Ich warte im Freilichtmuseum Den Gamle By, Die Alte Stadt, auf meine Freundin Mulle. Mulles langes rotes Haar umfließt ihren Körper wie der Schwanz eines Drachens. Die orangen Sommersprossen um ihre Nase herum würde ich gern mit dem Kugelschreiber verbinden, um herauszufinden, was für ein Bild auf ihrem Gesicht entstehen würde. Sie kommt auf mich zugerannt und umarmt mich stürmisch, ihr Haar legt sich mir übers Gesicht, ich blicke durch einen orangen Schleier auf die Welt. Was sagt der Herr Pfarrer zu dem Ganzen, fragt sie. Ich sage, er sagt nicht viel, aber wir betreiben das längste Fünfhundert-Spiel der Welt. Er hat schon über 7000 Punkte Vorsprung, sage ich, warum gewinnt er immer. Mulle nimmt meine Hand und zieht mich zu einem Eisstand. Dabei bin ich es doch, die Erfolg und Aufmunterung benötigt, sage ich, mein Herz ist zerschmettert, atomisiert. Mulle hält sich nicht lange damit auf, über Gefühle zu reden, stattdessen kauft sie mir Zuckerwatte. Und deine Mutter, fragt Mulle. Die hat schon wieder mit Prinz William angefangen, sage ich. Der ist ja schon reichlich lange im Spiel, sagt Mulle. Dreieinhalb Jahre, Mulle, sage ich, halte drei Finger hoch und beschreibe mit Daumen und Zeigefinger der anderen Hand einen Halbkreis. Okay, sagt Mulle, sie ergreift meine Hände, wo stehen wir jetzt. Was ich an Mulle besonders mag, ist ihr ausgeprägtes Wir-Gefühl. Wir stehen in Den Gamle By, sage ich, den Mund voll hellroter Watte. Ich sage, sie soll mit Ortsmetaphern aufhören. Hassen wir sie, oder wollen wir sie zurück haben, fragt Mulle. Wir hassen niemanden, sage ich, das ist in meiner Familie verboten. Wollen wir sie zurück haben, sagt Mulle. Ich nicke. Mulle ist meine Spindoktorin. Wir legen uns eine Strategie zurecht, sagt sie. Mulle studiert Staatswissenschaften, sie ordnet Dinge gern mittels Systemen und Diagrammen. Mit einer Vierfeldertafel lässt sich die ganze Welt einfangen, sagt Mulle, was fehlt ihr denn, das sie gern hätte. Kinder und so, sage ich. Dazu sind wir nicht bereit, sagt Mulle. Kinder kriegt sie nicht, da stecken wir fest, aber dann musst du dir als Ersatz was anderes einfallen lassen, sagt Mulle, begeben wir uns an den Verhandlungstisch. Tiere hätte sie auch gern, sage ich, und ich hasse doch Tiere. Goldfische, sagt Mulle, eine Schildkröte vielleicht, Tiere, die nichts sagen. Sie möchte Pelztiere, sage ich. Wenn deine Frau ein Tier will, sagt Mulle, müssen wir eben ein Tier kaufen, sie soll spüren, dass wir was für eure Beziehung tun. Sie findet wohl auch, dass ich insgesamt ein bisschen viel bin, sage ich. Dann machen wir eine Light-Version von dir, sagt Mulle, lüften erst mal gut durch und schrauben die irritierenden Momente etwas runter. Ich glaube, sie findet, innerhalb meiner eigenen Kategorien funktioniere ich gut, sage ich, sie sucht nur irgendwie was anderes. Das ist schon komplizierter, sagt Mulle, da stößt euer Handlungsspielraum an Grenzen. Ich nicke. Es hat sich wohl eine Zeit lang aufgestaut, sagt Mulle. Ich überlege kurz und sage, man hätte es eigentlich kommen sehen können. Ich hab nur gehofft, ich würde eines Morgens aufwachen und hätte auf all die Dinge Lust, die sie gern hätte, sage ich und zupfe mir etwas Zuckerwatte aus den Haaren. Wir sind ja noch lange keine Dreißig, sagt Mulle, Kinder und so kriegt man erst, wenn man nicht mehr daran glaubt, dass man was auf der Welt bewirken kann, das sind die letzten Zuckungen, um dem Leben einen Sinn zu geben. Sie hat ihre Entscheidung getroffen, sage ich, sie trifft fast nie Entscheidungen, aber wenn, ist nicht dran zu rütteln. Vielleicht ist es ja auch am besten so, sagt meine Spindoktorin und legt die Arme um mich. Meine Tränen tropfen in die Zuckerwatte, es sieht aus wie Regenwetter in einer hellroten Schneelandschaft.