Abends sitzt du in meinem Bett und liest. Ich hingegen sitze vor dem Computer. Ich habe ein Dokument geöffnet, es trägt den Namen Masterarbeit, nur ist es leider leer. Du blätterst in der Zeitung, deine dunklen Locken fallen dir in die Stirn, du schiebst sie immer wieder fast automatisch mit den Fingern beiseite. Du fragst, wie es mit Kingo geht. Du siehst sehr ernst aus, auch wenn du lächelst, als würdest du alle möglichen Geheimnisse hegen. Ich stelle mir vor, dass drinnen in dir ein alter chinesischer Garten ist, in dem hellrote Kirschbäume blühen, Leute sitzen in weiß gestrichenen Teehäusern und plaudern vertraulich miteinander. In meinem Körper geht ein Festfeuerwerk los, ich bereite eine Liebeserklärung vor. Allerdings weiß ich auf einmal nicht mehr, wie man so was sagt. Ich denke, dass ich es dir sehr ernsthaft mitteilen sollte, vielleicht bei Mondschein. Draußen wird es allmählich dunkel, und wie ich sehe, steht der fast volle Mond wie eine glänzende Kuppel über der Domkirche. Ich räuspere mich und beginne mit einem langen Monolog als Einleitung. Du siehst erschrocken aus und fürchtest, ich wollte dich verlassen, ich breche ab und sage nein, nein, es läuft doch wunderbar. Jetzt denke ich, ich sollte es stattdessen mitten in einem Lachanfall sagen, damit es keine Missverständnisse gibt, Liebe ist ja trotz allem was Erfreuliches. Es muss an einem Morgen sein, an dem du in Anekdotenlaune bist und eine von deinen unzähligen Geschichten erzählst, und auf dem Gipfel deines Lachens, genau in der Sekunde, in der ich denke, da wäre ich gern dabei gewesen, genau in der kurzen Schallwelle, wenn unser Lachen sich mischt, da werde ich es sagen. Aber das wirkt wieder zu unseriös, denke ich, nicht tief genug empfunden. Also sollte es in einer Zwischensituation sein, einer Mischung aus Freude und Ernst, vielleicht an einem ganz gewöhnlichen Tag. Ja, ich werde es an einem Abend beim Kochen sagen, vollkommen natürlich: Nicht so viel Chili, gib mir mal die Kokosmilch, ich liebe dich, vielleicht noch etwas Salz, nein, nicht noch mehr Chili, verflucht noch mal, doch, tue ich wirklich, die Spaghettis kochen über, nimm schnell den Deckel ab, ich meine das im Ernst, ich liebe dich. Andererseits wieder wirkt das zu banal und beiläufig. Ich denke, ich möchte es einfach machen: Ich werde dich in einer Tür anhalten, deine Hände nehmen und es dir sagen. Aber was, wenn du mich dann anschaust und sagst, mal langsam, nicht so hastig, bist du betrunken, findest du nicht, du nimmst die Sache zu ernst? Vielleicht lächelst du auch ein klein wenig und sagst, ja, du bist wirklich auch sehr süß, und dann wechselst du schnell das Thema, redest zum Beispiel über einen Artikel, den du kürzlich gelesen hast, in dem es um Verunreinigungen der Kläranlage geht, oder du sagst, du holst mal schnell Zigaretten am Kiosk, und danach kommst du nie wieder zurück. Oder aber du wiederholst meine Worte einfach mit der größten Selbstverständlichkeit, fast ohne Pause, falls du denkst, ich hätte es gesagt, damit du es auch sagst, und du denkst nicht mal nach, ob die Aussage zutrifft, bevor du es sagst, denn du willst eine unangenehme Situation umgehen oder willst vermeiden, dass ich es bereue, das wäre natürlich rücksichtsvoll, aber auch grenzenlos demütigend. Ich räuspere mich und sage, es gibt da was, das mir gar nicht leicht fällt zu sagen. Du legst die Zeitung beiseite und schaust mich mit deinem typischen Blick an. Du hast Buchstaben in den Augen und Druckerschwärze an den Fingern. Strategy – tragedy, so gut wie unmöglich. Du nickst langsam. Vor allem, wenn man versucht, es öfter hintereinander zu sagen, sage ich, das kann nur schiefgehen. Strategy – tragedy, eigentlich kann man es gleich sein lassen. Du redest über Textstruktur und deutest auf meinen Schreibtisch. Ich finde das wirklich unangenehm, warum bist du so konkret, sage ich. Wir reden etwas hin und her über Literaturlisten und Textbausteine. Mitten in der Darlegung der Problemstellung schlafe ich ein, du hingegen bleibst an meinem Computer sitzen und recherchierst in verschiedenen Büchern. Ich kann hören, wie du in der Literaturgeschichte blätterst und leise Selbstgespräche führst. Als du dich endlich neben mich legst, spüre ich, dass du ein Fußballtrikot aus Synthetikstoff trägst, ich glaube, es ist das blaue, auf dem Pelé steht. Du streichst mir das Haar vom Ohr und kuschelst dich dicht an mich. Strategy – tragedy, flüsterst du, dann schlafe ich wieder ein.