravelands das einzige Wesen mit Ausdauer und Ziel zu sein.
»Da sind wir«, sagte Stachel fröhlich, als sie die Kuppe eines kleinen Hügels erreicht hatten. Auf der unter ihnen liegenden Ebene grasten Zebras, die mit ihren Schwänzen schlugen und mit ihren langen Zähnen das nasse Gras ausrupften. Die Zebraherden, die Dorn bis dahin gesehen hatte, hatten aus vielen Hundert Tieren bestanden, doch diese bestand aus höchstens vierzig.
Er runzelte die Stirn. »Wo sind die anderen aus der Herde?«
»Was kümmert uns das?« Stachel sprang hinab und Dorn und die anderen Starkzweige hüpften hinter ihm her. Ein Zebrahengst mit geschwungenen Streifen kam ihnen entgegen, seine Ohren zuckten unruhig.
Stachel nickte gelassen. »Ich grüße euch. Ich bin Stachel Kronblatt vom Lichtwald-Trupp, und dies sind meine treuen Starkzweige, mein Geleitschutz.«
»Aha.« Das Zebra beäugte Dorn und die anderen. Wurm hatte sich aufgerichtet und starrte drohend zurück, Gras kaute wie immer arrogant auf einem Grashalm – daher kam auch sein Name –, Fliege grinste mit seinem abgebrochenen Zahn nicht gerade freundlich. Das Zebra schluckte hörbar, sein langer Hals kräuselte sich.
»Ich heiße Schönfreund«, sagte es freundlich. »Was führt dich zu uns, Stachel Kronblatt?«
»Wir leben in schwierigen Zeiten«, sagte Stachel mit ernster Miene, »und ich hoffe, deine Herde bleibt stark, Schönfreund. Wir haben euch gesucht. Die Zebras sind das Herz von Bravelands.«
Dorn kannte diese Worte auswendig. Stachel hatte dasselbe zu den Gazellen und den Geparden gesagt.
Das Zebra schnaubte, senkte den Kopf und scharrte mit den Hufen auf dem matschigen Boden. »Wirklich schwierige Zeiten«, stimmte es zu. »Mehr ist von meiner Herde nicht geblieben. Die meisten gerieten nach dem Tod der Großen Mutter in Panik und haben sich zerstreut.« Sein Blick fiel auf ein kleines Fohlen, das an der Seite seiner Mutter bibberte. »Wenn wir nicht bald wieder mehr werden, werden wir eine leichte Beute für Fleischfresser sein.«
Stachel nickte mitfühlend. »Das höre ich überall«, sagte er zu Schönfreund. »Zwietracht, Unruhe, Herden und Rudel, die auseinanderbrechen. Nichts ist mehr, wie es sein sollte.« Er seufzte tief und traurig. »Deshalb ist es so wichtig, dass die Dinge in Bravelands schnell wieder in Ordnung kommen. Wir müssen sicherstellen, dass sich alle an das Gesetz halten.«
Das sagst ausgerechnet du, dachte Dorn finster.
Stachel setzte zu derselben Rede an, die er auch vor den anderen Tieren gehalten hatte und die von Schmeicheleien und falscher Anteilnahme nur so strotzte: »Um alles für Bravelands zum Guten wenden zu können, rufe ich zu einer Großen Versammlung bei Sonnenhoch auf. Wir müssen einen neuen Großen Anführer finden – oder entscheiden, wie wir zusammenleben wollen, bis sich einer zeigt.«
Die Ohren von Schönfreund zuckten hektisch. »An der Wasserstelle?«
»Natürlich.« Stachel sah ihn ernst an. »Ich kann doch damit rechnen, dass die Zebras dabei sein werden? Wir brauchen dich, Schönfreund.«
Das Zebra schüttelte sich, wobei es einen Schauer von Wassertropfen versprühte. »Unsere Herde … wir fühlen uns an diesem Ort nicht mehr wohl. Seit dem Tod von Großer Mutter.« Er blinzelte. Auf seinen langen Wimpern glitzerten Regentropfen. »Weißt du, Stachel, die Fleischfresser haben uns an der Wasserstelle immer in Ruhe gelassen, aber ohne Große Mutter trauen wir ihnen nicht mehr. Wir kommen immer noch zum Trinken dorthin, aber wir bleiben nicht lange. Eine Große Versammlung könnte … problematisch werden.«
Stachel ließ seinen Blick bedeutsam zu den Starkzweigen gleiten, woraufhin Wurm sich noch mehr aufplusterte und Gras beim Kauen leise summte. Es klang fast wie ein Knurren. Fangzahn pflückte einen Käfer aus seinen lehmverschmierten Pfoten und biss mit solcher Wucht hinein, dass seine Zähne aufeinanderschlugen. Flieges schiefes Grinsen wurde breiter. Frosch und Dorn sahen zu Boden.
