Man hat eben auch seine Verantwortungen, höre ich meine Mutter im Telefon. Ich soll mit ihr an einer Sammlung für die Krebshilfe teilnehmen. Natürlich hat man das, sage ich, ich habe nur zurzeit so wahnsinnig viel zu tun. Ich zeichne Porträts von Kingo auf die Skizze einer Speisekarte, die die Frau meines Vaters vorbeigebracht hat. Café Chrysillis, schreibe ich oben quer in großen, verschnörkelten Buchstaben. Meine Mutter fragt, was ich denn so wahnsinnig viel zu tun habe. Ich rede ein bisschen über meine Masterarbeit, sage, ich sei jetzt wirklich gut dabei und dran. Meine Mutter fragt, ob ich überhaupt ein Thema gefunden habe. Ich blicke auf meine Zeichnung. Thomas Kingo, sage ich, Kingos Rolle als Vermittler und die politische Wirkung seiner Lieder im 17. Jahrhundert. Ich bin selbst ganz beeindruckt, wie durchdacht das klingt und erwäge kurz im Ernst, mich an diese Masterarbeit zu setzen. Meine Mutter sagt, wenn ich mich so sehr für das 17. Jahrhundert interessiere, dann soll ich doch viel eher über Leonora Christina schreiben, die zweiundzwanzig Jahre im Blauen Turm gefangen saß und da ein ganzes Werk geschrieben hat, es heißt Jammers Minde, sagt meine Mutter, die hat auch die ganze Zeit gejammert, das passt haargenau für dich. Ja, aber ich habe mich eben für Kingo entschieden, sage ich. Meine Mutter sagt, ich würde doch wohl ein bisschen Zeit für eine wohltätige Sammlung erübrigen können, egal unter welchen Umständen. Ich mag nun dein Sklave nicht länger sein, die Bürden, die du mir aufgeladen, ich werfe sie ab und bin nicht mehr dein, sage ich. Meine Mutter sagt, ich soll auch mal an wen anders denken als an mich selbst. Ich denke an Kingo, sage ich. Der hatte keinen Krebs, sagt meine Mutter, der hatte Glück. Er hat fast sein ganzes Leben im Auftrag des Königs sein Buch mit Kirchenliedern zusammengestellt, und es wurde immer wieder verworfen, weil kein Mensch ihn verstand, sage ich, so ist es, wenn man seiner Zeit voraus ist. Meine Mutter sagt, ich soll stattdessen ruhig mal an die Welt um mich herum denken. Was ist denn doch alles, das die Welt uns zeigt in schöner Gestalt? Es sind ja nur Schatten, zerklirrendes Glas, platzende Blasen und fallendes Gras, sage ich. Dein Vater hat dir eine Gehirnwäsche verabreicht, sagt meine Mutter, du klingst wie frisch bekehrt. Sie redet davon, wie nett es sein könnte, ein bisschen rauszukommen, an die frische Luft, und zugleich eine gute Tat zu vollbringen. Luxussamariter, sage ich und male Thomas Kingo einen breiten Lächelmund. Ich sage, ich mag einfach nicht in einen abseitigen Winkel von Aarhus geschickt werden, mit einer Plastikdose in der Hand rumlaufen und unschuldige Menschen um Geld anbetteln wie an Fastnacht oder zu Halloween. Sollen wir ihnen was von Krankheiten vorsingen, wenn sie die Tür aufmachen, sage ich, oder aus Kingos Die Armen im Spital zu Odense rezitieren. Meine Mutter sagt, man sucht sich selbst aus, wo man sammeln geht, und es ist immer interessant zu sehen, wie andere Leute so wohnen. Sie lässt sich lang und breit darüber aus, wie viel der Eingang eines Hauses über eine Familie aussagt. Du bist krankhaft neugierig, sage ich. Soziologisch interessiert, sagt meine Mutter, das ist ein Teil meiner Arbeit. Eine Möglichkeit, Menschen näherzukommen, sagt sie. Während meine Mutter weiterspricht, mache ich den Computer an und gebe den Namen meines Arztes ein. Eine Adresse im Stadtteil Marselisborg erscheint. Okay, sage ich, dann lass es uns unten in der Nähe vom Yachthafen versuchen. Meine Mutter will mich weiterhin überzeugen, wie wichtig diese Sammlung ist, bis ihr endlich klar wird, dass ich ja gesagt habe. Meine Mutter sagt, ich hätte keine Ahnung, wie erleichtert sie ist, das mit der Arbeit über Kingo zu hören. Die Zeit bleibt ja nicht stehen, sagt meine Mutter. Was sind meine Jahr, sage ich, die verstohlen verschwinden, verwehen gar? Was ist meine Bekümmernis? Mein von Gedanken schwerer Sinn? Meine Sorge? meine Freude? meines Kopfes Gespinn? Ja, ja, Schatz, sagt meine Mutter, wir sehen uns dann auf jeden Fall am Samstag.