Ich sage, ich will auf jeden Fall die Orgelpfeifen behalten, die ihr Großvater gemacht hat. An unserem Kühlschrank hängt ein Schwarzweiß-Foto von einem alten Mann. Er lächelt. Auf dem Kopf hat er eine Schirmmütze mit Karomuster, in den Händen ein Stück Holz. Ein paar Jahre steht er jetzt schon auf diesem Foto und lächelt mich von seinem Platz auf der Kühlschranktür aus an. Du hast meinen Großvater doch gar nicht gekannt, sagt sie. Manchmal vermisst man jemanden, den man nicht gekannt hat, es ist sogar besonders schlimm, sage ich, wenn man seine Sehnsucht nirgends festmachen kann, das fühlt sich besonders leer an. Das habe ich mal im Fernsehen in einer Sendung über Adoption gehört. Sie seufzt. Ich reite noch ein bisschen auf den Orgelpfeifen rum. Du hast doch immer gesagt, du findest sie hässlich, sagt sie. Ach na ja, hässlich, sage ich, ich habe sie irgendwie lieb gewonnen, da müsste ich doch wenigstens eine kriegen können. So macht man das, wenn man auseinander geht, sage ich, man teilt. Ich sage, dass sie mir etwas schuldet, weil sie mir dreieinhalb Jahre meiner Jugend gestohlen hat. Stell dir nur vor, mit wie viel Leuten ich in dieser Zeit hätte ins Bett gehen können, wenn du nicht gewesen wärst, sage ich. Dreißig pro Jahr, vielleicht sogar sechzig, wenn ich angefangen hätte, mich zu schminken. Da ist eine Orgelpfeife ja wohl das Mindeste, was man erwarten darf. Du hast doch nichts von unverbindlichem Sex, sagt sie müde. Tu nicht so, als ob du mich kennen würdest, sage ich, vielleicht weißt du ja gar nichts von mir. Vielleicht habe ich verborgene psycho-patische Anteile und führe ein Doppelleben, von dem du keine Ahnung hast. Sie schaut aus dem Fenster und sagt, das glaube sie ja wohl eher nicht. Ich spüre ihren Blick. Durch das Fenster ist ein kleiner Ausschnitt des Meeres zu sehen. Ich frage, warum zum Teufel sie so verdammt undramatisch sein muss. So bin ich wohl einfach, sagt sie. Das gehört zu den Dingen, die ich am meisten an ihr mag, aber das verrate ich ihr nicht. Ich blase ein bisschen in die Orgelpfeifen, sie geben merkwürdige Klänge von sich. Ich sage, ihr Großvater hätte ganz sicher gewollt, dass ich die Orgelpfeifen kriege. Sie sagt, ihr Großvater hätte mich jedenfalls total lieb gefunden. Das murmelt sie etwas abwesend, schwer zu sagen, ob sie an mich oder an ihren Großvater denkt. Ich finde es ziemlich seltsam, so was zu sagen, während man sich gerade streitet. Streiten wir uns, fragt sie. Ich nehme die Orgelpfeifen von der Wand und sage, so, die nehme ich jetzt mit nach Hause. Das heißt nein, sage ich, ich habe ja kein Zuhause. Ich deute auf die Orgelpfeifen. Sie berührt meinen Arm.