Meine Mutter wird am Samstag sechzig. Wir sitzen in ihrem Sommerhaus in Amtoft und bereiten die Blumendeko für die Tische vor. Vor mir liegt ein Berg aus hellroten und weißen Rosen. Meine Mutter ist fröhlich und lacht in die Sonne. Sie fuchtelt mit den Armen und redet in einem fort darüber, wie schön es sicher wird. In ihren Gestecken sitzen die Blumen kreuz und quer, die kleine Plastikfigur in der Mitte, die entfernt meiner Mutter ähnelt, droht herunterzufallen. Wo hast du die her, sage ich, als Plastikfigur kommst du wirklich gut. Meine Mutter sagt, das sind eigentlich Figuren für Hochzeitskuchen, aber die Bräutigame hat sie abgesägt. Acht einsame Plastikmännchen liegen bei ihr im Müll. Es ist schließlich mein großer Tag, sagt sie. Meine Mutter fragt, ob ich ein Lied auf sie geschrieben habe. Eine Rede würde auch genügen, jetzt, wo du so viel Zeit in deine Masterarbeit investierst, sagt sie. Sie blickt verständnisvoll. So was hast du schnell zusammengebastelt, Schatz, du bist ja so tüchtig mit Sprache. Sie geht in die Küche und holt für mich eine Liste mit ein paar Stichworten. Ich weiß ja, wie wenig Zeit du hast, sagt sie. Ich sehe auf das Blatt. Ja, nur so als Anstoß, sagt meine Mutter, du brauchst ja nicht alle zu verwenden, aber das mit dem Hund damals sollte schon vorkommen. Die Punkte auf dem Blatt sind in chronologischer Reihenfolge angeordnet. 1954 warst du drei Jahre alt, sage ich, da war ich noch nicht mal auf der Welt. Die Geschichte habe ich doch schon tausendmal erzählt, sagt meine Mutter, die mit der Mandel im Milchreis. Meine Mutter hebt an, die Geschichte mit der Mandel im Milchreis zu erzählen. Sie hatte vier Schwestern, sie wohnten auf einem Hof in Himmerland. Die ersten drei Jahre ihres Lebens hatte sie unablässig davon geträumt, einmal zu Weihnachten die Mandel im Milchreis zu finden. Ich klebe meine Mutter mit einem Stückchen Ton mitten zwischen die Rosen. Ich war ja daran gewöhnt, alles mit meinen Schwestern teilen zu müssen, erzählt meine Mutter, die Vorstellung, diese Mandel ganz für mich allein zu haben, war einfach das Größte. Ja, ich glaube, das hast du schon mal erwähnt, sage ich. Meine Mutter berichtet, wie sie dann die Mandel fand. Und ganz ohne zu schummeln, Schatz, nicht wie dein Vater, der dir immer die Mandel auf den Teller bugsierte. Solche Privilegien gibt es nur für Einzelkinder, sagt meine Mutter. Ich nicke. Katzenzungen, sagt meine Mutter verträumt, Großmutter hatte die gekauft, gleich nach dem Krieg, da war kaum Geld im Haus. Neun Jahre nach dem Krieg, sage ich. Auf jeden Fall war ich ein sehr freigebiges kleines Mädchen, sagt meine Mutter. Also hast du die Schokolade mit deiner ganzen Familie geteilt, und als du fertig bist, ist die Schachtel leer, fahre ich fort. Genau, sagt meine Mutter lächelnd, du weißt es so genau, als wärst du dabei gewesen. Kann Tante Lise nicht diese Rede halten, sage ich, das würde authentischer wirken. Meine Mutter sagt, ich bin schwierig, im Grunde versucht sie, mir zu helfen, und abgesehen davon ist sie der Meinung, dass diese Geschichte ihre Persönlichkeit wunderbar zum Ausdruck bringt. Ich überfliege die Liste weiter, für 1970 steht da Sonnenschein-Prinzessin in Nordjütland. Aber bei dem Wettbewerb hast du doch irgendwie geschummelt, frage ich, jedenfalls sagt Tante Bente das. Unsinn, die ist nur neidisch, sagt meine Mutter, ich kann mich an keine Schummelei erinnern. Die Erinnerung ist ein kreativer Prozess, der auf der Fähigkeit gründet, Situationen wieder zu erschaffen, sage ich, was aussieht wie tatsächlich Stattgefundenes, ist also in Wirklichkeit konstruiert. Das habe ich meiner Schwester Bente auch gesagt, aber du weißt ja, wie sie ist, wenn sie sich erst mal was in den Kopf gesetzt hat, sagt meine Mutter. Ich suche auf der Liste nach dem Jahr meiner Geburt. Da habe ich dich gekriegt, sagt meine Mutter, das war der schönste Tag meines Lebens. Ich kann mich doch nicht an deinem Geburtstag hinstellen und sagen, dass ich das Schönste in deinem Leben bin, sage ich. Jetzt mal nicht so bescheiden, sagt meine Mutter, sonst bringt man es in der Welt zu nichts. Ich lese die einzelnen Punkte und stelle fest, dass es auf der Rückseite weitergeht. Das ist ja genug Stoff für ein ganzes Buch, sage ich. Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, sagt meine Mutter.