Als es noch keinen Onlinehandel, sondern nur stationären Handel gab, waren die großen Marken auf ein ausgedehntes Netzwerk von unabhängigen lokalen Händlern angewiesen. Nur so konnten sie die Menschen an allen Enden der Welt mit ihren Produkten erreichen. Das ist jetzt vorbei. Denn jetzt haben die Marken über ihre Webshops sowieso schon den direkten Zugang zu ihren Endkund*innen auf der ganzen Welt. Egal woher die Nachfrage nach ihren Produkten kommt, die großen Brands brauchen keinen Zwischenhändler vor Ort mehr, um sie zu bedienen. Sie können und wollen jetzt jedem ihre Waren und Dienstleistungen selbst verkaufen – mit voller Marge und vollem Zugriff auf seine persönlichen Daten. So werden die unabhängigen Einzelhändler als Vermittler zwischen Marke und Konsument durch den E-Commerce endgültig ausgebootet. Offline waren sie für die Marken Partner, die man brauchte, online sind sie nur noch Konkurrenten, die es auszuschalten gilt.
Gleichzeitig haben die unabhängigen Einzelhändler als wirtschaftliche Einzelkämpfer kaum Möglichkeiten, an dem Boom des E-Commerce zu partizipieren, indem sie ihre Sachen selbst im Netz verkaufen. Denn für diese meist kleinen Boutiquen lohnt sich der kosten- und zeitintensive Bau und Unterhalt eines eigenen Webshops oft nicht. Und selbst wenn sie einen liebevoll gepflegten Onlineshop mit selbst produzierten Fotos und selbst geschriebenen Texten an den Start bringen, findet dieser kaum Beachtung. Er geht in den Weiten des World Wide Web unter.
Also wurden Unternehmen wie Farfetch geschaffen, die das kleinteilige Angebot der vielen kleinen Boutiquen auf einer gemeinsamen Plattform zu einem großen Angebot bündeln. So können die letzten noch überlebenden unabhängigen Multilabel-Händler ihren Markenmix nicht nur in ihren Boutiquen, sondern auch im Netz anbieten. Das funktioniert.
Es funktioniert für die Händler so gut, dass ihre Lieferanten auch hier das Geschäft lieber selbst machen wollen und ihre Produkte selbst auf Farfetch anbieten. »Paradoxerweise untergräbt die Plattform damit das Geschäftsmodell der Multilabel-Händler, die den Marktplatz heute ausmachen«, schreibt Branchen-Insider Jürgen Müller und sagt voraus, wie es weitergehen wird: »Die Multilabel-Händler werden von vielen Marken nicht mehr beliefert werden. Stattdessen werden die Brands dort am Ende selbst ihre Webshops andocken, weil die Plattform mehr Frequenz anzieht, als sie allein über Google generieren können und wollen. Es ist dasselbe Spiel wie an den Luxusmeilen der Metropolen. Dort wurden die Einzelhändler ebenso von den Monolabel Stores verdrängt. Die Digitalisierung wirkt so gesehen als Katalysator der Vertikalisierung.«99