Die Tiefstpreise, die durch die Verlagerung der Produktion in die Billiglohnländer zustande kommen, haben zu einer rasanten Beschleunigung des Konsums geführt: So hat sich beispielsweise der globale Konsum an Kleidung seit 1960 verneunfacht.37 Seit 1980 versechsfacht.38 Allein zwischen 2000 und 2015 hat sich die verkaufte Menge noch einmal verdoppelt.39
Das ist das Gesetz der Nachfrage: Wenn der Preis sinkt, steigt die Nachfrage. Wenn der Preis extrem fällt, steigt auch unsere Nachfrage extrem. Sie steigt immer weiter, auch wenn sich an unserem Bedarf eigentlich gar nichts geändert hat. Wenn man zum Beispiel Lesebrillen plötzlich nicht mehr für 150 Euro beim Optiker kaufen muss, sondern schon für 2,90 Euro in der Drogerie bekommen kann, dann hat man eben in jedem Zimmer eine. Warum auch nicht? So kaufen immer mehr Menschen immer häufiger immer mehr Produkte.
Aber wir kaufen nicht nur mehr und häufiger von dem, was wir sowieso schon immer gekauft haben. Wir entdecken auch lauter neue Formen des Konsums. Weil wir es jetzt können, kaufen wir Dinge, die wir früher nie gekauft hätten – zum Beispiel ironische Geschenke nur für den lustigen Moment des Überreichens, Outfits für einen Abend, provisorische Möbel, bis die richtigen Möbel geliefert werden, und so weiter. So bedient das niederschwellige Angebot, das Zara, IKEA, Tchibo und Co. uns machen, vor allem eine zusätzliche Nachfrage, die sie durch ihr niederschwelliges Angebot überhaupt erst geschaffen haben.
Die unfassbar niedrigen Endverbraucherpreise, die die neuen, global agierenden, vertikal organisierten Konzerne machen können, erlauben es uns, nicht nur die Produkte zu kaufen, die wir brauchen, sondern auch all die Produkte, die uns irgendwie »ansprechen«. Ohne finanzielle Reue können wir jetzt regelmäßig reine Lustkäufe tätigen. Wenn wir eine Sache kaufen, müssen wir nicht mehr auf eine andere Sache verzichten. Dadurch wird unser Konsum von Tag zu Tag weniger rational. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatte der Erwerb von Dingen so wenig mit der Deckung eines greifbaren Bedarfs zu tun.
Eine durchschnittliche Tankstelle hat in ihrem Shop nur zirka zwei Quadratmeter Verkaufsfläche für alles, was nicht Lebensmittel ist. Warum sollte man diese kostbare Fläche auf nützliche und dringend notwendige Dinge wie Eiskratzer und Ersatzleuchtmittel für Scheinwerfer verschwenden, wenn man mit einem Ständer mit Rückspiegel-Diddl-Mäusen und einem Regal voll Verschiedene-Berufe-Quietscheentchen viel mehr Umsatz machen kann?
Von all den unendlich vielen Waren, die große Warenhäuser führen, präsentieren sie auf ihrer wichtigsten Fläche, dem Erdgeschoss, ausgerechnet die entbehrlichsten, nämlich Parfums.
Die Frage nach dem Brauchen ist nebensächlich geworden. Das bloße Wollen hat sich zum Motor unserer Wirtschaft entwickelt. Alles, was wir über den Homo oeconomicus, der nach Maximierung seines Nutzens strebt, gelernt haben, können wir vergessen, denn er ist ausgestorben. Ein Nutzen ist nicht mehr die Voraussetzung für den Erfolg eines Produkts. Im Gegenteil: Ein nützliches Produkt macht uns bestenfalls zufrieden. Aber erst das, was über den Nutzen hinausgeht – der Luxus –, macht uns glücklich. Ein Staubsaugerbeutel macht uns keine Freude, eine Duftkerze schon. Sich versorgen ist noch nicht shoppen. Das echte, das richtige Einkaufen beginnt für uns überhaupt erst da, wo es für frühere Generationen aufhörte, nämlich, wenn man sich mit dem Notwendigen und Sinnvollen versorgt hat und anfängt, sich etwas zu gönnen, sich selbst etwas zu schenken.