Im lichten Schatten der Bäume umkreisten Dorn und Spott Graupelz einander. Nur das Ächzen und Rauschen des Windes war zu hören, sonst herrschte absolute Stille auf dem Duellplatz. Die Paviane waren aufs Äußerste angespannt und hatten sich am Rand der Lichtung aufgestellt, während die Affen sich von den Bäumen herabhängen ließen und blutdürstige Blicke nach unten warfen. Dorn, der Spott keine Sekunde aus den Augen ließ, aktivierte seine Muskeln und wartete auf eine Gelegenheit, seinen Gegner anzuspringen.
Spott wirkte für einen Affen seiner Größe und Stärke ungewöhnlich geschmeidig. Seine langen Gliedmaßen bewegten sich fließend und er trug immer noch ein zuversichtliches Grinsen im Gesicht. Vielleicht zu zuversichtlich? Dorn holte kurz Luft, drehte sich auf dem Absatz um und warf sich auf ihn. Doch schon hatte Spott sich weggeduckt und seine Kumpane in den Bäumen rüttelten johlend an den Ästen. »Zu langsam, Pavian!«
Daraufhin brachen auf der ganzen Lichtung rivalisierende Heultöne und Schreie los. Die Paviane des Lichtwald-Trupps schlugen mit den Fäusten auf den Boden, zogen ihre Lippen zurück und schnatterten, um die Affen zu übertönen.
»Mach ihn fertig, Dorn!«, hörte er Kerbe schreien.
Dorn stürzte sich wieder auf seinen Gegner, doch diesmal täuschte Spott ein Ausweichmanöver vor, duckte sich und prallte mit voller Wucht auf Dorns Bauch. Dorn wurde zurückgeschleudert, Spott machte einen Satz auf ihn zu und schlug ihn mit seinen Klauen. Sie gruben sich tief in Dorns Flanke und der Schock machte einem brennenden Schmerz Platz. Er heulte auf, trat um sich, zappelte und schlängelte sich irgendwie unter dem riesigen Affen hindurch, machte keuchend eine scharfe Drehung und krabbelte rückwärts davon, Spott mit gefletschten Zähnen immer hinter ihm her.
Spott jagte ihn auf die im Halbkreis stehenden Paviane zu, die sich eilig zurückzogen. Dorn erhaschte einen flüchtigen Blick auf das entsetzte Gesicht von Matsch, dann musste er sich wieder ganz auf Spott konzentrieren.
»Dorn, kämpfe!«, hörte er die verzweifelte Stimme seines Freundes.
Ich versuche es, Matsch. Er biss die Zähne zusammen, rollte sich unter Spotts nächstem Angriffssprung weg und sprang auf die Pfoten. Spotts Fangzähne hieben sich in seinen Schwanz, und als Dorn ihn zur Seite schlug, spritzte Blut in den Staub.
»Pass auf deinen Schwanz auf«, höhnte List Reinfell vom Baum herab. »Dass es dir nicht so ergeht wie deiner hübschen Freundin. Pavianschwänze sind eine Delikatesse!«
Wutentbrannt spreizte Dorn seine Klauen. Als Spott erneut näher kam, duckte er sich, warf sich nach vorn und prallte mit voller Wucht auf die Brust des großen Affen. Überrumpelt fiel Spott auf den Rücken und Dorn ließ nicht locker und bearbeitete ihn mit Zähnen und Klauen. Spott wehrte sich, und Dorn wusste, dass er den sehnigen, starken Affen nicht lange am Boden würde festnageln können. Obwohl die Bestie sich unter ihm wand und zappelte, zerrte sie mit den Klauen an seiner Schulter, und seine tückischen Zähne trafen den empfindlichen Rand von Dorns Schnauze, sodass ein stechender Schmerz über sein Gesicht jagte. Dorn konnte ihm noch zwei Kratzer verpassen und einen Biss in seinen Hals landen, dann bäumte sich Spott auf und stieß ihn von sich runter.
Spott Graupelz erhob sich und tastete mit einer Pfote nach seinem Hals. Er blutete. Der Affe verzog seine Lippen zu einem teuflischen Grinsen.
