Es ist noch nicht so lange her, da wurde das Zukunftsszenario in Umlauf gebracht, es werde bald keine Läden mehr geben, weil die Menschen alles per Katalog bestellen würden. Euphorisiert durch die Erfolge von Kataloghändlern wie Quelle und Otto machte man damals den Versuch, einfach alles per Katalog zu verkaufen. Es zeigte sich allerdings sehr bald, dass sich bestimmte Sachen hervorragend für den Distanzhandel eignen (zum Beispiel Gartengeräte), andere Sachen aber gar nicht (zum Beispiel Hosen). Manche Dinge muss man eben sehen, anfassen, an- und ausprobieren. Also konsolidierte sich das Katalogangebot, und man beruhigte sich wieder. Viele Kataloge wurden eingestellt, andere – wie Pro-Idee oder Impressionen – waren auch weiterhin sehr erfolgreich.
Heute sind es die E-Tailer (Retailer + E-Commerce = E-Tailer), die, wie James-Bond-Bösewichte, davon träumen, den stationären Handel restlos vom Antlitz der Erde zu tilgen und die Weltherrschaft an sich zu reißen. »Geschäfte sind Mittelalter. Sie wurden nur gebaut, weil es noch kein Internet gab«, tönt zum Beispiel Zalando-Gründer Oliver Samwer.100
In der Euphorie, die auch diese zweite Welle des Versandhandels um sich verbreitet, versucht man auch diesmal wieder, einfach gleich alles online zu verkaufen. Alles, was jemals offline angeboten wurde, glaubt man, mindestens so gut online anbieten zu können. Keine noch so kleine Lücke im Onlineangebot, die nicht aufgespürt und umgehend von einem besonders smarten Start-up besetzt wird. Man ist so im E-Commerce-Goldrausch, dass man sich noch nicht einmal die Frage stellt, ob es nicht gute Gründe dafür geben könnte, bestimmte Produkte und Services eben nicht im Netz anzubieten. Manche Produkte eignen sich einfach nicht so gut für den Versandhandel wie andere. Onlineshops, die Kleidung verkaufen, haben zum Beispiel damit zu kämpfen, dass sie jedes zweite Teil zurückgeschickt bekommen. (Bei eigentlich allen anderen Produkten liegen die Retourenquoten unter zehn Prozent.)101 So hat der kalifornische Mode-Onlinehändler Revolve 2018 zwar 499 Millionen Dollar umgesetzt. Die Abwicklung aller Retouren hat ihn aber 531 Millionen Dollar gekostet, und in diesem Betrag sind die Ausgaben für die kostenlose Rücksendung noch nicht einmal enthalten.102
Selbstverständlich wird der E-Commerce unsere Welt jetzt viel einschneidender und nachhaltiger verändern, als der Versandhandel durch Kataloge es konnte. Vieles hat sich seitdem geändert. Nicht geändert hat sich aber, dass manche Produkte für den Distanzhandel gut geeignet sind. Und andere eher ungeeignet. So wird im E-Commerce mittelfristig eine ähnliche Konsolidierung stattfinden wie damals im Kataloghandel: In vielen Bereichen wird man das Angebot noch enorm ausbauen können. In anderen Bereichen wird die Blase platzen – Angebote, die zurzeit noch mit gigantischen Beträgen als vermeintlich zukunftsträchtig subventioniert werden, werden sich wieder aus dem Netz zurückziehen.