Schönfreund schüttelte seine Mähne und scharrte noch ängstlicher im matschigen Boden. Dorn wurde heiß vor Scham, aber er musste schweigen.
Stachel sah Schönfreund nachdenklich an, als hätte er die feindseligen Gesten seiner Leibwächter nicht bemerkt. »Das mag eine weise Entscheidung sein, Schönfreund. Der Schutz der Herde ist wichtiger als alles andere.« Er kratzte sich am Kinn. »Aber was wäre die Alternative, mein guter Freund? Wenn die Zebras bei der Versammlung fehlen, wie sollen wir dann wissen, was für euch das Beste sein wird? Es wäre viel besser, wenn ihr selbst für euch sprechen könntet. Das ist die einzige Möglichkeit, eure Sicherheit zu gewährleisten.«
Schönfreund schwieg lange. Sein argwöhnischer Blick ging von einem Pavian zum anderen, die Furcht ließ das Weiß seiner Augen hervortreten. Schließlich hob er schwer atmend seinen Kopf.
»Möge die Weisheit der Paviane von allen Tieren gepriesen werden.« In seinen Worten schwang ein leises Zittern. »So sei es, Stachel Kronblatt. Meine Herde und ich werden kommen.«
Stachel lächelte. Seine Fangzähne glitzerten, ungeachtet des trüben Lichts. »Gut gesprochen, Schönfreund, und eine weise Entscheidung, sehr weise. Und nun, da wir das Einverständnis der Zebras haben, können wir die übrigen Bewohner von Bravelands zusammenrufen.«
Schönfreund neigte kurz seinen Kopf, dann trottete er zu seiner Herde zurück. Dorn, dem von der Szene richtig übel geworden war, folgte Stachel den Abhang hinauf.
»Als Nächstes die Elefanten«, verkündete Stachel fröhlich. »Die werden nicht so leicht zu überzeugen sein.«
Er macht das einfach zu gut, dachte Dorn, während er hinter Stachel über die Hügelkuppe stapfte und sich durch tropfnasses Gestrüpp schlängelte. Selbst wenn die Paviane des Lichtwald-Trupps Dorn anhörten, könnte er ihnen kaum vermitteln, wie bösartig Stachel war. Stachel müsste nur wiederholen, was er den Herdenanführern erzählte. Jedes Wort, das aus seinem Mund kommt, ist so höflich, so vernünftig – und doch so falsch.
Eins war klar: Stachel hatte nicht das Wohl von Bravelands im Sinn, wenn er eine Große Versammlung zusammenrief. Das wussten auch die Tiere, die er mit seinen Reden einschüchterte, aber Stachel ließ ihnen keine andere Wahl, als zuzustimmen.
Große, graue Umrisse zeichneten sich hinter den Regenschleiern ab: Es war eine Elefantenfamilie, die sich unruhig um einen hohen Haufen aus abgerissenen und zerbrochenen Ästen bewegte. Als die Paviane näher kamen, erkannte Dorn mit Schrecken, dass der tote Körper der Großen Mutter darunter lag.
Die Elefanten sahen Stachel und seiner Leibwache entgegen. Dorns Mut sank, als die riesigen Tiere über ihnen aufragten. Der Regen floss in Strömen an ihren breiten Flanken herab.
»Was führt die Paviane an diesen Ort?«, fragte die größte Elefantenkuh und schlug warnend mit ihren Ohren.
»Seid gegrüßt, Wandererfamilie.« Stachel neigte seinen Kopf. »Ich bin Stachel Kronblatt vom Lichtwald-Trupp und dies sind meine Kameraden.« Er deutete auf die Starkzweige, die unter seinem verstohlenen Blick ihre aggressiven Posen einnahmen. »Der Lichtwald-Trupp trauert mit euch um euren Verlust, liebe Elefanten. Große Mutter war weise und großzügig. Wir werden ihr Andenken in Ehren halten.«
»Wie ganz Bravelands«, polterte die große Elefantenkuh mit einem verächtlichen Blick auf die großtuerischen Starkzweige. »Ich bin Regen, die Stammesälteste der Wandererfamilie.«
Stachel verneigte sich noch tiefer. »Wir leben in schwierigen Zeiten, Regen. Es ist unser dringlichster Wunsch, dass deine Herde stark bleibt. Ich komme mit einem Vorschlag, den ich, dein Einverständnis voraussetzend, auch den anderen Tieren unterbreiten möchte. Schließlich sind die Elefanten das Herz von Bravelands.«
Regen schwenkte abfällig ihren Rüssel. »Du möchtest uns schmeicheln, Stachel Kronblatt«, sagte sie. »Erzähle uns einfach, warum du gekommen bist.«
Während Stachel seine gut geübte Rede aufsagte, nutzte Dorn die Gelegenheit, sich die Elefantenfamilie genauer anzusehen. Die Wandererfamilie bestand nur aus Erwachsenen – die junge Elefantenkuh, die er und Heldenmut getroffen hatten, als sie die Große Mutter um einen Gefallen hatten bitten wollen, war nirgends zu sehen. Hoffentlich ging es ihr gut. Dorn hatte ihr angemerkt, dass sie und Große Mutter sich ungewöhnlich nahegestanden hatten, selbst für Elefanten. Der Tod der Stammesältesten musste Aurora schwer getroffen haben.