Super, dachte Dorn mit rasselndem Atem. Alles, was ich erreicht habe, ist, ihn aufzustacheln.
Auch er selbst blutete, wagte es aber nicht, auf seine brennenden Glieder und seinen Schwanz zu blicken. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Stachels Doppelstrategie würde für ihn das Ende bedeuten. Herumfliegender Staub stach in seine Augen und er musste heftig blinzeln. Es tut mir leid, Beere. Es tut mir so leid.
»Mach ihn fertig!«, schrie Fliege, und einen Augenblick lang war Dorn so benommen, dass er nicht wusste, wen von beiden er meinte. »Mach ihn fertig, Dorn!« Spott kam wieder auf ihn zu, seine vier Beine bedrohlich ausgestreckt.
»Dorn!« Matschs Schrei klang rau vor Entsetzen.
Der Wind wehte jetzt noch stärker, die Akazienschirme peitschten wild hin und her. Das richtige Wetter, um zu sterben, dachte Dorn. Blut tropfte von seiner Schulter, das, sobald es auf die ockergelbe Erde traf, von den starken Windböen mit Staub bedeckt wurde.
Der Wind …
Dorns Kopf schoss nach oben, als Spott zu seinem letzten, tödlichen Angriff ausholte. Er duckte sich, wich aus und sprang zur Seite, dann schoss er entgegen der Windrichtung davon.
»Er haut ab!«, kreischten die Affen von den Bäumen. »Spott! Spott! Töte ihn!«
Spott knurrte höhnisch und machte sich an die Verfolgung. Dorn wartete mit klopfendem Herzen und sah ihm wie gebannt entgegen. Als der riesige Affe nur noch eine Schwanzlänge entfernt war, grub Dorn seine Klauen in den sandigen Boden und hob eine große Pfote voll Staub auf, die ihm der Wind sogleich aus der Hand riss und Spott ins Gesicht wehte.
Spott Graupelz heulte auf vor Schmerzen, richtete sich auf und rieb sich die Augen. Jetzt durfte Dorn nicht zaudern. Er stürzte sich auf den entblößten Bauch des Affen und warf ihn zu Boden. Es gab ein grässliches, knackendes Geräusch.
Spotts Schädel war auf einem Stein aufgeschlagen. Aus seiner Kehle kam ein leises Gurgeln und Stöhnen. Aus einer Wunde hinter seinem Ohr tropfte Blut. Verzweifelt schob Dorn ihn zur Seite und hob den blutverschmierten Stein auf. Ohne weiter zu überlegen, schlug er ihn mit voller Wucht auf den Kopf des Affen.
Sein Herz dröhnte so laut in seinen Ohren, als wäre die übrige Welt ganz in Stille gehüllt. Dorn beugte sich keuchend über Spotts schlaffen Körper, voller Angst, er könnte plötzlich aufspringen und ihm seine blutigen Fangzähne in die Kehle stoßen.
Aber Spott Graupelz rührte sich nicht mehr. Sand und Steinchen jagten über seinen Körper. Töte nur, um zu überleben, sagte sich Dorn durch das Rauschen in seinen Ohren hindurch. Wäre der Stein nicht gewesen, wäre er und nicht der Affe tot. Danke, Großer Geist.
»Nun«, unterbrach Stachel die Stille und Dorn nahm eine Spur von Ergebenheit in seiner Stimme wahr, »damit ist es entschieden.«
List Reinfell starrte seinen toten Kämpfer an, seine Lippen zogen sich ungläubig zurück. Er richtete seine funkelnden Augen auf die Paviane.
»Dornwald-Trupp, Attacke!«, kreischte er.
»Nein, warte einen Moment –« Selbst Stachel schien überrascht zu sein.
