SHARING ECONOMY

Wenn man sich Handtaschen leihen würde, statt sie sich zu kaufen, könnte man jede Saison eine neue tragen. Man könnte sogar jeden Tag eine andere tragen – immer passend zum Outfit. Man könnte sich sogar mehrmals am Tag umziehen und dabei jedes Mal die Handtasche wechseln.

Je kürzer man die Dinge nutzen will, desto mehr Sinn ergibt es, sie zu mieten, statt sie zu kaufen. Und wir wollen die Dinge ja tatsächlich immer kürzer nutzen:67

Erstens wollen wir gerne öfter etwas Neues, weil die Trends immer kurzlebiger werden. Das sogenannte Modekarussell dreht sich immer schneller. Was gestern out war, ist heute in, und was heute in ist, ist morgen out.

Zweitens wird das Angebot an Dingen, denen wir unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit widmen wollen und müssen, ständig größer: Gadgets, die wir gut gebrauchen können; Netflix-Serien, die man gesehen haben muss; neue Fortbewegungsmittel, die wir ausprobieren möchten; Sportarten, die zu uns passen könnten; Reisen, die wir machen wollen; Events, die wir nicht verpassen dürfen; Apps, die uns das Leben erleichtern; Blogbeiträge, die uns interessieren; Persönlichkeiten, denen wir auf Twitter folgen; Marken, die wir auf Instagram abonnieren. Täglich kommen neue Sachen dazu. Aber die Zeit, die wir pro Tag für solche Sachen haben, bleibt gleich. Also haben wir immer weniger Zeit pro Sache.

Und weil immer mehr Sachen von uns immer kürzer genutzt werden, gehört dem Teilen, Leihen und Mieten die Zukunft.

Der Autovermieter Konstantin Sixt hat zu Recht gesagt: »Die unvernünftigste Entscheidung, die Menschen treffen, ist, ein Auto zu kaufen.«68 Denn Autos werden im Schnitt nur eine Stunde am Tag, also nur vier Prozent der Zeit, genutzt.69 Sie sind aber für ihren Besitzer mit enormen Fixkosten verbunden: Anschaffungskosten, Leasingraten, Kfz-Versicherung, Kfz-Steuer, Wartung, TÜV, Miete für Stellplatz, Anwohnerparkausweis und so weiter. Da liegt es auf der Hand, dass es sinnvoll ist, sich Autos und die damit verbundenen Fixkosten zu teilen. Je teurer eine Sache ist und je weniger wir sie nutzen, desto leichter können wir Geld sparen, indem wir sie uns leihen, statt sie uns zu kaufen.

Wer leiht, statt zu kaufen, spart aber nicht nur Geld. Er spart auch Zeit und Kraft. Denn Besitz bringt immer auch Pflichten mit sich. Dinge, die man besitzt, muss man lagern, warten, reinigen und so weiter. Wer – um bei dem Beispiel zu bleiben – kein Auto besitzt, sondern Autos nur mietet, muss sich nicht um die Inspektion und den TÜV kümmern. Auch mit dem Waschen der Autos und dem Wechsel von Sommer- auf Winterreifen hat er nichts zu tun. Und wenn über Nacht jemand die Antenne abgebrochen hat, ist auch das nicht sein Problem.

Und last but not least hat das Teilen von Dingen natürlich auch ökologisch alle Argumente auf seiner Seite. Denn auch wenn Studien ergeben haben, dass die ökologische Überlegenheit von Mietangeboten für die Nutzer solcher Angebote eher eine Dreingabe als die treibende Kraft ist,70 so bleibt sie doch unbestreitbar: Wenn nicht mehr jeder Mensch ein ganzes Produkt für sich beansprucht, sondern nur noch einen Teil, dann hinterlässt er damit selbstverständlich auch nur einen Teil des ökologischen Fußabdrucks, den er mit dem ganzen Produkt hinterlassen hätte.

Die ökonomische und die ökologische Bilanz des Mietens können sich sehen lassen. Rational betrachtet ist das Mieten von Dingen dem Kaufen fast immer und immer öfter überlegen. Nur emotional hat die Sache einen Haken. Denn nur weil wir eine geliehene Sache annähernd so nutzen können wie eine Sache, die uns gehört, heißt das ja nicht, dass uns eine geliehene Sache auch nur annähernd so viel Freude macht wie eine Sache, die uns gehört. Uns eine Sache vorübergehend zu leihen, wird uns nie so stolz und glücklich machen, wie sie uns persönlich zu kaufen und sie exklusiv zu besitzen. Wenn man sich einen Gegenstand mit anderen teilt, teilt man sich eben nicht nur die mit der Anschaffung und dem Unterhalt verbundenen Kosten und Mühen mit anderen. Man muss auch das Dopamin, das mit dem Besitz dieses Gegenstandes verbunden ist, mit anderen teilen. Und das macht man natürlich nur äußerst ungern. Das gilt ganz besonders für Statussymbole. Jemand, der zum Beispiel lange auf einen BMW gespart hat und dann endlich hinterm Steuer sitzt, wird damit viel stolzer herumcruisen als jemand, der den BMW nur gemietet hat.71 Wenn wir uns Statussymbole leihen, ist halt auch der Status nur geliehen. Wir dürfen uns eben erst dann als »BMW-Fahrer« betrachten, wenn wir einen BMW besitzen und nicht nur weil wir uns regelmäßig einen leihen. »Die Leute wollen kein Auto teilen, sondern eins kaufen«, weiß BMW-Chef Oliver Zipse.72

So geht es mit sehr vielen Dingen: Eigentlich wissen wir schon längst, dass es sowohl für unser Konto als auch für unsere Umwelt besser wäre, sie zu leihen. Aber wie so oft lassen wir nicht die Vernunft, sondern das Dopamin entscheiden und kaufen uns diese Dinge gegen besseres Wissen auch weiterhin – einfach nur weil es sich für uns besser anfühlt.