DEN PEGEL HALTEN

Wenn man Raucher fragt, warum sie rauchen, antworten sie gerne, dass Rauchen sie entspanne. Das glauben sie auch wirklich. Und nach dem Rauchen einer Zigarette sind sie auch tatsächlich weniger gestresst als vorher. Das liegt aber nachweislich nur daran, dass das Auffüllen des Nikotinpegels den Stress beseitigt hat, den das vorherige Abfallen des Nikotinpegels ihnen bereitet hatte. Das Rauchen befreit einen also nur von der Anspannung, die es selbst verursacht. So macht Rauchen einen auf die Dauer nicht entspannter. Im Gegenteil: Es macht einem sogar zusätzlichen Stress.

Genauso würde die Hälfte aller Menschen, wenn man sie fragt, warum sie sich Dinge kaufen, die sie eigentlich gar nicht brauchen, antworten, dass für sie Shopping ganz allgemein ein Vergnügen sei.64 Ja, es stimmt, Shoppen macht richtig Spaß. Das lässt sich nicht leugnen. Sich schöne Dinge zu kaufen – egal ob man sie braucht oder nicht –, gibt einem immer ein richtiges Hochgefühl, einen echt guten Dopamin-Kick. Und gegen wohldosierten Konsum ist auch ebenso wenig etwas einzuwenden wie gegen eine gelegentliche Zigarette nach dem Abendessen.

Aber, wenn wir ehrlich sind, hat unser notorischer Konsum inzwischen eher etwas von Kettenrauchen. Und genauso wie man nicht immer entspannter wird, wenn man immer mehr raucht, werden wir auch keineswegs immer glücklicher, wenn wir immer mehr kaufen. Unterm Strich machen diese regelmäßigen Konsumkicks unser Leben genauso wenig besser wie regelmäßige Nikotinschübe. Denn wie bei der regelmäßigen Zufuhr von Chemikalien verschiebt unser Gehirn auch bei der regelmäßigen Zufuhr von Erlebnissen seine Toleranzgrenzen. Wie bei der Sucht nach psychoaktiven Substanzen ist auch bei einer Verhaltenssucht die einzige Möglichkeit, das ursprüngliche Hochgefühl erneut zu erleben, die Dosis des Erlebnisses zu erhöhen. Unser Gehirn wertet die kurzfristigen Dopamin-Springfluten nämlich leider als Fehler und produziert immer weniger von dem Glückshormon. Die für die Produktion von Dopamin zuständigen Gehirnregionen stumpfen ab und reagieren nur noch, wenn sie überstimuliert werden. Die kleinen Freuden des Alltags hingegen quittieren sie nicht mehr mit den gesunden kleinen Mengen an Dopamin, die wir für unsere Grundzufriedenheit brauchen.65

So werden die Tiefs zwischen den Hochs immer tiefer. Und irgendwann fangen unsere regelmäßigen Käufe nur noch die Katerstimmung auf, die vorhersehbar auf den Kaufrausch folgt. Wir gleichen diese Stimmungsschwankungen aus, indem wir immer öfter kaufen. Um den Dopamin-Pegel zu halten, erhöhen wir also nicht nur die Größe, sondern auch die Frequenz unserer Einkäufe.

So kommt es dazu, dass man sich in immer dichterer Folge immer mehr Sachen kauft, die man aber immer weniger nutzt – Kleidung, Zeitungen, Gadgets, Sportausrüstung, Haushaltsgeräte … Man schafft es gar nicht mehr, all das zu konsumieren, was man sich kauft. Denn Konsum ist ja zeitaufwendig. Man benutzt die Dinge nicht, weil man nicht die Zeit hat, sie zu benutzen. Oder weil man sich nicht die Zeit nimmt, die Gebrauchsanweisung zu lesen, das Gerät zu konfigurieren, die Hose zur Änderungsschneiderei zu bringen. Oder weil man feststellt, dass man in einem Klima lebt, in dem man gar kein Strandkleid braucht. Oder weil man das T-Shirt im Schrank einfach vergisst. Manche Dinge packt man zu Hause noch nicht einmal mehr aus. Wir glauben, dass wir uns Dinge kaufen, weil wir sie besitzen wollen, aber tatsächlich kaufen wir sie uns oft nur noch, weil wir sie kaufen wollen.

Und genau deshalb, so haben Soziologen und Konsumforscher festgestellt, machen uns unsere Lustkäufe immer weniger glücklich.66 Wenn wir die Dinge nicht benutzen, wenn wir sie nicht in Betrieb nehmen, uns aneignen und genießen, dann ist die Freude über die Neuanschaffung schnell vergessen. Dann fällt der Dopamin-Spiegel steil ab, und die Seele, der das Glückshormon entzogen wird, schreit nach Nachschub. Ein solcher Konsum, bei dem man eigentlich direkt nach dem einen Kauf schon an den nächsten denkt, macht uns nur vermeintlich zufriedener. Tatsächlich macht er uns aber immer unzufriedener. Für den Moment fühlen wir uns glücklich. Aber langfristig werden wir – auf für uns unerklärliche Weise – immer unglücklicher.