Aus den Bäumen herab ergossen sich die Affen wie Ameisen aus ihrem Bau. Es waren viel, viel mehr, als zuvor zu sehen gewesen waren. Sie hatten dicht an dicht an den Baumstämmen geklebt, dass sie wie eine dicke Schicht von welligem Moos ausgesehen hatten. Dorn stolperte auf seinen Trupp zu, aber die Affen waren schon über ihm. Kleine, kräftige Gestalten drückten ihn auf die Erde nieder und rissen an seinem Fell. Etwas Schweres krachte auf ihn herab und er spürte einen stechenden Schmerz. Es war ein Affe, der sich auf seinen Rücken geworfen und seine Zähne in seinen Nacken gebohrt hatte. Dorn schlug um sich und schüttelte ihn ab.
»Dorn!«, hörte er Matsch unter dem Ansturm der Affen schreien. Die Paviane warfen sich mit gefletschten Zähnen in die Schlacht. Die Affen ließen von Dorn ab und drehten sich schnell den neuen Angreifern zu. Dorn kam taumelnd auf die Pfoten.
Kerbe schwang einen dicken Knüppel, mit dem er Affen rechts und links von sich niedermähte. Fliege biss und riss mit seinen abgebrochenen Zähnen. Frosch kämpfte sich durch eine Masse grünlichen Fells und schleuderte Affen durch die Luft. Doch die Paviane waren zahlenmäßig weit unterlegen. Ein großer Affe hielt Matsch mit seinen langen Armen gefangen, dann warf sich noch ein anderer Affe auf ihn, sodass Matsch unter den kratzenden, beißenden Furien begraben wurde.
»Lasst ihn los!« Mit einem einzigen Schlag brachte Dorn einen Affen mit spitzem Gesicht zu Fall, der Hals über Kopf von seinem Freund herabkullerte. Auch den anderen schlug er zu Boden, dann zerrte er den verwundeten, zitternden Matsch auf die Pfoten.
»Rückzug!«, ertönte Stachels Befehl durch das Kampfgetümmel. »Lichtwald-Trupp, zurückziehen!«
Dorn hieb einen Affen zur Seite, der sich ihm in den Weg stellte. Matsch hinter sich herschleifend, hastete er durch den Akazienwald dem Trupp hinterher. Von den Bäumen hingen johlende und höhnende Affen, die die Fliehenden mit Nüssen und Zweigen bewarfen.
»Haut ab, Langschnauzen!«
»Feiglinge!«
Die Paviane des Lichtwald-Trupps schleppten sich und ihre Verwundeten über die Ebene, bis sie ihr provisorisches Lager erreichten. Obwohl es nach Tod und Hyänen stank, obwohl es nass und klamm war, war Dorn noch nie so froh gewesen, als er den klaffenden Höhleneingang erblickte. Die Paviane krochen nacheinander in die schützende Höhle. Dorn sackte vor Erleichterung fast zusammen, als er Matsch hineinbrachte. Dieser gab ihm einen sanften Stoß. »Mir geht es einigermaßen gut«, sagte er. »Du bist viel schlimmer verletzt als ich. Ich habe nur ein paar Kratzer. Du solltest jetzt zu Stachel hinübergehen.«
Dorn nickte zitternd. Erst jetzt begann er, die schmerzenden Wunden richtig wahrzunehmen. Nach einem letzten, ermutigenden Druck von Matsch humpelte er zu den anderen Starkzweigen hinüber.
»Ah, unser Held!« Stachel klatschte in die Hände, als Dorn sich näherte, und die anderen Starkzweige drehten sich neugierig zu ihm um. Frosch strahlte.
»Gratulation, Dorn Starkzweig!«, fuhr Stachel fort. »Wenigstens deinen Sieg können wir heute feiern. Wir sind alle sehr stolz auf dich! Ich wusste, dass du ein schlauer Kopf bist und diesen Raufbold von Affen besiegst.«
Dorn konnte vor Erschöpfung nur noch nicken. Er war nicht wirklich stolz auf seinen neuen Namen Dorn Starkzweig.
»Nun bist du wahrlich einer von uns. Du wirst alles tun, um unseren Trupp zu verteidigen, nicht wahr?« Stachel schlug ihm auf den Rücken und drückte seine Schulter.
Dorn zuckte vor Schmerzen zusammen und erschauderte. »Ja, Stachel«, brachte er mühsam hervor.
