ENTWERTUNG DURCH PREISVERFALL

Wenn uns am Black Friday plötzlich alle möglichen Dinge für die Hälfte angeboten werden, fragen wir uns unwillkürlich, ob man all diese Dinge nicht im Grunde die ganze Zeit für 50 Prozent des ursprünglichen Preises hätte anbieten können. Es drängt sich einem der Gedanke auf, dass all diese Dinge vorher viel zu teuer und ihr Geld sowieso nicht wert waren – ein Reflex, den man kaum unterdrücken kann. Mit dem Preis der Dinge fällt schlagartig auch unsere Wertschätzung der Dinge.

Dass unsere Wertschätzung der Dinge sinkt, sobald ihr Preis sinkt, konnte man im Zuge der Globalisierung im ganz großen Stil beobachten. Die Preise für viele Konsumgüter sind durch die Verlagerung ihrer Herstellung in Billiglohnländer erdrutschartig gefallen. Und ebenso erdrutschartig sind diese Dinge in unserer Achtung gefallen. Je billiger die Dinge durch die Globalisierung für uns werden, desto wertloser erscheinen sie uns und desto achtloser gehen wir mit ihnen um. Und logischerweise werden – durch billige Löhne – lohnintensive Produkte ganz besonders viel billiger. Das heißt: Je mehr menschliche Arbeit ein Produkt erfordert, desto größer ist die Fallhöhe im Preis und damit im Ansehen.

Anfang der 1970er-Jahre war Kleidung noch so teuer, dass man zehn Prozent seines verfügbaren Einkommens aufwenden musste, um sich einigermaßen anständig einzukleiden.46 Die Dinge, die man sich derart vom Munde abgespart hatte, bezeichnete man damals respektvoll als »Kleidungsstücke«. Und seine Kinder ermahnte man, mit ihren »Anziehsachen« sorgsam umzugehen.

Dank der Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer können wir uns heute von weniger als fünf Prozent unseres verfügbaren Einkommens, also mit weniger als der Hälfte des Aufwands, die fünffache Menge Kleidung leisten.47 Und selbstverständlich haben wir dadurch den Respekt verloren vor diesen Teilen, die man sich zum Beispiel für den Urlaub kauft und bei der Abreise einfach dort lässt, weil es sich nicht lohnt, sie mit nach Hause zu schleppen. Um der Welt und seinen Kindern zu zeigen, mit welcher lässigen Beiläufigkeit man diese Dinge jederzeit kaufen und wegwerfen kann, redet man jetzt bezeichnenderweise nicht mehr von »Kleidungsstücken«, sondern nur noch von »Klamotten«. »Klamotte«, so heißt es auf Wikipedia, »bezeichnet ursprünglich zerbrochene Mauer- und Ziegelsteine. Die Bezeichnung Klamotte wurde auch auf andere zerbrochene oder wertlose Gegenstände ausgedehnt, insbesondere auf ärmliche Möbel oder alte Kleidungsstücke. Letztere Verwendung wurde zur heutigen umgangssprachlichen Bezeichnung für Kleidung.«48

Dieses veränderte Verhältnis zu unserer Kleidung ist nur eins von vielen Beispielen dafür, wie wir all den Sachen, die durch die Globalisierung für uns plötzlich so billig geworden sind, jeden Wert absprechen und auch sprachlich ihr baldiges Ende auf dem Müll vorwegnehmen.