Wir wandern von Tür zu Tür, unsere Sammelbüchse wird immer schwerer. Wenn niemand aufmacht, stellt sich meine Mutter ans Fenster und schaut rein. Sitzt dann jemand drinnen, winkt sie lächelnd und deutet auf die Sammelbüchse. Wir sind für die Krebshilfe hier, ruft sie. Meine Mutter erzählt einem jüngeren Mann, die Sammlung sei für sie eine Herzenssache, als selbst gerade Genesene. Sie deutet auf ihre rechte Brust. Prothese, flüstert sie. Das ist unethisch, sage ich, während er drinnen Geld holt. Die Leute brauchen eine persönliche Erzählung, flüstert meine Mutter, es ist wahnsinnig schwierig, sich in tödliche Krankheiten einzufühlen, das ist zu abstrakt. Der junge Mann bringt zweihundert Kronen, er lädt uns zu einer Tasse Kaffee ein. Er fragt, ob meine Mutter immer noch Beschwerden hat. Man ist ja nie wieder dieselbe wie vorher, sagt meine Mutter und deutet auf ihr Herz, wenn man dem Tod ins Auge geblickt hat. Der jüngere Mann nickt verständnisinnig. Er erzählt, dass seine Mutter vor vier Jahren an Lungenkrebs gestorben ist. Er schaut mich an und fragt, wie ich mit der Situation klargekommen bin. Ich räuspere mich und blicke auf ein Foto, das im Fensterrahmen steht, es zeigt eine mittelalte Frau. Fantastisch, sagt meine Mutter, Schatz, du warst mir im ganzen Verlauf eine unglaubliche Stütze. Ich nicke. Der Mann lächelt mich an und sagt, menschlicher Halt ist sehr, sehr wichtig. Da hab ich gelegen, sagt meine Mutter, von der Chemo völlig hinüber und total panisch, und meine Tochter ist jeden Tag vorbeigekommen und hat mir Mut zugesprochen. Sie blickt mich liebevoll an, und ich habe den Eindruck, dass sie sich klar und deutlich an Situationen erinnert, die es nie gegeben hat. Der Mann holt ein Fotoalbum und schildert angeregt ein paar Erinnerungen aus der Kindheit. Meine Mutter nickt und lächelt und fragt nach, der Mann wirkt froh. Er holt ein weiteres Album und erzählt noch mehr Geschichten über die Frau auf den Bildern. Es ist so wichtig, seiner Mutter Liebe zu zeigen, solange man sie noch hat, sagt meine Mutter mit einem Blick auf mich. Ja, das solltest du nie vergessen, sagt der Mann und bedenkt mich mit einem Lächeln. Ja, das werde ich nicht vergessen, sage ich. Beim Abschied umarmt meine Mutter den jungen Mann. Lächelnd schließt er die Tür. Als wir durchs Gartentor gehen, sehe ich meine Mutter an. Du bist ja eine durchtriebene Lügnerin, sage ich, als wir den Rest vom Rosé trinken. Unsinn, sagt meine Mutter, das war genau das, was er brauchte. Meine Mutter sagt, die Wahrheit wird überschätzt. Wenn man sich mit Details aufhält, stirbt man vor Langeweile, sagt sie, und das ist mindestens genauso schlimm wie Krebs.