»Fliege hat sich großartig geschlagen«, sagte Wurm. »Seine Zähne sind vielleicht nicht besonders schön, aber – beim großen Geist – sie können gut zubeißen.«
Fliege plusterte sich vor Stolz auf und entblößte seine abgebrochenen Zähne. »Stachel, hast du gesehen, wie Wurm das Gesicht dieses Affen mit Fäusten bearbeitet und in den Dreck gestoßen hat?«
»Wir sind Starkzweige und wir klatschen Affenschwänze!«, brüllte Fangzahn und schlug auf den Boden.
»Wir waren nicht schlecht«, murmelte Frosch, »obwohl es viel zu viele waren. Wir dürfen nicht so selbstzufrieden sein.«
»Nun«, sagte Wurm achselzuckend, »du hast gut gekämpft, Frosch, aber andere aus dem Trupp waren eher zur Schau da. Matsch Tiefblatt war völlig nutzlos.«
»Die reinste Platzverschwendung«, höhnte Gras. »Weiß nicht, warum er überhaupt gekommen ist.«
»Dorn musste ihn retten«, sagte Fliege und warf einen amüsierten Blick in seine Richtung.
Dorn sah ihn finster an. »Das stimmt nicht«, log er. »Matsch hat ein paar gute Treffer gelandet. Mach dir lieber Gedanken über deinen eigenen Einsatz, Gras.«
Gras blitzte ihn wütend an, doch da wurde das Gespräch von anderen Pavianen unterbrochen, die zu den Starkzweigen krochen, um ihnen von ihren eigenen Heldentaten zu berichten. Kerbe zupfte Gras am Fell und erzählte ihm, wie geschickt er mit einem Ast umgegangen war. Moos spielte ihren Kampf mit drei Affen nach.
Frosch drängte sich an Dorns Seite. »Gras ist nur eifersüchtig«, flüsterte sie. »Du warst wunderbar, Dorn! Ich hatte solche Angst, du könntest verlieren. Ich meine … ich habe mir natürlich Sorgen um den Trupp gemacht. Aber vor allem um dich.«
»Eine Weile hatte ich auch Angst«, gestand Dorn und versuchte, möglichst munter zu klingen.
Sie berührte seine aufgekratzten, blutenden Arme und sah ihm tief in die Augen. »Hoffentlich tut das nicht so weh«, murmelte sie.
»Frosch …« Ganz vorsichtig zog er seinen Arm zurück. »Hör mir bitte zu … es tut mir leid.« Er biss sich auf die Lippen. »Ich mag dich wirklich. Sehr sogar. Aber ich liebe eine andere.«
Die Verwandlung in ihrem Blick versetzte ihm einen Stoß, sie sah so verzweifelt aus. »Oh, Dorn, es tut mir leid. Ich wollte nicht …« Sie schluckte und wich zurück. »Ich verstehe.«
Er hatte sie wieder verletzt. Durch Dorns Magen ging ein Stich. Im Moment muss ich meine Freunde ständig verletzen.
Frosch riss sich zusammen und lächelte ihn ein wenig gezwungen an. »Können wir trotzdem miteinander sprechen? Ich muss dir unbedingt etwas erzählen.«
»Natürlich«, sagte er, »was ist passiert, Frosch?«
Sie war wieder ernst geworden und runzelte die Stirn. »Ich bin noch einmal dort gewesen«, flüsterte sie. »Beim Leichnam der Großen Mutter. Und ich habe etwas Eigenartiges entdeckt.«
Er sah sie aufmerksam an. »Was meinst du?«
»Das kann ich nicht erklären. Kommst du mit und siehst es dir an?« Sie wich seinem Blick aus. »Ich verspreche dir, ich bringe dich nicht in eine unangenehme Situation.«
»Frosch, natürlich komme ich mit«, beruhigte er sie und wollte schon ihren Arm drücken, zügelte sich dann aber. »Aber wir sollten vorsichtig sein. Es wäre besser, niemand würde uns sehen.«
Sie nickte. »Du hast recht. Aber es ist sehr dringend. Wir sollten nicht mehr länger warten.«