Stachel beendete seine Rede mit einer überschwänglichen Geste. Dorn wunderte sich, dass die Gesichter der Elefanten sich während der Rede aufgehellt hatten. Regen wechselte einen Blick mit den anderen Elefanten. Sie nickten einstimmig.
»Wir werden zur Großen Versammlung erscheinen, Stachel Kronblatt«, verkündete sie.
»Das freut uns ungemein.« Stachel verbeugte sich noch einmal. Dorn bemerkte das verwunderte Glitzern in seinem listigen Blick. »Die Tiere von Bravelands stehen in eurer Schuld, denn ihr habt sie seit Generation weise geführt. Bis morgen, Regen Wanderer, ade!«
Die Elefantenkuh nickte und drehte ihm den Rücken zu.
Die Paviane machten sich wieder auf den Weg über das regennasse Grasland. Dorn bemerkte Stachels verbissenen Gesichtsausdruck. Sein ganzer Körper bebte vor unterdrückter Wut.
Dorn hätte sich darüber freuen können, dass nicht alles genau nach Stachels Wunsch lief, trotzdem hatte er ein unbehagliches Gefühl. Frosch schien es genauso zu gehen.
»Warum ist er so aufgebracht?«, flüsterte sie. »Die Elefanten wollen doch kommen. Was ist eigentlich los?«
Dorn zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht.«
Die beiden waren ein wenig zurückgefallen. Frosch schielte ängstlich zu den anderen, dann räusperte sie sich und sagte: »Dorn, das gefällt mir nicht. Ich dachte, wir seien hier, um Stachel zu beschützen, aber es sieht eher danach aus, als müssten sich die anderen Tiere vor uns schützen.«
»Ich weiß.« Eine Welle von Hoffnung stieg in ihm auf. Vielleicht könnte ich Frosch ins Vertrauen ziehen! Vielleicht kann sie mir helfen, den Trupp davon zu überzeugen … »Frosch, ich muss dir …«
»He, ihr zwei, beeilt euch!« Stachel hatte sich umgedreht und sah sie böse an.
»Komm, wir müssen die anderen einholen.« Frosch sprang voran.
Dorn seufzte und folgte ihr. Ich kann später unter vier Augen mit ihr reden.
Stachel hatte sich seit seinem Gespräch mit den Elefanten nicht beruhigt, er sah sogar noch wütender aus als zuvor. »Die glauben anscheinend, dass sie das Sagen hätten«, fauchte er.
Dorn sprang an seine Seite und sah ihn unsicher an. »Wer?«
»Die Elefanten natürlich. Hast du bemerkt, wie sie mich angesehen haben?« Stachel hob einen Stein auf und schleuderte ihn in eine Schar von Ibissen, die quakend auseinanderstoben. »Die Wandererfamilie führt etwas im Schilde, das gefällt mir nicht.«
»Meinst du wirklich?«, fragte Dorn und fügte schnell hinzu: »Ich meine, das würden sie bestimmt nicht wagen. Elefanten wirken doch immer ein bisschen … hochnäsig. Sie sind einfach so groß …« Er verstummte.
Das Kronblatt sah mit dunkel glitzernden Augen in die Runde. »Wisst ihr, was das Problem mit den Elefanten ist, meine Starkzweige?«
»Was ist es?«, fragte Gras eifrig.
»Die denken, sie hätten vom Großen Geist ein natürliches Anrecht auf die Große Anführerschaft bekommen«, fauchte Stachel. »Aber das haben sie nicht.«
»Genau«, stimmten Gras und Fliege wie mit einer Stimme zu.
Stachel beachtete sie nicht. Seine Augen waren schmal geworden. »Ich würde einen besseren Großen Vater abgeben als jeder Einzelne dieser riesigen Idioten«, murmelte er. »Elefanten können Knochen lesen. Na und?« Er hob seinen Kopf und grinste listig.
»Ich bin ein Pavian. Und ich kann Gedanken lesen.«